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Strategien der extremen Rechten
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Zwischen Freizeit, Politik und Partei: RechtsRockTable of Contents:
Martin Langebach und Jan Raabe 1 EinleitungFrühlingshafte Temperaturen und Sonnenschein. Gemütlich saß ein Großteil der rund 400 vorwiegend jungen Leute auf Bierbänken oder stand direkt vor der Bühne. Begeistert verfolgten einige den Auftritt von Sleipnir, einer der angesagten RechtsRock-Bands aus Ostwestfalen. Andere schauten ihren Kindern zu, wie sie sich auf einer Hüpfburg austobten, und wieder andere inspizierten das Angebot der Verkaufsstände und leisteten sich eine CD oder ein T-Shirt oder standen beim Bier mit anderen zusammen und plauschten. Alkoholfreies wohlgemerkt, denn Prozentiges durfte beim "Nationalen Kundgebungstag" am 4. Mai 2013 in Leinefelde nicht ausgeschenkt werden. Die Veranstaltung auf einer Wiese am Rande einer Plattenbausiedlung in der thüringischen Stadt war nicht das einzige Fest, das die NPD in jenem Sommer organisiert hatte. Es war eines von vielen. Der Ablauf glich sich dabei ein ums andere Mal: Begrüßung durch einen Funktionsträger der NPD und danach in wechselnder Reihenfolge Musikdarbietungen und Redebeiträge, denen das in der Regel 18 bis 25 Jahre alte Publikum mit unterschiedlichem Interesse folgte. Der Partei gelingt es so geschickt, Politik und ›Freizeitvergnügen‹ miteinander zu verbinden, stellen diese jungen Erwachsenen doch eine wichtige Zielgruppe dar. Die Wahlen zeigten in den letzten Jahren immer dasselbe Ergebnis. Die NPD erhielt den höchsten Zuspruch stets in der Altersgruppe unter 30. Entsprechend bemüht sie sich um dieses Unterstützerfeld. Neu daran ist die Qualität und Quantität, doch nicht die Strategie an sich. 1.1 Ein ambivalentes VerhältnisBereits Ende der 1970er Jahre versuchte die National Front in England zuerst in der Fußballfanszene und dann in der Punkund Skinhead-Szene ihre Anhänger zu rekrutieren. Sie schaffte es, die damalige Jugendszene zu polarisieren und gewann mit Ian Stuart Donaldson, dem Sänger der Punk-Band Skrewdriver einen wichtigen Unterstützer ihrer Politik. Seine Bedeutung leitete sich rückblickend nicht aus seiner Funktion im Parteiapparat ab, sondern aus der als Vermittler und Agitator unter den nationalistischen und rassistischen Skinheads, der er als Bandleader einer unter den jugendlichen Glatzköpfen populären Band nachkam. Er gilt als Begründer des RechtsRock, der aufgrund seiner Parteimitgliedschaft in einem engen Verhältnis zur organisierten extremen Rechten stand. Doch Vorwürfe, er lasse sich instrumentalisieren, negierte Ian Stuart in einem Interview: "Ich glaube […], es hängt von jedem Skinhead selber ab, ob er sich benutzen lässt. Ich selbst bin Einheitsführer der National Front und glaube nicht, dass man mich jemals ›benutzt‹ hat" (Donaldson 1984: 12). Nichts desto trotz brach er 1987 mit der Partei nach Streitereien über finanzielle Belange und gründete stattdessen eine Organisation ›aus der Szene für die Szene‹: Blood & Honour. [1] Ihr Magazin trug den programmatischen Untertitel "The Independent Voice of Rock Against Communism". Bis zu seinem Unfalltod 1993 versuchte Ian Stuart Blood & Honour als Bewegungsorganisation in verschiedenen Ländern zu etablieren – heute existiert diese im Selbstverständnis nationalsozialistische Gruppierung in rund 17 Ländern. [2] Auch in Deutschland bemühten sich Neonazis in dieser Zeit, allen voran die Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationaler Aktivisten um Michael Kühnen und Christian Worch, um gewaltbereite Fußballfans und die ersten Anhänger der sich langsam auch hier verbreiteten Skinhead-Subkultur. Nach dem Verbot der Organisation 1983 traten an ihre Stelle die Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) sowie die Nationalistische Front (NF). In der Öffentlichkeit wurden Skinheads unterdessen immer mehr zum Synonym für Neonazis, bedingt durch nationalistische Pöbeleien, dem provokativen Zeigen des Hitlergrußes bei Alkoholexzessen in den Innenstädten und rassistisch motivierten Überfällen auf Migranten (Diekmann/Heintze 1986). Mit Aufklebern wie jenem mit einem stilisierten Doc-Martens-Stiefel, der einen Sowjetstern mit Hammer und Sichel zertritt, versuchte sich beispielsweise die FAP diesem Spektrum anzudienen und es für sich zu gewinnen. Doch das Verhältnis der extrem rechten Skinheads zu den organisierten Neonazis war hierzulande in den 1980er Jahren noch sehr ambivalent. Der Herausgeber des Fanzines "Singen und Tanzen" ereiferte sich beispielsweise in seinem Heft über den besagten FAP-Aufkleber: "Eine fast schon unglaubliche Provokation. Ich habe weder Lust, mich für die FAP zu prügeln, noch kümmern mich die 20 noch am Leben gebliebenen Juden in Deutschland. Die Macher dieses Aufklebers sind bestimmt keine Skins, also sollen sie sich um ihren eigenen Scheiß kümmern, oder selbst auf den Teilen abbilden! Es reicht, wir haben keine Parteibonzen mehr nötig!" (Strauch 1985/1986: 13) Und in einer Erinnerung an die Berliner Band Kraft durch Froide hieß es 1989: "Lange Zeit hielt man nichts von Parteiaffen wie der FAP oder der […] ANS, die man in dem Song ›Soldat des Führers‹ als kleine, fette Schweine bezeichnete" (Kraft durch Froide 1989: 13). Doch als 1985 die NF gegründet wurde, trat der Schlagzeuger der Band, Andreas Pohl, bei, und stieg schließlich kurzzeitig bis zum Bundesvorsitzenden auf. Auch andere Skinheads besuchten, trotz immer wieder betonter Distanz zu den Parteien der extremen Rechten, deren Saalveranstaltungen, Sonnenwendfeiern etc. Während sie in der Regel von den jungen Aktivisten der neonazistischen Parteien willkommen geheißen wurden, begegneten ihnen die Älteren eher mit Distanz. Insbesondere die Kluft zwischen der damals noch sehr biederen, eher national-konservativ orientierten NPD und den wenig disziplinierten Jugendlichen war seinerzeit noch groß. Der extrem rechte Rock hingegen, der für diese Skinheads kulturelles Ausdrucksmittel ihres eigenen (politischen) Selbstverständnisses und entsprechend eng mit dem Skinhead-Stil verwoben war, sowie jene sich um die Musik herum gruppierende Szene, wurde jenseits des Einflusses von Parteien zum Ausgangspunkt einer Modernisierung des neonazistischen Spektrums, zum kulturellem Vorläufer und zur Begleiterscheinung einer sich in den 1990er Jahren konstituierenden Bewegung von rechts (vgl. Dornbusch/Raabe 2006: 52).
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