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1 Einleitung

Das Finanzsystem des kommunalen Sektors in Deutschland zeigt in ansteigendem Maße Schwächen bei der Sicherstellung der Stabilität und einer ausreichenden Höhe der Einnahmebasis zur Deckung der entsprechenden Ausgaben auf. Nicht zuletzt durch die Finanz- und Wirtschaftskrise 2007 entstanden zudem in vielen deutschen Kommunen finanzielle Notsituationen, welche mitunter auf seit Jahren anhaltenden Strukturdefiziten basieren. Schwankungsanfällige Einnahmen stehen stetigen und anwachsenden Ausgaben gegenüber, woraus strukturell negative Finanzierungssalden und somit eine zunehmende Notwendigkeit zur Aufnahme kommunaler Verschuldung resultieren. Ferner zeichnen sich Reduzierungen bei der kommunalen Aufgabendurchführung ab, worunter insbesondere die freiwillige Leistungserbringung leidet und in einem immer weiter ansteigenden Investitionsstau mündet.

Ziel der nachfolgenden Abhandlung ist es, die Probleme des gegenwärtigen Finanzsystems sowie deren Ursachen aufzuzeigen. Hierzu wird zunächst in die Systematik und Fundierung des wirtschaftlichen Handelns der Städte und Gemeinden eingeführt (Kap. 1) und insbesondere deren Finanzsystem dargestellt (Kap. 2). Schwerpunktmäßig wird daraufhin in Kap. 3 die Fundierung und der aktuelle Stand der kommunalen Verschuldung behandelt. Letztlich wird in Kap. 4 ein Fazit gezogen.

Eine detaillierte Analyse des kommunalen Sektors erfordert aufgrund der bei den Bundesländern angesiedelten Gesetzgebungskompetenz meist die Beachtung von bis zu 13 unterschiedlichen landesspezifischen Rechtsvorschriften. Dies würde zum einen den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen und ist zum anderen in Anbetracht der hier verfolgten Zielsetzung wenig hilfreich. Daher wird im Folgenden davon ausgegangen, dass soweit nicht anders vermerkt, die hier erwähnten Regelungen für die Kommunen aller zumindest aber der überwiegenden Mehrheit der Bundesländer gelten.

1 Kommunale Aktivitäten

1.1 Grundlagen kommunaler Aktivitäten

Die moderne Ordnung der kommunalen Verwaltung in ihrer strukturellen Ausgestaltung als Selbstverwaltung geht auf die Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935 zurück und wurde in ihren Grundzügen bereits durch die Reformen des Freiherrn vom Stein und insbesondere durch die preußische Städteordnung aus dem Jahr 1808 begründet (Schöneich 2007, S. 716).[1] Inhaltlich bildet die zeitgenössische Lehre der Daseinsvorsorge von Ernst Forsthoff (1938) den Kern der Existenzgrundlage kommunaler Verwaltungssysteme, welche in Deutschland in der Staatsstruktur des föderalen Bundesstaates operationalisiert ist. Die Kommunen stellen hierbei keine selbständige Staatsebene dar, sondern sind vielmehr staatsorganisatorisch den Ländern zugeordnet. Daseinsvorsorge meint die generelle Bereitstellung aller das menschliche Dasein sicherstellenden Güter und Dienstleistungen durch die Staatsebenen. [2] Diese als öffentliche Güter bezeichneten Leistungen unterliegen dabei weniger der Bereitstellung nach der marktwirtschaftlichen Regel von Angebot und Nachfrage. Vielmehr ist es Aufgabe der Staatsebenen, öffentliche Güter in unter wohlfahrtsökonomischen Aspekten optimalen oder aber politisch gewünschten Mengen bereitzustellen. Die Güterversorgung durch die öffentliche Hand ergibt sich daraus, dass derart erwünschte Gütermengen meist nicht vollständig durch die aus einzelwirtschaftlicher Sicht, d. h. unter Heranziehung der üblichen marktwirtschaftlichen Kräfte, hervorgehenden Mengen gedeckt werden können. Die Selbstverwaltung der Kommunen ergibt sich darauf aufbauend aus der in Art. 28 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich gesicherten Kompetenzzuordnung zur selbstverantwortlichen Regelung aller Angelegenheiten im Wirkungskreis der örtlichen Gemeinschaft. Die konkrete Aufgabenzuordnung folgt dabei den Grundsätzen des Prinzips der Subsidiarität, wonach die Aufgabenwahrnehmung immer auf der untersten Ebene, d. h. im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung, angesiedelt sein soll. Nur falls die darunterliegende Staatsebene die Aufgaben nicht vollumfänglich durchzuführen vermag, erfolgt eine Kompetenzzuweisung an die nächsthöhere Staatsebene. Dieses Prinzip erfreut sich durch die Aufnahme in den Maastrichter Vertrag mithin der Anwendung bis in die Europäischen Union (EU) als supranationaler Ebene (Hrbek 2007, S. 77).[3]

Die europäische Dimension, welche durch die Schaffung der Europäischen Union eine institutionelle Gestalt erhielt, wirkt sich auch auf die Selbstverwaltung der Kommunen aus. Denn durch das Hinzukommen einer weiteren Staatsebene wurde eine Neuregelung der Aufgabenverteilung notwendig. Während dies zwar wenig unmittelbare Folgen für die Kommunen implizierte, waren die mittelbaren Folgen hingegen beträchtlich. So verfügt die Europäische Union über weitreichende Befugnisse bei der Sicherstellung eines einheitlichen Wettbewerbs auf dem europäischen Binnenmarkt. Vor diesem Hintergrund zeichnen sich umfangreiche Privatisierungs- und Liberalisierungstendenzen bei der Bereitstellung öffentlicher Güter ab. Bspw. sind Kommunen bei der Erbringung der Daseinsvorsorge ab bestimmten Wertgrößen zu europaweiten Ausschreibungen verpflichtet, welche außerdem auch von der Privatwirtschaft wahrgenommen werden können (Rehm und Matern-Rehm 2010, S. 58). In Konsequenz verschwimmen die Grenzen des öffentlichen und des privaten Sektors zusehends.

  • [1] Zur Entwicklung der Städteordnung vgl. z. B. Ioachim (1892). Demnach nutzte vom Stein einen Entwurf des Königsberger Kriminalrates Johann Friedrich Brand als Anlass, die Verabschiedung einer generellen Städteordnung aller preußischen Gemeinden zu initiieren
  • [2] Forsthoff (1938) beschreibt Daseinsvorsorge als die Sicherstellung aller „Leistungen, auf welche der in die modernen massentümlichen Lebensformen verwiesene Mensch lebensnotwendig angewiesen ist“ (Forsthoff 1938, S. 7)
  • [3] Die tatsächliche Handhabung des Subsidiaritätsprinzips in der EU wird hingegen auch kritisch gesehen. So weist Vaubel (2007) auf Zentralisierungsbestrebungen in der EU hin, welche aus der institutionellen Ausgestaltung der Union resultieren. Für den Zeitraum der Gültigkeit des Vertrags von Maastricht wird der EU diesbezüglich gar ein Demokratiedefizit attestiert (Vaubel 1997, S. 446–448)
 
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