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I Analysen

„Nationalsozialismus/Swing Kids“Ist as Unterricht? – Was ist hier Unterricht?

1 Was verspricht und verlangt der Titel der Tagung? – Eine methodologische Vorbemerkung

Mit Rückgriff auf Beispiele für unterschiedlich theoretisch und methodologisch begründete Unterrichtsanalysen soll geklärt werden, was Unterricht sei und zwar im Sinne seiner Konstitution als pädagogischer Form.

Mit der Beziehung auf die Begriffe Konstitution und Form wird ungleich mehr ausgesprochen als lediglich die Darstellung eines der möglichen Beobachterstandpunkte. Mit Konstitution wird auf das wesenhafte Ganze gezielt, auf das, was die

„Sache im Innersten zusammenhält“, wie auf das, was sie allererst als distinkte Form von Praxis ermöglicht. Die je besondere Verfasstheit des Unterrichts wird als dessen grundgelegte wie grundlegende Verfassung begriffen. Damit sind noch ungeschieden der Bereich des Sollens, als das den Unterricht legitimierende Telos, wie der Bereich der das Telos „prozedierenden“ strukturalen Anlage, sein nicht akzidentelles Sein, angesprochen. Wo beides nicht zusammenfällt – und dies ist bei Unterricht wohl regelhaft anzunehmen –, muss mit der Frage der Konstitution geklärt werden, wie Sein und Sollen miteinander vermittelt werden, und zwar nicht einfach als konstruierte Realisation des Sollens im Sein oder als Aufweis der Abweichung des Seins vom Sollen, sondern als deren logifizierte Gleichzeitigkeit: Die Logik erklärt die Konstitution als Modus der Vermittlung von Sollen und Sein. Hatten das die Initiatoren der Tagung im Sinn?

Konstitutionslogik kann nicht in der nebeneinander stellenden Auflistung von all dem gefunden werden, was im Unterrichten anzutreffen ist, was auf dieses einwirkt und aus ihm folgt. Sie setzt dagegen so etwas wie einen archimedischen Punkt, von dem aus sich die Vielfalt der Erscheinungen und Konkretisierungen als abhängig, passend und kohärent ableiten, zumindest verstehen lässt. Solche Fokussierungen auf den einen springenden Punkt verfahren mit der Komplexität der Phänomene zu selektiv, sie sind selten wirklich überzeugend. Möglicherweise muss man Archimedes verbessern und von einzelnen wenigen Punkten sprechen, die freilich dann zueinander in logischer Beziehung stehen müssen und zudem so etwas wie Konstellationen der mit ihnen gegebenen und aus ihnen hervorgehenden abgeleiteten Erscheinungen bilden. Wie auch immer, wer von Konstitution spricht, sollte sich klar machen, dass er damit ein anspruchsvolles Theorieprogramm bedient. Aber auch wer es nicht erfüllt, hat doch ein schönes Instrument in der Hand, Modellierungen zu kritisieren, die sich nicht um dieses Ziel der Theorie bekümmern. So weiß man, dass etwa die Wirkungsmodelle der Psychometriker an die Konstitution der Sache genauso wenig heranreichen wie die Spezialisten, die nach Gusto dieses oder jenes für entscheidend behaupten, etwa den Körper, die Seele oder die Selbstwirksamkeit. Aber die Kritik an der fehlenden Kraft der wissenschaftlichen Zugriffe ist nur für den ein zureichendes Medium, der nicht selbst die Probe aufs Exempel machen will. Es sei denn er kann mit guten, ja zwingenden Gründen behaupten, dass das Ziel der Konstitutionstheorie unerreichbar ist. Was aber kann er dann noch vorlegen?

Der Begriff der Form lädt das Programm weiter auf. Mit ihm wird vorab verlangt, Unterricht von anderen Formen, dazu noch pädagogischen abzugrenzen, etwa das Spielen oder das Beraten. Das aber kann nicht nur in Abgrenzung von etwas anderem vollzogen werden, das womöglich genauso wenig konstitutionell bestimmt worden ist. Die Plausibilität des Andersseins kann zudem mit dem Ähnlichsein konterkariert werden, wird doch auch im Unterricht gespielt und beraten. Erst in der Rückbeziehung auf die besondere Strukturbildungsgesetzmäßigkeit dessen, was wir Unterricht nennen, wird die Form aufgeschlossen. Was wir dabei formal als Form bestimmen, ist unproblematisch. Hier kann pragmatisch gesprochen werden, dass wir es mit Unterricht zu tun haben, wo immer im schulischen Kontext unterrichtet wird. Dass es auch die Fahrschule und die Baumschule gibt, kann man erst einmal beiseitelegen. Dann müssen wir die Form schulischen Unterrichts in der Weise kennzeichnen, die erklärt, wie sie je neu Stunde für Stunde entsteht, indem der individuelle Fall vermittelt wird mit der für jede Stunde geltenden Struktur der Veranstaltung. Diese markiert in ihrer Uneinheitlichkeit Grenzen zu dem, was nicht mehr Unterricht ist, obwohl die Veranstaltung noch unter dieser Bezeichnung geführt wird. Dann wird dessen normale Strukturbildungsgesetzmäßigkeit außer Kraft und Geltung gesetzt. Solche Grenzen lassen sich recht gut markieren (vgl. Gruschka 2010). Wenn wir dabei mit dem starkem Wort eine Gesetzmäßigkeit der Form postulieren, dass es bei aller Varietät der Strukturbildung in dieser selbst so etwas wie eine Logik oder eben einige Logiken gibt, so soll dies nicht nur erlauben, abschließend zu sagen, dass es Unterricht war, sondern vielmehr zu erklären, warum er war, was er wurde. Hatten das die Initiatoren im Sinn, als sie die Latte so hoch hängten?

Bleibt das Pädagogische der Form. Das klingt intuitiv gut nachvollziehbar. Aber ergibt die Formulierung einen konstitutionslogischen Sinn? Die pädagogische Form postuliert, dass es über sie keinen Streit geben kann: Unterrichten ist eine pädagogische Form! Wer mag dem widersprechen? Aber dennoch stellt sich die Frage: Was macht die Form zu einer pädagogischen? Die Antwort darauf wird schnell strittig, weil sich so mancher Unterricht nicht als pädagogisch wohlgestaltet erweist, womit die Form nicht erfüllt ist. Möglicherweise ist die Form nicht zu sehr zu belasten durch die Auszeichnung als pädagogische. Besser wäre zu fragen, wie und ob es zu einer pädagogischen Konstitution der Form des Unterrichts kommt. Denn so wird klar, dass es noch ganz andere Konstitutionstheorien für die Form Unterricht geben kann, etwa die politische, die ökonomische, die juridische und in alter Zeit vor allem die theologische. Gefragt werden kann also, wie die fraglos als pädagogisch bewertete Form konstituiert wird, wie auch, wie die Form ihre pädagogische Konstitution erfährt. Hier scheiden sich die Geister. Und sie kommen erst wieder ins Gespräch, wenn sie sich darauf einigen, dass „Unterricht“ als Form nicht bloß die Anwendung einer Bezugsobjekttheorie oder Beobachterperspektive verlangt, sondern eine Form sui generis bedeutet, mit einer Eigenstruktur; und welche sollte das sein, wenn nicht eine pädagogische?

Das freilich lässt sich nicht mit theoretischen Postulaten klären, sondern allein in der Erschließung des empirischen Materials, auf das sich die Konstitutionsüberlegungen beziehen.

Mein Beitrag wird die an manchen anderen Stellen systematisch vorgetragene Begründung für eine Eigenstruktur des Pädagogischen (etwa Gruschka 2011, 2013) nicht erneut als solche vorstellen, sondern sie am Fall durchsichtig machen.

 
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