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8.3 Handlungsrelevanz unternehmensethischer Normen

Die Analyse der Handlungsrelevanz unternehmensethischer Normen auf der organisatorischen Mikroebene, befragt die Äußerungen der Interviewten darauf hin, auf welche Weise sie ihre Handlungspraxis in Bezug zum eingeführten unternehmensethischen Managementkonzept setzen. Im Interviewverlauf wurden dazu Begründungen alltäglicher Prozesse oder Entscheidungen, zum Teil durch bewussten Einsatz von Suggestivfragen, Zusammenfassungen oder Konfrontationen, evoziert (vgl. Ullrich 1999: 439ff). Im Gesamtmaterial konnten zwei unterschiedliche Regeln identifiziert werden, mit denen die Befragten die Handlungsrelevanz des WMS typischerweise begründeten. Beide werden nun folgend einzeln rekonstruiert. Zunächst die Deutungsregel Unternehmensethische Normen sind ein Etikett in der internen und externen Kommunikation (vgl. 8.3.1) und im zweiten Schritt die Deutungsregel Unternehmensethische Normen repräsentieren eine richtungsweisende Leitidee (vgl. 8.3.2). Am Ende des Abschnitts werden die Ergebnisse zusammenfassend diskutiert (vgl. 8.3.3).

8.3.1 Unternehmensethische Normen sind ein Etikett in der internen und externen Kommunikation

Die Handlungsrelevanz des Wertemanagements ist im Material mit der Deutungsregel dokumentiert, dass unternehmensethische Normen ein Etikett in der internen und externen Kommunikation darstellen. Die Befragten äußern die Wahrnehmung, dass mit der Einführung des Wertemanagements in der internen Kommunikation ein Raum für sensible Themen geschaffen wurde. Diese Bezugnahme thematisiert der verantwortliche Leiter für das WMS bei EFS, der Leiter der Konzernrevision (FN), sehr deutlich in der nachfolgenden Schlüsselsequenz[1]:

„man kommt über das Thema Wertemanagement – kann relativ abstrakt über Situationen reden, mit denen jeder möglicherweise konfrontiert wird, ohne dass sie jetzt persönlich sozusagen eingetreten sind. Ne? Also wenn ich jetzt 'nen konkreten Fall hab', oder wenn ich jetzt [2] in Bezug zu den Leuten. Wenn ich denen erklär':

"Wie gehen wir mit dem Thema Korruption um? Aus der Sicht vom Wertemanagement, was kann man da entwickeln, wie kann man sich da verhalten?" Und so weiter. Hat 'ne Möglichkeit gegeben, dieses Tabuthema überhaupt anzusprechen. Weil es ging ja net um den Herrn Schmidt und um den Herrn Meyer, sondern es ging um das Thema. Nehmen wir uns mal, stellen wir uns mal vor, wir wollen das wirklich machen und jetzt haben wir jetzt sind wir mit der Realität konfrontiert und wie gehen wir mit so Situationen um? Ohne dass wir jetzt mit dem Finger auf jemanden zeigt, der das angeblich gemacht hat. Das war auch, war der, war die Basis auch, darüber zu diskutieren. Also noch bis eben, bevor && (Unternehmen EFS), bevor diese Geschichte losging, das Wort Korruption in den Mund zu nehmen war ja, hatte ja immer so was wie Selbst+++ beschmutzung. Nestbeschmutzung. So. Und jetzt hatte man das im Prinzip über dieses Thema Wertemanagement positiv besetzt und sagt: "Das is das, was wir erreichen wollen." Und darüber haben wir, haben wir bestimmte, wiederum so Dilemmasituationen oder wie auch immer. Wie gehen wir damit um?! +++ So. Und da konnten Sie auf 'ner ganz anderen Basis mit den Leuten reden, wie mit dem Zeigefinger letztendlich nur zu, nur zu argumentieren. [4]“ (FN: 774-796)

In dieser Sequenz, die sich an eine Stellungnahme zum WMS als richtungsweisende Leitidee in Dilemmasituationen anschließt, entwickelt der Befragte FN in drei Schritten eine ausführliche Stellungnahme zur Relevanz des Wertemanagements in der internen Kommunikation. In einer einleitenden Proposition formuliert er seine Einschätzung, dass mit dem WMS „abstrakt über Situationen“ gesprochen werden könne „mit denen jeder möglicherweise konfrontiert wird“. Die Möglichkeit einer hypothetischen Thematisierung von Korruption oder Bestechung erscheint FN wichtig, denn diese Bezugnahme formuliert er nach der einleitenden Stellungnahme als Exemplifizierung eingehend aus. Nach einer Coda („Und so weiter“) schließt er eine zweite Stellungnahme an, die den Aussagegehalt der ersten im Sinne einer Steigerung ergänzt: „Hat 'ne Möglichkeit gegeben, dieses Tabuthema überhaupt anzusprechen.“ Die Kommunikation über Korruption und Bestechung bewertet FN als wichtig aber schwierig, da die Themen als Tabu wahrgenommen werden. Dadurch, dass diese Themen im WMS programmatisch „abstrakt“ abgebildet sind, wird die Kommunikation über Korruption und Bestechung in sachlich-konstruktiver Weise erst möglich. Auch an diese Stellungnahme schließt sich wieder eine Exemplifizierung an, die mit einer Coda abgeschlossen wird („So.“). Auf sie folgt der dritte Argumentationsschritt im Modus einer Stellungnahme: „Und jetzt hatte man das im Prinzip über dieses Thema Wertemanagement positiv besetzt und sagt: "Das is das, was wir erreichen wollen."“ Auch diese Stellungnahme wird durch eine Exemplifizierung mit abschließender Coda erläutert. Am Ende formuliert FN eine Retardation als Abschluss der Sequenz:

„Und da konnten Sie auf 'ner ganz anderen Basis mit den Leuten reden, wie mit dem Zeigefinger letztendlich nur zu, nur zu argumentieren. [4]“ FN thematisiert das WMS hier als Etikett, verstanden als abstrahierende Bezugnahme auf das Thema Korruption und Bestechung, das als Tabu empfunden wird und aus diesem Grund nicht direkt ansprechbar sei. In dieser Rahmung erscheint das WMS als Raum, der die Kommunikation bestimmter, sensibler Themen erst ermöglicht. Die Kommunikation über Korruption habe vorher den Charakter einer Anmaßung, „so etwas wie Selbst+++ beschmutzung. Nestbeschmutzung“ gehabt und sei daher nicht möglich gewesen. Das WMS dient hier als Etikett unternehmensethischer Normen und ermöglicht damit gleichsam einen konstruktiven Bezug für die interne Kommunikation: Austausch über Korruptions- und Bestechungsrisiken.

Diese Deutung bestätigt sich im Fallvergleich. Der operative WMS Verantwortliche FA thematisiert das WMS explizit als Chance, mit Mitarbeitern über Korruptionsrisiken ins Gespräch zu kommen (vgl. FA2: 210219). Zwei Mitarbeiter der Projektgruppe Implementierung bewerten die Relevanz des WMS darin, Tabuthemen ansprechbar zu machen (vgl. FM: 774-778, FH: 139-163). Sie bescheinigen dem WMS einen hohen Bekanntheitsgrad und attestieren seit seiner Implementierung der Kommunikationskultur im Unternehmen eine positive Weiterentwicklung, da ein sachlicher Austausch über Korruptionsrisiken möglich geworden sei. Auch die Ombudsperson (FJ) thematisiert das WMS als Kommunikationsgelegenheit mit der Chance hoher Diskretion. Die mit dem WMS etablierten Strukturen vermittelten Sicherheit und Ansprache für die Fälle, in denen Mitarbeiter nicht mit Vorgesetzten sprechen wollten (vgl. FJ: 309-334). Die Bezugnahme auf das WMS im Alltag wird typischerweise im Rahmen von Regelkommunikation thematisiert. Hier werde das WMS als Etikett für kritisches Denken im Arbeitsalltag[2].

Auch ein Entscheider in der Vergleichsgruppe (VA) beschreibt die Relevanz der werteorientierten Compliance in seinem Unternehmen als Etikett, mit dem sozial erwünschtes Verhalten in der Kommunikation präsent gehalten und die Mitarbeiter auch zum Widerstand gegenüber Vorgesetzen aufgefordert werden:

„Wir sagen den Mitarbeitern auch: "Selbst wenn Euer Vorgesetzter oder dessen Vorgesetzter Druck auf Euch ausübt. Hört nicht so genau hin oder so etwas. Das ist keine Entschuldigung. Das geht nicht, da müsst ihr Widerstand leisten. Dafür habt ihr übrigens auch diese Hotline und könnt euch anonym melden, wenn da Not herrscht."" (VA: 644-649)

Wertebasierte Compliance vermittelt als Gesamtkonzept „andere Maßstäbe“ (VA: 643). Mitarbeiter werden aufgefordert, sich in Handlungsentscheidungen darauf zu berufen. Auch hier dokumentiert sich das Managementkonzept als Etikett für ein wertebasiertes Gesamtkonzept, auf das in der Kommunikation Bezug genommen wird.

In den Äußerungen der Befragten wird die Handlungsrelevanz des WMS zusammenfassend damit begründet, dass damit ein kommunikativer „Raum“ (FN: 707) geschaffen wurde, der die Auseinandersetzung mit Tabuthemen wie Korruptions- und Bestechungsrisiken erst ermöglichte. Das WMS übernimmt damit in der internen Kommunikation die Funktion eines Etiketts. Zum einen werden damit die vom Unternehmen erwarteten Werte, respektive Verhaltensprinzipien, gerahmt. Mit der Bezugnahme auf das WMS wird das Gesamtkonzept in den Kommunikationsanlass aufgenommen und ersetzt die Erörterung von Detailfragen.

Diese Deutung ist auch in der extern gerichteten Kommunikation nachvollziehbar. Auch hier erscheint das WMS als Bezug zur Darstellung von Integrität des Unternehmens und seiner Mitarbeiter gegenüber externen Trägergruppen. Die nachfolgende Äußerung des Bereichsleiters Einkauf (FC) verdeutlicht das:

„Dieses bezogen auf +++ Wertemanagement bezogene, nicht-ökonomische Moment im Rahmen der Korruptionsvermeidung. Vor allen Dingen, wenn Sie das mal als Forderung sehen, das is ja, was ich letztes Mal gesagt hab, wie so, auf so 'ner Makroebene. Es ist dann doch wieder irgendwo +++ mittelbar ökonomisch, weil, dadurch dass wir bekannt sind, als && (EFS). Dass wir nach den Prinzipien - >Transparenz, Gleichbehandlung im Wettbewerb <hier agieren, haben wir eine relativ große Akzeptanz auch im Lieferantenkreis. Das heißt, hier kann man davon ausgehen, das ist sauber. Ich werde dort so und so behandelt. Es ist kein closed shop. [3] Irgendwo spiegelt sich das wider. +++ Mittelbar.“ (FC: 1438-1447)

In dieser Schlüsselsequenz[3] am Ende des Interviews antwortet FC auf eine exmanente Frage, nach der Wirkung des WMS im Hinblick auf nichtökonomische Aspekte. Der Befragte FC greift diese Frage hier retardierend als Einleitung auf und rahmt die korruptionspräventive Wirkungserwartung als „mittelbar ökonomisch“ dahingehend, dass mit ihm die Integrität des Unternehmens gegenüber externen Trägergruppen darstellbar sei. Er entwickelt eine Stellungnahme, die von einer vor- und einer nachgelagerten Differenzierung gerahmt wird. In der Stellungnahme betont FC, dass es „bekannt“ sei, dass das Unternehmen nach den „Prinzipien ->Transparenz, Gleichbehandlung im Wettbewerb<-„ agiere. Die explizite Nennung der Einkaufsprinzipien, die FC als Bezugnahme auf das WMS formuliert, sind deutlich schneller gesprochen als die übrigen Ausführungen[4]. Sie erscheinen im Redefluss flüchtig. Die Rahmung als „Prinzipien“ gewinnt dadurch eine stärkere Gewichtung als die Detaillierung. FC thematisiert das WMS hier als extern anerkanntes Etikett für die Integrität des Unternehmens, gegenüber der externen Trägergruppe „Lieferanten“. Das formuliert FC in eine kurzen retardierenden Stellungnahme am Ende: „Es ist kein closed shop.“

Auch andere Befragte bei EFS thematisieren das WMS in vergleichbarer Weise als Etikett zur Darstellung von Integrität gegenüber externen Trägergruppen[5]. Die Befragten im Unternehmen EFS sowie ein Entscheider der Vergleichsgruppe (VD) begründen die Relevanz des WMS als Etikett in der externen Kommunikation dadurch, dass Lieferanten und Nachunternehmer sie als Vertragsbestandteil anerkennen[6]. Als „zusätzlich aufgesetzter Prozess“ (FA2: 353f) repräsentiere das Managementkonzept zum einen die Leitidee Integrität nach außen, formuliere zum anderen aber auch den Appell an die Vertragspartner, sich ebenfalls integer zu verhalten[7].

Zusammenfassend entfalten unternehmensethische Normen als Etikett in der internen und externen Kommunikation Handlungsrelevanz. Der Begriff „Etikett“ verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass in der Kommunikation das Gesamtkonzept, das die unternehmensethischen Normen rahmt[8], adressiert wird. Die Handlungsrelevanz als „Etikett in der Kommunikation“ dokumentiert sich darin, dass das WMS zum einen eine vermittelnde Funktion für sensible Themen übernimmt. Erst die Bezugnahme auf die mit dem WMS vertretenen Werte, die korruptionspräventive Erwartung und die darin geforderte sachbezogene Reflexion ohne anklagende Haltung, ermöglicht die Diskussion von Korruptions- und Bestechungsrisiken. Das WMS als Etikett wird zum anderen als Chance zur Darstellung der damit verbundenen Geschäftspraxis gegenüber externen Trägergruppen erkannt, die im Umkehrschluss die Anschlusskommunikation mit diesen erleichtert.

Unternehmensethische Normen sind im Material nicht nur als Etikett in der Kommunikation, sondern auch als richtungsweisende Leitidee in Bezug auf drei unterschiedliche Handlungsprobleme dokumentiert. Der folgende Abschnitt erörtert diese handlungspraktische Bezugnahme.

  • [1] Das ausführliche Zitat zeichnet sich durch eine hohe Indexikalität aus und ist daher adäquate Grundlage zur Rekonstruktion der Deutungsregel: Der Befragte wechselt mehrfach zwischen Stellungnahmen und Elaborationen. Die erzählenden Passagen sind alltagsprachlich formuliert. FN wechselt hier zwischen indirekter und wörtlicher Rede, äußert Gedankensprünge und integriert Personennamen in seine Narration. Die Elaborationen schließen stets mit einer Coda ab.
  • [2] Vgl. FK: 847-857, FI: 181-192, 410-421.
  • [3] Vgl. dazu auch die beiden nachfolgenden Sequenzen FC: 1149-1476, 1478-1486.
  • [4] Siehe dazu die Transkriptionsregeln in Anlage 5 im Anhang.
  • [5] Vgl. FA1: 97-114, 451-456, FA2: 592-598 und FL: 1115-1119
  • [6] Vgl. FE: 10-13, FI: 242-245, VD: 96-100, 473-479.
  • [7] Vgl. FA2: 346-376, FE: 884-893, 897-929.
  • [8] Wertemanagementsystem (EFS), Werteorientierte Compliance (VA), Compliance (VB, VC) und Verantwortungsvolle Unternehmensführung (VD).
 
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