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Start arrow Ökonomik arrow Mittelstandsanleihen – ein Erfolgsmodell für alle Parteien

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1 Warum sind Mittelstandsanleihen überhaupt entstanden?

Um in wirtschaftlich unsicheren Zeiten schnell und flexibel reagieren zu können, benötigen Unternehmen vor allem ausreichende finanzielle Mittel. Allerdings ist das Eigenkapital gerade in mittelständischen deutschen Unternehmen eher knapp, die durchschnittliche Eigenkapitalquote bewegt sich bei etwa einem Drittel. Zusätzlich werden einige Finanzierungsmöglichkeiten inzwischen deutlich kritischer gesehen (etwa Mezzanine-Kapital) beziehungsweise sind für Mittelständler nur noch schwerer zu erhalten (Bankkredite). Deshalb suchten die Unternehmen nach neuen, oder besser gesagt für sie neuen Finanzierungskanälen. Auf der anderen Seite interessieren sich Anleger, verunsichert durch stark volatile Aktienkurse, annähernd zinslose Spareinlagen oder „sichere“ Staatsanleihen für geeignete, renditestarke Anlagemöglichkeiten mit relativ überschaubarem Risiko jenseits klammer Euro-Staaten. Das war die Geburtsstunde der Mittelstandsanleihen, die das Bedürfnis der Unternehmen mit dem der Privatanleger zusammenführte. Das Motto war: Was großen, kapitalmarktaffinen Gesellschaften mit Hilfe von institutionellen Investoren gelingt, müsste mittelständischen Unternehmen durch die Einbeziehung privater Kapitalgeber ebenfalls möglich sein. Allerdings gab es Einzelfälle von kleineren Anleihen schon viele Jahre früher, die dann aber überwiegend über den Grauen Kapitalmarkt per Eigenemission und nicht über den öffentlichen Kapitalmarkt durchgeführt wurden.

1.1 Der Bedarf auf Seiten der Unternehmen

Traditionell ist das wichtigste Mittel der Fremdkapitalbeschaffung bei mittelständischen Unternehmen nach wie vor der Bankkredit. Börsennotierte Großunternehmen haben ihre Verbindlichkeiten jedoch längst auf ein sehr viel breiteres

Abb. 1.1 Kapitalmarktorientierung mittelständischer Unternehmen, Commerzbank, DAI und Deutsche Börse

Fundament gestellt. So führte als ein Beispiel die MAN SE ihren Anteil syndizierter Kredite von 43 % im Jahr 2007 auf nunmehr null zurück und ihre Bankdarlehen im gleichen Zeitraum von 17 auf 9 %. Im Gegenzug legte der Anteil bei den Anleihen von 13 auf 51 % der Verbindlichkeiten zu. Dagegen setzen viele Mittelständler noch auf das Hausbankprinzip mit dem Kredit als Alleinheilmittel. Allerdings ist hier in den vergangenen fünfzehn Jahren eine deutliche Verschiebung weg vom Bankkredit und hin zu Anleihen beziehungsweise Eigenkapital über die Börse zu beobachten (vgl. Abb. 1.1).

Relativ neu ist jedoch, dass sich die mittelständischen Unternehmen der Problematik einer schwierigen Kapitalbeschaffung sehr wohl bewusst sind. Eine Untersuchung der Commerzbank unter 4000 mittelständischen Unternehmen[1] ergab, dass als Folge von Basel III immerhin 77 % davon ausgehen, dass sich die Kreditkonditionen verschlechtern, und sogar 80 % sind der Meinung, dass der Kreditzugang dadurch erschwert wird. Gleichzeitig glauben 65 %, dass ohne Schulden notwendige Investitionen nicht realisiert werden können. Tatsächlich werden die Maßgaben von Basel III die Kreditvergabe in naher Zukunft einschränken und – je nach Bonität des Unternehmens – für viele zumindest verteuern. Die Unternehmen geraten also zwangsläufig in das Dilemma, Schulden machen zu müssen, um zu investieren, die nötigen Fremdmittel aber nicht mehr durch einen Bankkredit zu bekommen.

Die Folge ist, dass – ebenfalls von der Commerzbank erfragt – 53 % der mittelständischen Unternehmen ihre Finanzierungsstruktur überdenken, weil sie ihrer Ansicht nach optimiert werden kann oder muss. Neben den selbstverständlich an erster Stelle genannten Finanzierungskosten nennen die Unternehmen als Gründe hier vor allem mehr Flexibilität, eine höhere Planungssicherheit und mehr Entscheidungsfreiheit. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine Studie der Unternehmensberatung Deloitte: Mehr als die Hälfte der Mittelständler hält eine Finanzierung über den Kapitalmarkt für eine attraktive Alternative, nicht zuletzt, weil sie davon ausgehen, dass sich in den nächsten drei Jahren die Konditionen bei den Banken deutlich verschlechtern[2].

Aber auch Unternehmen, die jenseits des Bankkredits bereits auf alternative Finanzierungsformen gesetzt haben, bekommen zunehmend Probleme, weil beispielsweise Mezzanine-Finanzierungen oder Schuldscheine in den nächsten Jahren auslaufen und sich daher die Frage der Anschlussfinanzierung stellt.

Wichtiges Kriterium gerade auch für Mittelständler, die noch nicht an der Börse notiert sind, ist die Unabhängigkeit, die sie mit Anleihen für sich gewahrt sehen. Die Eigentümerstruktur bleibt im Gegensatz zu einem Börsengang erhalten.

Zusätzlich verbessern sie die Kreditwürdigkeit der Unternehmen – nicht zuletzt etwa durch das in Auftrag gegebene Rating –, so dass die Instrumente Unternehmensanleihe und Bankkredit sich eher ergänzen als kannibalisieren. Eine erfolgreich begebene Anleihe stärkt auf jeden Fall die Verhandlungsposition des Unternehmens gegenüber der Bank – und macht es gleichzeitig für die Bank interessanter. Für die Banken scheint sich die hohe Zahl an Anleihenemissionen überhaupt zu rechnen: Insgesamt haben Banken im ersten Quartal 2012 immerhin 41 % ihrer Gebühren im Kapitalmarktgeschäft im Anleihensektor verdient – ein Rekordwert, der die entgangenen Zinsen per Kredite kompensieren dürfte.[3] Auch wenn hier nicht ausschließlich von Mittelstandsanleihen die Rede ist und die hohe Prozentzahl auch damit begründet werden kann, dass das Kapitalmarktgeschäft mit Börsengängen fast zum Erliegen gekommen ist, dürfte der Anteil auch aktuell in diesem Bereich liegen.

Alles in allem müssen auch mittelständische Unternehmen schon unter Gesichtspunkten des Risk-Managements die Passivseite möglichst breit diversifizieren, um eine maximale Flexibilität zu erhalten. Unterschiedliche Laufzeiten der Verbindlichkeiten sind dabei genauso wichtig wie das Vermeiden von Abhängigkeiten etwa gegenüber nur einer Bank oder Klumpenrisiken einer Finanzierungsform. Alle Erfahrungswerte haben im Übrigen gezeigt, dass die Zeichner einer ersten Anleihe bei Folgeemissionen eher mehr als weniger kaufen, das Begeben einer Anleihe ist, ähnlich wie ein Börsengang mit folgenden Kapitalerhöhungen, also alles andere als eine Einbahnstraße für Unternehmen.

Mit Mittelstandsanleihen können Unternehmen jedoch nicht nur Finanzierungslücken schließen, sie setzen diese darüber hinaus auch ganz gezielt als Marketing- und Kundenbindungs-Instrument ein. Kunden, die in das Unternehmen mittels einer Anleihe investiert haben, werden ihm besonders treu bleiben und umgekehrt können treue Kunden eher von einer Investition in das Unternehmen über eine Anleihe überzeugt werden. Die Kommunikation, die vor und während der Zeichnung stattfindet, öffnet vielen Unternehmen die Türe in Medien, die sich zuvor nicht für sie interessiert hätten. Ähnlich wie ein Börsengang zum verbesserten Image einer Kapitalgesellschaft beiträgt, dürfte eine erfolgreiche Anleiheemission imagebildend wirken. Gerade für Unternehmen mit einem ausgeprägten B2C-Geschäft kann dieser kommunikative Aspekt einer Anleihe eine wichtige zusätzliche Rolle einnehmen.

Die Vorteile der Mittelstandsanleihe können stichpunktartig wie folgt zusammengefasst werden:

• Unabhängigkeit von Banken oder Eigenkapitalgebern

• Relativ schnelle Durchführung (innerhalb von etwa drei bis vier Monaten)

• Zusätzlich als ein Mittel der Kundenbindung einsetzbar

• Interesse von Presse und Öffentlichkeit am Unternehmen nimmt zu

• Beziehungen zum Kapitalmarkt, zu Investoren können aufgebaut und später genutzt werden (weitere Anleihe, Börsengang, Kapitalerhöhungen)

• Vorzeitiger Rückkauf ist möglich

• Es besteht keine direkte Zweckbindung

• Covenants sind nicht notwendig, können aber Teil einer Platzierungsstrategie sein

• Eine Besicherung muss nicht erfolgen, kann aber zum Erfolg mit beitragen Dabei gilt es auch die besonderen Herausforderungen zu beachten:

• Professionelle Finanzkommunikation und Investor Relations müssen aufgebaut und gepflegt werden

• Auswahl des passenden Emissionsbegleiters muss getroffen werden

• Ausreichender und stabiler Cashflow ist notwendig, um die Zinsen und später die Tilgung bedienen zu können

• Das Volumen kann niedriger ausfallen als erwartet

• Die Kosten liegen mit etwa 6 % des Platzierungsvolumens relativ hoch

• Die negativen Wirkungen auf das Image infolge von Zahlungsverzögerungen oder -einstellungen sind wegen des gesteigerten Medieninteresses hoch

  • [1] Vgl.: Gute Schulden, schlechte Schulden: Unternehmertum in unsicheren Zeiten. Hrsg. von der Commerzbank, durchgeführt von TNS Infratest, Frankfurt 2012
  • [2] Vgl. Mittelstandsfinanzierung: Börse statt Bank. Eine gemeinsame Studie von Deloitte und der FH Münster, Dezember 2011
  • [3] Vgl. Tim Bartz: Zeitenwende für Investmentbanken. Handel mit Anleihen gewinnt an Bedeutung, in: Financial Times Deutschland, 2. April 2012, S. 15
 
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