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Wie Eschenburg zum Fall wurde

Zu einem „Fall“ wurde Theodor Eschenburg erst im Jahr 2011 – und zwar durch eine, was den Zeitpunkt anbetrifft, wohl eher zufällige Recherche zu seinem Verhalten in den Nazi-Jahren. Diese Recherche machte Vorstand und Beirat des Fachverbandes darauf aufmerksam, dass Eschenburgs Biographie für die Zeit des Dritten Reiches lückenhaft und problematisch sei: Seine Vita verschweige dessen opportunistische Nähe zum NS-Regime und seine Rolle als williger Diener der sich auf den Krieg vorbereitenden NS-Wirtschaftspolitik. Eschenburg, so der schwerwiegendste Vorwurf, habe mitgewirkt an einer jener kriminellen „Arisierungen“, mit denen die deutschen Juden systematisch wirtschaftlich ausgegrenzt und wenn möglich zum Verlassen des Deutschen Reiches gezwungen werden sollten – woraus sich dann mit Kriegsausbruch die physische Vernichtung, der industriell betriebene Massenmord entwickelte. Die historische Diskussion dieses dunkelsten Kapitels deutscher Geschichte wurde spätestens seit den 70er Jahren in nahezu allen Feldern geführt: keine gesellschaftliche Gruppe, Schicht oder Klasse, kein Berufsstand und keine Funktionselite, die nicht vom Gift des NS-Rassismus erfasst worden wäre. Nun also schien es auch die gerade erste gegründete Politikwissenschaft erwischt zu haben – und sogar in der Person eines ihrer prominentesten Gründungsväter. Mit feurigem Eifer entdeckte der Politologe Rainer Eisfeld angeblich braune Flecken auf der weißen Weste des Praeceptor Germaniae, wie Eschenburg inzwischen respektvoll genannt wurde. Dieser Eifer scheint von einem geradezu leidenschaftlichen Enthüllungs-Furor angetrieben zu sein, der sich auf Zweifel, Differenzierungen und eine historisch-psychologische Komplexität seiner eigenen Entdeckungen nicht eingelassen hat. Hermann Rudolph, „Tagesspiegel“-Herausgeber und als Herausgeber der Eschenburg-Erinnerungen intimer Kenner der Materie, nannte die sich entfaltende Kampagne der Eschenburg-Kritik, der sich Vorstand und Beirat der DVPW alsbald anschlossen, einen psychologischen Fall von Vatermord. Wie vorschnell diese unkritische Übernahme der Eisfeldschen Enthüllungen durch Vorstand und Beirat der Politologen-Vereinigung waren, wurde deutlich, als ein sorgfältig und skrupulös recherchierender Journalist des Schwäbischen Tagblattes, Hans-Joachim Lang, sich ans Studium der 70 Aktenordner Eschenburgs machte. Diese befinden sich im Tübinger Universitätsarchiv, darunter zahlreiche Korrespondenzen mit Freunden und Bekannten aus Eschenburgs Studienzeit, die als Juden meist nach 1938 („Reichskristallnacht“) aus Deutschland geflohen waren, aber teilweise den Kontakt nach 1945 wieder aufgenommen hatten. Zu Lob und Ehre eines verantwortungsvollen Journalismus (und entsprechend zur Schande der akademischen Forscher) sei es gesagt, dass jener Hans-Joachim Lang diesen Spuren gefolgt ist und dadurch die Fäden des komplexen und zugleich materialreichen Beziehungsgeflechts entwirren konnte, in dem Eschenburg sich nicht nur während, sondern auch nach der NS-Zeit bewegte.

Lang gelang es auf diese Weise, das gesellschaftliche und politische Umfeld zur Sprache zu bringen. Dagegen hat offenbar keiner der selbst ernannten Richter und Richterinnen über Eschenburgs angebliche „Verstrickung“ in das NS-System etwa das autobiographische Buch von Ingeborg Malek-Kohler „Im Windschatten des Dritten Reiches“ zur Kenntnis genommen, geschweige denn gelesen und ausgewertet. Eschenburg schrieb zu diesem Buch mit dem Untertitel „Begegnungen mit Filmkünstlern und Widerstandskämpfern“ 1986 ein freundschaftliches Vorwort. Hier findet man, unter anderem, einen Schlüssel zu Eschenburgs in der Tat durchaus problematischer Verteidigung von Hans Globke, dem Kommentator der Nürnberger Rassengesetze und Kanzler-Amtschef Konrad Adenauers: Eschenburg und Globke waren Studienfreunde und gehörten in dieser Zeit zu einem lockeren bürgerlichen Kreis, der sich dezidiert außerhalb des Regimes zu halten versuchte.

 
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