Desktop-Version

Start arrow Sozialwissenschaften arrow Die Wirkmächtigkeit unternehmensethischer Managementkonzepte

  • Increase font
  • Decrease font


<<   INHALT   >>

6.2.2 Verantwortungsübernahme im Sinne von Ethik und Compliance als ökonomische Notwendigkeit

Die zweite Gruppe von Äußerungen enthält Begründungen, die Maßnahmen zu Ethik und Compliance mit dem Argument ökonomischer Notwendigkeit plausibilisieren. Diese Deutung zeigt sich durch mehrere Vergleichshorizonte, die Ethik und Compliance als Risikoabsicherung unter Bezugnahme auf organisationsbezogene und umweltbezogene Logiken beschreibt:

„[3] Weil ich glaub' nicht dass das das Unternehmen jetzt so macht: die Un', die Öffentlichkeit erwartet das von uns, sondern einfach das, das is einfach 'ne Notwendigkeit weil die Konsequenzen für das Unternehmen einfach so +++ drastisch sind. Wenn man jetzt && (Name eines Unternehmen) gut, wir haben das Wertemanagementsystem ja lange bevor dieser &&-Skandal (eben genanntes Unternehmen) hochgekocht is eingeführt. Aber man sieht es einfach. Was das Unternehmen das kostet! [2] Also ich denk' schon dass die Unternehmen das machen, weil sie die Notwendigkeit eingesehen haben. [3] Ja. [18]“ (FH: 492-500)

„[2] Das is mehr oder weniger nicht das Aus von so nem Unternehmen, aber das würde wirklich die wirtschaftliche Existenz bedrohen. +++ Also das is einmal diese ökonomische Geschichte, grad wenn's jetzt zum Thema Antikorruption geht.“ (FN: 538-541)

Die Befragten rahmen hier extern adressierte Erwartungen an integres Wirtschaftshandeln mit der Bezugnahme auf Schlüsselbegriffe wie „Was …. das kostet!“ (FH: 498f), „würde …. die wirtschaftliche Existenz bedrohen“ (FN: 539). Mögliche illegitime Handlungspraxis bewerten die Befragten als Risiko. Im Umkehrschluss deuten sie Ethik und Compliance in diesem Sinne als Risikoabsicherung von Mitarbeitern sowie dem Unternehmen als Ganzes.

„Der Hauptpunkt, warum wir das gemacht haben, der rechnet sich für uns. Weil unsere Unternehmensgruppe sicher da steht. Wir uns abgesichert haben. Ein schwarzes Schaf, das sich bestechen lässt kann auf keinen Fall uns Aufträge wegreißen, einen unserer Unternehmensbausteine insolvent gehen lassen, wir sind sicher. +++ Das ist schon mal so 'n super Gefühl. Das war ja die erste Aufgabe.“ (VD: 688-693)

Das Risiko, gerahmt als Tugendproblem illegaler Handlungen Einzelner, soll mit der Einführung des unternehmensethischen Managementkonzepts verringert werden. Im Sinne von Normsetzung thematisiert auch der Entscheider VB Ethik und Compliance. Er rahmt das Thema im Sinne eines Richtlinienmanagements mit starkem Kontrollcharakter[1]:

„Es macht auch für uns einen Unterschied, ob's governmental Business ist oder nicht governmental Business, und zwar in Bezug nur in Bezug auf das Risiko. Nicht in Bezug auf die dass es nicht vorkommen darf. Zero Tolerance gilt immer. Aber in Bezug auf die Risikoabschätzung. Und dann eben auch die Frage, mit welchen Kunden wir zu tun haben. Auch die Customer Integrity spielt eine gewisse Rolle. Und das wird automatisiert gemacht, das haben wir eingeführt, weil wir einfach sicher stellen müssen, aus Shareholder Sicht oder aus Konzernsicht ich vertrete eher eine gewisse Konzernsicht dass das auch ordentlich funktioniert in Argentinien und in all diesen Ländern.“ (VB: 208-216)

Im Modus der Erzählung führt VB in einer langen narrativen Phrase zunächst aus, dass die Entscheidungsgrundlage zur Teilnahme der Complianceabteilung an Geschäftsanbahnungsprozessen durch eine vorhergehende Risikoeinschätzung begründet wird. Die beiden Kriterien – Kategorisierung eines Landes „aus Korruptionsperspektive“ (VB: 205) und die Bewertung der „Customer Integrity“ (VB: 212) – verweisen auf das Letztelement ökonomischer Rationalität. VB führt das Argument der Absicherung als Complianceziel ein. Neben dieser unternehmensbezogenen Kontrollorientierung, ergänzt VB in einer zweiten Sequenz derselben Phrase auch eine in den Markt orientierte Kontrollorientierung (VB: 274). Diese zweite Sequenz fällt durch mehrere kurze und affektiv anmutende Stellungnahmen auf, die als Frage oder kurze Ausrufe formuliert sind. In der letzten Sequenz des Interviews ratifiziert VB diese Bezugnahme. Er beschreibt den Prozess der Entwicklung und Gewährleistung nachhaltiger Themen im Wirtschaftsgeschehen als „fight“ (VB: 1231) der „Großen“ (VB: 1232) und konkretisiert die Rolle von Großunternehmen als Mitgestalter einer globalen Wirtschaftsordnung in einer finalen Stellungnahme:

„Die Großen müssten sich hier auf einen [Standard – TM] verständigen, der letztlich dann das Minimum abdeckt und dann kann man immer noch Zusatzvereinbarungen machen“ (VB: 1234f)

Neben dieser Rahmung von Ethik und Compliance als Absicherung gegenüber unerwünschten Handlungen bzw. kriminellen Risiken wird dem Managementkonzept eine weitere Wirkungserwartung zugeschrieben. VA beschreibt das Managementkonzept als Orientierungshilfe. Er nimmt dabei Bezug auf veränderte rechtsnormative Bedingungen als Deutungsproblem für Mitarbeiter:

„Also +++ ich verallgemeinere jetzt mal. Ich hab den Eindruck, dass in den achtziger und neunziger Jahren da einiges bei vielen Unternehmen verrutscht ist. Teilweise beispielsweise durch die Gesetzgebung +++ betrieben, Korruption ist das beste Beispiel. Korruption, Auslandskorruption. Auslandskorruption war straffrei in Deutschland, aber Inlandskorruption nicht. So.“ (VA: 216-220) „&& (Name Unternehmen) is 'n typisches Beispiel für mich +++ ähm +++ && (ebengenanntes Unternehmen) hat halt nicht schnell genug mitbekommen, dass sich die Gesetzeslage geändert hat und hat einfach so weitergemacht. Warum? Weil man sich nix Böses dabei gedacht hat. Warum? Man hat's schon mitbekommen, dass das Gesetz sich geändert hat. Aber es war halt nicht verinnerlicht, dass es eigentlich was Schlechtes is. So. Es hat doch dem Unternehmen geholfen. Also war das sozusagen der Wert. Das mein' ich damit.“ (VA: 230-235)

VA thematisiert in der zitierten Textstelle Deutungsprobleme von Mitarbeitern. Durch sich verändernde Normen seien ungenügende oder unplausible Orientierungen entstanden. Da bis 1999 Bestechungspraxis im Auslandsgeschäft nicht geahndet wurde, habe sich kein Unrechtsbewusstsein für diese Praxis ausgebildet oder Mitarbeiter hätten die Wahrnehmung gehabt als „Ehrliche immer der Dumme“ zu sein (VA: 225). Das von ihm genannte „Unrechtsbewusstsein“ wird hier nicht als Tugendproblem gerahmt, sondern als Effekt dieser unplausiblen Orientierungsangebote[2]. Durch die abschließende Stellungnahme wird diese Deutung unterstützt. VA führt als Beispiel die Skandalisierung von Korruptionsvorfällen in der Praxis an, die er als „typisch“ bezeichnet. Auch hier rahmt er die Praxis nicht als Tugendproblem sondern als Problem der Orientierung des korporativen Akteurs. VA formuliert keine moralische Anklage, sondern stellt sachlich ein Spannungsfeld zwischen üblicher Praxis im benannten Unternehmen und sich verändernder Rahmenbedingungen fest.

In den Äußerungen dieser Gruppe sind die Themen Ethik und Compliance zusammenfassend als Deutungsmuster ökonomisch notwendiger Risikoabsicherung dokumentiert.

  • [1] Vgl. VB: 208-216, 270-285, 1231-1234.
  • [2] Die Rahmung der Problematik als „generell“ (VA: 227) und „verallgemeinernd“ (VA: 216) stützt diese Deutung. Tugendprobleme im Sinne abweichenden Verhaltens müssten hingegen als Bruch klarer Normen gerahmt werden.
 
<<   INHALT   >>

Related topics