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6 Recht auf Stadt in der südlichen Hemisphäre – Poor peoples movements und NGOs

Die Integrationskraft des Slogans Recht auf Stadt zeigt sich in der lokal sehr unterschiedlichen Zusammensetzung der Proteste. Im globalen Süden richten gut organisierte Landlosenund Besetzungsbewegungen Forderungen an lokale Regierungen und lehnen eine Vertretung, sei es durch NGOs, Regierungen oder Aktivist/innen aus den Industriestaaten, strikt ab.[1] Auch in den Zusammenschlüssen armer Hausbewohner_innen, die im Rahmen der Immobilienkrise aus ihren Eigenheimen in den USA geräumt werden und die sich im Bündnis „Right to the City Alliance“ zusammen geschlossen haben, dominieren die Bewohner_innen aus den verschiedenen Städten der USA. Ganz im Gegensatz zu den Bewegungen im deutschsprachigen Raum sind Teilnehmer_innen mit akademischem Hintergrund dort die absolute Ausnahme.

Weil auch wohlmeinenden Hilfsangeboten ein hierarchisches Verhältnis innewohnt, fordern die Bewegungen eine weitreichendere Perspektivübernahme ein. Sie formulieren auf diesem Wege den Anspruch, als Akteur_innen in der jeweiligen Situation ernst genommen zu werden und wehren sich gegen die Enteignung der eigenen Konflikte. Diesem Anspruch müssen sich auch die Bewegungen des globalen Nordens stellen, die einen „neuen Internationalismus“ (Gebhardt/Holm 2011) herzustellen versuchen. Die Frage nach der Repräsentation, die mit den Vorstellungen einer Arbeitsteilung gefasst werden, stellt sich in diesem Kontext unter veränderten Vorzeichen. Eine Vertretung und Formulierung der Forderungen kann nur durch die Beteiligten selbst geschehen. Bewegungen unter dem Banner des Rechts auf Stadt sind also damit konfrontiert, die eigene Struktur im Hinblick auf Machtverhältnisse und Privilegien hinterfragen zu müssen.

Doch auch außerhalb der Sphäre der Sozialen Bewegungen ist das Recht auf die Stadt als Forderung angekommen. Auch in Initiativen, NGOs und vereinzelten Regierungen gibt es Bemühungen, das Recht auf Stadt in aktuelle Politiken einzubeziehen. Seit den 1990er-Jahren wurden etwa im Rahmen der Habitat International Coalition (HIC) oder in Welt-Sozial-Foren Versuche unternommen, das Recht auf Stadt als ein kodifiziertes Recht umzusetzen. Regelmäßig stattfindende Konferenzen sind Ausdruck der internationalen Zusammenarbeit zu diesem Thema, einige Regierungen haben sie in ihre Gesetzgebungsund Reformverfahren aufgenommen. So enthält die brasilianische Verfassung seit 2001 ein Stadt-Statut, das ein kollektives Recht auf die Stadt anerkennt (vgl. Mayer 2011: 65). Auch in der EU und in einzelnen Städten sind Chartas in Kraft getreten, die auf eine Festschreibung des Rechts auf Stadt abzielen (vgl. ebd.).

Das kodifizierte Recht gibt Umsetzungsempfehlungen mit einer Positivliste einzelner Rechte, um so extreme Benachteiligungen auszuschließen. Durch eine derartige Verwendung sieht Mayer eine Gefahr der „Verwässerung und Entschärfung des Gehalts und der politischen Sprengkraft der Recht auf Stadt Forderung“ (Mayer 2011: 68). Indem Teilhabe im Rahmen des Bestehenden garantiert werden soll, wird die Perspektive der radikalen Gesellschaftsveränderung aufgegeben, die der Forderung nach dem Recht auf Stadt enthalten ist (vgl. ebd.). In Bezug auf Soziale Arbeit haben die verschiedenen Lesarten weitreichende Konsequenzen. Als Akteurin, die sich innerhalb rechtlich festgeschriebener Erbringungskontexte bewegt, muss sich die Soziale Arbeit fragen, welche der möglichen Perspektiven sie einnimmt und einnehmen kann.

  • [1] Ein anschauliches Beispiel findet sich in den Maßstäben, die die südafrikanische Organisation der Hüttenbewohner/innen Abahlali baseMjondolo an die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen und Einzelpersonen legt (vgl.: abahlali.org/node/1391 zuletzt abgerufen 3.11.2014)
 
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