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Soziale Arbeit und Stadtentwicklung
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1 Der stadtentwicklungsund hochschulpolitische KontextUniversitäten und Hochschulen sind in einem kommunalen und landespolitischen Kontext situiert, der ständigen Wandel unterliegt. Umgekehrt könnten Quartiere, Bezirke, Kommunen und Länder auch Hochschulen als starke Akteur/innen mit Ausstrahlung auf die Region erleben. Kooperationen suchen nach Verbindendem, gemeinsamen Zielen und Synergieeffekten zwischen Hochschule und Kommune. Unsere Überlegungen beziehen sich in erster Linie auf die (Kooperations-)Beziehungen zwischen der Alice Salomon Hochschule und der sie umgebenden städtischen Verwaltungseinheit: dem Bezirk Marzahn-Hellersdorf.[1] Die Alice-Salomon-Fachhochschule war eine traditionsreiche Einrichtung im bürgerlich geprägten Westberliner Szenebezirk Schöneberg, bevor sie – vor dem Hintergrund hochschulstrategisch geplanter Erweiterungen ihres Studienangebots und steigender Studierendenzahlen – auf einen neuen Standort angewiesen war. Mit der Entscheidung des Berliner Senats, die Hochschule sich nur in einem der Ostbezirke der Stadt neu ansiedeln und erweitern zu lassen erhoffte sich die Politik den strukturschwachen Ostteil der Stadt durch Entwicklungsimpulse zu stärken. Die Standortwahl fiel auf das neu zu errichtende Stadtteilzentrum des Ostberliner Bezirks Hellersdorf[2]. Der Bezirk Marzahn-Hellersdorf umfasst großflächige Einfamilienhausgebiete, aber auch die größten deutschen Plattenbaugebiete. Konzipiert infolge eines Beschlusses des VIII. Parteitags der SED 1971 zur Lösung der Wohnungsfrage in der DDR, wurden zwischen 1977 und 1989/90 die beiden Großsiedlungen Marzahn und Hellersdorf mit über 100.000 Wohnungen errichtet. Wie in allen Großsiedlungen der DDR, wurde auch hier die technologische Grundidee der industriellen Bauweise nach dem Konzept des komplexen Wohnungsbaus umgesetzt. So entstanden neben den Wohnungen zugleich auch Einrichtungen der sozialen Infrastruktur wie Kindertagesstätten und Schulen. Die Erschließung durch Sund U-Bahnlinien, Straßenbahnen und Straßen war gewährleistet (vgl. Fritsche/Lang 2007). Die Fläche für die „Helle Mitte“ um den U-Bahnhof Hellersdorf war schon in den ursprünglichen Planungen als Zentrum vorgesehen, aber bis zur Wende noch Brachland. Mitte der 1990er-Jahre wurde ein prominent besetzter städtebaulicher Wettbewerb ausgelobt. Ziel war die Schaffung eines urbanen Zentrums sowohl in städtebaulicher Hinsicht – ablesbar an den Arkaden, den Plätzen und Gassen – als auch bezüglich der Nutzung: Neben Einkaufswaren auch gesellschaftliche Einrichtungen vorgesehen. Das Herzstück der Anlage bildete der großdimensionierte Alice-Salomon-Platz, dessen Entwurf sich auf das Vorbild einer spanischen Plaza bezog: streng in der Formgebung, belebt durch Fußgängerund Verkehrsströme. An diesem zentralen Platz wurden in der Logik der Zentrumsidee das neue Rathaus des Bezirks und 1998 die Alice-SalomonFachhochschule angesiedelt (vgl. Duwe 1995). Abbildung 1: Blick auf die Großsiedlung Hellersdorf um 1995 Nicht nur das Wachstum Berlins – 10 Millionen Einwohner innerhalb eines kurzen Zeitraums waren für die Stadt prognostiziert worden – auch die sozialdemografische Entwicklung der Großsiedlungen verlief anders als angenommen. Im Jahr 1990 lebten hier mehr als 200.000 Menschen, darunter viele Akademiker/innen und Menschen in vergleichsweise hohen beruflichen Positionen sowie sehr viele junge Familien. Bis dahin boten die Neubauwohnungen, im Vergleich zu den nicht sanierten innerstädtischen Altbaubeständen, die Annehmlichkeiten von Zentralheizung oder Warmwasser und waren begehrt. Nach der „Wende“ jedoch eröffneten sich für diese Wohnbevölkerung neue Möglichkeiten auf dem Wohnungsmarkt und der Arbeitsmarkt erforderte eine großräumigere Mobilität. Die seit 1993 einsetzende Abwanderung erreichte ihren Höhepunkt 1997/98 mit einer jährlichen Quote von 3,5 %. Insgesamt reduzierten sich die Einwohnerzahlen zwischen 1995 und 2006 um nahezu 30%. Die Abwanderungsbewegung ging mit einem im Berliner Vergleich besonders rasanten Anstieg des Durchschnittsalters der Bevölkerung einher. Im Zeitraum von 1991 bis 2007 verringerte sich die Zahl der Kinder unter sechs Jahren von rund 30.000 auf rund 12.000, parallel dazu sanken die Schüler/innenzahlen. Mehr als 100 Standorte der sozialen Infrastruktur für Kinder und Jugendliche mussten aufgegeben werden (vgl. Gruppe Planwerk, 2007: 35-40; Herden 2007). Das Monitoring Soziale Stadtentwicklung zeigt für die Großsiedlungen Marzahn-Hellersdorf einen überproportional hohen Anteil an sozialen Problemlagen wie Arbeitslosigkeit, Bezug von Transferleistungen und Kinderarmut (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt 2014). Hier lebt im Vergleich zum Bundesdurchnitt ein sehr hoher Anteil an minderjährigen und alleinerziehenden Müttern und hier findet sich die höchste Quote an sonderpädagogischem Förderungsbedarf im frühen Kindesalter und die höchste Falldichte im Bereich von Hilfen zur Erziehung festgestellt (Kommunalpolitisches Forum 2010). Die Einwohnerzahl, die in Marzahn-Hellersdorf seit Mitte der 1990er-Jahre stetig sank, steigt indessen seit 2010 deutlich an (Bezirksamt MarzahnHellersdorf 2014). Sicher haben die umfangreichen Förderund Investitionsleistungen, die in den 1990er-Jahren zur Fertigstellung und standardmäßigen Anpassung des Wohnungsbestands, des Wohnumfelds und der öffentlichen Infrastruktur eingesetzt wurden, dazu beigetragen (Fritsche/Lang 2007). Vor allem aber führen inzwischen die innerstädtischen Mietsteigerungen zu einer Verdrängung von Bewohner/innen in die preiswerteren Wohnungsbestände an den Stadträndern. Wohnungsleerstände gehören nunmehr der Vergangenheit an und das Angebot an Kitaund Schulplätzen bedarf dringend einer Kapazitätssteigerung; denn bei den Zuziehenden handelt es sich zumeist um Familien mit Kindern. Diese haben in der überwiegenden Mehrzahl ein geringes Einkommen und viele haben einen Migrationshintergrund. Die weitere Entwicklung der Großsiedlun- gen Marzahn-Hellersdorf bleibt schon allein deshalb eine Herausforderung, aber auch aus städtebaulicher Sicht. Beispielhaft soll dies anhand des Bereichs um die Hellersdorfer Promenade und die Helle Mitte skizziert werden, die den sozialräumlichen Kontext der ASH Berlin darstellen: Schon während der Ausführungsplanungen für die Helle Mitte wurde deutlich, dass die im Wettbewerbsentwurf vorgesehenen Hochhaustürme und Straßenüberbauungen, die den AliceSalomon-Platz optisch fassen sollten, aus ökonomischen Gründen nicht zu realisieren waren. Es wird auch künftig schwierig sein, die Leere dieses weiträumigen, durch Verkehrsadern zerschnittenen Platzes zu füllen. Kaufkraftverluste und Konkurrenz durch Ansiedlung weiterer Handelseinrichtungen im Einzugsbereich schwächen die Wirtschaftskraft des Standorts. Auch künftig werden sozialpolitische Interventionsund Auffangstrategien notwendig sein. Die „Helle Mitte“, die Hellersdorfer Promenade und die angrenzenden Wohnquartiere bilden heute die Gebietskulisse für das Förderprogramm Soziale Stadt. Dies wird unterstützt durch ein Quartiersmanagement. In diesem Fördergebiet liegt die Alice Salomon Hochschule. Die gesamten Großsiedlungen sind weiterhin Einsatzgebiete für das Programm Stadtumbau Ost (vgl. S.T.E.R.N. 2012; UrbanPlan 2012). |
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