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Schweigen und verdeckte Selbstentlastung: Die Grenzen der Generosität eines „öffentlichen Intellektuellen“

Bekanntlich hat Eschenburg nach 1945 an der Analyse der Funktionsbedingungen des NS-Regimes nicht mitgewirkt. Stattdessen hat er, wie ich in beiden ZfG-Aufsätzen dargelegt habe, mit den Mitteln politischer Publizistik beigetragen zur „Vergangenheitspolitik“ (Norbert Frei) der Entlastung konservativer Funktionseliten, die dem Regime wie er selbst zugearbeitet hatten. Diese Aspekte sind von der bereits erwähnten Debatte in den Vierteljahrsheften des Instituts für Zeitgeschichte und anschließend durch zwei Aufsätze in den Blättern in den Mittelpunkt gerückt worden.

Udo Wengst hat in einem – in anderer Hinsicht kritikwürdigen Aufsatz – die von Eschenburg „reklamierte Vetoposition des Zeitzeugen für die Zeitgeschichtsschreibung“ (bezogen auf Globke, Schwerin von Krosigk, Weizsäcker) „mehr als problematisch“ genannt und am Ende ausdrücklich „zurück[gewie]sen“. Er hat zugleich dem „Vorwurf“ – Wengsts eigene Formulierung – beigepflichtet, Eschenburgs „Betrachtungen über das NS-Regime (seien) nicht frei von Exkulpationsbemühungen“. In ihrer Replik auf Wengsts Aufsatz kommentierten Hans Woller und Jürgen Zarusky: „Wengst übersieht nicht, dass Eschenburg hier eine Art Stellvertreterdebatte über seine eigene Vergangenheit führte, reichlich unbekümmert um historische Fakten und Erkenntnisse agierte und durchaus apologetische Töne anschlug. Er fragt aber nicht weiter: Wie vertrugen sich diese Töne mit seiner Rolle als Herausgeber und Repräsentant einer wissenschaftlichen Zeitschrift wie den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte, die doch ganz anderen Maßstäben verpflichtet waren?“

Joachim Perels gibt in seiner minutiösen Auseinandersetzung mit Eschenburgs „Zeit“-Artikeln eine mindestens teilweise Antwort auf die von Woller und Zarusky gestellte Frage: Eschenburg habe „die wichtigsten rechtstheoretischen Arbeiten zur Machtstruktur Nazi-Deutschlands“, nämlich Fraenkels Doppelstaat und Neumanns Behemoth, „wissenschaftlich gar nicht wahrgenommen“. Weil er oppositionelle Positionen als Interpretationsrahmen ebenso ausblende wie rechtsstaatliche Kategorien, gerate Eschenburg „auf die schiefe Ebene einer positivistischen Reproduktion der Machtmechanismen des NS-Regimes.“

Hubertus Buchstein und Tine Stein schließlich heben hervor, dass Eschenburg zwar die Öffentlichkeit gesucht und dort als public intellectual mit durchaus „streitbaren Ansichten“ agiert habe – aber eben gerade nicht durch solche Beiträge, in denen das Bemühen um (selbst)kritische Aufarbeitung der Vergangenheit sich erkennbar niedergeschlagen hätte.

Dass es für Eschenburg durchaus Grenzen des Wohlwollens gegenüber Ehemaligen gab, die sich in aller Öffentlichkeit „uneinsichtig“ zeigten, belegte seine Auseinandersetzung mit dem damaligen Bundesverkehrsminister Hans-Christoph Seebohm. Wegen dessen Äußerungen zur Schuld am Zweiten Weltkrieg warf er ihm „nationalistische Geschichtsverfälschung“ sowie „Ansätze zu einer beängstigenden Renaissance nationaler Hybris“ vor. Als Seebohm auf bewährte Weise konterte, Eschenburg habe sich „zu[m] Handlanger der Sowjets erniedrigt“, stellte dieser Strafanzeige wegen Beleidigung. Immunitätsausschuss und Bundestagsmehrheit lehnten es ab, Seebohms Strafverfolgung zu ermöglichen.

Dennoch: Auseinandersetzungen mit der „braunen“ Vergangenheit, die Ross und Reiter nannten, waren Eschenburg unwillkommen. „Die Notizen sind ein Misthaufen, gegen den man nicht anstinken kann“, beschimpfte er 1964 in seiner Hauptvorlesung vor dreibis vierhundert Studierenden die Tübinger Studentenzeitung: Sie hatte sich mit zwei Professoren auseinandergesetzt, die weiter in Amt und Würden waren, obwohl sie sich als NS-Ideologen hervorgetan hatten: dem ehemaligen Volkskundler, Gleichschaltungsbeauftragten und nachmaligen Germanisten Gustav Bebermeyer sowie dem Juristen Georg Eisser. „Zum Himmel… stank“ (so der adäquate Kommentar, allerdings erst ein Vierteljahrhundert später abgegeben) denn auch etwas ganz Anderes, als Eschenburg meinte – nämlich das, was Notizen-Herausgeber Hermann L. Gremliza unter dem treffenden Titel präsentiert hatte: „Die Braune Universität – Tübingens unbewältigte Vergangenheit“.

Gremlizas „designierte[r] Doktorvater“ war Eschenburg. Nach dessen Erklärung, so Gremliza, „brauchte ich nicht mehr zu fragen, ob vielleicht der Doktorand Gremliza noch erwünscht sei.“ Gremliza wechselte die Universität und beendete sein Studium am Otto Suhr-Institut.

Krippendorff beschreibt (S. 92) dagegen am eigenen Beispiel Eschenburgs von ihm erlebten „generöse[n] Umgang mit radikal anderen Ansichten“. Dazu hätte die Reflexion gehört über die offenkundige Kehrseite – dass es neuralgische Bereiche gab, welche diese Generosität nicht einschloss.

Letztlich versuchen Eschenburgs Schüler und Verehrer, das Bild einer Lichtgestalt zu retten. Dies kann nur missglücken. Der Theodor Eschenburg, der aus der gegenwärtigen Debatte hervorgehen wird, spiegelt vielmehr das vergangene „Jahrhundert der Deutschen“ – mit seinen Verwerfungen, seinen Meriten wie seinen Abgründen, seiner Last an Schweigen, Lügen und Beschönigungen. Um sich damit angemessen auseinanderzusetzen, muss die Politikwissenschaft, anders als Krippendorff meint, jedoch keineswegs „von vorn“ anfangen. Der viel zu früh verstorbene Michael Greven hat unterstrichen, was stattdessen notwendig ist: Die durchgängige Akzeptanz von Seiten des Fachs, „dass es im Nachkriegsdeutschland auch in der ‚neuen', in der ‚Demokratiewissenschaft' kein Entrinnen gab – dass auch diese Disziplin ihren Teil an der Verantwortung zu übernehmen, ihren Anteil an der Geschichte zu tragen hat; dass der Versuch, einen absoluten Trennstrich zu ziehen, auch hier nicht gelingen kann“.

 
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