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Die Wirkmächtigkeit unternehmensethischer Managementkonzepte
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7.4.2 Verhaltensprinzipien, Kommunikation und FührungÄquivalent zur zweiten Durchsicht der Dokumente wurden auch die Äußerungen der Befragten mit der Perspektive betrachtet, auf welche Weise die Befragten die Bearbeitung der als Zielsetzung gerahmten Problemfelder „Korruptionsprävention“ und „Entwicklung einer Wertekultur“ durch das WMS wahrnehmen. Typisch ist die Thematisierung des WMS im Sinne von Verhaltensprinzipien, wie in folgender Schlüsselsequenz des Bereichsleiters Einkauf (FC): „Is ja auch so manifestiert. Und Selbstverpflichtung. Und Verpflichtung der Unternehmen und so was alles so. Und Code of Conduct und so was alles. Wir haben so 'n ganzen Strauß gemacht. Bis hin zu den Mitarbeiterverpflichtungen +++ bei uns und so weiter. +++ Gut!“ (FC: 1483-1486) Diese Textstelle ist eine Schlüsselpassage sowohl für das Interview[1] wie auch im Vergleich mit Interviews leitender und operativer Mitarbeiter im Einkauf[2]. Als abschließende Stellungnahme im Interview mit dem Bereichsleiter Einkauf (FC) rahmt der dieser Verhaltensprinzipien als Manifestationen des WMS. Damit verdeutlicht er, dass das Managementkonzept in erster Linie als formale Normen aufzufassen ist. FC verzichtet in seiner Äußerung auf Elaborationen und senkt nach jeder Maßnahmennennung die Stimme ab. Dadurch entsteht der Eindruck einer Aneinanderreihung kurzer Hauptsätze. Die Erscheinungsform des WMS dokumentiert sich als Faktenaufzählung. Dieser Eindruck korrespondiert mit der Rahmung des WMS im Interviewverlauf. FC thematisiert das WMS vorwiegend als Maßnahme zum „Abwenden von dolosen Handlungen“ (FC: 1005f) in Form von „Auflagen“ (FC: 428). Die Darstellungen werden konkret, wenn sie in den Sinnkontext des jeweiligen Alltagsprozesses rekontextualisiert werden. Zusammenfassend dokumentiert sich das WMS in Äußerungen von Mitarbeitern und Führungskräften im Einkauf als Verhaltensprinzipien. Als Kommunikation ist das WMS in den Textstellen dokumentiert, in denen sich die Befragten zur Implementierung sowie zu WMS relevanten Entscheidungssituationen äußern. Das WMS wird zum einen als Kommunikation über Regelverstöße thematisiert. In der Thematisierung von Regelerwartungen dokumentiert sich die eben erörterte Erscheinungsform Verhaltensprinzipien. Typische Sequenzen sind die Äußerungen eines Revisionssachbearbeiters (FD). „Gut, deswegen +++ hat man ja wahrscheinlich diese Meldestellen und sowas geschaffen. Also ich, ich weiß nicht, ob ich +++ ich hab' mich damals noch nicht so – ich war auch nicht so in 'ner Gewissenszwickmühle. Hier auch nicht – oder so – dass ich, dass ich mich hätte melden müssen. Aber [3] aber ich glaub heute – also wir haben die Möglichkeit hier Missstände offener anzusprechen. Ja? Auch, auch vom Alter her so 'n bisschen Narrenfreiheit oder so was. Aber +++ ich würde diese anonymen Geschichten schon nutzen! Weil +++ es wird ja, dem wird ja nachgegangen. Ne? Auch der Schaupensteiner hier hat immer gesagt [2] an 90% der Hinweise is was dran!“ (FD: 629-637) „Da, da können Sie auch einen fertigmachen in dem Sie +++ zehn Briefe schreiben. Das ist so vorgekommen. Immer waren zwei, drei Leute namentlich genannt. Ja? Und +++ letztendlich hat, hat dann auch unsere Untersuchung ergeben, dass da +++ wohl nichts dran is. Ne? Aber da bleibt eben was hängen. Das ist eben das Leben.“ (FD: 654-658) Die allgemein eingeführte Thematisierung des WMS greift der Revisionssachbearbeiter FD mit einer Elaboration zum Thema elektronisches Hinweisgebersystem auf. Kurze Pausen und Zögern sowie Gedankensprünge kennzeichnen den assoziativen Charakter der Ausführung. FD rahmt das WMS hier spontan im Modus der Stellungnahme als Kommunikation über Regelverstöße, die er in erster Linie als Terminus technicus einführt: WMS ist Kommunikation über „Meldestellen und sowas“, als „Möglichkeit“ die Mitarbeiter „nutzen“ könnten. Er fügt eine Relativierung der Nützlichkeit des Instruments ein, mit Bezugnahme auf die Selbstwahrnehmung seiner Position. Diese erlaube es ihm „Missstände offener anzusprechen“. Im Sinne einer Differenzierung, mit der er seine Stellungnahme bekräftigt, verweist der Befragte auf die formale Absicherung der Hinweise durch nachgelagerte Prozesse und bezieht sich abschließend auf die Einschätzung einer extern anerkannten Autorität[3]. Der Jurist Wolfgang Schaupensteiner leitete als Staatsanwalt die erste Abteilung gegen Korruption in Deutschland und hat als Berater und Experte im Bereich Compliance u. a. als Leiter des Compliancebereichs der Deutschen Bahn AG gearbeitet (vgl. Schaupensteiner 2011).Dieser Rahmung fügt der Revisionssachbearbeiter FD eine realtypische Reflexion an, in der er die Maßnahme differenziert und kritisch betrachtet. Diese Thematisierung, die das WMS in der Wahrnehmung der Befragten als formalisierte Kommunikation über Regelverstöße erscheinen lässt, ist mehrfach in Äußerungen der Befragten zu finden. Einige nehmen Bezug auf das technische Kommunikationsmedium Hinweisgebersystem[4], andere nehmen Bezug auf die Möglichkeit, sich mit Fragen oder Anzeigen persönlich an die Ombudsperson zu wenden[5]. In diesen Äußerungen rückt abweichendes Verhalten einzelner Personen sowie Bewertung von Prozessen als Ordnungsproblem in den Fokus. WMS dokumentiert sich in den Äußerungen, als formalisierte Kommunikation, die diesem Problem durch Schaffung von Transparenz über Regelverstöße mit nachgelagerter Aufklärung und Sanktionierung begegnet. In einer weiteren Gruppe von Äußerungen erscheint das WMS, auch in einer anderen Form, als Kommunikation über als richtig und falsch beurteiltes Verhalten. WMS wird darin thematisiert als Kommunikation über „sensible Themen“ (FL: 365) im Rahmen von regelmäßigen Teamoder Abteilungsbesprechungen[6]. Den Austausch über Verhaltenserwartungen thematisieren die Befragten in Bezugnahme zum Sinnkontext des eigenen Geschäftsprozesses. Typische Anlässe kollektiver Regelkommunikation erscheinen in den Aussagen als Ort der Auseinandersetzung mit Themen, die als WMS-bezogen gerahmt werden. In vertraulicher Atmosphäre „hinter geschlossener Tür, da kann man sich nämlich in Ruhe unterhalten“ (FL: 363f), findet vermittelt über Fallbeispiele eine Auseinandersetzung über Verhaltenserwartungen statt. Die Erscheinungsform des WMS als diskursiver Austausch mit Mitarbeitern und Kollegen wird auch in Äußerungen genannt, die abteilungsübergreifende Kommunikationsanläse thematisieren[7]: „Ich meine halbjährlich, dass wir uns dann mit den verschiedenen, die im Wertemanagement eingebunden sind, Personalabteilung, Ombudsmann, +++ der Schutzdienst, also der Streifen- und Ermittlungsdienst, ja? Und dann die Kollegen der technischen Revision und da machen wir 'n Meinungsaustausch, wie wird das momentan gesehen, wie stehen wir eigentlich, nehmen die Meldungen zu oder nehmen sie ab. Ja? [2].“ (FJ: 633-638) Ähnlich beschreibt ein Abteilungsleiter im Baubereich (FI) die Umsetzung des WMS in seinem Bereich: Wir „führen auch regelmäßige [2] Termine durch, wo wir Wertemanagement zum Thema machen. Ja? Und das machen wir in unserer ganz norm' Mitarbeiterrunden, wo auch dieses Thema +++ angesprochen wird. Nicht wirklich regelmäßig, aber +++ passiert bestimmt 1, 2, 3mal im Jahr, wo man das zum Thema macht. Manchmal auch über Fälle, die man in der Zeitung gelesen hat (klopft beim weiteren Reden auf den Tisch): "Hier, da is was passiert, +++ denk dran, wir haben hier unser Wertemanagement und" +++ aber das is in den Köpfen relativ gut verankert mittlerweile.“ (FI: 200-207) In den Äußerungen dieser Gruppe erscheint das WMS zusammenfassend als alltagsbezogene Diskussion und Reflexion über Verhaltenserwartungen bzw. -prinzipien. Wie oben, so erscheint auch hier abweichendes Verhalten Einzelner als Ordnungsproblem im Wahrnehmungsfokus der Befragten. Reflexionsanker des Diskurses und der Auseinandersetzung sind entweder der Sinnkontext des Geschäftsprozesses oder zitierte Fallbeispiele. Als Ort der Diskussion und Reflexion dokumentieren sich übliche Formen kollektiver Kommunikationsanlässe wie Abteilungsoder Gruppenbesprechungen zusammenfassend als Erscheinungsform des WMS. Sie erscheint als Mittel zur Umsetzung und Operationalisierung der Normen des WMS, in Auseinandersetzung mit dem betrieblichen Alltag. In mehreren Äußerungen wird das WMS als Schulung thematisiert. Die mit dem WMS verbundenen Verhaltenserwartungen werden demnach, in einbis zweistündigen diskursiven Veranstaltungen für spezifische Zielgruppen (i.d.R. Abteilungen) durch den operativen WMS-Verantwortlichen FA vermittelt. Ähnlich wie beim Kommunikationsanlass „Abteilungs/ Gruppenbesprechung“ werden Schulungsveranstaltungen sowohl von den Schulungsleitern (FA und FN), als auch von Schulungsteilnehmern als Erscheinungsform gerahmt. Das bedeutet, dass die Schulungsveranstaltungen als exklusiver Raum wahrgenommen werden, in dem die Auseinandersetzung mit WMS-bezogenen Themen stattfinden könnte. Folgende Schlüsselsequenz verdeutlicht diesen Aspekt: „Also [6] zu wissen, wie ich mich in Konfliktsituationen richtig verhalte. Das ist das, was wir versuchen in den Schulungen auch voran zu treiben. Beziehungsweise die gezielte Verunsicherung. Bin ich eigentlich mit dem, wie ich immer gedacht habe, auf dem richtigen Weg.“ (FA2: 467-470) Schulungen erscheinen hier als Mittel zur Umsetzung und Operationalisierung des WMS. Verhaltenserwartungen werden, ähnlich wie im Kontext der Regelkommunikation, als abweichendes Verhalten thematisiert. In der Erscheinungsform „Schulung“ erfolgt die Reflexion von Verhaltenserwartungen vermittelt durch Fallbeispiele und in diskursiver Auseinandersetzung mit Schulungsteilnehmern[8]. Methodisch werden Präsenzschulungen präferiert[9], die für unterschiedliche Zielgruppen entwickelt wurden (FA2: 872-882, 900-903). In einer letzten Gruppe kommunikativer Maßnahmen wird das WMS schließlich im Sinne von Informationsbereitstellung über organisationsinterne Kommunikationsmedien wie Mitarbeiterzeitung oder Intranet thematisiert[10]. Kommunikation dokumentiert sich zusammenfassend in zweierlei Hinsicht als Erscheinungsform des WMS. Zum einen als formalisierte Kommunikation über Regelverstöße und zum anderen als diskursive Form der Auseinandersetzung über Verhaltenserwartungen im Rahmen von regelmäßigen Gesprächsanlässen (Arbeitsgruppen-, Team- und Abteilungsbesprechungen) und Schulungsveranstaltungen. Bezugspunkte sind in jedem Fall Verhaltensprinzipien, die sich hier als Erscheinungsform des WMS, vermittelt über unterschiedliche Kommunikationsanlässe, dokumentieren. Im Material wird das WMS ebenfalls häufig als Managementbzw. Führungsaufgabe gerahmt. Sieben Beschreibungen im Modus actio und zwanzig Beschreibungen im Modus actum, rahmen das WMS als Führungsaufgabe mit zwei unterschiedlichen Ausprägungen. Die Führungskraft wird in einer Gruppe von Äußerungen in ihrer Rolle als Vorbild für die Mitarbeiter thematisiert. Sie werden als Akteure beschrieben, die in ihrer Leitungsfunktion die Aufgabe haben, das WMS in den Sinnkontext des beruflichen Alltags der Mitarbeiter zu übertragen sowie die verbindliche Geltung des WMS zu gewährleisten. Folgende Schlüsselpassagen verdeutlichen dies: „[2] Also ich glaube man muss wirklich in den relevanten Bereichen über die Zeit auf 'ne angemessene Art diese Diskussion wachhalten und man muss es quasi als eine Haltung dort implementieren. Als 'ne +++ letzten Endes steht und fällt es mit dem Vorbild der Führung denke ich, ist ganz klar +++ Schwierig. [3]“ (FM: 379382) „Nein, also wir sind auch als Führungskräfte da drauf angesetzt worden, 'ne gewisse Sensibilität zu entwickeln und auch den Mitarbeitern gegenüber das anzusprechen. Auch was das Thema Verhalten betrifft.“ (FL: 241-243) „Durch Vorleben erst mal! Durch Vorleben! Also erst mal durch Vorleben. Also und das finde ich auch im Unternehmen ganz klar.“ „Also das ist, das ist wirklich dieses +++ für mich dieses Wertemanagement hat für mich des allerwichtigste ist, dass der Vorstand dahinter steht. Wenn ich den Eindruck hätte, das wär nur so 'n Alibisystem +++ dann ist das wertlos. Und diesen Eindruck muss jeder Mitarbeiter haben. Und das ist dieses Vorleben. [2]“ (FH: 809f, 813-817) Typisch für die erste Gruppe von Äußerungen ist, dass als Aufgabe von Führungskräften die Übertragung des WMS Konzepts auf den Sinnkontext des Arbeitsalltags thematisiert wird. Das WMS soll durch beobachtbare Verhaltensweisen der Führungskräfte zum einen in seiner alltagspraktischen Relevanz deutlich werden. Durch „Vorleben“ wird erkennbar, in welcher Weise die Verhaltensprinzipien des WMS im sinnlogischen Arbeitskontext zu deuten und umzusetzen sind. Zum anderen wird das Management als Instanz wahrgenommen, die durch beobachtbares Verhalten dem Geltungsanspruch des WMS Relevanz verleiht. Das WMS, mit dem Verhaltensprinzipien zu Geschenken und Zuwendungen und Integrität in Geschäftsprozessen formuliert werden, soll als geltende Normen für Mitarbeiter aller Statusgruppen im Unternehmen wahrnehmbar sein[11]. Die Frage der Sanktionierung von normabweichendem Verhalten adressieren die Befragten an formal geregelte Personalprozesse[12]. Das WMS wird in der Gruppe dieser Äußerungen insgesamt als normativer Anspruch an organisationsbezogenes Verhalten thematisiert, das durch Management und Führungskräfte eingefordert wird. Als Führungsaufgabe wird die verhaltenswirksame Übertragung der Leitideen des WMS auf den beruflichen Alltag thematisiert. Das beinhaltet sowohl die Gestaltung von Diskursen und Auseinandersetzungen von Alltagsthemen in Bezug zum WMS, als auch die sichtbare Orientierung an den Verhaltensnormen sowie ihre Durchsetzung durch Sanktionen. Vermittelt durch Führungsverhalten wird die Festigung einer spezifischen „Sensibilität“ und „Haltung“ im Unternehmen erwartet, die eine Eigenwertorientierung des WMS nahelegt. In den Äußerungen der Befragten ist das WMS zusammenfassend dokumentiert als Kommunikations- und Führungsmaßnahme mit dem Ziel der Prävention doloser Handlungen. Das WMS wird, ebenfalls vermittelt über Kommunikation und Führung, in den Äußerungen darüber hinaus als Verkörperung von Unternehmenswerten wahrgenommen.
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