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5.2 Methodologische Rahmung des qualitativen Forschungsprogramms

Das methodologisch in der Wissenssoziologie Karl Mannheims begründete qualitative Verfahren der dokumentarischen Methode wird im ethnomethodologischen bzw. wissenssoziologischen Paradigma verortet (vgl. Meuser und Sackmann 1992: 26f). Es knüpft direkt an die handlungstheoretischen Überlegungen von Schütz an, die im vorangehenden Kapitel entwickelt wurden (vgl. Abschnitt 4.5). Die Methode stellt „die kommunikative Herstellung von Sinn ins Zentrum der Analyse“ (Vogd 2009: 53, Hervorh. im Original) und ist mit diesem Fokus zur alltagspraktischen Analyse der Wirkmächtigkeit unternehmensethischer Managementkonzepte in Organisationen sehr gut geeignet. Mannheim differenziert ebenso wie Schütz zwei Sinnebenen bei der Rekonstruktion alltagspraktischer Handlungen: immanenter und dokumentarischer Sinn. Die Ebene des immanenten Sinns wird bei Mannheim weiter differenziert in intentionalen Ausdruckssinn, der die Motive des Erzählenden, seine kommunikativen Absichten beschreibt und empirisch nicht erfassbar ist, und der den allgemeinen Textinhalt umfassenden Objektsinn.

Der dokumentarische Sinn beschreibt die Erscheinung einer Handlung und verweist auf den sie konstituierenden Prozess (soziale Praxis). Dieses praktische Wissen fasst Mannheim als atheoretisches Wissen auf, das in intuitiver Weise verfügbar ist und auf dessen Grundlage Handlungssubjekte gleichartige „konjunktive Erfahrung“ machen (vgl. Nohl 2009: 11). Atheoretisches Wissen ist handlungsleitendes Erfahrungswissen, das mit dem Verfahren der dokumentarischen Methode erschlossen werden kann (vgl. Meuser 2001: 210). Es ist nur mühsam oder gar nicht explizierbar, vergleichbar mit den oben in Anlehnung an Giddens genannten Deutungsschemata, die als praktisches Bewusstsein dem Handlungswissen grundlegend sind (vgl. 4.3.2). Da Akteure zur Darstellung und Plausibilisierung ihrer Handlungspraxis auf bestimmte Schemata zurückgreifen, rahmen sie ihre Äußerungen zu einem Thema stets in einer ganz bestimmten Art und Weise (vgl. Nohl 2009: 51). Die Frage, welche Orientierungen das praktische Handeln im jeweiligen Kontext anleiten, kann nach dieser Auffassung keine abfragende sondern nur eine deutend-rekonstruktive Analyse erhellen, wie sie im Rahmen der vorliegenden qualitativen Studie vorliegt.

„Die sozialwissenschaftlichen Interpret(inn)en im Sinne der Mannheimschen Wissenssoziologie gehen also nicht davon aus, dass sie mehr wissen als die Akteure oder Akteurinnen, sondern davon aus, dass letztere selbst nicht wissen, was sie da eigentlich alles wissen, somit also über ein implizites Wissen verfügen, welches ihnen reflexiv nicht so ohne weiteres zugänglich ist.“ (Bohnsack et al. 2001a: 11)

Die dokumentarische Methode folgt der Grundannahme, dass diese handlungspraktischen Strukturen im Wissen der Akteure repräsentiert sind. Durch offen geführte Interviews, in denen Befragte ein Thema in ihrem eigenen Relevanzrahmen, ihrer Sprache und Symbolwelt darstellen, können diese Strukturen empirisch rekonstruiert werden (vgl. Bohnsack 1999: 21). Diese Rekonstruktionen, in der vorliegenden Studie vermittelt über die Beschreibung erlebter Praxis im diskursiven Interview, schließen die Dimension des atheoretischen Wissens auf. Orientiert an der oben mit den Schütz'schen Handlungsbegriffen eingeführten Differenzierung zwischen Handlungsplanung und –vollzug wird alltagspraktisches Handeln rekonstruiert: Zum einen werden Narrationen zu üblichen oder erwarteten Handlung in typischen Entscheidungssituationen evoziert, zum anderen wird durch Nachfrageimpulse deren beispielhafte Manifestation in konkreten Situationen rekonstruiert[1]. Über eine Analyse dieser individuellen Erfahrungsräume der interviewten Akteure (Einzelfall) und schrittweisen Verdichtung und Kontrastierung werden kollektive Orientierungs- und Ordnungsmuster aufgeschlossen. Erst durch diesen Zugang kann die Frage, welche Wirkungsmacht das unternehmensethische Managementkonzept im untersuchten Einzelfall entfaltet, diskutiert und beantwortet werden.

  • [1] Konkret wurde im Interview beispielsweise nach dem Vorgehen im Prozess der Bauausschreibung gefragt. Die Interviewpartner erläuterten daraufhin ausführlich die übliche, durch Regeln beschriebene Vorgehensweise. Auf das Nachfragen der Interviewerin erläuterten die Befragten anhand konkreter Fälle ihre Handlungspraxis.
 
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