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„Schlimmeres verhüten durch die Zustimmung zum Schlimmen“

Auch die Position Graf Schwerin von Krosigks, des für die Folgeregelungen des NS-Staats nach der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 verantwortlichen Finanzministers der Regierung Hitler, wird von Eschenburg in einer Rezension der Lebenserinnerungen Schwerins bloß reproduziert.784 In der einschlägigen Verordnung vom 12. November 1938 heißt es: „Die feindliche Haltung des Judentums gegenüber dem deutschen Volk und Reich … erfordert entschiedene Abwehr und harte Sühne. […] Den Juden deutscher Staatsangehörigkeit in ihrer Gesamtheit wird die Zahlung von 1 000 000 000 RM an das Deutsche Reich auferlegt. […] Die Durchführungsverordnung erlässt der Reichsminister der Finanzen.“

Eschenburg kommentierte diese wirtschaftliche Brandschatzung der Verfolgten – nach der Zerstörung der Synagogen, der Demütigung und Tötung der Juden – wie folgt: „Die Verordnung einer Buße der Juden von einer Milliarde Reichmark hat Schwerin unterzeichnet. Er tat es in der vergeblichen Hoffnung, eine Nacht der langen Messer gegen die Juden zu verhindern.“

Indem Eschenburg das von Schwerin propagierte Schema – „Schlimmeres verhüten durch die Zustimmung zum Schlimmen“ – ohne jede eigene Wertung referiert, wiederholt sich das bereits im Fall Weizsäcker bekannte Muster. Auf die Struktur der von Krosigk verhängten Geldstrafe geht Eschenburg dagegen mit keinem Wort ein. Tatsächlich wird sie den in der Pogromnacht verfolgten Juden nach den Regeln des Maßnahmestaats auferlegt, der die Opfer zu Tätern macht, während Schadensersatzansprüche der Juden gegenüber den Zerstörungskommandos der SA ausgeschlossen werden. Das NS-Justizministerium untersagte jegliche Sanktionen wegen Rechtsverletzungen gegenüber den Juden. Doch auch darüber verliert Eschenburg kein Wort. Stattdessen spricht er, ohne distanzierende Anführungszeichen, von einer „Buße der Juden“ – als handele es sich um einen objektiven Tatbestand und nicht um eine brutale Diskriminierungsmaßnahme, die unter Bedingungen eines Rechtsstaats niemals hätte verhängt werden können.

Der Fall Globke und Eschenburgs Rechtfertigung

Eschenburgs vielleicht artifiziellste Rechtfertigung enthält sein Artikel über den Chef des Bundeskanzleramts von Konrad Adenauer, Hans Globke. Dieser war unter Anderem Kommentator der Nürnberger Rassegesetze gewesen.

Indem Eschenburg seinen Blick auf die – vorgeblich regimekritische – Motivation Globkes richtet, in seinem Amt zu verharren, wird dessen juristische Diskriminierung der Juden ausgeblendet. Eschenburgs ganze Intention kommt in der Sequenz zweier Sätze zum Ausdruck. Der erste Satz lautet wie folgt: „Dass er [Globke] den Kommentar über die Nürnberger Gesetzte zusammen mit seinem Vorgesetzten, dem Staatssekretär Stuckart, geschrieben hatte, wussten wir.“ An diesen Satz schließt sich jedoch nicht etwa eine Analyse der NS-Gesetze an, die den Gleichheitssatz zu Lasten der Juden gänzlich aufgehoben haben. Auch dass Globke über die nationalsozialistischen Normierungen hinaus in seinem Kommentar neue Eingriffstatbestände zur Verschärfung der Diskriminierung der Juden für die NS-Justiz entwickelte, bleibt unerwähnt.

Stattdessen schreibt Eschenburg nach der bloß formellen Erwähnung von Globkes Kommentar: „Wir dachten in ganz anderen Abwehrkategorien als es heute jene tun, die nicht unmittelbar Zeugen der Verhältnisse und Vorgänge des nationalsozialistischen Regimes gewesen sind.“ Hier wiederholt sich erneut der bekannte Ausschluss all jener, die damals nicht dabei gewesen waren und deshalb heute nicht über die damaligen Zustände zu urteilen hätten.

Mit Blick auf Globkes administrative Tätigkeit entbehrt jedoch der auf ihn bezogene Begriff der „Abwehrkategorie“, der eine Distanz zum Regime behauptet, der empirischen Basis. Globke trat bereits als Beamter des preußischen Innenministeriums in der Weimarer Republik mit einer gegen die Juden gerichteten Vorlage vom 23. Dezember 1932 dafür ein, die Genehmigung von Namensänderungen zu untersagen, sofern Juden damit „ihre jüdische Abkunft […] zu verschleiern“ suchten. Diese noch vor der NS-Herrschaft entwickelte Linie der Diskriminierung der Juden setzte Globke im Dritten Reich als Namenssachverständiger des Innenministeriums verschärft fort. 1938 konzipierte er jenen Erlass, der die Juden zwang, einen jüdischen Zweitnamen in ihren Pass eintragen zu lassen. Mit der von Staatsekretär Stuckart und Justizminister Gürtner unterzeichneten Verordnung vom 17. August 1938 wurden Juden als solche in allen potentiellen Zufluchtsländern kenntlich. Abweisungen bereits an der Grenze wurden damit leichter möglich und auch, wie etwa von der Schweiz, vielfach praktiziert.

Eschenburg argumentiert mit Blick auf Globke mit der Figur des „unmittelbaren Zeugen,“ der eigentlich der inneren Emigration zugerechnet wird. Globkes Funktion in der judenfeindlichen Politik der NS-Diktatur wird damit fast vollständig zum Verschwinden gebracht.

Eschenburg blendet die Blickrichtung eine anderen, kritische Zeitzeugenschaft aus, wie sie in der am Rechtsdenken der Aufklärung orientierten Analyse der NS-Herrschaft zum Ausdruck kommt, die bereits 1942 in dem schon erwähnten „Behemoth“ Franz Neumanns vorgelegt wurde. Im Gegensatz zu Eschenburg bringt Neumann, der als Jude und Sozialist von den Nazis 1933 ausgebürgert wurde, den Zivilisationsbruch der NS-Gesetzgebung gegen die Juden auf den Begriff: Die nationalsozialistische Bevölkerungspolitik normiert „die Vertreibung der Juden aus dem Gemeinwesen“. Dies „entbehrt so sehr der christlichen Nächstenliebe, ist so wenig durch Vernunft zu rechtfertigen und widerspricht so vollkommen dem Mitleiden und Mitfühlen, dass sie wie das Tun durch und durch heidnischer Menschen anmutet.“

 
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