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Die Wirkmächtigkeit unternehmensethischer Managementkonzepte
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8.3.3 Alltagstypische Handlungsprobleme bestimmen die Art und Weise der Bezugnahme auf unternehmensethische NormenIn der Interpretation der Aussagen wurde deutlich, dass die Befragten unterschiedlicher Mitarbeitergruppen[1] jeweils verschiedene Handlungsprobleme äußern, die mit Bezug auf unternehmensethische Normen gelöst werden sollen. Die Handlungsprobleme beziehen sich im Unternehmen EFS einerseits auf die Erwartungen, die als Verhaltensprinzipien bezogen auf Loyalität, Rechtstreue und Umgang mit Geschenken und Zuwendungen festgeschrieben wurden. Andererseits bezieht sich diese Bezugnahme auf die immanente Prozesslogik, die die Wahrnehmung der Befragten im Alltag bestimmt: Die Mitarbeiter im Einkauf reformulieren rechtlich geregelte Verfahrensprinzipien als Anforderungen des Wertemanagements. Dabei formulieren sie Begründungen nicht unter Rückgriff auf je spezifische Normen, die in den WMS Prinzipien festgeschrieben sind, sondern sie verweisen stets auf das Wertemanagement als Gesamtkonzept. Daneben begründen die Befragten des Unternehmens EFS und der Vergleichsgruppe die Handlungsrelevanz des unternehmensethischen Managementkonzepts zusätzlich mit der verbindlichen Geltung seiner Normen. Die Sanktionierung erfolge mit personalpolitischen Maßnahmen: „Die Frage ist, ob man wirklich 'nen Prozess ähm [4] braucht dafür? Weil um es mal so zu sagen so viele Regelverstöße [3] ich will nicht sagen gibt es nicht, aber kommen auf jeden Fall nicht ans Tageslicht. Und bei gravierenden Regelverstößen fliegen die Leute raus. Punkt. Also das ist schon so. Muss man ganz klar sagen.“ (FH: 711-715) „Zero Tolerance. Das ist bei uns so. [3] Wer sich nicht dran hält wird, obwohl er vielleicht 'n erfolgreiches Geschäft gebracht hat, der fliegt!“ (VA: 280f) Die Befragten sehen Führungskräfte für die Anwendung und Nachhaltung der Normen im Arbeitsalltag verantwortlich. Ein zusätzlicher Prozess zur Kontrolle und Sanktionierung des WMS sei daher nicht notwendig. Deutlich formuliert das der stellvertretende Personalleiter (FK) in einer ausführlichen Elaboration. Er beschreibt darin einen Einzelfall, [2] anhand dessen er verdeutlicht, dass die im WMS formulierten Normen im Hinblick auf die Aufgaben der einzelnen Abteilungen angepasst werden müssten. Daran schließt er eine Stellungnahme an, in der er die Kontrolle der Verhaltensprinzipien dezidiert als Führungsaufgabe rahmt: „Ja. In dem einfach, der Vorgesetzte Direktor, meine Person, in die Mitarbeiterbesprechung reingeht und immer wieder sagt: (klopft auf den Tisch) "Ihr habt die und die Aufgabe, ihr habt dort Kontrollfunktion, und und wir geben Euch das ein oder andere Instrument zum Kontrollieren an die Hand und es liegt an Euch ihr müsst sensibel genug sein drauf zu schauen. Drauf schauen. +++ Und nicht die Augen zu machen wenn ihr was seht, sondern +++ melden." Ja?“ (FK: 587-592) Die vom Vorstand herausgegebenen Normen des Managementkonzepts erhalten durch die Adressierung als Führungsaufgabe Verbindlichkeit. Ihre Beachtung wird nicht nur von Mitarbeitern im Rahmen ihres Arbeitsvertrages erwartet. Führungskräfte sind vielmehr angehalten die Verhaltensprinzipien auf ihren Aufgabenbereich zu übertragen und deren Einhaltung zu kontrollieren und gegebenenfalls zu sanktionieren. Das WMS ist im Material, in einer zweiten handlungsrelevanten Bezugnahme, dokumentiert als Etikett in der internen sowie externen Kommunikation. Auch hierbei ist auffällig, dass nicht spezifische Bezüge, sondern das Wertemanagement als Gesamtkonzept als Referenz thematisiert werden. Die, durch Vorstände abgesicherten, normativen Grundlagen des Wirtschaftshandelns in den Unternehmen, erhalten durch ihre formale Ausarbeitung als werteorientierte Managementkonzepte eine symbolische Repräsentation. Darauf kann in der internen wie externen Kommunikation gesamthaft Bezug genommen werden. In dieser Funktion als „Etikett“ vermögen unternehmensethische Managementkonzepte im Spannungsverhältnis zwischen ökonomischen und ethisch-moralischen Anforderungen Orientierung zu bieten. Die Handlungsrelevanz wird in dieser Bezugnahme damit begründet, dass durch das WMS in der internen Kommunikation der konstruktive Austausch über Tabuthemen, wie Korruption, Bestechung oder Betrug, erst möglich wird. Verankert als Führungsaufgabe werde mit dem Etikett des WMS eine reflexive Auseinandersetzung mit diesen Themen angestoßen. Die mit dem WMS eingeführten Kommunikationsstrukturen, wie Hinweisgebersystem, operativer WMS Verantwortlicher oder Ombudsperson, eröffneten darüber hinaus einen Raum der Diskretion. Auch in der Außenkommunikation sei das WMS im Sinne eines Etiketts handlungsleitend insofern, als Integrität als Unternehmenswert gegenüber Trägergruppen darstellbar wird. Zum einen legitimiere sich das Unternehmen damit im Feld, denn Compliance und Verhaltensprinzipien würden bei den relevanten Trägergruppen nachgefragt. Zum anderen könne dadurch auch ein Appell an Vertragspartner gerichtet werden, die die WMS Maßstäbe in den Vertragswerken anerkennen müssten. Die soziotypische Verteilung der Handlungsprobleme, deren Lösung Mitarbeiter in Bezugnahme auf integritätsbezogene Verhaltensprinzipien thematisieren, zeigt, dass sie in der Charakterisierung meist vage bleiben. Wahrgenommen als Entscheidungsdilemma, adressieren sie widersprüchliche Erwartungen, die in gleichem Maße ökonomische- und Integritätsanforderungen an die Mitarbeiter richten. Konkreter werden die Handlungsprobleme erst in Bezugnahme auf Entscheidungsszenarien, die zum einen als Verhaltensprinzipien in unternehmensethischen Managementkonzepten beschrieben und normativ geregelt sind. Diese Szenarien formulieren konkrete Verhaltenserwartungen in Bezug auf Loyalität, Rechtmäßigkeit und Umgang mit Geschenken und Zuwendungen, ohne jedoch diese Themen in Bezug auf alltagspraktische Sinnkontexte zu setzen. Diese Übertragung kann erst im betreffenden Sinnkontext selbst stattfinden.
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