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5. Zahlen

Seien Sie sparsam mit Zahlen. Benutzen Sie besser Vergleiche, z.B. „dreimal so groß wie die Bundesrepublik“. Auch der Befragte sollte das tun. Die vierte oder fünfte Zahl im Interview ist nicht nur eine Zahl zu viel und wird vergessen, sondern überfordert die Empfänger, so dass sie vermutlich rückwirkend auch einen Teil der zuvor genannten (und zunächst noch behaltenen) Zahlen vergessen. (Wie hoch ist ein Stapel mit neuen 500-EuroScheinen, der eine Million oder eine Milliarde ergibt?)

Dramatischer ist die Zahlenschlacht in dem folgenden Interview (39). Es ist eine typische Rechtfertigung eines Wahlergebnisses. Auch weiß der befragte Politiker, dass weder der Interviewer noch die Empfänger die Zahlen behalten, geschweige denn nachrechnen können. Der Interviewer kommt damit sogar noch sehr gut zurecht, lässt sich nicht von den vielen Zahlen einschüchtern und behält sein Konzept.

Interview 39

ARD Bundestagswahl 1998, 27. 9. 1998

Sigmund Gottlieb – Theodor Waigel, Bundesfinanzminister

I: Bei uns der CSU-Vorsitzende Theo Waigel. Herr Waigel, ein herber Verlust für die Union, auch klare Verluste für die CSU. Woran hat es gelegen?

B: Das ist ganz klar, eine Niederlage der Union, was die CSU anbelangt, mit 48,4 Prozent haben wir überproportional gut abgeschnitten, normalerweise liegt die CSU etwa 10 Prozent über dem Bundesdurchschnitt CDU-CSU.

I: Ja das sind 2,8, Herr Waigel, unter 94 und 4,5 unter dem Landtagswahlergebnis.

B: Lassen Sie mich einen Satz nach dem anderen sagen. Und wenn wir nun die absoluten Zahlen nehmen, dann haben wir bei einer höheren Wahlbeteiligung etwa soviel Stimmen erreicht wie bei der Landtagswahl, aber wir konnten bei der schwierigen Gesamtstimmung nicht noch Stimmen dazugewinnen, und Sie müssen berücksichtigen, dass die FDP bei der Landtagswahl 1,7 Prozent hatte, jetzt hier 5,1, dass sind also 3,4 Prozent mehr, die weitgehend natürlich bei uns abgegangen sind, sonst wären wir klar über 50 Prozent, das heißt, wir haben wieder im Verhältnis zum Unionsschnitt überproportional gut abgeschnitten.

I: Aber 50 plus X war auch Ihre Wunschvorstellung für Bayern, die ist nicht eingetreten.

B: Das ist wahr, die haben wir um 1,6 Prozent verfehlt, nur wenn ich mir überlege, wie die Gesamtunion ihr Ziel verfehlt hat, klar über 40 zu kommen und bei 35, etwas über 35 zu landen, sieht man sehr deutlich, dass das Süden, Bayern, sich im Wählerverhalten doch abgekoppelt, hat und das ist schon bemerkenswert angesichts der Gesamtsituation. Hier zeigt sich, nicht nur bei dem Ergebnis der bayerischen Landtagswahl, sondern auch bei der Bundestagswahl, die CSU ist ein stabilisierender Faktor im Bereich von CDUCSU und wird es auch künftig sein.

I: Warum hat sich der Schub aus Bayern vom 13. September nicht auf dieses Bonner Ergebnis durchsetzen können, war Helmut Kohl daran schuld? Helmut Kohl hat ja nun auch schon die Konsequenzen gezogen.

B: Wir haben den Wahlkampf miteinander geführt und bringen ihn jetzt auch miteinander zu Ende, da hilft keine Schuldzuweisung.

(...)

6. Kameraführung/Bildausschnitt

Alle Empfänger meinen, der Interviewer solle zumindest einmal im Bild sein, um sehen zu können, „wer da spricht“. Sitzen die Interviewpartner, so bevorzugen viele den Ausschnitt bis zu den Händen. Andererseits ist die Ablenkung geringer, wenn nur der Kopf des Befragten zu sehen ist.

Insbesondere die zunehmend häufiger zu beobachtenden Zwischenschnitte oder Kamerafahrten auf irgendein scheinbar spannendes Objekt oder eine Personengruppe widersprechen unseren Beobachtungen und allen anderen wahrnehmungspsychologischen Erkenntnissen, nicht zuletzt denen von Wember (1976), die die Bild-Ton-Schere sehr gut dokumentiert hat. Es muss sich etwas bewegen! Nur: Die Zuschauer schauen da hin, aber sie hören nicht mehr zu.

 
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