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Die Wirkmächtigkeit unternehmensethischer Managementkonzepte
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8.4 Handlungsrelevante Institutionalisierung unterschiedlicher Leitideen in UnternehmenDie Analyse des vorliegenden Abschnitts wurde durch die Frage angeleitet, inwiefern sich die Mitarbeiter in alltäglichen Handlungsentscheidungen an den Leitideen und Prinzipien des unternehmensethischen Managementkonzepts bei EFS sowie in der Vergleichsgruppe orientieren. Der Blick wurde dabei zunächst auf die Unternehmensfallstudie EFS gelenkt. Der erste Schritt umfasst die Rekonstruktion eines von dem Befragten gemeinsam geteilten alltagspraktischen Sinnkontext sowie darin verankerten Handlungsproblemen. Dazu wurde der Geschäftsprozess „Einkauf von Bauleistungen“ ausgewählt, der aufgrund eines Korruptionsvorfalls in der Vergangenheit Anlass zur Einführung des unternehmensethischen Managementkonzepts „Wertemanagementsystem“ im Unternehmen EFS war (vgl. Abschnitt 7.2.1). Die darin typischen Entscheidungssituationen und Verfahrensweisen wurden empirisch, anhand der Äußerungen von Führungskräften und Mitarbeitern des Geschäftsprozesses, rekonstruiert. Diese Perspektive erschien wichtig um zu überprüfen, ob sich der formale Prozess auf der Mikroebene individueller Wahrnehmungen als homologer Sinnzuschnitt dokumentiert. Nachdem der Geschäftsprozess als homologer Sinnbezug der darin handelnden Mitarbeiter plausibilisiert werden konnte, war der zweite Analyseschritt darauf gerichtet, die darin geltenden Rationalitätskriterien herauszuarbeiten. Das Ergebnis der Interpretation von Begründungsstrukturen sowie Stellungnahmen zu typischen Entscheidungsproblemen verdeutlichte, dass im Geschäftsprozess zwei Leitideen Geltung beanspruchen: Wirtschaftlichkeit und Integrität. Im Fallvergleich zeigte sich, dass beide als Bezugnahmen parallel im Material dokumentiert sind. Das bedeutet, dass Einzelne als Letztelement in Begründungen und Stellungnahmen sowohl auf Wirtschaftlichkeit als auch auf Integrität Bezug nehmen. Die von den Mitarbeitern thematisierten Integritätsprinzipien sind dabei die im Einkaufsverfahren festgelegten Prinzipien „Gleichbehandlung“, „Diskriminierungsfreiheit“, „Transparenz“ und „4-Augenprinzip“. Obwohl diese Prinzipien im deutschen und europäischen Vergaberecht konkretisiert sind, sind sie im Material im überwiegenden Maße mit Bezugnahme auf das WMS dokumentiert. Die rechtsnormativen Grundlagen des Prozesses „Einkauf von Bauleistungen“ haben die Mitarbeiter bei EFS vom ursprünglichen Kontext abgelöst und auf den alltäglichen Sinnkontext übertragen. Zusätzlich haben sie die normativen Grundlagen als professionelles Selbstverständnis verinnerlicht und als WMS-Bezug rekontextualisiert. Die Geltung beider Leitideen konnte grundsätzlich bei allen befragten Funktionsgruppen beobachtet werden. Eine soziotypische Differenzierung war nicht erkennbar. Die Variation in der Bezugnahme konnte vielmehr durch zwei unterschiedliche alltagsbezogene Handlungsprobleme erklärt werden. Zum einen sind im Alltag prozessbezogene Sachentscheidungen[1]zu treffen. Darüber hinaus thematisieren Mitarbeiter Entscheidungen zu verfahrenstechnischen Fragen Verfahrensentscheidungen betreffen zum Beispiel folgende Fragen Wie wird ein Vergabeverfahren entschieden? Wie kontrolliere ich Preisspiegel? Wie gestalte ich Bietergespräche? Wie gestalte ich die Zusammenarbeit mit den Abteilungen?[2]. Beide Bezugnahmen konnten als Rationalitätskriterien mit hoher Geltung rekonstruiert werden. Als Ergebnis erscheinen zwei Ordnungsregeln im Geltungskontext des Geschäftsprozesses handlungsrelevant, die das in der Makroanalyse herausgearbeitete Spannungsverhältnis (vgl. Abschnitt 6.4), repräsentieren: - Sachbezogene Handlungsentscheidungen, die den Geschäftsprozess betreffen, werden unter der Maßgabe ökonomischer Nützlichkeitserwägung getroffen. - Verfahrensbezogene Handlungsentscheidungen, die den Geschäftsprozess betreffen, werden auf der Grundlage von Integritätsprinzipien getroffen. Die Frage, inwiefern ein unternehmensethisches Managementkonzept zwischen den Leitideen ökonomischer Nützlichkeitserwägungen und Integritätsprinzipien zu vermitteln vermag, wurde im dritten Analyseschritt mit der Perspektive erörtert, welche Handlungsrelevanz den darin festgeschriebenen Normen zugeschrieben werden. Hier waren zwei handlungsrelevante Bezugnahmen erkennbar. Die Relevanz unternehmensethischer Normen im Sinne eines Etiketts wurde durch ihre symbolische Repräsentation des Gesamtkonzepts begründet. Dadurch werden im internen Bezug kommunikative Räume eröffnet, die zum einen eine sachbezogene Auseinandersetzung mit tabuisierten Themen wie Korruption, Bestechung und Betrug ermöglichen. Zum anderen repräsentiert das WMS die Gewährleistung diskreter Kommunikationsgelegenheiten, in denen Handlungsdilemmata unter Wahrung von Anonymität besprochen werden können. In der Kommunikation nach außen ist das WMS als Etikett handlungsrelevant derart, dass es als Gesamtkonzept im Sinne einer Absichts- und Erwartungsklärung gegenüber Trägergruppen adressiert werden können. Als richtungsweisende Leitidee bietet es, wieder in der Gestalt als Gesamtkonzept, Orientierung für unterschiedliche Handlungsprobleme. Zum einen solche, die sich als Handlungsdilemmata derart darstellen, dass ökonomische und ethisch-moralische Anforderungen an Wirtschaftshandeln im Spannungsverhältnis stehen. Das WMS wird von Befragten bei EFS und der Vergleichsgruppe als Referenznormen thematisiert, um in diesem Spannungsverhältnis zu vermitteln. Bezogen auf Verfahrensentscheidungen dokumentierten sich WMS-Prinzipien sowie Einkaufsprinzipien als handlungsrelevant. Letztere kommen im „WMS-Kleid“ daher, d.h. die Mitarbeiter formulieren Einkaufsprinzipien, etikettieren sie aber als „Wertemanagement bezogen“. Übertragen auf den Sinnkontext des Geschäftsprozesses, kann „Integrität“ als institutionalisierte Leitidee bei Verfahrensentscheidungen Geltung gegenüber der dominanten Leitidee „Wirtschaftlichkeit“ beanspruchen. Interessant bei der Betrachtung der Handlungsprobleme ist der Aspekt, dass das WMS zwar universell angelegt ist, jedoch erst im Alltagsbezug sinnhaft anschlussfähig erscheint. Die soziotypische Verteilung bei den verschiedenen Funktionsgruppen verdeutlichte dies: Als Dilemmasituationen erkennen WMS Verantwortliche bei EFS und die Verantwortlichen der werteorientierten Managementkonzepte in der Vergleichsgruppe vorwiegend Handlungsprobleme, die in diesen Verhaltensregeln aufgeführt sind: Loyalität, Rechtmäßigkeit und Umgang mit Geschenken und Zuwendungen. Die befragten Mitarbeiter und Führungskräfte im Baueinkauf rahmen dagegen fast ebenso häufig die Prinzipien des Einkaufsprozesses sinngemäß als Wertemanagement. Betrachtet man das Ergebnis der Analyse aus der oben eingeführten institutionentheoretischen Perspektive von Lepsius, so lässt sich exemplarisch für den Geltungskontext „Einkauf von Bauleistungen“ ein hoher Geltungsgrad beider Leitideen erklären:
Tabelle 16: Geltungskriterien institutionalisierter Leitideen im Geschäftsprozess Quelle: Eigene Darstellung Für den Geltungskontext „Einkauf von Bauleistungen“ wurden zwei typische Handlungsprobleme identifiziert. Zum einen sind Mitarbeiter und Führungskräfte mit sachbezogenen Entscheidungen konfrontiert, die sich aus Zielen und abgeleiteten Aufgaben ihres Funktionsbereichs ergeben. Diese sachbezogenen Entscheidungen folgen dem Prinzip der Wirtschaftlichkeit. Abgesichert ist dieses Prinzip über den Bereichsleiter, der das Selbstverständnis des Baueinkaufs als strategisch wichtige Aufgabe für das Unternehmen insgesamt mit dem Motiv der Wirtschaftlichkeit rahmt. Im Material konnte vielfach nachvollzogen werden, dass die Abteilung das Mandat zur Beschaffung der wirtschaftlichsten Produkte und Dienstleistungen, durch autoritative Absicherung im Vorstand, verlässlich durchsetzen kann. Im Einzelfall bedeutet das, dass die Beachtung alternativer Kriterien in der Entscheidung eines Beschaffungsvorgangs, wie beispielsweise die Entscheidung für teureres Baumaterial, als Entscheidung im Vorstand getroffen wird. Der Prozess wird dann, unter Beachtung dieses Zusatzkriteriums, wiederum unter dem Primat der Wirtschaftlichkeit durchgeführt. Wirtschaftlichkeit bleibt demnach auch bei abweichenden Einzelaspekten das dominierende Leitprinzip. Im Material konnte nachvollzogen werden, dass dieses Leitprinzip im Konfliktfall durch ein kaskadierendes Eskalationsverfahren bis zur Vorstandsebene ausgehandelt wird. Folgekosten von Entscheidungen werden von nachfolgenden Abteilungen getragen, sind also externalisiert. Als Handlungsmaxime gilt die Ordnungsregel: Sachbezogene Entscheidungen im Baueinkauf werden auf der Grundlage von ökonomischen Nützlichkeitserwägungen getroffen. Im selben Geltungskontext sind Mitarbeiter und Führungskräfte darüber hinaus mit verfahrensbezogenen Entscheidungen konfrontiert. Diese verfahrensbezogenen Handlungsprobleme folgen dem Motiv der Integrität und sind mit vergleichbaren Geltungskriterien abgesichert wie das Prinzip Wirtschaftlichkeit: Auch diese Leitidee ist im Unternehmen autoritativ abgesichert durch Verankerung von WMS- und Einkaufsprinzipien im Vorstand. Darüber hinaus sind die als „Einkaufsprinzipien“ formulierten Verfahrensweisen im deutschen und europäischen Vergaberecht verankert, an dem sich das Unternehmen orientiert. Geraten Verfahrensentscheidungen in Konflikt, werden sie mit demselben Eskalationsverfahren geregelt wie sachbezogene Entscheidungen. Die Folgekosten verfahrensbezogener Entscheidungen tragen auch hier die nachgelagerten Bereiche (Bau). Die Leitidee „Integrität“ ist zusammenfassend als Ordnungsregel im Geltungskontext „Einkauf von Bauleistungen“ wie folgt institutionalisiert: Verfahrensbezogene Entscheidungen im Baueinkauf werden auf der Grundlage von Integritätsprinzipien getroffen. Die Erörterung der Wirkmächtigkeit unternehmensethischer Managementkonzepte auf der Mikroebene von Handlungsorientierungen zeigte, dass zwei Leitideen im Alltagsbezug von Mitarbeitern des untersuchten Geschäftsprozesses Geltung beanspruchen. Als dominante Leitidee erscheint, wie zu erwarten war, das ökonomische Begründungsmuster. Sachbezogene Handlungsentscheidungen dokumentieren sich plausibel unter Rückgriff auf ökonomische Nützlichkeitserwägungen als Ordnungsregel im Material. Daneben konnte empirisch die Geltung einer zweiten Leitidee, im Kontext des Geschäftsprozesses, nachvollzogen werden: Verfahrensbezogene Handlungsprobleme werden demnach mit Bezugnahme auf Integritätsprinzipien entschieden. Die in den WMS Prinzipien geforderten Verhaltensweisen haben demnach dann eine Chance handlungsrelevant zu sein, wenn sie im alltagspraktischen Sinnzuschnitt anschlussfähig sind. Mit der empirischen Erörterung der Handlungsrelevanz unternehmensethischer Managementkonzepte auf der Mikroebene im Unternehmensbezug, ist die qualitative Analyse abgeschlossen. Abschließend werden nun folgend die Ergebnisse aller drei Betrachtungsebenen in einer Synthese zusammengefasst und gemeinsam mit der Frage diskutiert, wie die Wirkmächtigkeit unternehmensethischer Managementkonzepte auf der Grundlage der qualitativen Einzelfallstudie zu bewerten ist.
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