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Soziale Arbeit und Stadtentwicklung
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4 Eine Gegenüberstellung von Sozialraumanalyse und PartizipationTable of Contents:
Die Instrumente Sozialraumanalyse und Partizipation werden einander abschließend anhand konkreter, bereits eingangs formulierter Fragestellungen vergleichend gegenübergestellt. Ausgehend von den beschriebenen praktischen Beispielen aus Wien, wird dabei auch wieder eine allgemeinere Reflexionsebene erreicht. 4.1 Wer kann erreicht und einbezogen werden?Bei beiden Instrumentarien müssen Überlegungen zur Größe des Einzugsgebiets und zu den betroffenen Gruppen angestellt werden. Neben der Wohnbevölkerung sind zumeist auch andere VerkehrsteilnehmerInnen und NutzerInnen einzubeziehen. Manche öffentlichen Räume besitzen zudem gesamtstädtische Bedeutung und sind daher noch komplexer in ihrer Nutzungsvielfalt. Gerade bei einem großen Einzugsgebiet und vielen verschiedenen betroffenen sozialen Gruppen ermöglicht eine Sozialraumanalyse eine systematische Erfassung verschiedenster potenzieller NutzerInnengruppen und ihrer Bedürfnisse. Dabei werden auch die Bedürfnisse von Menschen thematisiert, die einerseits einen besonderen Anspruch an den öffentlichen Raum haben, da sie verstärkt auf diesen angewiesen sind, andererseits aber oft weniger artikulationsstark sind, wie marginalisierte Gruppen oder Jugendliche. Unter anderem auch deshalb ist eine kleine sozialräumliche Analyse im Vorfeld von Beteiligungsprozessen möglich und empfehlenswert. Bei Beteiligungsprozessen ist es nach einem sozialraumanalytischen Zugang leichter, verschiedene zielgerichtete Angebote und Methoden systematisch anzubieten, um unterschiedliche Gruppen auch tatsächlich einbeziehen zu können, sowohl bei der Aktivierung als auch bei der Durchführung. In diesem Zusammenhang kann das Ansprechen von bestimmten Zielgruppen über spezifische Institutionen und Organisationen sinnvoll sein, aber auch die Arbeit mit VertreterInnen oder MultiplikatorInnen. 4.2 Wie können verschiedene Interessen identifiziert und ausgehandelt werden?Durch Sozialraumanalysen können unterschiedliche Interessen identifiziert und sichtbar gemacht werden, sie bieten aber keinen Raum dafür, diese untereinander auszuhandeln. In Beteiligungsprozessen ist die Diskussion und Aushandlung von Interessenslagen hingegen möglich, was demokratiepolitisch von Bedeutung ist, aber auch in Bezug auf die Identifikation der Menschen mit dem Raum und den jeweiligen Neugestaltungen. Manche Bedürfnisse werden aber unter Umständen nicht identifiziert oder weniger gehört. Der Antrieb für die Beteiligung liegt häufig auch in Skepsis und Angst vor Veränderungen, was eine große Herausforderung für die Begleitung und Moderation von Diskussionen in Partizipationsverfahren darstellt, insbesondere wenn es darum geht, Raum auch gemeinsam innovativ bzw. experimentell zu gestalten. Artikulation und Mitsprache sind zudem in der Regel für MigrantInnen und bildungsferne Gruppen schwieriger. Die bewusste Stärkung von artikulationsschwächeren Gruppen kann daher auch als Aufgabe der Prozessverantwortlichen gesehen werden. 4.3 Wie wirken Bottom-upund Top-down-Entscheidungsmechanismen zusammen?Interviews, Gespräche und Beteiligungsprozesse wecken Erwartungen, denen die Logiken realer Abläufe in Politik und Verwaltung häufig entgegenstehen. Sozialraumanalyse und Partizipation sind Grundlage für Planung und Politik, ersetzen aber deswegen noch nicht fachliche oder politische Entscheidungen. Wesentlich ist es daher, während des gesamten Prozesses klar zu definieren, wer wann und worüber entscheidet, und wann und wie beispielsweise die Politik, die Verwaltung und externe ExpertInnen in einen Prozess einbezogen werden. Die Verwaltung hat im allgemeinen Erfahrung mit bewährten Lösungen und vertritt in der Regel keine bestimmte Gruppe, wobei verschiedene Interessensgruppen dennoch mehr oder weniger stark Einfluss nehmen können. Die beauftragte Planung soll die NutzerInnen-Interessen aufnehmen, gleichzeitig aber auch eine gewisse gestalterische Innovation bringen. Die Politik trifft in erster Linie einige der grundsätzlichen Entscheidungen, insbesondere in Bezug auf den Kostenrahmen und die Finanzierung, aber auch darüber, welche Funktionen der öffentliche Raum vorrangig erfüllen soll – ob kommerzielle, transitorische oder Aufenthaltsfunktionen – bzw. wer das Recht erhält, in Diskussionsprozesse einbezogen zu werden und über die Gestaltung des öffentlichen Raums mitzuentscheiden. Die Durchführung einer BürgerInnenbeteiligung ermöglicht es prinzipiell, Entscheidungen „nach unten“ zu verlagern, allerdings ist eine transparente Kommunikation über Zuständigkeiten und Entscheidungsfindungen unbedingt erforderlich. 4.4 Spannungsfeld zwischen Emanzipation und Steuerung in BeteiligungsprozessenPartizipation ist auch für die Legitimierung politischer Entscheidungsprozesse wichtig – aufgrund der höheren Akzeptanz auf der einen und aufgrund der höheren Effizienz auf der anderen Seite. Partizipation als Governance-Strategie ermöglicht den Umgang mit differenzierten Interessen und die Delegation von Entscheidungsverantwortung. Manchmal dient sie dabei auch als „Beschäftigungsprojekt“ für die BürgerInnen: Politische Verantwortung wird nach unten verlagert, Aushandlungsprozesse werden auf lokale AkteurInnen „abgewälzt“ und Partizipation dafür instrumentalisiert, von übergeordneten Zusammenhängen und Ursachen für Transformationsprozesse abzulenken (vgl. „Responsibilisierung“ und „Territorialisierung“ in Kessl/Reutlinger 2007, S. 10f.). Auf diese Weise instrumentalisierte Formen von Partizipation stehen im krassen Gegensatz zu emanzipatorischen und demokratiepolitischen Ansprüchen im Rahmen der BürgerInnenbeteiligung. Partizipation als tatsächlich emanzipatorische Strategie würde allerdings längere und in die Tiefe gehende Prozesse erfordern, die als Lernund Aushandlungsprozesse verstanden werden. Bei längeren Prozessen besteht jedoch wiederum die Gefahr, dass Gruppen und AkteurInnen, die artikulationsschwächer sind, noch schwerer integriert werden können, während es „beteiligungsgeübten“ AkteurInnen noch leichter fällt, ihre Interessen einzubringen. Bei stärker prozesshaft gestalteten Beteiligungsprojekten ist es darüber hinaus eine besondere Herausforderung, Ergebnisse effizient und übersichtlich zu sichern, obwohl sich die vorhandenen Interessen sehr differenziert darstellen. 4.5 Rolle der beauftragten ProzessverantwortlichenDie Zuständigkeit der Prozessverantwortlichen betrifft – allgemein gesprochen – Konzeption und Durchführung von Sozialraumanalysen und Partizipationsprozessen. Darüber hinaus sind ihre Aufgaben auch das Aufzeigen unterschiedlicher Interessensgruppen und Interessenslagen, insbesondere die Stärkung der Artikulationsschwächeren, bei Beteiligungsprozessen zudem die Moderation und Vermittlung. Eine besondere Herausforderung ist häufig das Einbringen von planerischem Know-how, ohne dadurch die Planung vorwegzunehmen oder einzuschränken, sowie das Fungieren als Schnittstelle zu Planung und Politik, das zum einen durch eine verständliche Darstellung und Vermittlung der Ergebnisse für BürgerInnen, Politik und Verwaltung erreicht werden kann, zum anderen nach Möglichkeit durch die Begleitung des weiteren Planungsund Umsetzungsprozesses. Obwohl sie prinzipiell nicht einzelnen Gruppen oder Interessen verpflichtet sind, unterliegen allerdings auch die Prozessverantwortlichen eigenen Verwertungslogiken – beispielsweise in Bezug auf die Maßstäbe für „erfolgreiche“ Projekte. Eine mögliche Aufteilung der Rollen unter mehreren Personen kann die Rollentransparenz der Verantwortlichen erhöhen. 4.6 Einsatz von Sozialraumanalysen und / oder Beteiligungsprojekten?Kleine Sozialraumanalysen sind vor jedem Beteiligungsprozess sinnvoll. Bei komplexen Situationen sollten auf jeden Fall größere Sozialraumanalysen durchgeführt werden – d.h. bei höheren Maßstabsebenen, komplexeren räumlichen Gegebenheiten, der gemeinsamen Betrachtung eines Netzes an öffentlichen Räumen, der Existenz vieler unterschiedlicher, unter Umständen konfligierender NutzerInnengruppen, einer gesamtstädtischen Bedeutung des Untersuchungsraums sowie NutzerInnen, die weniger lokal eingebunden sind, z.B. TouristInnen, RadfahrerInnen, Individualverkehr etc. Sozialraumanalysen sind jedoch kein Ersatz für Partizipationsprozesse. |
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