Start Medien und Kommunikationswissenschaft
Kommunikationsmanagement von Clusterorganisationen
|
|
|||||
3.1.3 Merkmale von Clusterentstehung und -wandelDas Phänomen, das mit dem Begriff Cluster beschrieben wird, ist sehr viel älter als der Begriff selbst. In der gesamten Wirtschaftsgeschichte lassen sich Beispiele dafür finden, dass bestimmte Orte und Regionen deutliche Zusammenballungen von Unternehmen einer bestimmten Branche sowie vorund nachgelagerter Wertschöpfungsstufen aufweisen – mitsamt einer darauf abgestimmten Politik und entsprechenden Ausbildungseinrichtungen. Die Beispiele reichen vom Schiffsbau im antiken Griechenland über die flämischen Tuchmacher bis hin zur Filmindustrie Hollywoods. Als der Prototyp eines modernen Clusters gilt jedoch das Silicon Valley in Kalifornien, das durch seine technologischen und unternehmerischen Erfolge weltweit eine Vorrangstellung einnimmt (vgl. Saxenian 1987, 1994). Die Clusterentstehung kann durch verschiedene Faktoren begünstigt worden sein, etwa durch die geografische Lage, natürliche Ressourcen oder besondere kulturelle oder historisch gewachsene Bedingungen. Bei der geografischen Lage kann es sich so etwa um die Nähe zur Küste handeln, wie es etwa im Falle der Stadt Hamburg der Fall ist, wo sich durch den Hafen ein Logistikund Handelscluster herausbilden konnte. Im Ruhrgebiet hingegen waren die dort existierenden Kohlevorräte die natürliche Ressource, die die Verhüttung von Stahl in großem Maßstab ermöglichten und so die Industrialisierung begünstigten. In anderen Fällen waren es bedeutende Unternehmerund Erfinderpersönlichkeiten, die sich mit ihrer Idee selbständig machten und deren Unternehmen so zum Ausgangspunkt eines Clusters wurden. Als ein exemplarisches Cluster dafür in Deutschland kann das Automobilcluster im Raum Stuttgart gesehen werden (vgl. im Folgenden Dispan/Grammel 1999). Ursprünglich wurde hier durch Gottlieb Daimler das Automobil erfunden und mit der Daimler AG sitzt hier einer der größten Autoproduzenten der Welt. Im Laufe der letzten hundert Jahre hat sich um die Kern-Automobilfirmen eine Reihe von Zulieferindustrien in der Region angesiedelt – etwa wäre der Erfolg der Robert Bosch GmbH, die ebenfalls ihren Muttersitz in Stuttgart hat, nicht ohne den großen Abnehmer Daimler denkbar. Vor allem mit der Produktion der Zündkerze wurde Bosch ursprünglich erfolgreich. Weitere Firmen wie Mahle oder Festo sind in diesem Kontext ebenfalls entstanden. Gleichzeitig ist die Existenz eines Clusters auch Anlass für andere Automobilunternehmen, sich in der Region anzusiedeln – in diesem Fall etwa Porsche. Häufig besteht ein personeller Austausch zwischen den Unternehmen am Standort oder neue Unternehmen entstehen als Spin-Offs aus den existierenden Großunternehmen mit neuen Produkten oder Dienstleistungen. Mit dem Automobilcluster in der Region Braunschweig-Wolfsburg existiert auch ein von der Politik initiiertes Cluster heute noch fort. Das von den Nationalsozialisten dort gegründete Volkswagen-Werk konnte sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg dauerhaft als Kern eines wachsenden Automobilclusters etablieren. In jedem Fall ist Clusterentstehung ein langwieriger Prozess, der in der Realität Jahrzehnte bis Jahrhunderte benötigt hat. Cluster haben damit – ähnlich wie Unternehmen oder Produkte – einen Lebenszyklus, in dem sich unterschiedliche Phasen der Clusterentwicklung identifizieren lassen (vgl. Tichy 2001; Lerch 2009; Menzel/Fornahl 2010). Als Erklärungsansatz für Ansiedlung und Wandel von Industrien an Standorten kann insbesondere die Theorie industrieller Entwicklungspfade gelten, die im Folgenden umrissen werden soll. Das Modell der industriellen Entwicklungspfade von Storper/Walker (1989) ist ein wichtiges Instrument, um die Evolution von Clustern zu analysieren. Danach verlaufen die Prozesse der geographischen Industrialisierung zyklisch und sind durch Brüche und Neuanfänge gekennzeichnet. Dekonzentration und Reagglomeration von Industrien gehen Hand in Hand. Die vier Phasen sind: Localization, Clustering, Dispersion, Shift (vgl. Storper/Walker 1989: 70-98; Bathelt/Glückler 2002: 207ff.; Benner 2012: 15f) Das Modell baut auf der Annahme auf, dass nicht nur Standortbedingungen die Unternehmen beeinflussen, sondern dass umgekehrt unter bestimmten Voraussetzungen auch die Unternehmen selbst die Standorte gestalten. Das Modell betont damit die aktive Beeinflussung regionaler Standortbedingungen durch neue Branchen: „industries produce economic space“ (Storper/Walker 1989: 70). Danach bietet sich Standorten immer wieder neu die Möglichkeit, ihre industrielle Struktur grundlegend zu verändern und auf neue Technologien zu setzen. Wenn eine neue Technologie oder eine neue Branche entsteht, haben die Akteure dieser Branche in der Anfangsphase eine hohe Wahlfreiheit was die Standortwahl betrifft („window of locational opportunity“). Es gibt noch keine regionalen Kompetenzzentren und Zusammenballungen dieser Branche, so dass die Auswahl nach anderen Faktoren erfolgt. Begrenzungen existieren allenfalls an peripheren und nicht-industrialisierten Standorten durch sehr nachteilige generelle Standortbedingungen. In der ersten Phase können also viele Standorte einer neuen Branche entstehen – es setzen sich jedoch nur wenige davon durch und werden zu nachhaltig verfestigten Standorten für diese Branche. An den neuen Technologien, die seit der Jahrtausendwende die Wirtschaft disruptiv verändert haben – z.B. Informationsund Kommunikationstechnologie, Life Sciences, Nanotechnologie –, lässt sich dies deutlich sehen. Nach Rehfeld (2006: 255) sind hier die wesentlichen Impulse für neue Cluster bereits erkennbar und im Standortwettbewerb verteilt. In der dritten Phase, der Dispersionsphase, reift die Branche und es kommt zur Erschließung industrieller Wachstumsperipherien durch funktionale Standortspaltung und zur Gründung von Zweigbetrieben. Durch deren Abhängigkeit wird auch die Position der etablierten Zentren gestärkt. Das Cluster wird stärker durch die Ausbildung von sozioökonomischen Netzwerken und die regelmäßige Erneuerung der clusterinternen Strukturen durch neue Firmen in der Form von innovativen Start-Ups, Ausgründungen oder Neuansiedlungen. Eine dynamische Gründerszene kann durch fokale Unternehmen oder forschungsstarke Universitäten angeregt werden (vgl. z.B. Wallisch/Knoll 2008). Ein Cluster kann sich etwa um ein zentrales Großunternehmen in einer Region entwickeln, aus dem nach und nach zahlreiche Spin-Offs und Ausgründungen hervorgehen, die untereinander und mit dem Großunternehmen verflochten sind (vgl. z.B. Klepper 2009). Positive Beispiele von Unternehmensgründungen können als Vorbilder für andere Gründer dienen und die Hemmschwellen zur Ausgründung senken. Gleichzeitig kann auch eine starke Forschungsuniversität eine gute Quelle für eine dynamische Gründerszene sein. Existieren schließlich Erfolgsgeschichten vor Ort, die eine überregionale Ausstrahlung besitzen, und hat sich eine kritische Masse an Unternehmen gebildet, werden auch Investoren von außerhalb auf den Standort aufmerksam und von diesem angezogen. Dadurch erhöht sich die Kapitalbasis vor Ort. Durch die kontinuierliche Zirkulation von Ideen und Risikokapital werden Innovationen begünstigt und schließlich die regionale Wettbewerbsfähigkeit erhöht (vgl. Feldman et al. 2005). Durch die regionalen Ballungsund Spezialisierungsprozesse kann sich im Cluster auch ein spezifisches Normenund Regelsystem herauskristallisieren, das die Akteure im Cluster enger aneinander bindet. Hierzu zählen Konventionen oder dieselben Technikeinstellungen der regionalen Akteure. In späteren Phasen des Clusters gewinnt neben den regionalen Netzwerken auch der Aufbau von regionsübergreifenden und internationalen Beziehungen an Bedeutung für die Weiterentwicklung des Clusters. Dadurch wird das Cluster verstärkt als internationaler Standort sichtbar (vgl. Bathelt et al. 2002). Überregionale Vernetzungen werden als wichtige Voraussetzung für den langfristigen Erhalt der Innovationsfähigkeit gesehen (vgl. Oinas/Malecki 2002; Bathelt/Glückler 2002: 212; Coe/Bunell 2003). Cluster können jedoch ebenfalls auch wieder an Bedeutung verlieren und untergehen. Dies ist etwa der Fall, wenn in ihnen kein Wandel vollzogen wird, die Nachfrage nach der jeweiligen Industrie erlischt oder sie im weltweiten Standortwettbewerb aus Kostengründen nicht mehr mithalten können. Die vierte Phase der Theorie der industriellen Entwicklungspfade beschreibt daher auch, wie die Branche durch neue Wachstumsbranchen, die infolge radikaler Innovationen entstehen, selber verdrängt wird. Gleichzeitig bilden sich neue regionale Wachstumszentren heraus und der Prozess der geographischen Industrialisierung beginnt damit von neuem (vgl. Bathelt/Glückler 2002: 207-210; Schätzl 2003: 230 f.). Es lassen sich jedoch auch Beispiele dafür finden, dass es gelingen kann, dieser Verlagerung entgegenzuwirken, indem Cluster sich rechtzeitig verändern und weiterentwickeln. Ein Beispiel ist etwa die Textilindustrie: Aufgrund der deutlich niedrigeren Herstellungskosten im asiatischen Raum ist die einfache Produktion von Textilien in Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig. Jedoch hat sich auch die Textilindustrie gewandelt und ist heute zu einer Hightech-Industrie geworden (vgl. Horrocks/Anand 2000; Heymann 2011). Intelligente Textilien werden heute auch in der Konstruktion und im Maschinenbau eingesetzt. Derartige wissensintensive Prozesse können vorerst nicht in Niedriglohnländer verlegt werden, so dass auch Textilcluster durch Innovation in der Lage sein können, sich zu wandeln und ihre Bedeutung auch in Hochlohnländern aufrecht zu erhalten. Als Wettbewerbsstrategie (vgl. Porter 1980; Grant 2007) ist daher Innovationsführerschaft für Unternehmen in vielen Industrien zum gewählten Weg geworden, wettbewerbsfähig zu bleiben und Arbeitsplätze zu halten und zu schaffen (vgl. Brühl 2009: 20). Aus der Theorie der industriellen Entwicklungspfade lässt sich folgern, dass sich zum Zeitpunkt der Wahlfreiheit des Standorts für viele Regionen die Chance bietet, an neuen technologischen Entwicklungspfaden teilzuhaben. Jedoch ist der Zeitraum für eine solche Chance nur kurzzeitig gegeben und erfordert besondere Bemühungen, um auch nach einer Konsolidierungsphase noch weiter als Standort der neuen Technologie existieren zu können. An diesen wenigen Standorten setzt dann ein „selbstverstärkender Prozess der selektiven Clusterung durch interne Ersparnisse und Komplementäreffekte bei vertikal integrierten Unternehmen bzw. Lokalisationsvorteile und Transaktionskostenersparnisse bei vertikal desintegrierten Unternehmen ein“ (Kiese 2008a: 62). Zum Teil ist die Aussicht darauf, neue Technologien an den entsprechenden Zeitpunkten am Standort anzusiedeln, jedoch nur begrenzt steuerbar und abhängig etwa von bestimmten Schlüsselpersonen, die zufällig an einem bestimmten Standort sesshaft sind. In der Literatur ist die Erforschung der Clusterentstehung und -dynamik vielfach eine Erforschung von Einzelfällen (vgl. z.B. Saxenian 1987, 1994; Bresnahan et al. 2001; Lundequist/Power 2002). Dabei werden existierende Cluster daraufhin untersucht, welche Faktoren zu ihrer Entstehung beigetragen haben. Häufig steht dabei das Silicon Valley als Prototyp des innovationsgetriebenen Hightech-Clusters im Mittelpunkt des Interesses (vgl z.B. Saxenian 1987, 1994; Bresnahan et al. 2001; Lee et al. 2000; Klepper 2009). Als Ergebnis dieser Form der Clusterforschung kann gelten, dass die existierenden, empirisch feststellbaren Cluster individuell auf sehr verschiedene und kontextabhängige Art und Weise entstanden sind (vgl. Keeble/Wilkinson 2000). Am Beispiel dreier kanadischer Cluster im Bereich der Informationsund Kommunikationstechnologie (IKT) – namentlich den IKT-Clustern in Montreal, Ottawa und der Waterloo-Region – führen Wallisch/Knoll (2008) eindrücklich vor Augen, dass die dort existierenden Cluster das Ergebnis eines jahrzehntelangen und regionalspezifischen Evolutionsprozesses sind: „Die Evolutionsprozesse der drei Cluster haben gezeigt, dass nicht ein einzelner Faktor identifiziert werden kann, der letztendlich über die Entstehung oder Nicht-Entstehung eines Clusters entscheidet“ (S. 26). Wo an einem Ort die Existenz einer forschungsintensiven Universität den ausschlaggebenden Impuls für die Cluster-Entstehung ausmachte, spielte eine Universität in den anderen Fällen keine Rolle. Hier waren es vor Ort präsente Großunternehmen, die die Clusterentstehung begünstigten. Die Evolution dieser Cluster ist demnach stark regionalspezifisch und pfadabhängig, ein „Patentrezept“ existiert nicht. Es zeigt sich auch in anderen untersuchten Fällen meist, dass die Clusterentstehung von Faktoren abhängig war, die sich nicht auf andere Standorte übertragen lassen und stark pfadabhängig auf die Vorgeschichte und den Kontext des jeweiligen Ortes aufbauen. Matthiesen stellt dahingehend fest: „Die spezifischen geographischen und historischen Umstände des Erfolgs der IconRegionen […] lassen sich in ihrer strukturellen Gemengelage kaum je punktgenau reproduzieren“ (Matthiesen 2004: 12). Existierende Cluster sind „bottom-up“ entstanden und nicht als Ergebnis von gesteuerten Maßnahmen. Dies hat auch Folgen für die Konzeption von Clusterpolitik, wie weiter unten noch zu erörtern sein wird. |
<< | INHALT | >> |
---|
Related topics |