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3.3 Führungsstile und Rollenfunktionen:

die niedersächsischen Ministerpräsidenten im Vergleich

In der Politik geht es um Macht – Macht zur Durchsetzung von Interessen (Max Weber). Die politische und fachliche Rationalität des Ministerpräsidenten entscheidet darüber, wie eine Lösung gestaltet sein muss, um Ziele zu erreichen, Probleme zu lösen und Macht zu sichern. Die Form der Machtausübung entscheidet darüber, wie diese Lösungen umgesetzt werden und mit wem. Die Führungsarbeit des Ministerpräsidenten ist es also, als Hauptakteur in einem unübersichtlichen und hochkomplexen politischen Prozess mit zahlreichen Akteuren und aus verschiedenen Positionen, Interessen, Ideen und Vorhaben konkrete Initiativen zu entwickeln und – das ist zentral – für diese Mehrheiten zu organisieren.

Für die Koordination der Mehrheitsgewinnung bedienen sich Ministerpräsidenten ganz generell verschiedener Instrumente und Techniken. Die Abgrenzung zwischen Führungstechniken und -instrumenten ist nicht eindeutig. Es wird auch von Führungsmitteln, -methoden oder -taktiken gesprochen.45 Einige dieser Instrumente haben formale Anforderungen (darunter bspw. die zuvor benannten verfassungsrechtlichen Normen) als Legitimationsund Handlungsgrundlage. Doch lässt sich aufgrund dieser formalen Führungsansprüche nicht automatisch ein Führungserfolg erzielen; vielmehr ist es so, wie Herbert Schneider es betont: Die reale Stärke eines Ministerpräsidenten beruht auf seinen persönlichen Eigenschaften und weiteren sozial-strukturellen Faktoren.46 So spielt die Richtlinienkompetenz des Ministerpräsidenten in Bezug auf regierungsexterne Akteure eine klar untergeordnete Rolle. Von Bedeutung sind seine freundschaftlich-privaten und beruflichen Kontakte bzw. Beziehungen zu Politikern aus der eigenen Partei oder aus anderen Parteien, zu Fraktionskollegen, zu sonstigen Mitgliedern der politischen Elite oder z.B. auch zu Medienvertretern. Schließlich wird der Führungserfolg aber auch durch seine persönlichen Eigenschaften in Reflexion zur politischen Kultur des Landes und zum „Zeitgeist“47 bestimmt. Oder anders: Ein Ministerpräsident muss in die jeweilige Zeit, in die geistige und emotionale Lage passen.

Mit diesen Faktoren lässt sich die Führungsarbeit von Ministerpräsidenten kategorisieren, wobei die Bildung von Typen über die Identifizierung von Führungsstilen erfolgt. Führungsstile werden durch die Analyse der (Selbst-)Darstellung, also der nach außen sichtbaren und in der Regel von Medien transportierten Verhaltensweisen, in Verschränkung mit einer Analyse der regierungsinternen Entscheidungsebene (z.B. Kabinettsitzun- gen)48, sichtbar. Zu fragen ist demnach nach der Sprache, Gestik oder Symbolik des Ministerpräsidenten sowie nach der Art und Weise, wie er Probleme und Konflikte bearbeitet.49 Für Niedersachsen lassen sich anhand einer politikwissenschaftlichen Analyse vier Typen von Ministerpräsidenten für die Zeit bis zum Regierungswechsel Anfang 2013 festmachen: den „Landesvater“, den „Landesmanager“, den „Mediencharismatiker“ und den „akkomodierenden Parteisohn“.50 Die Rollenzuschreibung des Landesvaters – als Persönlichkeit, die sich in erster Linie schützend und fürsorgend seinen Staatsbürgern verbunden fühlt und die im 19. Jahrhundert vom „Staatsmann“ abgegrenzt wurde, der eher auf Macht und Taktik setzte – ist der älteste der vier Führungsstile.51 Bis heute wird manchen Ministerpräsidenten eine landesväterliche Rolle zugeschrieben.52 Doch durch den politischen Strukturund Öffentlichkeitswandel, der sich nicht nur in Niedersachsen, sondern bundesweit vollzog, haben sich neue Führungstypen wie der Landesmanager, der Mediencharismatiker sowie der akkomodierende Parteisohn herausgebildet. Im Wesentlichen geschah dies durch eine Aufwertung des Amtes des Ministerpräsidenten. Es zeichnet sich durch einen Zuwachs vor allem bundespolitischer Kompetenzen aus: Die Regierungschefs der Länder erkämpften sich im Gegenzug zum Verlust eigenständiger Gesetzgebungen vermehrt Einfluss durch zustimmungspflichtige Gesetze. Ihre Einflussmöglichkeiten auf die Bundespolitik und damit auf die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt stiegen deutlich an. Das öffentliche Interesse an den Entscheidungen der Länderchefs nahm infolgedessen zu.53 Im gleichen Zeitraum riefen die Erfindung und Nutzung neuer Übertragungsund Drucktechniken eine explosionsartige Ausdifferenzierung der Medienlandschaft hervor. Beide Entwicklungen befruchteten und ergänzten sich wechselseitig. Die Regierungschefs gerieten auf diese Weise zunehmend in den Fokus der überregional, z.T. auch international agierenden Medien. Schließlich forderten und erhielten die Ministerpräsidenten immer wichtigere Rollen in ihren Parteien, denn die Parteien wurden zu den entscheidenden Instanzen für die Ämterverteilung sowie für die politische Agenda im Bund, im Land und in der Kommune.54

Das Amt des Niedersächsischen Ministerpräsidenten zeichnet sich durch permanenten Wandel aus, der durch die drei letztgenannten Führungstypen verdeutlicht werden kann. Die Persönlichkeiten prägten das Amt, wie auch das Amt seine Inhaber prägte. Ein Streifzug durch die Geschichte zeigt, wie sich die Veränderungen in Fragen der Rollenfunktionen, der Amtsführung und des Amtsverständnisses vollzogen.55

Der Regierungsstart des ersten Ministerpräsidenten Hinrich Wilhelm Kopf (SPD) war wahrlich nicht einfach. Die britische Militärregierung legte im November 1946 durch die Verordnung Nr. 55 den Zusammenschluss der bisherigen Länder Braunschweig, Oldenburg, Schaumburg-Lippe sowie Hannover zum Land Niedersachsen fest. Die politische, kulturelle und soziale Identität der Landesteile ist über einen langen Zeitraum, mancherorts bis heute, erhalten geblieben. Niedersachsens Staatsverständnis ist daher umstritten.

Der mangelnden Integration der Landesteile widmete sich Kopf mit Verve. Er prägte das Bild des Landesvaters, indem er sich als überparteilicher Integrator inszenierte. Sein Führungsstil beruhte ganz wesentlich auf den Vorzügen seines offenen, kumpelhaften und launigen Charakters. Die hohe Beliebtheit bei den Niedersachsen war eine seiner größten Machtressourcen. Hinrich Wilhelm Kopf feierte mit den konservativen Schützenvereinen auf dem Land, spielte mit den Dorfbewohnern Doppelkopf und Skat, pflegte freundschaftliche Beziehungen zum Welfenhaus (was ihm den Beinamen „roter Welfe“ einbrachte) und verband als „christlicher Sozialist“ die in Braunschweig, Salzgitter und Wolfsburg versammelte Arbeiterschaft mit dem katholischen und evangelischen Landvolk. Niedersachsens Staatswerdung war ihm eine Herzensangelegenheit.56

An diesem landesväterlichen Amtsverständnis, das perfekt in die von Not und Unsicherheiten geprägte Nachkriegszeit hineinpasste57, wurde auch sein Nachfolger Heinrich Hellwege gemessen. Er schaffte es aber nicht, in die Fußstapfen von Kopf zu treten, zu sehr blieb er dem welfischen, national-konservativen Milieu der Deutschen Partei (DP) verhaftet. Kein Wunder, lag hier doch auch seine zentrale Machtressource. Sein Wort in Hannover galt für die gesamte Partei. Als Hellwege seine DP auch in ganz Deutschland verankern wollte, nahm er dem Landesverband dessen spezifisch niedersächsisch geprägte Identität. Die DP wurde zwischen Ems und Elbe zur Randpartei. Die Amtszeit von Hellwege ebnete somit ungewollt den Siegeszug der sammelnden und integrierenden Christdemokratie, die bald das gesamte bürgerlich-konservative Spektrum verband. Der damit verbundene Rückzug regional tief verankerter Kleinparteien vereinfachte die politische Willensbildung in Hannover. Durch die Etablierung des Dreiparteiensystems erhielt das Ministerpräsidentenamt zusätzlichen Einfluss. Dieser konnte allerdings noch nicht mit aller Macht genutzt werden, das Vertrauen zwischen den nunmehr in neuen Formationen auftretenden Akteuren galt als noch nicht gefestigt.

Für diese Situation war Georg Diederichs die optimale Lösung. Er war über die Parteigrenzen hinweg anerkannt, ohne im Stile des trinkfesten und kumpelhaften Kopfs aufzutreten. Als bürgerlicher Sozialdemokrat mit intellektueller Schlagseite und dem Habitus eines englischen Gentlemans brachte er einen neuen Stil in die niedersächsische Politik. Mit Diederichs zogen präsidiale Würde und Zurückhaltung sowie altbürgerliche Bildung in die Staatskanzlei. Im Schatten seines ausgleichenden und integrierenden Regierungsstils verfestigten sich die Parteiformationen im Land zusehends. Die Parteien nutzten die Freiräume zum Aufbau und zur Verstetigung ihrer Organisationen. Obwohl Diederichs wie gesagt die Volkstümlichkeit Kopfs fehlte, gelang es ihm, die Bevölkerung für sich zu gewinnen, etwa wenn er sich bei seinen Kreisbereisungen58 mit den Menschen vor Ort traf. „Diederichs reiste nicht, wie etwa ein bayrischer Ministerpräsident als ‚Ersatzkönig'. Er kam als Ministerpräsident und nach dem Ende der offiziellen Programme setzte er sich gern als Bürger zu den Bürgern, aber nicht als ‚Schorse' oder ‚Kumpel'“, so treffend seine Biografin Hannah Vogt.59 Den Titel des „Landesvaters“ lehnte Diederichs trotzdem ab: „Es ist sicher charakteristisch, daß Diederichs, sooft man ihn später als ‚Landesvater' apostrophierte, diese Bezeichnung freundlich abwehrte, denn sie komme seinem Vorgänger zu, er selbst sei allenfalls ein ‚Landesstiefvater'.“60

Dieses Amtsverständnis teilte sein Parteifreund Alfred Kubel in der Form nicht. Er nutzte die Professionalisierung der Landespolitik, um dem Ministerpräsidentenamt mehr politischen Einfluss zu geben. Während seiner Amtszeit zentrierte er zahlreiche Entscheidungsprozesse auf seine Person, baute die Staatskanzlei zu einem Machtzentrum aus und gerierte sich als stets informiert und diszipliniert arbeitender Kärrner.61 Damit lässt sich Kubel als erster Landesmanager in Niedersachsen bezeichnen. Sein Einsatz für die Hannover Messe, die Reform von Verwaltung und Gebietszuständigkeiten, die Neustrukturierung der Bildungslandschaft sowie für einen Bund-Länder-Finanzausgleich stehen exemplarisch für die Verve, mit der Kubel versuchte, Niedersachsen einen Stoß in Richtung Moderne zu geben. Er lag damit „im Trend der Zeit“, denn die deutsche Politik der 1970er Jahre war „von Planungseifer und Reformdrang geprägt“.62

Die Amtszeit Kubels, spätestens die Amtszeit Ernst Albrechts, markiert einen doppelten Wendepunkt: Einerseits wurde das Amt durch die drei bereits genannten Entwicklun-gen, die die Ministerpräsidenten zu medial und formal mächtigeren Akteuren im Bund werden ließen, deutlich aufgewertet. Andererseits schienen Fragen des niedersächsischen Staatsverständnisses vermehrt zur Fußnote zu werden bzw. zur Symbolpolitik zu verkommen, während gleichzeitig der Wettbewerb zwischen den Ländern, bedingt durch die unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung63, an Schärfe gewann. Immer stärker mussten sich Ministerpräsidenten auf das Management von Politikprozessen in einem überregionalen und nationalen Wettbewerb konzentrieren. Ernst Albrecht tat dies und besitzt deshalb deutliche Konturen eines Landesmanagers. Doch wollte er seine Politik auch mit landesväterlichen Zügen, vor allem hinsichtlich des Heimatbzw. des niedersächsischen Identitätsgedankens, schmücken. Trotz zahlreicher Initiativen in diesem Bereich64 und obwohl er gerade medial deutschlandweit eine sehr beachtete Rolle spielte, lässt sich sein Führungsstil gerade aufgrund seiner im bundespolitischen Länderwettbewerb aggressiveren Rolle eher dem eines Managers als dem eines Mediencharismatikers bzw. eines Landesvaters zuordnen.65

Ernst Albrecht war im Übrigen der letzte niedersächsische Ministerpräsident ohne eine ausgeprägte Parteikarriere vor seiner Wahl. Nach ihm war ein Aufstieg in das Amt ohne lange Parteisozialisation nicht mehr möglich. Sichtbar war der Machtzuwachs der Parteien während seiner Amtszeit vor allem an der Rolle des Machtmaklers. So ist bei einem Vergleich der Amtszeiten von Ernst Albrecht und Christian Wulff in ihrem Verhältnis zur Partei eine auffällige Gemeinsamkeit zu erkennen: Beide standen für ein überparteiliches Amtsverständnis. Aus diesem Grunde benötigten sie loyale Machtmakler, die ihnen im christdemokratischen Milieu und in der Partei den Rücken freihielten. Wulff installierte den scharfzüngigen Fraktionsund späteren Landesvorsitzenden David McAllister, der die Schwächen Wulffs gekonnt ausglich und die Reihen in der Partei und in der Fraktion eng beisammen hielt. Bei Ernst Albrecht wiederum ging diese Aufgabe an den volksnah auftretenden CDU-Landesvorsitzenden Wilfried Hasselmann. Wulff und Albrecht wussten genau, was sie an ihren Machtmaklern hatten, und ließen sie daher auch gewähren. Auf diese Weise konnten beide eine überparteiliche, präsidiale und durchaus auch liberalere Politik durchsetzen, als es vielen an der Basis des im Kern konservativen Landesverbandes recht war. Der Unterschied in der Rollenzuschreibung von Albrecht und Wulff liegt darin, dass beide zu Beginn ihrer Amtszeit stark reformorientiert arbeiteten, aber Wulff im Gegensatz zu Albrecht im späteren Verlauf seiner Karriere die überparteiliche Rolle nutzte, um landesväterliche Reden über die Bedeutung des Ausgleichs, des Kompromisses und der Heimat zu halten.

Zwischen Gerhard Schröder und der niedersächsischen SPD kann man ebenso von einem schwierigen Verhältnis sprechen. Es war instrumentell geprägt: Für Schröder war das Amt des Ministerpräsidenten eine Basis, von der er weitere Aufstiegsmöglichkeiten sondieren konnte. Dazu versuchte Schröder, den Parteiapparat zu domestizieren. Mit zahlreichen Alleingängen in der Landespolitik, in der Partei und im Bundesrat inszenierte er sich als Alleinherrscher der niedersächsischen SPD sowie als Hoffnungsträger der SPD im Bund. Die medialen Möglichkeiten seines Amtes nutzte er dafür in voller Bandbreite. Schröder wusste um sein charismatisches Auftreten und machte deshalb für sich von der Macht der Öffentlichkeit Gebrauch. Diese Rolle des Mediencharismatikers ließ sich auch in seinem späteren Amt als Bundeskanzler beobachten.66

Bei aller Unterschiedlichkeit in der persönlichen Zielsetzung oder im Stil der Amtsführung hatten Albrecht, Schröder und Wulff eines gemein: Sie haben sich von ihrer Partei offenbar immer wieder bewusst abgesetzt. Alle drei nutzten die überparteiliche Komponente des Amtes und entflohen auf diese Weise den schlechten Imagewerten der Partei(politiker). Gleichzeitig haben sie so über die Flexibilisierung ihrer Entscheidungsmöglichkeiten zur Absicherung ihrer Macht beigetragen. Wulff wie Schröder nutzten die Klaviatur des Ministerpräsidentenamtes voll aus, mal waren sie joviale Landesväter, mal zupackende Regierungschefs, mal „Oppositionsführer“ im Bundesrat gegen die Bundesregierung. Sie alle profitierten von ihren Amtsvorgängern, die viele der politischen Zugriffsmöglichkeiten erst installiert hatten.

Dass gerade die zahlreichen parteipolitischen Verflechtungen nicht immer vorteilhaft sein können, verspürte bspw. Gerhard Glogowski, der vom langjährigen Oberbürgermeister der Stadt Braunschweig zunächst zum Innenminister und stellvertretenden Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen und schließlich zum niedersächsischen Ministerpräsidenten aufstieg. Er blieb seinem Braunschweiger SPD-Milieu und dessen traditioneller Gepflogenheit des „Geben und Nehmens“ eng verbunden und versuchte, seinen Einfluss auf die Politik im Land sowie seinen Rückhalt stets über seine politische Heimat zu erhalten. In Braunschweig kannte er sich aus, hier war er zu Hause und konnte seine Truppen jederzeit sammeln. Diesen in Braunschweig gelernten akkomodierenden Führungsstil versuchte er in das Amt des Ministerpräsidenten zu übernehmen. Doch blieb er dabei den auf wechselseitige Abmachungen funktionierenden Parteistrukturen so stark verhaftet, dass er nach nur wenigen Monaten über eine in den Medien aufgeblähte Affäre stolperte.

Sein Nachfolger Sigmar Gabriel wiederum kämpfte mit einem regierungsmüden SPDLandesverband, der zusätzlich unter der unpopulären Regierungspolitik des Bundeskanz-lers Schröder litt. Immer wieder musste Gabriel als Motivator im Landtag in die Bütt und vernachlässigte so die repräsentative Seite seines Amtes. Der Goslarer oszillierte zwischen einer einzelgängerischen Machermentalität und dem Versuch, die Partei mit ins Boot zu holen. Das Verhalten wirkte im Verhältnis zu seinem souverän auftretenden Kontrahenten Wulff zu flatterhaft. Gabriels Führungsstil ist eher dem seines Vorvorgängers, dem Mediencharismatiker Gerhard Schröder, zuzuordnen. Immer wieder unternahm er direkte und überraschende Vorstöße, die auch mediale Aufmerksamkeit zum Ziel hatten. Gabriel musste sich im Land bekannt machen, denn nach dem Rücktritt von Glogowski blieben ihm nur noch zwei volle Jahre Zeit, um dem Wahlvolk seine Visitenkarte zu übergeben. Die Landtagswahl geriet für Gabriel allerdings zu einem Debakel, primär bedingt durch bundespolitische Einflüsse im Zuge der von der SPD forcierten Einführung der Agenda 2010, jedoch auch beeinflusst von eigenen Wahlkampffehlern, wie der innerhalb von ein paar Tagen zurückgezogenen Ankündigung, eine Vermögenssteuer durchsetzen zu wollen.

Dem überparteilich agierenden Wulff folgte sein vormaliger Machtmakler David McAllister mitten in der Legislaturperiode in die Staatskanzlei. Der schützenfesterprobte Niedersachse mit schottischen Wurzeln hatte knapp zwei Jahre Zeit bis zur nächsten Landtagswahl. In diesem Zeitraum wurde das Profil des jüngsten niedersächsischen Ministerpräsidenten nicht klar erkennbar. Er eignete sich Züge eines „junggebliebenen“ Landesvaters an: McAllister ließ den Ministern mehr Raum für eigene Projekte, war unermüdlich im Land unterwegs, profilierte sich nicht gegen die Bundesregierung und blieb inhaltlich – wie u.a. das Beibehalten der im Land unbeliebten Studiengebühren zeigt – im Wesentlichen auf der Linie seines Vorgängers; seinen Hang zur scharfen Rhetorik legte er ab und polarisierte deutlich weniger als in den Jahren zuvor als Fraktionsvorsitzender.67 Die durchgehend hohen Beliebtheitswerte68 seiner Person lassen darauf schließen, dass der volksnahe, im Gegensatz zu seinem Vorgänger pompöse Auftritte meidende Stil erfolgversprechend war.69 Jedoch bedarf es in einem politisch differenzierten Flächenland, wie es Niedersachsen ist, mehr Zeit für die Etablierung – McAllister verlor die Landtagswahl im Januar 2013 hauchdünn.70

 
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