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2.4 Sozialplanung in der Verwaltungspraxis

Im deutschsprachigen Raum hat sich Sozialplanung in der Verwaltungspraxis sehr unterschiedlich etabliert. In Deutschland wird die sozialplanerische Intervention durch den Staat in den 1960er Jahren besonders sichtbar und von einer Reihe von Autoren und Autorinnen überwiegend mit den ungleichen Möglichkeiten der Bevölkerung erklärt, vom Wirtschaftswachstum zu profitieren (vgl. Zängl 1999: 11; Buck 1982: 88). Das in Deutschland vom damaligen Wirtschaftsminister und späteren Bundeskanzler Ludwig Erhard (1957) ausgegebene Versprechen „Wohlstand für alle“ weicht ab etwa Mitte der 1960er Jahre von der empirischen Realität ab, die eine erhebliche Zahl an Menschen in sozial schwierigen Lagen (Armut, prekäre Arbeitsbedingungen, Arbeitslosigkeit, Menschen in sozialer Not) aufzeigt. In dieser Zeit lässt sich eine deutlich stärkere Hinwendung zu einem planvollen staatlichen Eingreifen in Marktprozesse beobachten. Die damalige Oppositionspartei SPD legte wenige Jahre zuvor, d.h. im Jahr 1957, den sogenannten „Sozialplan“ vor, der Vorschläge zur zukünftigen kommunal gesteuerten Sozialhilfe darlegte.

Durch die Abschwächung des starken wirtschaftlichen Wachstums in Deutschland – 1966 kam es zu einer "Minirezession" in Deutschland – steigt das öffentliche Bewusstsein für soziale Fragen. Gleichzeitig treten in Deutschland politische Krisen zutage, in deren Folge eine angemessene Verarbeitung der nationalsozialistischen deutschen Vergangenheit und mehr Demokratie in der Gesellschaft (z.B. Studentenbewegung) gefordert wird. Sozialplanung kann in dieser Zeit nicht nur als Intervention des Staates verstanden werden, Versorgungsund Ausgleichsleistungen zu entwickeln und zu gewährleisten, sondern fungiert auch als ein Instrument der Krisenbewältigung, welches staatlichen Ordnungsvorstellungen entspricht (Büttner 2008: 2). Sozialplanung in Deutschland orientiert sich in dieser Zeit bereits an der von der SPD hervorgebrachten Idee der Sozialgemeinde, demzufolge die soziale Sicherung insbesondere auch durch eine dezentralisierte Verwaltung auf örtlicher Ebene geleistet wird (vgl. Föcking 2006: 104). Eine solche Steuerung folgt dem Subsidiaritätsprinzip, demzufolge die wohlfahrtsstaatliche Sicherung vorrangig vor Ort, insbesondere auf der Ebene von Gemeinden, Städten, Landkreisen geleistet wird, bevor der Bund die entsprechenden Leistungen zentral anbietet.

Die Ausrichtung auf eine subsidiär angelegte Sozialplanung macht deutlich, dass Sozialplanung von staatlicher Seite kein reiner Verwaltungsprozess darstellt. Gerade weil lokale Ressourcen gebündelt werden, stellt Sozialplanung einen gesellschaftspolitischen Entscheidungsfindungsund Entscheidungsformulierungsprozess dar, an dem sich Wohlfahrtsverbände, zivilgesellschaftliche und wirtschaftliche Akteure beteiligen.

Der Forderung nach einer lokalen, insbesondere kommunalen Sozialplanung durch den Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge e. V. im Jahre 1966 folgen in den Folgejahren sukzessive fachspezifische und fachübergreifende Sozialplanungsstellen in der Verwaltung (z.B. Planungsstellen im Bereich der Kinderund Jugendhilfe). Die Ausweitung von Fachstellen in der lokalen Verwaltung und die Diskussion über notwendige personelle und organisatorische Voraussetzungen für eine wirksame Sozialplanung halten bis zum heutigen Tag an (vgl. Markert/Wieseler 2011).

Die gesellschaftlichen Entwicklungen in der Schweiz weisen Parallelen zur deutschen Entwicklung auf. Die enormen Wachstumsentwicklungen in den Nachkriegsjahren im wirtschaftlichen Bereich, die Abwanderung aus der Landwirtschaft, das Anwachsen der Städte treffen ebenso für die Schweiz zu. Die Enttraditionalisierung der Gesellschaft schreitet voran, Familienbeziehungen und -formen verändern sich, die Individualisierung mit ihrem Wertewandel nimmt ebenfalls zu. Der schweizerische Sozialstaat wird ausgebaut und macht sozialplanerisches Denken erforderlich (vgl. Rickenbach 1964: 2 f.). Wenngleich insbesondere im letzten Jahrzehnt in einzelnen Städten und Kantonen auch Fachstellen der Sozialplanung entstehen (z.B. in den deutschsprachigen Kantonen Solothurn, Aargau, Basel-Stadt, Bern und Zürich), hat sich Sozialplanung im Bereich der Verwaltung bislang noch nicht in der Weise etabliert wie z.B. in Deutschland. Für die Schweiz trifft die Diagnose von Rickenbach aus dem Jahr 1964 bezüglich Sozialplanung in den Nachkriegsjahren möglicherweise auch heute noch zu, demzufolge Sozialplanung in der Schweiz, „mehr unbewusst und im Innern der Dinge“ stattfindet.

In Österreich existiert kein allgemeiner Bundesauftrag zur kommunalen Sozialplanung, wie dies für Deutschland aus dem Sozialstaatlichkeitsprinzip in Artikel 20 Abs. 1 des Grundgesetzes sowie durch § 1 Abs. 1 des Bundesraumordnungsgesetzes abgeleitet werden kann. Dennoch hat sich die kommunalpolitische Sozialplanung in einzelnen Regionen, insbesondere in den letzten beiden Jahrzehnten entwickelt und etabliert (vgl. Lechner et al. 2004). Neben allgemeinen gesetzlichen Vorgaben sind die Bedarfsund Entwicklungspläne der Länder für die örtliche Sozialplanung nicht unerheblich, da in diesen Plänen der über den engen kommunalpolitischen Handlungsspielraum hinausgehende Rahmen für die Ausgestaltung des überwiegenden Teils des sozialen Leistungsangebotes festgeschrieben wird (vgl. Lechner et al. 2004: 26). Die Ziele der kommunalen Sozialplanung leiten sich über die jeweiligen Bundesländergesetze, insbesondere die Sozialhilfegesetze ab. Wie auch für Deutschland lässt sich eine Ausweitung dezentraler sozialplanerischer Aktivitäten beobachten. Dies wird an der steigenden Zahl von regionalen Sozialberichten deutlich. Im Vergleich zu Deutschland ist die Sozialplanung in Form von eigenen Fachstellen in der Verwaltung jedoch weniger stark verbreitet.

 
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