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Die Wirkmächtigkeit unternehmensethischer Managementkonzepte
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8.2.1 Der Geschäftsprozess Einkauf von Bauleistungen als alltagspraktischer SinnzuschnittDas Unternehmen EFS führt regelmäßige Baumaßnahmen an seinen Standorten durch. Zu den Maßnahmen zählen Erhaltungs- und Renovierungsarbeiten, Sanierungs- und Umbaumaßnahmen sowie Abriss und Neubau von Gebäuden. Die Fachbereiche, die diese Gebäude nutzen, formulieren Anforderungen an Neuoder Umbaumaßnahmen. Die Koordination dieser Maßnahmen übernehmen Fachingenieure aus der Bauabteilung, die Beschaffung dafür notwendiger Dienstleistungen und Sachmittel verantwortet der Baueinkauf (vgl. FE: 1000-1034). Drei Ziele kennzeichnen die Aufgabe der Abteilung Baueinkauf bei EFS: 1. Akquise inhaltlich vergleichbarer Angebote in einem geregelten Ausschreibungs- und Verhandlungsverfahren[1], 2. Akquise des jeweils wirtschaftlich günstigsten Angebots für ausgeschriebene Bauprojekte bei EFS[2], 3. Förderung des Wettbewerbs durch Akquise neuer potenzieller Bieter[3]. Der Rahmen, an dem sich die Vergabeverfahren bei EFS orientieren, wird gebildet durch europäische und nationale Vergaberichtlinien (vgl. FD: 444-457, 589-594). „Sektorenrichtlinienverordnung. Damit haben wir im Prinzip nichts zu tun, orientieren uns aber trotzdem an diesen Punkten, weil das 'n schöner Leitfaden is um einfach formell sauber auszuwerten. Wir müssen nicht, tun's aber.“ (FE: 307-310) In der Abteilung Baueinkauf sind Ingenieure für Hoch- und Tiefbau beschäftigt. Sie sind bereits in der Planungsphase an Bauprojekten beteiligt. In dieser ersten Phase wird aus der Einkaufsperspektive das Vergabemanagement festgelegt. Auf Grundlage der Komplexität des Vorhabens wird entschieden, ob die Ausschreibung als Gesamtprojekt an einen Generalunternehmer vergeben werden soll oder ob Einzelgewerke auszuschreiben sind (vgl. FC: 1228-1259, FE: 1069-1080). Dieser Entscheidung schließt sich eine Zeitplanung für das Projekt an (vgl. FC: 1259-1265, 1272-1275). Zur Akquise von Lieferanten von Dienstleistungen oder Produkten sind drei verschiedene Ausschreibungsarten möglich. Sie sind abhängig von der Investitionssumme des Gesamtvorhabens. Bis zu einer Wertgrenze von 150.000 Euro kann ein Lieferant frei gewählt werden, zwischen 150.000 Euro und 5,1 Millionen Euro erfolgt eine deutschlandweite Ausschreibung. Vorhaben, die diese Investitionssumme überschreiten, werden europaweit ausgeschrieben (vgl. FE: 5-41, 43-72). Grundlage der Ausschreibung ist das Leistungsverzeichnis, in dem der Leistungsumfang detailliert und herstellerneutral beschrieben wird. Dort sind auch die Kriterien beschrieben, die potenzielle Bieter zur Qualifizierung darstellen müssen (vgl. FE: 376-378). Erstellt werden die Leistungsverzeichnisse zu Bauprojekten bei EFS von Ingenieuren der Bauabteilung bzw. von beauftragten Ingenieurbüros. Im Einkauf werden die Leistungsverzeichnisse vor Veröffentlichung nochmals in Bezug auf Wirtschaftlichkeit und Herstellerneutralität stichprobenartig geprüft (vgl. FG: 502-516). Am Beginn der Kommunikation mit potenziellen Bietern steht die Lieferantenqualifizierung. Hier belegen potenzielle Bieter, dass sie zur Ausführung des ausgeschriebenen Auftrags grundsätzlich geeignet sind. Die Qualifizierung umfasst fachliche Kompetenzen und Mitarbeiteranzahl, technische Ausstattung sowie Referenzprojekte (vgl. FC: 852-871). Das Vorgehen der Qualifizierung variiert mit der Art der Ausschreibung. Erfolgt die Ausschreibung deutschlandweit, so reichen die Bieter die Nachweise ihrer Qualifizierung gemeinsam mit dem Angebot ein. Bei europaweiten Ausschreibungen erfolgt die Qualifizierung als eigener Prozessschritt vor der Angebotserstellung (vgl. FE: 347-361). Der Vergabeprozess (Submission) ist unterteilt in mehrere Phasen. Zunächst werden alle Angebote verschlossen bis zu einem vorab festgelegten Termin gesammelt und dann von je einem Mitarbeiter aus dem Baueinkauf und der Bauabteilung gemeinsam geöffnet und das Ergebnis protokolliert (4-Augen-Prinzip). Im ersten Schritt werden die Angebote auf formale Fehler überprüft. Nur Angebote, die formal korrekt erstellt wurden, werden in der weiteren Submission ausgewertet (vgl. FE: 276-310, 363380). In der zweiten Auswertungsstufe wird ein Preisvergleich durchgeführt. Dazu werden die Angebote detailliert ausgewertet. Diese Aufgabe übernehmen in der Regel extern beauftragte Ingenieurbüros (vgl. FE: 205-219). Das Ergebnis wird als Preisspiegel zusammengefasst, der alle Angebote in einer Rangordnung auflistet[4]. Mitarbeiter im Baueinkauf prüfen im dritten Schritt diese Ergebnisse auf Plausibilität und entscheiden gemeinsam mit Mitarbeitern der Bauabteilung, welche Bieter zu Gesprächen eingeladen werden. In der Regel sind das die Anbieter, die bis zu 10% oberhalb des günstigsten Angebots liegen[5]. Zusätzlich zu den Hauptangeboten reichen viele Bieter sogenannte Nebenangebote ein, die häufig kostengünstigere Varianten der ausgeschriebenen Leistungsumfänge enthalten. [6]Auch diese Angebote werden in die Bewertung einbezogen (vgl. FE: 826-833, 127-189). Für jedes Angebot erstellen EFS Mitarbeiter eine Themenliste mit detaillierten Fragen (vgl. FE: 637-671). Im vierten Schritt erfolgt das erste direkte Gespräch mit den infrage kommenden Bietern. Der Fokus des ersten Gesprächs liegt auf der Erläuterung des Leistungsverzeichnisses mit dem Ziel, die infrage kommenden Angebote in Bezug auf die angebotenen Einzelleistungen inhaltlich eindeutig vergleichbar zu gestalten. Auf der Grundlage der Themenlisten werden die Einzelleistungen in Gesprächen mit jedem Bieter durchgesprochen und offene Fragen geklärt[7]. In den Gesprächen wird ein Zeitplan für die Abgabe überarbeiteter Angebote vereinbart. An den Gesprächen nehmen Mitarbeiter aus Baueinkauf und Bauabteilung teil (4-Augen-Prinzip). Die Ergebnisse werden protokolliert und von allen Anwesenden unterschrieben (vgl. FE: 673-701). Mit den günstigsten Bietern werden weitere Gespräche geführt, bei denen dann die Preisgestaltung im Vordergrund steht. Die Bieter erhalten von den EFS Mitarbeitern allgemein formulierte Hinweise auf die Bestandteile ihres Angebots, die im Vergleich zu den Mitbewerbern teurer angeboten werden und erhalten nochmals die Gelegenheit zur Preisanpassung. Erkennen die EFS Mitarbeiter im Verlauf dieses Prozesses Auffälligkeiten, wie z.B. passgenaue Preisanpassungen, dann wird die technische Revision zur Prüfung einbezogen (vgl. FA2: 419-436). Die Revision ist darüber hinaus bei der Rechnungsprüfung und im Rahmen regelmäßiger Projektstatusgespräche mit Bauleitern in den Prozess der Beauftragung und Durchführung von Bauprojekten involviert (vgl. FL: 126-132). Nach zwei bis drei Gesprächen wird dem Bieter, der das wirtschaftlich günstigste Angebot vorgelegt hat, der Zuschlag erteilt (vgl. FD: 511-536). Nach Abschluss des Verfahrens wird allen Bietern mitgeteilt, wer den Auftrag erhalten hat. Die Bieter haben dann in einer Frist von 14 Tagen die Möglichkeit eine Rüge auszusprechen (vgl. FD: 444-457, FE: 127-189). Nach der Angebotserteilung ist der überwiegende Teil des Arbeitsaufwands der Mitarbeiter im Baueinkauf erfüllt (vgl. FN: 1280-1284). In der Realisierungsphase von Bauprojekten kommt es immer wieder zu Nachträgen aufgrund veränderter Anforderungen, die mit den Lieferanten von Bauprodukten und Dienstleistungen verhandelt werden müssen. Auch die Nachtragsverhandlungen werden gemeinsam von Mitarbeitern der Bauabteilung und des Baueinkaufs durchgeführt und dokumentiert (4-Augen-Prinzip) [8]. Der rekonstruierte Geschäftsprozess „Einkauf von Bauleistungen“ ist geprägt durch klar geregelte Abläufe und Zuständigkeiten, die sehr eng angelehnt sind an die Richtlinien zur öffentlichen Auftragsvergabe. Diese sind im deutschen Recht verankert im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sowie nachfolgender Verordnungen. Das GWB definiert Anwendungsbereich und Verfahrensgrundsätze von Vergabe- und Nachprüfverfahren. Konkretisiert wird das GWB zum einen durch die Vergabeverordnung (VgV), die das Vorgehen für alle Auftragsarten oberhalb der Schwellenwerte für deutschland- und europaweite Ausschreibungen festlegt. Verdingungsordnungen (VOB/A, VOL/A und VOF) enthalten inhaltliche Konkretisierungen der Vergabe für unterschiedliche Auftragsarten (vgl. Buhr 2009: 34). Die in den Äußerungen der Befragten dokumentierten Ziele sind ebenfalls in den Rechtsgrundsätzen verankert. Mit dem Ziel der Akquise inhaltlich vergleichbarer Angebote korrespondiert der Grundsatz, eindeutige und erschöpfende Leistungsbeschreibungen als Ausschreibungsgrundlage zu erstellen (vgl. a.a.O. : 56). Das Vergaberecht für öffentliche Aufträge regelt die Akquise des wirtschaftlich günstigsten Angebots (vgl. a.a.O.) und die Förderung des Wettbewerbs ist im Wettbewerbsgrundsatz des GWB verankert (vgl. a.a.O.: 53). Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich in den Äußerungen der Befragten ein homologer Sinnzuschnitt dokumentiert, der keine Brüche oder Widersprüche aufweist. Als zentrale Bestandteile sind die Akquise potenzieller neuer Lieferanten (Ausweitung des Wettbewerbs), Vergabemanagement (Projektentwicklung und Vorbereitung von Ausschreibungen), Entwicklung von Leistungsverzeichnissen, Submission (Prüfung von Angeboten) sowie Verhandlungen und Gespräche (mit Bietern sowie beauftragten Dienstleistern) in den Äußerungen der Befragten dokumentiert. Damit erscheint der Geschäftsprozess als gemeinsam geteilter Handlungskontext für die beteiligten Mitarbeiter und als geeigneter Ausgangspunkt zur Analyse darin geltender Leitideen.
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