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Grundlagen kommunaler Finanzierung und Verschuldung
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3 Kommunale Verschuldung3.1 Ökonomische Grundlagen kommunaler VerschuldungDie Relevanz der kommunalen Verschuldung und damit eine inhaltliche Begründung für deren Analyse erfolgt im Wesentlichen aus vier Gründen: Erstens bildet die Diskrepanz von kommunalen Einnahmen und Ausgaben (Finanzierungssaldo) den Ausgangspunkt der zunehmenden Finanznot der Kommunen.[1] Aus dieser Lücke entsteht ein Bedarf nach Fremdkapital. So existieren zwar starke regionale Unterschiede. Dennoch ist ein genereller Anstieg bei der Höhe der Finanzierungssalden der deutschen Städte und Gemeinden zu verzeichnen. Analog der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts zur Feststellung von Notlagen öffentlicher Haushalte lässt sich zur Analyse der Gemeindefinanzen das Konzept des Primärsaldos verwenden. Hierbei werden die Einnahmen um einmalige Effekte durch Veräußerungserlöse und die Ausgaben um vergangenheitsbezogene Ausgaben für Zinsen vermindert (Dietz 2008, S. 864). Nachfolgende Abbildung 3.1 zeigt den ansteigenden Verlauf des Primärsaldos der deutschen Gemeinden im Zeitablauf auf, welcher auf zunehmend angespannte Haushaltssituationen schließen lässt. Somit existiert ein ansteigender Bedarf nach liquiden Mitteln. Zum zweiten sind der Verschuldung der kommunalen Kernhaushalte selbst enge Grenzen gesetzt. Allgemein ist zu beachten, dass eine Rangfolge bei der Beschaffung von Finanzmitteln existiert, wonach eine mögliche und wirtschaftlich sinnvolle Innenfinanzierung der Außenfinanzierung stets vorzuziehen ist (Rehm und Tholen 2005, S. 224). Langfristige Verschuldung kann ferner nur erfolgen, sofern ein direkter Zusammenhang zur Investitionstätigkeit der Gemeinden besteht
(fundierte Verschuldung). [2] Diese Art der Verschuldung unterliegt jedoch nebst Zustimmungspflicht des Gemeinderates einer Genehmigung durch die Kommunalaufsicht. Voraussetzung für Letztere ist das Vorliegen einer geordneten Haushaltwirtschaft sowie nur minimale Konsequenzen der Verschuldung auf die dauerhafte finanzielle Leistungsfähigkeit der Kommune durch die entstehenden Zins- und Tilgungszahlungen (Matz 2007, S. 198). Kommunen müssen ihre finanzwirksamen Vorgänge in Haushaltsplänen transparent wiedergeben. Sie sind generell dazu verpflichtet, ausgeglichene Haushalte derart aufzustellen, dass alle laufenden öffentlichen Ausgaben durch laufende Einnahmen gedeckt werden können. Somit können sie in finanziell angespannten Situationen gegebenenfalls nicht mehr auf Fremdkapital zur Finanzierung von Investitionen zurückgreifen. Hierdurch werden die übermäßige Nutzung von Fremdkapital vermieden und die Entscheidungsträger der Kommunen diszipliniert. Ausgenommen ist hierbei die Kreditfinanzierung rentierlicher Investitionen. Eine Fremdkapitalaufnahme schränkt die dauerhafte finanzielle Leistungsfähigkeit einer Gemeinde dann nicht ein, falls eine Investition ausreichende Zahlungsmittelzuflüsse generiert, um die eigenen Finanzierungsverbindlichkeiten zu bedienen (Rehm und Tholen 2005, S. 240). Rentierlichkeit be-wirkt demnach eine neutrale nominale Haushaltswirkung.[3] Abbildung 3.1 zeigt die Entwicklung der fundierten Verschuldung deutscher Kommunen im Zeitablauf, welche sich seit ca. dem Jahrtausendwechsel in zunehmender Dynamik verringert. Dies lässt jedoch mitnichten den Schluss zu, dass eine verringerte Finanzierung durch Fremdkapital gleichbedeutend ist mit einer verstärkten Investitionsfinanzierung durch Einnahmeüberschüsse. Vielmehr liegen die Gründe zum einen darin, dass immer mehr kommunale Tätigkeiten – inklusive der Investitionen – von Ausgliederungen durchgeführt werden, die nicht mehr in den Kernhaushalten der Städte und Gemeinden abgebildet werden. Zum anderen verhindert das zunehmende Unvermögen vieler Kommunen zur Aufstellung ausgeglichener Haushalte die Durchführung von Investitionsfinanzierungen per se (Schwarting 2006, S. 91). Auch die der Kommunalaufsicht dann vorzulegenden Haushaltssicherungskonzepte werden in zunehmendem Maße von dieser zurückgewiesen, da keine mittelfristige Konzeption zur Wiedererreichung eines ausgeglichenen Haushalts dargelegt werden kann. Als Konsequenz dürfen solche Gemeinden nur noch rechtlich verpflichtende Ausgaben tätigen und müssen ihre Verschuldung – auch zur Finanzierung von Sachinvestitionen – einschränken (Deutsche Bundesbank 2007, S. 30– 31). Dies äußert sich nicht auch zuletzt in dem in Kap. 2.2 erläuterten Investitionsstau der Gemeinden. Insofern kann ein sinkender Schuldenstand einer Kommune nicht als positives Signal gewertet werden. Vielmehr ist stets eine fallabhängige und individuelle Beurteilung jedes Sachverhaltes erforderlich. Den dritten Grund stellen Kassenverstärkungskredite als zweite mögliche Ausgestaltungsform kommunaler Verschuldung dar. Es handelt sich dabei um Liquiditätskredite, welche ausschließlich der Überbrückung kurzfristiger Inkongruenzen kommunaler Einnahmen und Ausgaben dienen und nicht dem haushaltsrechtlichen Kreditbegriff zugeordnet werden. Sie haben regelmäßig eine Laufzeit von höchstens zwölf Monaten und sind, sofern sie zur Investitionsfinanzierung eingesetzt werden, stets durch eine fundierte Kreditaufnahme zu ersetzen. Dennoch zeigt sich immer häufiger, dass Kommunen Kassenverstärkungskredite auch dauerhaft zur Deckung von Finanzierungssalden nutzen, wodurch sie von ihrer ursprünglichen Aufgabenerfüllung zweckentfremdet werden und nach ihrem ökonomischen Gehalt einer fundierten Kreditaufnahme ohne Investitionsbezug gleichzusetzen sind (Schwarting 2007, S. 142). Eine regulatorische Begrenzung existiert im Gegensatz zur fundierten Verschuldung lediglich in einigen Ländern bei Überschreitung bestimmter Volumina. Die in Abb. 3.1 im Zeitablauf dargestellte Gesamtverschuldung stagniert zwar seit Mitte der 1990er Jahre nahezu. Jedoch lässt dies unter Berücksichtigung der stark abfallenden fundierten Verschuldung auf eine hinreichend große Zunahme der Verschuldung in Kassenverstärkungskrediten schließen. Letztlich werden – bei Beachtung starker regionaler Unterschiede – Kassenverstärkungskredite nunmehr bei vielen Kommunen als Instrument eingesetzt, um die faktische Zahlungsunfähigkeit abzuwenden, welche sich in kumulierten und weiter anwachsenden Fehlbeträgen in den Haushalten widerspiegelt (Schwarting 2008, S. 267).[4] Es besteht deshalb bei vielen Kommunen ein großer Bedarf an Fremdkapital ohne direkten Investitionsbezug. Viertens müssen auch kommunale Ausgliederungen und deren Fremdkapitalbezug beachtet werden. Kommunale Unternehmungen sind zwar eng mit der kommunalen Haushaltswirtschaft verknüpft, unterliegen jedoch nicht denselben Restriktionen der Kernhaushalte. Vor allem kommunale Ausgliederungen in privatwirtschaftlich organisierten Rechtsformen, bspw. als Kapitalgesellschaften, können unter Beachtung der Kommune in ihrer Rolle als (Mit-)eigentümer ihre Fremdkapitalentscheidungen ohne gesonderte Genehmigungspflicht treffen. Haushaltsrechtliche Begrenzungsmechanismen greifen demnach nicht mehr, was als ein Grund für die zuletzt stetig zunehmenden Ausgliederungsaktivitäten der Kommunen angesehen werden kann. Erfüllen diese aber kommunale Aufgaben und entstehen dabei dauerhafte Verluste, so erwachsen den Städten und Gemeinde hierdurch finanzielle Risiken, die über die eigentliche Haftungseinlage in die Unternehmungen hinausgehen. Generell handelt es sich bei der kommunalen Verschuldung um einen Trade-off zwischen der durch eine Kreditaufnahme ermöglichten hinreichenden Erfüllung der Aufgaben der Städte und Gemeinden, d. h. der Erfüllung der kommunalen Leistungen, zu denen sie verpflichtet sind und der Einengung der künftigen finanziellen Handlungsspielräume, was sich für die Aufgabenerfüllung als negativ erweisen kann. Laut Zimmermann (2006, S. 392) begründet sich die Nutzung kommunaler Kredite durch die intertemporale (im Sinne einer intergenerationalen) Las-tenverteilung, d. h. durch die äquivalente Kostenverteilung von z. B. Infrastrukturprojekten auf künftige Generationen, welche ebenfalls zum künftigen Nutzerkreis der betreffenden Infrastrukturinvestition gehören. Es erfolgt daher eine zeitliche Allokation von Kosten und Nutzen einer Investition gemäß des „pay-as-you-use“Prinzips. Schwarting (2007, S. 32) weist jedoch darauf hin, dass in den letzten Jahren das Investitionsvolumen hinter den Abschreibungen zurückblieb, während sich der Schuldenstand nicht entsprechend verringerte. Dies erscheint hingegen unter intergenerativen Gerechtigkeitsaspekten höchst fragwürdig. Eine zweite Begründung findet sich in der rentierlichen Schuldenfinanzierung von Cashflow-generierenden Objekten, die sich somit faktisch selbst finanzieren. Unterstellt man eine sinngemäße Verknüpfung von Investitionstätigkeit und Verschuldung, lässt sich eine ökonomisch durchaus sinnvolle Begründung konstruieren. Kommunale Verschuldung ist im ökonomischen Sinne dann vertretbar, wenn sie der Investitionsfinanzierung dient, d. h. wenn der Verschuldung eine Generierung von Vermögen gegenübersteht. Die kommunale Kreditwirtschaft steht demnach teilweise – zumindest im positiven Sinne interpretiert – in direktem Zusammenhang zur Investitionstätigkeit der Städte und Gemeinden. Fremdkapitalaufnahmen sind vor allem dann förderlich, falls Investitionen finanziert werden, die Erträge generieren und unter Beachtung der Finanzierungskonditionen einen positiven Nettobarwert erwirtschaften, wodurch die Kommune Wert schafft. Zimmermann (2006, S. 394) weist ferner auf eine politökonomische Begründung kommunaler Schuldenaufnahme hin, wonach seitens der politischen Entscheidungsträger im Gemeinderat auch andere Ziele als ausschließlich ökonomische in das Entscheidungskalkül zur Kreditaufnahme mit einfließen. Dies wird außerdem durch eine Schuldenillusion der Entscheidungsträger und Bürger verstärkt, welche die zukünftige Belastung durch die Neuverschuldung nicht vollumfänglich korrekt einzuschätzen vermögen. Wird diese unterschätzt, kann die Neuaufnahme an Fremdkapital mitunter unverhältnismäßig hoch ausfallen. Letztendlich kann kommunale Verschuldung durch Kassenverstärkungskredite auch zum Ausgleich kurzfristiger Liquiditätsengpässe ohne Investitionsbezug stattfinden. Dies erscheint insofern ökonomisch sinnvoll, da andernfalls eine bestehende Lücke durch Steuermehreinnahmen gedeckt werden müsste, so dass das Steueraufkommen stärkeren Schwankungen unterläge. Daher dient die kurzfristige Verschuldung zur Glättung und Stabilisierung der Steuersätze (Sachverständigenrat 2007, S. 45–46). Eine allgemeine ökonomische Begründung für die dauerhafte Nutzung von Kassenverstärkungskrediten zur Deckung struktureller Finanzierungsdefizite der Kommunen erfolgt hierdurch indes nicht. Im Gegensatz zur Verschuldung von Bund und Ländern dient die Schuldenaufnahme der Städte und Gemeinden außerdem nicht unmittelbar fiskalpolitischen Zielsetzungen, bspw.zur Konjunkturstimulierung in wirtschaftlich schwachen Zeiten. Auch wenn das kommunale Haushaltsrecht einen Bezug der ökonomischen Tätigkeit zu den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts herstellt, existieren keine konkretisierenden Handlungsanweisungen an ein konjunkturpolitisch gerechtes Verhalten (Schwarting 2010, S. 79). Die Kommunen betreiben die Steuerung ihrer Schulden deshalb einzelwirtschaftlich, wenn auch eine Verbindung der kommunalen Verschuldungsaktivitäten, vor allem aufgrund des hohen Anteils öffentlicher Investitionen, zur gesamtstaatlichen Wirtschaftspolitik besteht.
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