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3.3 Implementationsforschung

Mit Implementation wird in der vorliegenden Studie kein terminus technicus, sondern ein Prozess der Aneignung neuer Ideen in einem sozialen Kontext beschrieben. Im Sinne der Forschungsfrage wird mit Implementation eines unternehmensethischen Managementsystems dessen Einführung im Unternehmen auf einer struktur- und einer handlungslogischen Ebene aufgefasst. Auf einer strukturlogischen Ebene wird Integration verstanden als Aneignung der mit dem Konzept verbundenen innovativen Ideen in Strukturen und Prozesse eines Unternehmens. Auf einer handlungslogischen Ebene beschreibt Implementation die Aneignung der Konzeptideen derart, dass diese in Deutungsmustern und Handlungsorientierungen von Unternehmensmitgliedern repräsentiert sind. Die Komplexität dieses Begriffs hat Rogers (2003) pointiert als Diffusion beschrieben und verdeutlicht damit, dass mit der Implementation innovativer Ideen zugleich bestehende Handlungspraxis in Frage gestellt wird (vgl. Rogers 2003: 35f).

Im Rahmen der Implementationsforschung wird diese Frage der Aneignung und Wirkung programmatischer Konzepte dezidiert in unterschiedlichen institutionellen Kontexten untersucht (vgl. Fixsen et al. 2005; Durlak und DuPre 2008) [1] . Ihre Ursprünge liegen in der US-amerikanischen Begleitforschung sozial- und bildungspolitischer Reformprojekte in den 1960er Jahren, in denen erstmals die Effektivität und Effizienz politischer Programme im Sinne empirischer Wirkungsanalysen untersucht wurden (vgl. Hargrove 1975; Mayntz 1980c, a; Windhoff-Héritier 1980; vgl. Wollmann 1980; Holling 2009). In Deutschland entwickelte sich ab Ende der 1960er Jahre ebenfalls ein Forschungsinteresse an Fragen der Umsetzungsprozesse politischer Programme (grundlegend siehe: Grauhan 1969; Ellwein 1971; vgl. auch Wollmann 1980) und löste ab Mitte der 1970er Jahre[2] die mechanistische Vorstellung „von Normsetzung und Durchsetzung [ab – TM] […] durch ein Modell, das von Handlungssituationen und Strategien der in einem komplexen Makrosystem verbundenen Aktoren ausgeht“ (Mayntz 1980a: 14; siehe auch: Mayntz 2001). In der frühen Phase der Implementationsforschung wurden im Rahmen zahlreicher Studien bereits Faktoren identifiziert, die den Prozess der Implementation von Programmen beeinflussen (vgl. Rogers 2003) [3] . Pressman und Wildavsky (1984) arbeiteten in einer als wegweisend bewerteten Studie heraus (vgl. Fixsen et al. 2005; Shannon 2005; Hupe 2010), dass das Scheitern eines sozialpolitischen Programms zur Schaffung von Arbeitsplätzen nicht auf das zugrundeliegende Programmkonzept, sondern dessen Implementation zurückzuführen war: [4] Pressman und Wildavsky wiesen erstmals empirisch nach, dass die Implementation politischer Programme abhängig ist von multiplen Faktoren, wie z.B. Entscheidungs- und Bürokratiestrukturen sowie Interessen in zentralen und nachgelagerten (kommunalen) Organisationen. Implementation müsse den Ergebnissen zufolge umfassend als Interaktionsbzw. Evolutionsprozess aufgefasst werden. Implementierung bedeutet in diesem Verständnis die Aneignung neuer (Konzept-) Ideen, angepasst durch die betreffenden Akteure selbst (vgl. Pressman und Wildavsky 1984: 177).

Auch empirische organisationssoziologische Forschungen bestätigen diese Ergebnisse und rahmen die Aneignung neuer Konzepte in Organisationen als institutionentheoretische Frage. Walgenbach (2000a) hat in seiner Studie zur Verbreitung und Einführung von ISO-Normen[5] zum Qualitätsmanagement in Unternehmen gezeigt, dass die rasche Verbreitung dieses Konzepts, bzw. dessen Aneignung durch europäische Unternehmen, institutionentheoretisch erklärbar ist. Die Innovationskraft der Normen in Unternehmen bewertet Walgenbach eher kritisch und stellt fest, dass sich empirisch eine Entkopplung zwischen Strukturen und nachgelagerten Prozessen beobachten lässt: Einrichtung von Qualitätsmanagementfunktionen und Standards zur Dokumentation – orientiert an der ISO Norm – führten eben nicht zu substanziellen Veränderungen auf der Prozessebene sondern verblieben an der strukturellen Oberfläche. Die schnelle und umfassende Verbreitung der ISO Standards in europäischen Unternehmen führt er zurück auf politisch bestrebte Bemühungen von Akteuren (Walgenbach 2000a: 81) und erklärt es dadurch, dass an Unternehmen institutionell adressierte Erwartungen zum Qualitätsmanagement herangetragen werden:

„Das Konzept, das die "soziale Bewegung" propagiert, muss den Entscheidungsträgern in wichtigen Institutionen, wie z.B. Regierungsorganisationen, darüber hinaus als sinnvoller Lösungsansatz für die bestehenden Probleme erscheinen.

Small Business Administration“, standen mit ihren Zielen bürokratisch korrekter Abwicklung den Zielen zeitnaher Zuweisung von Geldmitteln zum Geschäftserhalt (Ziele Kreditnehmer) in Konflikt. Die programmgemäße Verwendung der bereitgestellten Gelder führte letztendlich zum Scheitern des Gesamtprojektes.

Nur dann erhalten das Konzept und die Organisationen in der "sozialen Bewegung" die eben dieses Konzept propagieren, die notwendige Unterstützung […] und Legitimität zugesprochen.“ (Walgenbach 2000a: 428)

Stefanie Hiß bestätigt diese Ergebnisse für das wertebezogene Managementkonzept Corporate Social Responsibility (CSR) [6] . Sie konnte in ihrer qualitativ-vergleichenden Studie zur Einführung von CSR zeigen, dass sich „die derzeit zu beobachtende Standardisierung und Verbreitung […] von freiwilliger CSR […] durch legitimierende Mythen zu CSR als organisationale Überlebensstrategie betrachten“ lässt (Hiß 2005: 308). Auch die Ergebnisse bei Siltaoja (2006) [7] bestätigen diese Einschätzung. Im Rahmen einer qualitativen Fallstudie untersuchte er die Beziehung zwischen CSRAktivitäten und der wahrgenommenen Reputation des Unternehmens. Reputation fasst er dabei auf als explizites Konzept zur Legitimation des Unternehmens gegenüber extern adressierten Interessen seiner Stakeholder (vgl. Siltaoja 2006: 94). Siltaoja stellt fest, dass CSR im untersuchten Unternehmen neben der Legitimation gegenüber externen Stakeholdern auch interne Effekte hat. Die mit CSR und Reputation verbundenen Werte wurden im untersuchten Unternehmen als Grundlage für jedes organisationsbezogene Handeln gedeutet und hätten in diesem Sinne vertrauensbildende Funktionen. Das glaubhaft verankerte CSR wurde im untersuchten Unternehmen als Bestandteil ethischen Verhaltens in der Organisation gedeutet und nicht ausschließlich als Legitimationsstrategie:

„CSR was […] regarded as […] a natural way to conduct business in the frame of responsibility more in relation to business legitimacy“ (Siltaoja 2006: 107).

Die weiterführende Frage, wie der Aneignungsprozess eines Managementkonzepts innerhalb von Organisationen verstanden werden kann, hat Süß (2009) für den Fall von Diversity Management Konzepten untersucht.

In einer empirischen Studie zu Auftreten und Aneignung von Diversity Management hat er herausgearbeitet, dass Managementkonzepte in Organisationen Institutionalisierungsprozesse durchlaufen müssen um handlungsleitende Wirkung erzielen zu können. Nicht nur im OrganisationsUmwelt-Bezug sondern auch innerhalb von Organisationen seien Prozesse struktureller Angleichung (Isomorphie) zur beobachten. Akteure, als Trägerschichten im Aneignungsprozess, spielen demnach eine zentrale Rolle bei der Frage der Aneignung von Managementkonzepten in Organisationen (vgl. Süß 2009: 257).

Die Studien verdeutlichen, dass Implementation neuer Konzepte in Organisationen als sozialer Prozess aufgefasst werden kann und strukturelle Veränderungen damit plausibel erklärbar werden. Während strukturelle Effekte gut erforscht sind lassen die Studien die Frage der Auswirkungen neuer Konzepte auf der Handlungsebene offen. Die Frage einer Wirkmächtigkeit innovativer Konzepte zielt jedoch gerade auf die Frage, welche handlungsrelevanten Effekte diese im organisatorischen Alltag erzielen können. Zur Frage der Auswirkungen von Implementationsprozessen wird nachfolgend der Stand der Forschung dezidierter danach durchleuchtet, welche Variablen Auswirkungen auf Verlauf und Ergebnis des Implementationsprozesses haben.

Obwohl Implementation nicht losgelöst vom jeweils konkreten Programm oder Konzept betrachtet wird[8] hat die empirische Forschung Phasen und Kernkomponenten von Implementierungsprozessen herausgearbeitet, die unabhängig vom implementierten Programminhalt beobachtbar sind. Insgesamt können drei Kriterien in der Forschung identifiziert werden, die als relevante Einflussfaktoren auf den Implementationsprozess zu bewerten sind (vgl. Windhoff-Héritier 1980; Fixsen et al. 2005):

1) Institutionelle Bedingungen von Implementation

2) Relevanz von Akteuren – als Trägergruppen der Implementation

3) Pfadabhängigkeit von Implementation

Welche Bedeutung die Forschung diesen Faktoren für Implementationsprozesse zuschreibt und welche Implikationen diese Ergebnisse für die vorliegende Analyse haben, wird nachfolgend im Einzelnen erörtert.

  • [1] Studien untersuchen etwa die Umsetzung politischer Programme, Programme für Sozial-, Bildungsoder Gesundheitsbereiche sowie die Umsetzung von Konzepten in Foroder Nonprofit-Organisationen (vgl. Fixsen et al. 2005).
  • [2] 1976 wurde der Projektverbund „Implementierung politischer Programme“ gegründet und durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft als Sonderforschungsprogramm gefördert (vgl. Mayntz 1980b).
  • [3] Everett M. Rogers systematisiert in einer Literaturstudie (5200 Quellen, davon 75% empirische Studien, 25% theoretische Abhandlungen) die Kriterien, die Erfolg oder Misserfolg der Diffusion neuer Konzepte in bestehende soziale Kontexte erklären.
  • [4] Die hierarchischen Entscheidungsstrukturen zur Genehmigung von Krediten zur Unternehmensgründung, blockierten sich aufgrund widersprüchlicher Zielsetzungen von Kreditgebern und –nehmern. Kreditgeber, repräsentiert durch die Bundesbehörde „US
  • [5] Qualitative Analyse der Gründe für die Verbreitung der DIN EN ISO 9000er Normreihe und ihrer raschen Verbreitung in Deutschland.
  • [6] CSR beschreibt den Anspruch einer verantwortungsbewussten Unternehmensführung: „Sozial verantwortlich handeln heißt nicht nur, die gesetzlichen Bestimmungen einhalten, sondern über die bloße Gesetzeskonformität hinaus „mehr" investieren in Humankapital, in die Umwelt und in die Beziehungen zu anderen Stakeholdern“ (KOM Kommission der europäischen Gemeinschaften 2001: RN 20).
  • [7] Im Rahmen einer qualitativen Fallstudie untersuchte dieser die Beziehung zwischen CSR Aktivitäten und der wahrgenommenen Reputation des Unternehmens. Reputation fasst er dabei als explizites Konzept zur Legitimation des Unternehmens gegenüber extern adressierten Interessen seiner Stakeholder auf (vgl. Siltaoja 2006: 94).
  • [8] Vertreter einer kritischen Soziologie haben die verallgemeinernd-theorieorientierte Implementationsforschung als verkürzend kritisiert. Mit derartigen Forschungsdesigns gebe die Soziologie ihre Thematisierungskompetenz auf (vgl. Häußermann und Siebel 1978). Wollmann entgegnete dieser Kritik, dass in der empirischen Analyse von Ziel/Mittel Annahmen und Durchführungspraxis kritisch-aufklärerisches Potenzial läge, welche „die Fiktion eines einheitlichen staatlichen Aktors […] konzeptionell und empirisch zu überwinden und zu einer angemesseneren Beschreibung der real world politischer Verwaltung und bürokratischer Politik zu gelangen“(Wollmann 1980: 24).
 
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