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3 Das Säulenkonzept

3.1 "Kampf um die Straße"

Die NPD betreibt seit Jahren eine intensive Demonstrationspolitik. Folgerichtig gehört der "Kampf um die Straße" zu den Grundsäulen der NPD-Politik. Zum einen, weil damit die eigenen Inhalte öffentlichkeitswirksam verbreitet werden können. Demonstrationen sind oft Kernstück der politischen Kampagnen der NPD. Zum anderen können vor allem jugendkulturell geprägte Rechtsextreme über das aufwühlende, Identität stiftende Erlebnis einer Demonstration näher an Partei und Bewegung gebunden werden. Oft sind Demonstrationen von der NPD und anderen rechtsextremen Gruppierungen für die Teilnehmenden schon allein wegen der regelmäßig organisierten Gegenveranstaltungen mit starken emotionalen Eindrücken verbunden.

"Massenwirkung" für ihre Ideen glaubt die NPD nur "durch die Mobilisierung der Straße" erreichen zu können, da sie "kaum finanzielle Förderer" habe und somit über zu wenige andere Kommunikationswege verfüge (Parteivorstand der NPD 1999: 360). In ihrem Strategiepapier widmet die NPD der beabsichtigten Attraktion und Rekrutierung von Jugendlichen großen Raum:

"Mobilisierbar sind heute in erster Linie jene Massen von jungen Menschen, die nicht nur um ihre berufliche Zukunft sondern auch um ihr nationales und kulturelles Selbstwertgefühl betrogen werden, die sich zu Menschen zweiter Klasse herabgewürdigt fühlen und sich wie Fremde im eigenen Land vorkommen. Wenn sich diese jungen Leute in eigenen Jugendkulturen, etwa Skinheadgruppen, zusammenschließen, so ist dies angesichts des Verfalls der Volksgemeinschaft in der BRD eine soziologische Selbstverständlichkeit, die hingenommen werden muss. Die NPD hat keine Probleme, mit solchen Gruppen zusammenzuarbeiten, wenn sie bereit sind, als politische Soldaten zu denken und zu handeln" (Parteivorstand der NPD 1999: 360).

Selbstverständlich weiß die NPD um den Schaden für das Parteiimage, den die Präsenz von martialisch auftretenden Jungmännern auf ihren Veranstaltungen anrichtet. Deren Präsenz wird daher nicht uneingeschränkt begrüßt, sondern sie muss "hingenommen werden". [1] Doch diese Kosten werden aus Parteisicht angesichts der Gewinne durch die erreichte "Verjüngung, Dynamisierung und subkulturelle Modernisierung" (Erb 2006: 152) mehr als aufgewogen: Mit Events auf der Straße erreicht die NPD junge Menschen, die wiederum Masse für die eigenen Veranstaltungen stellen (und somit mehr Aufmerksamkeit für Parteianliegen produzieren helfen). Seit Ende der 1990er Jahre hat die NPD diese Öffnung immer weiter forciert, die mit einer stärkeren Akzentuierung ihres neonazistischen Charakters einhergeht: Rechtsrock und NS-Nostalgie verstören die breite Öffentlichkeit eher, doch sie kommen bei rechten Jugendlichen und Neonazis an. Exemplarisch für diesen Schulterschluss war etwa die demonstrative Teilnahme von NPD-Repräsentanten wie Udo Pastörs an den letzten Auflagen des teilnehmerstarken "Heldengedenkens" im brandenburgischen Halbe – einer Veranstaltung also, die in den Vorjahren ausschließlich von parteiungebundenen militanten Neonazis getragen wurde. Ein anderes Beispiel (auch wenn es sich um keine Demonstration handelt) sind die Partei-Festivals bei der politische Reden mit Auftritten von Rechtsrock-Bands kombiniert werden ("Deutsche Stimme Pressefest", "Sachsentag", "Rock für Deutschland" etc.).

Die Anzahl neofaschistischer Demonstrationen in der Bundesrepublik ist in den vergangenen Jahren immens angestiegen. Verfügte die extreme Rechte Anfang der 1990er Jahre noch über ein "begrenztes Aktionsrepertoire" (Koopmans 1996: 779), in dem Demonstrationen kaum eine Rolle spielten, so sind sie inzwischen zentrales Element rechtsextremer Politik. Selbst noch im Jahr 1997 gab es lediglich 25 neofaschistische Demonstrationen mit mehr als 50 Teilnehmern. Bis 2001 vervierfachte sich diese Zahl und verblieb zwischen 2001 und 2009 auf einem hohen Niveau von durchschnittlich knapp 100 Demonstrationen jährlich (Virchow 2011: 18). Den höchsten Teilnehmerdurchschnitt brachten Demonstrationen, die sich der Verherrlichung der Wehrmacht oder des NS-Führungspersonals widmeten (im Schnitt 547 Personen; Virchow 2006: 79).

Diesem Bedeutungsgewinn der Aktionsform Demonstration für das neofaschistische Lager trägt die NPD mit der Säule "Kampf um die Straße" Rechnung. Beabsichtigte Effekte sind zum einen auf die Existenz der Bewegung hinzuweisen und für sie, zumindest temporär, physischen Raum zu gewinnen, in dem dann die eigenen politischen Standpunkte artikuliert werden können. Die beabsichtigten Wirkungen nach Innen sind in ihrer Bedeutung womöglich noch höher anzusiedeln, zumindest was die Reproduktionsfähigkeit der Bewegung angeht. Es geht um die Kontaktpflege untereinander; die Schaffung eines Initiationsorts für Neulinge; einen erhofften Motivationsschub für die Teilnehmenden nach einer erfolgreichen Aktion; die Selbstvergewisserung um die eigene Aktionsfähigkeit; die spätere Einbindung von Teilnehmenden in eigene Strukturen; die Ausbildung von Kadern sowie um die Einübung soldatischer Männlichkeit (vgl. Virchow 2006: 82 ff.).

In Hinblick auf diese Funktionen von Demonstrationen sind die Politiken von NPD und Kameradschaften deckungsgleich. Daneben gibt es allerdings zwei Spezifika, die nur für die NPD gelten. Sie verfügt über das Parteienprivileg (welches über die Säule "Kampf um die Parlamente" geschützt werden soll) und hat somit eine vergleichsweise höhere Rechtssicherheit für die Durchsetzung ihrer Demonstrationen als das Kameradschaftsspektrum. Während Wahlkämpfen "müssen die Behörden die rechtswidrigen Behinderungspraktiken [gegen NPD-Demonstrationen, C. S.] wegen der sonst drohenden Wahlanfechtung einschränken", vermerkt die NPD dazu (NPD-Parteivorstand 1999: 360). Allerdings hat die Demonstrationspolitik der NPD auf übergeordnete Parteiinteressen Rücksicht zu nehmen und wird diesen systematisch angepasst. So wurde während des Verbotsverfahrens 2001 bis 2003 von der Parteiführung ein Demonstrationsstopp verfügt, um negative Aufmerksamkeit während dieser Zeit zu vermeiden. Derartige Rücksichtnahme auf das politische Klima ist in der Kameradschaftsszene unnötig und als systemkonformer Anpassungskurs tendenziell verpönt.

In jüngerer Zeit versucht die NPD mittels Wanderkundgebungen zudem, mit geringem personellen Aufwand Protestaktionen und Blockaden auszuhebeln und dennoch öffentliche Aufmerksamkeit zu generieren. Der damalige Parteichef Holger Apfel 2013 in einem Interview:

"Wir tauchen mit einer überschaubaren Anzahl von Leuten mit gutem Erscheinungsbild dort auf, wo es wehtut, und überlassen den Medien nicht die Hoheit. Man denke an unsere Mahnwachen im Rahmen der Verbotskampagne oder unsere Deutschlandfahrt […]" (Richter 2013: 3). [2]

Hier ist das primäre Ziel nicht die Mobiliserung nach Innen, sondern es geht darum, mit geringem Aufwand ein hohes Maß öffentlicher Aufmerksamkeit zu erreichen. Die Anzahl von NPD-Kungebungen ist damit zusammenhängend deutlich angestiegen (Asmus 2013: 15 ff).

Wenn sich die NPD zum Slogan des "Kampfes um die Straße" äußert, thematisiert sie fast ausschließlich die eigene Demonstrationspolitik. Das Konzept beinhaltet allerdings durchaus mehr als den Willen, die eigene Anhängerschaft regelmäßig und gesetzeskonform öffentlich zu versammeln. Der "Kampf um die Straße" kann als Aufstandsoption oder wenigstens als Zustimmung zu Straßengewalt interpretiert werden. Der Terminus ist ein Direktimport aus dem Vokabular der NSDAP und steht für den Terror, den die SA in der Weimarer Republik verbreitete (vgl. Ehls 1997: 364 ff.). Diese Bezugnahme wird auch dadurch untermauert, dass im Zusammenhang mit dem "Kampf um die Straße" Skinheads als "politische Soldaten" klassifiziert werden. Letzterer Begriff war die Zusammenfassung des Selbstverständnisses der SA-Angehörigen und wurde auch für die Soldaten der Waffen-SS verwendet (vgl. Wegener 1982). Dass die NPD den Begriff "Kampf um die Straße" wählte, muss darum als Bekenntnis verstanden werden: Die Partei bezieht sich positiv auf den Nationalsozialismus und ist kämpferisch zum Umsturz entschlossen. Auch die "Aura der Gewalt" von rechtsextremen Aufmärschen ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Die dort zur Schau getragenen Symbole, die Selbstrepräsentation der Teilnehmenden und an Gegendemonstrationen gerichtete Parolen wie "Neun Millimeter für euer Gezeter" kommunizieren Gewaltbereitschaft (vgl. Virchow 2006: 93).

  • [1] Die seit den 1990er Jahre heftig geführte Diskussion um die Integration von Skinheads in die NPD klingt in dieser Formulierung deutlich nach. Inzwischen sind rechte Skinheads als Demonstrationsfußvolk zwar nicht uneingeschränkt geschätzt, aber unumstritten akzeptiert. Bemerkenswert ist die Ähnlichkeit dieser alten Debatte mit der 2007 geführten Diskussion um die "Autonomen Nationalisten" beziehungsweise den "NS Black Block". Wie die Skinheads verkörpern die Autonomen Nationalisten einen maskulinen, gewalttätigen Gestus, sind selbstbewusst, schwer disziplinierbar sowie kaum von einer taktischen Zivilisierung überzeugbar. Sie waren Objekt eines (gescheiterten) Abgrenzungsbeschlusses des NPD-Parteipräsidiums – während über die in stark rückläufiger Zahl aber weiterhin vorhandenen Skinheads nicht mehr debattiert wird.
  • [2] Udo Voigt hingegen spricht sich explizit gegen "Minidemonstrationen" aus, bei "denen der Gegner seine Überzahl allzu deutlich demonstrieren kann" (Voigt 2013: 205).
 
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