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2 Kommunale Planung und Gender

Noch wenig üblich ist es, die kommunalen Ressortgrenzene zu überschreiten und Erfahrungen der GWA in Verbindung mit solchen Planungsprozessen zu bringen, die sich auf bauliche oder infrastrukturelle Maßnahmen beziehen. Außerhalb des „Soziale-Stadt“-Programms sind vonseiten der Verwaltung noch kaum Initiativen hierzu vorzufinden. Erst recht aber fehlt den professionellen Planungs-Akteuren die notwendige Gender-Kompetenz, um Beteiligung entsprechend den politischen und fachlichen Anforderungen des Gender Mainstreaming und des Diversitätsgebots einzulösen.

Gender-Kompetenz bezeichnet die Fähigkeit von Personen, bei ihren Aufgaben Gender-Aspekte zu erkennen und gleichstellungsorientiert zu bearbeiten.

Gender-Kompetenz setzt sich aus drei Elementen zusammen: Für das Wollen bedarf es einer individuellen Haltung bzw. des politischen Willens, potenziellen Diskriminierungen entgegenzuwirken. Dieser Wille schlägt sich in Leitorientierungen für einzelne Ressorts nieder. Gender-Wissen bezeichnet die Verknüpfung des Wissens über Lebensbedingungen von Frauen und Männern mit dem jeweiligen Fachwissen in den entsprechenden Verwaltungsbereichen. Dieses Wissen erfordert auch die Anstrengung, Ist-Analysen vorzunehmen und alle Handlungsbereiche zu überprüfen. Das Beherrschen von Methoden und Umsetzungswegen, das „Können“, ist der dritte Faktor (vgl. GenderKompetenzZentrum 2011).

„Gender-Kompetenz“ ist also eine Anforderung an alle im kommunalen Raum Handelnden, mit dem Ziel, sensibel für Geschlechterverhältnisse und deren Wirkungen im Alltag zu werden und zu erkennen, wie geschlechterstrukturelle Bedingungen Lebenschancen und -entwürfe bestimmen. Unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten muss eine Kommune dabei drei Zielrichtungen beachten: den Abbau von Benachteiligungen (Anti-Diskriminierung), gleiche Teilhabe (Partizipation) und eine selbstbestimmte Lebensgestaltung von Frauen und Männern (echte Wahlfreiheit).

Für die Kommunen als Akteure gilt dies für alle öffentlichen Handlungsfelder – d.h. ganz besonders für kommunale Planungsprozesse. „Gender-Planning“ beachtet die Geschlechterperspektive in allen Phasen der fachlichen, räumlichen und zielgruppenbezogenen Planungen und bezieht sich sowohl auf gendersensible Analysen als auch Beteiligungen.[1] Dabei geht es nicht nur um die Berücksichtigung materieller Ziele, sondern auch um die Gestaltung der Strukturen und Prozesse. Die Anforderungen beziehen sich auf Stadtplanung, Wohnungsversorgung, Stadtteilentwicklung und auch auf den Umgang mit den verschiedenen Altersgruppen und mit sozial Benachteiligten in belasteten Wohngebieten. Die gender-Perspektive sollte darüber hinausgehend verbunden werden mit der Sensibilität für weitere Hierarchielinien – diversity – und damit über Geschlecht hinausgehende weitere Beteiligungsbzw. Ausschlussmechanismen reflektieren (z.B. Hoeft u.a. 2014, Planungsrundschau 21, 2014 oder mit speziellem Fokus: Hillmann 2011).

Freiburg i.Br. beispielsweise entwickelte den „GenderKompass Planung“[2], mit dem die Kommune auf allen Ebenen der (städte)baulichen Entwicklung (Flä-

chennutzungsplanung, Stadtteilrahmenplanung, Bebauungsplanung und Einzelobjekte) die sozialen Bedürfnisse und funktionalen Erfordernisse der verschiedenen BewohnerInnengruppen geschlechtergerecht beachten will. Viele Städte und Landkreise verabschiedeten beispielsweise Leitlinien für eine geschlechterge-rechte Jugendhilfe, womit sie sicherstellen wollen, dass im städtischen Raum hinreichend Angebote für Mädchen und Jungen zur Verfügung stehen.

In der GWA gab es schon früh ausgeprägte frauen(und männer-)bezogene Angebote der Quartiersarbeit. Hierbei ging es den Gemeinwesenarbeiterinnen vor allem darum, Frauen zunächst mit ihren Wünschen, Lebenslagen und Konflikten, die ein Alltag in einem unterprivilegierten Wohngebiet mit sich bringt, sichtbar zu machen. Darüber hinaus entwickelten sich stabile (selbst)organisierte Gruppen von Frauen, die sich vor Ort und teilweise auch überregional immer wieder trafen und versuchten, im Chor der kommunalen Aushandlungen eine hörbare Stimme zu werden (vgl. Rösgen u.a. 1987, Bitzan/Klöck 1994, Bitzan 1994). Diese Handlungsansätze sind in die neueren Diskussionen um Sozialraumorientierung, Partizipation und „citizenship“ innerhalb der Sozialen Arbeit fast gar nicht eingegangen.

Bei der Suche nach aktuellen Studien, die die Lebenssituation von Frauen und Mädchen bzw. Jungen und Männern in Stadtteilen, die als besonders belastet gelten, untersuchen und dabei die Frage der Beteiligung an Planungsprozessen fokussieren, zeigte sich, dass dieses Themenfeld explizit nur von wenigen Autorinnen und Autoren bearbeitet wird und dass über die Jahre hinweg nur sehr vereinzelt dazu publiziert wurde (z.B. Stövesand 2004, 2007, 2013; vgl. den Überblick über GWA von Stövesand/Stoik 2013).

Zwar lässt sich viel im Bereich allgemeiner Beschreibungen und Anforderungen an Quartiersentwicklung/Quartiersmanagement und sozialraumorientierte Planungen finden, Ergebnisse hinsichtlich erfolgreicher Beteiligungsprozesse (z.B. auch durch die Analyse von gescheiterten Prozessen) liegen aber kaum vor (eine Ausnahme ist z.B. Munsch 2003). Es ist zu hoffen, dass in den nächsten Jahren einige Studien hierzu veröffentlicht werden, denn aktuell ist bei einer Reihe von Projekten die Förderung durch das Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ ausgelaufen. Die übergreifende Auswertung des Programms auf Bundesebene bleibt im Hinblick auf unsere Fragestellung auffallend allgemein. Geschlechterdifferenzierende Studien bzw. Dokumentationen solcher Projekte gibt es noch weniger. Diese bewegen sich eher im Format von Einzelprojektbeschreibungen im Rahmen von Dokumentationen, präsentieren aber keine wissenschaftliche Auswertung. Zwar gibt es eine beachtliche Anzahl von geschlechterbewussten Mikroprojekten, insbesondere aus dem Kleinförderprogramm „LOS“, das seit 2009 umgeändert wurde in das Programm „Stärken vor Ort“ (ESF-Mittel zur Mitfinanzierung von Initiativen vor Ort) (z.B. interkulturelle Teestuben, mobiler Verkauf selbst genähter Kleidung, Beteiligung an Familienzentren), aber es finden zum einen kaum Maßnahmen statt, die Kontinuität und Systematisierung voranbringen würden, zum anderen finden sich keine Auswertungen, die den geschlechterbezogenen Zugang, Bedarf und Zuschnitt systematisch auswerten würden.

Insgesamt ist festzustellen, dass in diesem Bereich seit Jahren keine systematische Weiterentwicklung stattgefunden hat und eine Reflexionslücke markiert werden muss.

  • [1] Viele Beispiele hierfür finden sich z.B. in MAS 2006 und MASFS 2010
  • [2] freiburg.de/servlet/PB/show/1208299/GenderKompass_Planung09.pdf
 
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