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3 Armut und geschlechtersensible differenzierte Beteiligung an kommunalen Planungsprozessen

Obwohl gesetzlich vorgeschrieben, ist die Frage der Beteiligung der Wohnbevölkerung an Planungsprozessen also weder programmatisch auf der kommunalen Agenda angekommen noch theoretisch genauer beleuchtet worden. Es gibt einige wenige Materialien zu Methoden (hervorzuheben ist die Stiftung Mitarbeit, oder auch FOCO-Forum für Community Organizing e.V, z.B. FOCO/Stiftung Mitarbeit 2014) und auch zur Theorie (z.B. Stange 2007) – aber ohne die notwendigen kategorialen Differenzierungen (diversity Geschlecht) In der Praxis vielfältiger Projekte wird deutlich, dass unterschiedliche Bevölkerungsgruppen je nach ihren Lebenslagen für die Belange des Gemeinwesens unterschiedlich ansprechbar sind, entsprechend unterschiedliche Interessen artikulieren und dass eine Verbesserung der Lebenssituation für die verschiedenen Gruppen unterschiedliche Kriterien favorisieren muss. Hierbei sind nicht zuletzt die geschlechterbezogenen Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Mit der verbindlichen Forderung des Gender Mainstreaming als kommunale Aufgabe, die als Querschnittsaufgabe alle Bereiche der kommunalen Entwicklungen betrifft, ist hier ein Gebot gesetzt (Amsterdamer Vertrag 1999; Deutscher Städtetag 2003. Hier findet sich also ein Schnittpunkt der Forderung nach Beteiligung in allen Planungsprozessen mit der Forderung nach Geschlechterberücksichtigung und Erhöhung der Chancengleichheit im Geschlechterverhältnis. Das Postulat der geschlechtersensiblen Beteiligung ist z.B. im Kinderund Jugendhilfegesetz (KJHG §9,3, §78-80) und im Baugesetz (vgl. §1, Abs.6, insbesondere Nr. 2, 3ff.) bereits gesetzlich festgelegt. In Baden-Württemberg finden sich weitere Konkretionen im Landesausführungsgesetz zum KJHG (§12, Abs. 7), das für Mädchen und Jungen explizit Ziele zur Chancengleichheit ausdifferenziert, und im 2005 verankerten Gesetz zur Verwirklichung der Chancengleichheit von Frauen und Männern im öffentlichen Dienst.

Die Praxis sieht jedoch anders aus. Zum einen hat u.a. Munsch (2003) nachgewiesen, wie leicht auch partizipative Verfahren zur Ausgrenzung planungsungeübter Menschen führen können, wenn keine diese Gruppe besonders berücksichtigenden Verfahren gewählt werden. Die üblichen Verfahren bei Bau-, Grünflächenund Wohnungsplanungen beschränken sich in der Regel auf die Möglichkeit zur Einsichtnahme in ausgelegte Pläne und eine öffentliche Anhörung. Wer sich nicht auskennt, kann nicht mitreden. Zum andern gibt es noch seltener Bemühungen, geschlechtersensible Planungsverfahren anzuwenden.

Die Jugendhilfeplanung kennt mancherorts interaktivere Verfahren, die auch weniger formal angelegt sind. So gab es nach der Einführung der Jugendhilfeplanung als kommunale Pflichtaufgabe (KJHG 1991 in Deutschland) auch einige wegweisende geschlechterreflektierende Projekte (Bsp. Schimpf/Leonhardt 2004, Bitzan 1999) – aber diese Bemühungen sind angesichts der Ermüdung der Geschlechterdebatte eingeschlafen. Damit hat sich die Notwendigkeit eines solchen Blickwinkels jedoch keineswegs erledigt.

Kleine empirische Einblicke, die wir vor allem in Qualifizierungsarbeiten der letzten Jahre gewonnen haben, zeigen, dass Frauen in der Regel sehr genau wissen, was in ihrem Wohngebiet und in ihrem Alltag unzulänglich ist und welche Probleme welche sinnvollen Neuerungen indizieren würden. Aber viele Bewohnerinnen benachteiligter Stadtteile machen die Erfahrung, dass ihr eigenes Erleben ihres Stadtteils bei Planungsvorhaben wenig gefragt ist.[1] So wissen sie in der Regel, was es zu tun gäbe, welche Stärken ein Gebiet aufweist, das von außen häufig unter negativen Stigmatisierungen zu leiden hat. „... wenn dann so ein paar einige Sachen hier verändert würden, wäre es, dann wäre es vielleicht auch, weil so schlimm ist eigentlich nicht, wie es sich anhört“, sagt eine Bewohnerin, die im Rahmen eines Soziale Stadt-Projekts befragt wurde (Komarek/Schott 2006, S. 138). Viele wissen nicht, wie sie sich von sich aus beteiligen können oder sind so in ihre Alltagsaufgaben eingebunden, dass sie dafür erst einmal Freiräume benötigten. Nach ihren Handlungsspielräumen gefragt, äußerten zwei Frauen: „Weil ganz einfach, wir Frauen werden nicht, nicht ordentlich bezahlt für den gleichen, für die gleiche Arbeit und da geht's los. Wir Frauen werden, egal ... in welchen Situationen, wir werden irgendwo meiner Meinung nach immer irgendwo zurückgestellt.“ Und: „Ich fühl mich einfach als allein erziehende Mutter hier doch noch mal einen ganzen, ganzen großen Schritt zurückgesteckt.“ (A.a.O., S. 106).

Beteiligung braucht also Vorwissen und angepasste Rahmenbedingungen, um den weniger Geübten gerecht zu werden (vgl. Bitzan 2001 und 2011). Ein gesonderter Bezug auf Frauen[2] schafft die Möglichkeit zu sehen, welche Rahmungen sie brauchen, um sich zeigen und artikulieren zu können. Dabei spielen Prozesse des „Sich-selbst-wichtig-Nehmens“, vermittelt durch Erfahrungen von Anerkennung durch andere, z.B. durch kommunale VertreterInnen, eine wichtige Rolle.

Konzepte der Handlungsfähigkeit (vgl. Bitzan/Bolay 2013) und der Selbstwirksamkeit geben hierzu einen theoretischen Rahmen vor. Ihre Bedeutung für subjektive Kompetenzgewissheit wurde um die Ebene der kollektiven Überzeugungen erweitert (vgl. Bandura 1997). Bei der kollektiven Selbstwirksamkeitserwartung geht es primär um die Einschätzungen der Gruppen-Selbstwirksamkeit, die sich aus der Koordination und Kombination verschiedener Ressourcen zu einem gemeinsamen Wirkungspotenzial ergeben[3] (vgl. Jerusalem 2002, S. 8 in Nonnenmacher 2007, S. 83). „Um Selbstwirksamkeitsprozesse aktivieren zu können, bedarf es meines Erachtens zunächst eines Ortes, an dem die individuellen Fähigkeiten und Kompetenzen von Frauen gestärkt werden können, der gleichermaßen die subjektiven Lebenszusammenhänge der Frauen erkennt, sowie darüber hinaus einen organisatorischen Rahmen (...) bildet.“ (Ebd.)

  • [1] Die Betonung der Unterschiede zwischen Frauen und Männern soll nicht dazu führen, dass die zum Teil beachtlichen Unterschiede zwischen Angehörigen des „gleichen“ Geschlechts übersehen werden. Die Unterschiede sind nicht nur abhängig von der sozialen und kulturellen Herkunft, der sexuellen Orientierung, der körperlichen Ausstattung, der Ausbildung und dem Alter, sondern auch von der jeweiligen individuellen Entwicklung. Es stellt daher eine besondere Herausforderung dar, die Individualität und das Entwicklungspotenzial jedes einzelnen Menschen wahrzunehmen und in die Analyse des jeweiligen sozialen Problems gleichzeitig die unterschiedlichen Machtverhältnisse, die alle Angehörigen einer – diskriminierten – Gruppe (wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß) treffen, einzubeziehen. (vgl. zur Problematik der Operationalisierung von Kategorienvielfalt tifs e.V. i.E.)
  • [2] Dieser Punkt könnte auch auf Männer bezogen werden, hierfür liegen allerdings noch weniger Arbeiten vor; ein Beispiel: die Untersuchung zur Situation von Vätern in einem sozial belasteten Stadtteil von De Bartolo 2011
  • [3] Vereinfachend lässt sich nach den Vorstellungen der Selbstwirksamkeitstheorie folgende These formulieren: Menschen ergreifen die Initiative, wenn sie davon überzeugt sind, die notwendigen Handlungen ausführen zu können, und wenn sie zugleich sicher sind, dass diese Handlungen zu den angestrebten Ergebnissen führen. diss.fu-berlin.de/diss/servlets/MCRFileNodeServlet/FUDISS_derivate_000000000271/03_kap2.pdf?hosts=, S.11f. (12.1.2012)
 
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