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Soziale Arbeit und Stadtentwicklung
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6 Governance – die Bürgerbeteiligung?Die Begriffe „Partizipation“ und „Governance“ haben sich mittlerweile zumindest in der kommunalpolitischen Rhetorik festgesetzt. Sie werden für die Behebung diverser Probleme empfohlen, insbesondere auf der lokalen Ebene. Dabei ist das Zauberwort „Governance“ nicht mit „Good Governance“ zu verwechseln, das „gutes“ Regieren und Verwalten meint und sich stark an Normen und ethischen Prinzipien, wie Bürgernähe, Transparenz, Offenheit, Partizipation oder Verantwortlichkeit orientiert. Governance zielt auf die nachhaltige Verbesserung der Lebensqualität eines Gebiets. Diese neuartige Form der Steuerung und Handlungskoordination ist geprägt durch eine langjährige, kontinuierliche Zusammenarbeit aller „bedeutenden“ „maßgeblichen“, jedenfalls gestaltenden Akteure eines Stadtteils oder eines Quartiers. Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft sollen gemeinsam Lösungen für anstehende Probleme eines Orts oder einer Region aushandeln und zur Lösung beitragen, weil sie ihre gegenseitige Abhängigkeit erkannt haben. Damit das Governance anhaftende Demokratiedefizit ausgeglichen werden kann, wird oftmals gefordert, Bürger/innen zu beteiligen, was jedoch aus strukturellen Gründen nicht ohne Weiteres funktioniert, denn Governance ist durch den Begriff „Verhandlung“ gekennzeichnet. In Verhandlungen werden Entscheidungen nicht von oben herab oktroyiert, sondern in direkter Interaktion zwischen den Beteiligten vereinbart. Obwohl die Akteur/innen in Governance wechselseitigen Einfluss als formal Gleichberechtigte ausüben, sind faktisch diejenigen überlegen, die über bessere Informationen und tauschfähige Ressourcen, also Kapitalien verfügen. Macht und Einfluss, Drohpotenziale und die Verfügung über Ressourcen, die in Verhandlungen als Tauschmittel eingesetzt werden können, um die Gegenseite zum Einlenken zu bewegen, sind ungleich verteilt. Wenn politische Führer/innen kooperative Praktiken entwickeln und motiviert sind, eine Leistung zu erbringen, weil sie dafür etwas zurückbekommen, so liegt dies daran, dass sie untereinander in dauerhaften Beziehungen und im Dialog stehen. Dagegen sind dauerhafte Beziehungen mit einzelnen BürgerInnen, die nicht organisiert sind, schwerer aufrechtzuerhalten. Es mangelt oft auch an notwendigen personellen, organisatorischen und materiellen Ressourcen – z.B. Wissen, Finanzen, Organisationskraft, Konfliktund Verpflichtungsfähigkeit –, die erforderlich sind, um mit Organisationen, Vereinigungen und Institutionen anderer Ordnungssysteme stabile Beziehungen einzugehen. Obwohl die Governance-Diskussion den Eindruck erweckt, alle Interessierten und Betroffenen seien willkommen und könnten einbezogen werden, können einzelne Bürger/innen oder Stadtteilgruppen die Anforderungen an Verhandlungspartner/innen oft nicht erfüllen. Bürgerschaftliche Partizipation in Governance kann demnach nur in dauerhaft organisierter Form durch intermediäre zivilgesellschaftliche Organisationen erfolgen, wie zum Beispiel den K.I.O.S.K. e.V. im Neubaustadtteil Freiburg Rieselfeld. Diese Form wird vermittelt durch Netzwerke, Kooperationen und den Aufbau von Partnerschaften zwischen privaten und öffentlichen Akteuren. Problematisch an Aktivierungsversuchen ist, dass zwar eine bestimmte Engagementelite mobilisiert werden kann, dadurch aber tendenziell Exklusionsprozesse (der Ausschluss sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen aus den Strukturen des Stadtteils) verstärkt werden, während die zur Ausgrenzung führenden Strukturen ausgeblendet bleiben. Je mehr eine Gesellschaft sich auf Selbstverantwortung und aktive Teilnahme ihrer Bürger/innen verlässt, desto schlechter stehen die Chancen für Nichtaktive. Bei anhaltendem Trend wäre – ausgerechnet durch mehr Partizipationsmöglichkeiten – nicht lediglich von wachsender Segregation zu sprechen, sondern sogar von einer möglichen Exklusion breiter Bevölkerungsgruppen aus den politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen. Denn gerade in der Zukunft, die durch den Wettbewerb verschiedener Stadtteile gekennzeichnet sein wird, bedeutet dieses Partizipationsdefizit benachteiligter Bewohnergruppen eine Gefahr. Doch auch wenn sich problematische Grundmuster zeigen: Die junge Stadtteilgesellschaft Rieselfeld ist noch unfertig, ist noch kein fixes System. Durch Inklusion (das bedeutet, sich im Stadtteil zu engagieren, um die Menschen einzubeziehen, in das System Stadtteil aufzunehmen) und Exklusion bleiben die dominanten Milieus (die im Besitz des sozialen Kapitals sind) in Bewegung und offen für die Gestaltung interkultureller Zwischenwelten. Eine wichtige Bedingung hierbei ist die Fortführung einer Stadtteilarbeit/ Gemeinwesenarbeit, die das Engagement von Bewohnern möglichst aller Milieus fördert und dabei deren jeweilige Lebenslage berücksichtigt. Dafür benötigt sie eine reflektierte und kontinuierliche wissenschaftliche Begleitung und Unterstützung sowie die entsprechende öffentliche Unterstützung und Finanzierung. Die Aufgaben der Sozialen Arbeit im neuen Stadtteil führten in ein widerspruchsvolles Feld von Wertvorstellungen, Wahrnehmungen und Bewertungen, dem ein ebenso vielgestaltiger sozialer und physischer Raum gelebten Lebens gegenübersteht. Das Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit im Rieselfeld reicht von den abseits gelegenen Häusern der Aussiedler/innen bis zu den Straßen der aktiven Akademiker/innen, die das soziale und kulturelle Leben des Stadtteils dominieren. Es ist klar, dass es in einem derart vielfältigen, widersprüchlichen und konträr bewerteten Feld zu gesellschaftlichen Auseinandersetzungen kommt. |
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