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Die Wirkmächtigkeit unternehmensethischer Managementkonzepte
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4.5 Handlungstheoretische Grundlagen: Methodologische Begründung der Analyse von HandlungspraxisDie Analyse der Wirkmächtigkeit unternehmensethischer Managementkonzepte fokussiert im Kern die Frage nach deren Evidenz und Relevanz im beruflichen Alltagshandeln und bedarf daher einer handlungstheoretischen Grundlegung, die hier mit dem Ansatz von Alfred Schütz vorgenommen wird. „Erstens ist es das Problem der Orientierung des Handelns in einer Situation, also das Problem der Wahl von Entwürfen in einem Jetzt und So. Zweitens ist es aber das Problem der Genese des Sinnfeldes, in welchem diese Orientierung stattfinden kann, also das Problem der selektiven Herausbildung von übergreifenden Deutungsschemata schlechthin.“ (Srubar 2007: 160) Wie oben erörtert folgt die vorliegende Argumentation der Giddens'schen Kritik der individualistischen Verkürzung des Handlungsbegriffs bei Schütz nicht. Hier wird im Wesentlichen der Standpunkt von Srubar geteilt, der das theoretische und methodologische Potenzial in Schütz' Werk betont und dessen Handlungsbegriff kulturbezogen verortet. Das wird nun folgend in zwei Schritten erörtert. Zunächst wird der Handlungsbegriff theoretisch verortet und geklärt (vgl. 4.5.1) und daran anschließend das sinnverstehende Paradigma, das Grundlage der methodologischen und methodischen Annahmen der vorliegenden Arbeit ist, begründet (vgl. 4.5.2). 4.5.1 Differenzierung von Handlungsentwurf (actio) und –vollzug (actum)Alfred Schütz entwickelte in Auseinandersetzung mit dem Werk Max Webers eine Theorie, die die Kulturbedingtheit sozialen Handelns nicht nur anerkennt, sondern in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellt (vgl. Miebach 2006: 139). Handeln ist nach diesem Verständnis nur in Bezugnahme ihrer kulturhistorischen Verortung verständlich: Zeit, räumlicher Bezug und Sozialstruktur sind die konstituierenden Wirklichkeitsdimensionen, in den sich subjektives Handeln selbst sinnhaft verortet und die im Umkehrschluss den Horizont des fremdverstehenden Deutens bilden. a) Soziales Handeln werde demnach bestimmt durch die räumliche Struktur der Alltagssituation des Handelnden. Subjektives Wirken werde darin aufgefasst als „sinnvoll entworfenes, offenkundiges Verhalten“ (Schütz 1971: 238ff; zit. in: Srubar 2007: 101). Schütz bezeichnet die Sphäre, die durch das unmittelbare Handeln beeinflussbar ist, als Wirkzone[1] b) Die Zeitstruktur benennt Schütz als zweites handlungsstrukturierendes Element. Dabei unterscheidet er zwischen der subjektiv erlebten Dauer einer Handlung (durée) und einem objektiven Moment, das Ereignisse intersubjektiv in Raum und Zeit lokalisiert (kosmische Zeit). Durch diese intersubjektiv wahrnehmbare Zeitlichkeit ist gemeinsames Erleben möglich. Je nachdem, ob sich eine Typisierung an durée oder kosmischer Zeit orientiert, kann der betreffende Alltagsbereich zeitlich als Nahoder Fernbereich lokalisiert werden (vgl. Srubar 2007: 101f). c) Die dritte Dimension, die individuelles Handeln konstituiert, ist die Sozialstruktur innerhalb derer ein Ereignis verortet ist. Damit beschreibt Schütz raum-zeitlich bestimmte Beziehungskonstellationen, in denen Subjekte ihr Handeln aneinander ausrichten. Schütz unterscheidet dabei zwischen direkten Face-to-Face Situationen (Wir-Beziehung) und einer „auf anonymisierten Typisierungen basierenden "Ihr-Beziehung" im Rahmen einer Mitwelt“ (a.a.O.: 102). Die soziale Wirklichkeit, innerhalb derer das Handeln eingebettet ist, sei Schütz zufolge durch Typisierungen vorbestimmt. „Gewohnheitsmäßige Aufmerksamkeitszuwendungen und Interpretationsschemata für Natur, Gesellschaft und Verhalten im allgemeinen sind in der Sprache objektiviert und in der Sozialstruktur mehr oder minder fest institutionalisiert.“ (Schütz und Luckmann 2003: 332) Denkt man diese Dimensionen methodisch weiter so wird deutlich, dass sich Verhalten oder Ereignisse als spezifische, raum-zeitlich fixierte lebensweltliche Praxis beschreiben lassen. Schütz beschreibt diese kulturbezogene Sinnkonstruktion als wechselseitigen Prozess von Erfahrungen und Handlungen, der vom Handlungssubjekt erst im Rückblick auf den Handlungsverlauf bewertet wird. Sie wird als subjektive Konstitution von Sinn aufgefasst und erfolgt durch eine Deutung vergangener Erlebnisse und ihre Einordnung in den Gesamtzusammenhang der Erfahrungen des Handlungssubjekts (vgl. Schütz 1971: 238ff; zit. in Srubar 2007: 101; Eberle 2000: 28). „Sinnhaft sind eben jene Erlebnisse, welche reflektierend in den Blick gefaßt werden. Das "Sinnhafte" liegt nicht im Erlebnis oder seiner noematischen Struktur, sondern nur in dem Wie der Zuwendung auf dieses Erlebnis oder (...) in der Attitüde des Ich zu seiner abgelaufenen Dauer.“ (Schütz 1974: 94) Auch hier verkürzt Schütz seinen Handlungsbegriff nicht auf die reflexive Rationalisierung, sondern erkennt die konstituierende Wirkung habitualisierter Schemata, wie auch Giddens sie beschreibt, an. Soziales Handeln wird also erst durch Lokalisation in kulturhistorische Dimensionen von Raum, Zeit und Sozialität sinnhaft erfahrbzw. beobachtbar. Handeln hat demnach immer eine selbstbezogene und eine fremdbezogene Dimension. Schütz beschreibt diese Differenzierung als subjektiv bzw. objektiv gemeinten Sinn. Die folgende Abbildung verdeutlicht das Prinzip des Selbst- und Fremdverstehens: Abbildung 2: Schema des Selbst- und Fremdverstehens bei Schütz Quelle: Eigene Darstellung Als subjektiven Sinn (S) bezeichnet Schütz den Sinn, den ein Akteur (A) im Akt des Selbstverstehens mit seinem Handeln (H) verbindet. Als objektiv bezeichnet Schütz den Sinn, den ein Handlungssubjekt in der Handlung eines Anderen beobachtend und deutend erkennt und diesem Anderen als Sinnorientierung zuschreibt: das Fremdverstehen des Sinns beim mithandelnden Anderen. Ein Beobachter (B) kann demnach über die Wahrnehmung oder Beobachtung der Handlung (H), auf den ihr zugrundliegenden alltagspraktischen Sinn (S') schließen – ebenso der wissenschaftliche Beobachter (C), der (A) und ggf. (B) beobachtet und der Handlung (H) einen – theoretisch vermittelten – Sinn (S'') zuschreibt (vgl. Schütz 1974: 42ff). Handeln beschreibt Schütz als selektiven Prozess, d.h. es ist stets geprägt von der Notwendigkeit, sich zwischen verschiedenen Optionen zu entscheiden (vgl. Srubar 2007: 158). Der Charakter der Selektivität wird dabei als grundlegendes Merkmal menschlichen Zugangs zur Welt betrachtet und basiert auf einem Repertoire kulturbezogener Sinndeutungen. Diese übernehmen demnach im Wesentlichen vier handlungsstrukturierende Funktionen (vgl. Srubar 1979: 45f): 1) Sinndeutungen dienen als Filter zur Sedimentierung, i.S.v. Orientierung in typischen Situationen, 2) vermitteln zwischen Bestimmten und Unbestimmten und stiften dadurch Orientierung v.a. in atransparenten Situationen, 3) stellen Bezug zu Vergangenem her und 4) erleichtern die Antizipation zukünftiger Handlungsabläufe. Wissenschaftliche Analyse, in Anlehnung an dieses Verständnis, ist methodisch an der Rekonstruktion subjektiver Perspektiven alltagsweltlichen Verstehens und Handelns orientiert (vgl. Knoblauch 2012: 120). Nach diesem Verständnis übernehmen wissenschaftliche und handlungspraktische Beobachter idealtypische Muster im Sinne sinnstiftender und damit orientierender Funktion [2], d.h. Handelnde (bzw. Beobachter) verfügen über ein System von Typisierungen ihres eigenen Handelns und des Handelns anderer Subjekte (vgl. Miebach 2006: 150): ein Repertoire von typisierten Erfahrungen und Erwartungen in typisierten zeitlichen, räumlichen und sozialen Kontexten, die alltagsweltliches Handeln und Deuten strukturieren. Handeln ist also Schütz zu Folge eine besondere Form der Erfahrung (vgl. Eberle 2000: 28). Der Handlungsentwurf ist dem Vollzug einer Handlung vorgeschaltet und bezeichne die auf die Zukunft gerichtete Motivationsstruktur des Handlungssubjekts. Damit bezeichnet Schütz die Annahme, dass ein Handelnder zur Erreichung eines Ziels eine bestimmte typische Erwartung an den Ablauf von Ereignissen hat, die er im Sinne seiner Handlungsplanung antizipiert. Der Handelnde entwickelt demnach zeitlich vor dem Vollzug eine Vorstellung seiner Handlung. Er entwirft „die erwartete zukünftige Handlung […] im Charakter des modo futuri exacti“ (Schütz 1971: 23, Hervorh. im Original). Das vollzieht er in Abhängigkeit davon, welche Schemata er aufgrund biographischer Vorerfahrung oder kulturell vorfindlicher Deutungsmuster zur Einordnung einer Handlungssituation abruft. Der Handlungsvollzug wird als konkreter Akt beschrieben, in dem der Handelnde den Entwurf im erwarteten Kontext anwendet: die Handlungspraxis, die ein Subjekt zur Erreichung erwarteter Handlungsziele durchführt. Hier werden also typische Planungsmuster abgerufen und entweder durchgeführt oder modifiziert, wenn die situativen Kontextbedingungen nicht mit den Annahmen der Handlungsplanung übereinstimmen.
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