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„Ich hatte Angst“

Von 1956 bis 1959 habe ich selbst bei Theodor Eschenburg studiert und anschließend auch bei ihn promoviert. Deutlich erinnere ich mich an einen kurzen gemeinsamen Spaziergang Ende der 50er Jahre vom Büro in der Tübinger Brunnenstraße zum nahegelegenen Hörsaal seiner Vorlesung. Ich fragte ihn bei der Gelegenheit – aus einem Kontext, den ich heute nicht mehr rekonstruieren kann –, warum er in der NS-Zeit eine so unauffällige bürgerliche Existenz geführt habe, wo wir, seine Studenten, doch wussten, dass er in den 30er Jahren im Begriffe gestanden hatte, in die Politik zu gehen.

Seine Antwort war knapp und deutlich: „Ich wusste, dass die Kerle folterten, und ich wusste, dass ich das nicht aushalten würde. Ich hatte Angst.“ Zum Märtyrer war Eschenburg offenbar, auch nach eigener Einschätzung, nicht geschaffen. Mir schien das damals und scheint mir noch immer eine zwar ernüchternde, aber gerade deswegen plausible und ehrliche Erklärung, die mir für meine damaligen Fragen als Antwort vollauf genügte. Eschenburg, so mein damaliges Urteil, hatte es dank seiner unbestritten großen Autorität sozusagen nicht nötig, über seine Biographie während der Nazijahre zu sprechen: Es war, wie er gelegentlich offen zugab, „kein Ruhmesblatt“ für ihn – immer vor dem Hintergrund der Angst vor Folter. Wenn seine heutigen Ankläger ihm vorwerfen, keine öffentliche Selbstkritik geübt zu haben, so sollten sie sich fragen, was man mehr von ihm erwarten darf als ein durchaus öffentliches Geständnis von – zivil gesprochen – persönlicher Feigheit. Risiken ist er mit seiner bürokratischen Hilfe für einzelne bedrohte jüdische Unternehmer durchaus eingegangen, aber das doch immer unterhalb der Grenzen möglichen Widerstands gegen das NS-Regime. Für ein offenes Engagement war er zu vorsichtig.

Immer auf Augenhöhe – das Vorbild Eschenburg

Es sei mir an dieser Stelle eine weitere sehr persönliche Episode gestattet, zur Illustration von Eschenburgs Beziehungen zu seinen Schülern und Studierenden. Heute werfen ihm die DVPW-Funktionäre vor, kein „Vorbild“, kein „Modell“ für nachfolgende Generationen zu sein, was die Namensgebung des politikwissenschaftlichen Preises rechtfertigen könne – und damit „Eschenburgs Aufwertung zum vorbildgebenden Meister der Zunft“, wie Claus Offe mit herablassender Ironie formulierte. Tatsächlich hat Theodor Eschenburgs Lehre des Politischen zumindest an einem Punkt Vorbildcharakter, den er den meisten mir bekannten Hochschullehrern voraus hat und der einer jeden Universität gut anstünde, nicht nur erinnert sondern wiederbelebt zu werden: die patriarchalische Fürsorge für seine Studentinnen und Studenten und die Offenheit für kritische Positionen im

übersichtlichen Raum seiner Seminare.

Bei aller Autorität, die Eschenburg ausstrahlte, blieben die Diskussionen immer, wie man so sagt, „auf Augenhöhe“. Widerspruch zu politischen Thesen – seien es die seinen, seien es die studentischen – waren nicht nur möglich, sondern auch erwünscht. Wie weit und grundsätzlich seine pädagogische Toleranz ging, wurde deutlich an einer schriftlichen Äußerung, die mir selbst erst vor wenigen Jahren bekannt wurde. Sie sei darum hier wiedergegeben – nicht aus persönlicher Eitelkeit, sondern wegen der zutiefst sokratisch-demokratischen Haltung, der sie entsprang – als eindrucksvoller Beleg für eine modellhaft akademische Haltung.

Als Mitte der 60er Jahre die ersten Vorzeichen der 68er-Unruhe auch das idyllische Tübingen erreichten, war es Eschenburg, der sich der studentischen Kritik mit ihren nicht immer erfreulichen Begleiterscheinungen stellte. „Ihr wollt mich ja nur enteignen“ pflegte er halb scherzend, aber mit durchaus beunruhigtem Unterton zu sagen. Da ich mich auf beiden Seiten der Konflikte engagierte und als Doktorand vom akademischen Establishment besonders misstrauisch verfolgt wurde, kam es zu einer kleinen Verteidigungsschrift Eschenburgs an seinen Tübinger Kollegen Kirchhoff:

„Ich weiß, daß Krippendorff mit einigen seiner Aufsätze, vor allem dem im ‚Monat' erschienenen ‚Das Ende der Parteien' Ärgernis erregte. Mein verstorbener Kollege Bergstraesser hat sich damals über diesen Aufsatz sehr aufgeregt. Auch ich muss zu diesem Aufsatz eine Reihe starker Bedenken anmelden, aber rege mich nicht deswegen weiter auf. Junge Leute müssen Fehler machen dürfen. Hier ist einmal wieder das Temperament mit Krippendorff durchgegangen, aber man darf dessen große Vorzüge gerade bei ihm nicht verkennen. Es gibt eine Vielzahl großer Gelehrter, die in ihrer Jugend unausstehlich radikal waren. Damit will ich nun nicht den Umkehrschluss ziehen, dass man radikal sein muss, um ein anerkannter Wissenschaftler zu werden. […] Er hat mir in den Seminaren und Kolloquien nicht immer taktsicher widersprochen, was mir sympathisch war. Ich kann diese Übervorsichtigen, die nirgends Anstoß erregen wollen, nicht ertragen. […] Es ist mir immerhin sympathischer als konventionelle Unscheinbarkeit. […] Ich muss immer wieder sagen, diese wissenschaftlichen Pubertätserscheinungen nehme ich nicht tragisch, im Gegenteil, sie lassen auf eine gute Entwicklung hoffen.“

Dieser generöse Umgang mit radikal anderen Ansichten erscheint mir heute noch vorbildlich. Und wie vermutlich nicht wenige seiner Schüler bezeugen können, setzte sich diese großzügige Haltung fort in der Hilfsbereitschaft, mit der Eschenburg die ersten Schritte frisch promovierter Politologen aus dem Schutz der Seminare in den ungeschützten Raum wissenschaftlicher oder anderer gesellschaftlich nützlicher Tätigkeit gutachterlich oder empfehlend begleitete und unterstützte.

 
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