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3 Zivilgesellschaftliche Arbeit gegen Rechtsextremismus in Sachsen

Nach dem bisher Gesagten stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen in Sachsen Vereine, Initiativen und Projekte gegen Rechtsextremismus entstehen konnten und unter welchen Bedingungen sie arbeiten.

3.1 Entstehungsbedingungen der sächsischen Vereinsund Initiativlandschaft

Trotz der zuvor beschriebenen sehr aktiven Szene der extremen Rechten, sowohl des parteigebundenen als auch des parteiungebundenen Spektrums und eines politischen Klimas, das dieser Verbreitung förderlich ist, gibt es in Sachsen auch eine sehr breite und vielfältige zivilgesellschaftliche Initiativlandschaft, die sich mit Demokratisierungsfragen allgemein und der konkreten Arbeit gegen Rechtsextremismus auseinandersetzt. Diese vielfältige Szene setzt sich auf der einen Seite zusammen aus landesweit arbeitenden Akteuren wie dem Kulturbüro Sachsen e. V. als Träger der mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus und der RAA Sachsen e. V. als Träger der Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt, auf der anderen Seite aus lokal oder regional enger begrenzt arbeitenden Vereinen, Bürgerinitiativen und Einzelprojekten.

Insbesondere letztgenannte sind sehr heterogen. Neben fest institutionalisierten Vereinen, die diese Arbeit oft schon weit über zehn Jahre machen, gibt es eine Vielzahl von mehr oder weniger stabil agierenden Initiativen, die entweder projektbezogen arbeiten, oder als Träger von Projekten in Erscheinung treten, aber nicht zwingend den Weg in die institutionalisierte Form eines gemeinnützigen Vereins finden.

Mit dem Netzwerk Tolerantes Sachsen existiert darüber hinaus ein Zusammenschluss der sächsischen Vereine und Initiativen, die sich im Bereich der Demokratiearbeit und der Auseinandersetzung mit dem Thema Rechtsextremismus bewegen. Im Netzwerk Tolerantes Sachsen sind über 80 Vereine organisiert. Das Netzwerk Tolerantes Sachsen fungiert dabei einerseits als Vernetzungsund Austauschplattform der Vereine untereinander, andererseits hat es mit dem regelmäßig gewählten Sprecher_innen-Rat eine Gruppe von Personen, die im Sinne der organisierten Vereine Lobbyarbeit betreiben, den regelmäßigen Austausch mit sächsischen Landtagsund Bundestagsabgeordneten der demokratischen Parteien suchen, sich in bundesweit agierende Gremien einbringen und auch zu politischen Themen Stellung beziehen, welche die Belange der Vereine und Initiativen berühren.

Für die Ausbildung dieser Vereine gibt es mehrere Gründe. Der wichtigste ist, dass in Folge des so genannten "Aufstands der Anständigen" im Sommer 2000 der Fokus der damaligen Bundesregierung verstärkt auf das Thema Rechtsextremismus gelegt wurde. Die Folge war das Bundesprogramm "CIVITAS – initiativ gegen Rechtsextremismus in den Neuen Bundesländern", das im Sommer 2001 seine Arbeit aufnahm. Ein Grundgedanke war, dass insbesondere solche Vereine und Projekte finanzielle Unterstützung benötigen, die vor Ort den im Kapitel II.2 beschriebenen Ausgrenzungsmechanismen auf lokaler Ebene ausgesetzt sind.

Mit Hilfe dieses Programms konnten sich in vielen sächsischen Regionen Vereine institutionalisieren und professionalisieren, weil auch hauptamtliche Strukturen gefördert wurden. [1] Gleichwohl stand und steht bei diesen Vereinen bis heute überwiegend die Förderung ehrenamtlichen Engagements im Vordergrund. Die Schaffung hauptamtlicher Personalstellen dient hier insbesondere als Ermöglichungsstruktur für das Ehrenamt.

Auffallend ist, dass die sächsischen Vereine, die über das bereits 2006 ausgelaufene CIVITAS-Programm Strukturen aufbauen, bis heute wichtige Akteure in der Auseinandersetzung mit dem Thema Rechtsextremismus sind, denen es in der Folge vielfach (notgedrungen) gelungen ist, ihre Arbeit weiter auszudifferenzieren und sich aus der Abhängigkeit eines einzelnen Fördermittelprogramms zu befreien.

Darüber hinaus hat der Freistaat Sachsen unter dem Eindruck des Wahlerfolges der NPD bei den Landtagswahlen 2004 mit dem "Landesprogramm Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz" im Jahr 2005 ein eigenes Fördermittelprogramm zur Demokratieförderung und die Arbeit gegen Rechtsextremismus aufgelegt. Die Entstehung des Landesprogramms ist dabei vor allem der SPD zuzurechnen, die von 2004 bis 2009 in Sachsen mit der CDU eine Koalition bildete. In mehreren Etappen wurde das Fördermittelprogramm auf jährlich zwei Millionen Euro aufgestockt. Nach der Selbstenttarnung des NSU wurde eine weitere Aufstockung um eine Million Euro vorgenommen, sodass das "Weltoffene Sachsen" heute ein jährliches Volumen von 3,26 Millionen Euro umfasst. [2]

Beide Fördermittelprogramme zusammen dürften die entscheidenden Faktoren gewesen sein, dass die oben beschriebene Vielfalt der Arbeit gegen Rechtsextremismus entstehen konnte.

  • [1] Am Beispiel Wurzen habe ich dies ausführlich in dem Artikel " Programme und Projekte gegen Rechtsextremismus vor Ort – das Fallbeispiel Wurzen" (Jennerjahn 2009a) beschrieben.
  • [2] Die "überzähligen" 260 000 Euro gehen auf ein Aussteigerprogramm für Angehörige der rechtsextremen Szene zurück. Das Aussteigerprogramm wurde zunächst als eigener Haushaltstitel geführt, wurde dann aber dem Landesprogramm "Weltoffenes Sachsen" zugeschlagen.
 
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