Desktop-Version

Start arrow Politikwissenschaft arrow Mitgeacht

  • Increase font
  • Decrease font


<<   INHALT   >>

3. Hitleranhänger, Vernunftrepublikaner, Anti-Parlamentarier? Die vielen Gesichter Eschenburgs in der Weimarer Republik

Mehrere Indizien sprechen dafür, dass Theodor Eschenburg die Weimarer Republik nicht von Beginn an bejahte. Zum einen legt das eine Äußerung Eschenburgs aus dem Jahr 1929 selbst nahe, die ein Jahr später von Antonina Vallentin, einer Vertrauten Stresemanns, in ihrer Biografie über den ehemaligen Reichskanzler und Reichsminister wieder aufgegriffen wurde. Demnach sah der Gymnasiast Eschenburg in der Weimarer Republik zunächst „einen Staat der Unordnung, der Korruption, der Unmännlichkeit“, den er und andere „Primaner“ „verachteten“. Stattdessen „jubelten“ sie „im November 1923 Hitler zu“. Von Stresemann erwarteten sie den herbeigesehnten „Aufstieg des Reichs“ nicht, hatte er doch den passiven Widerstand gegen die französische Ruhrbesetzung aufgegeben – das passte nicht zu „unserer Sehnsucht nach heldischem Handeln“, gab Eschenburg zeitnah zu. Noch nach dem Tod Stresemanns im Jahr 1929 bezeichnete Eschenburg sich und andere jüngere Mitglieder der nationalliberalen DVP als „wir Jungen, die wir von der Rechten herkommen“.

Auch die Tatsache, dass sich Eschenburg für den Studienort Tübingen entschied, spricht dafür, dass der junge Mann zunächst nicht republikanisch dachte. Anders als bislang vielfach behauptet, war die Universitätsstadt am Neckar in den 1920er Jahren nämlich nicht überwiegend „egalitär“ und „liberal“ geprägt, sondern stark völkisch und antisemitisch, wie mehrere historische Studien überzeugend nachgewiesen haben. Nach der „Machtergreifung“ 1933 etwa musste die Universität kaum jüdische Gelehrte entlassen, so erfolgreich war ihre „Selbstarisierung“ in vorauseilendem Gehorsam seit den 1920er Jahren gewesen.

Theodor Eschenburg trat im Sommersemester 1924 der Burschenschaft Germania bei und wurde im Wintersemester 1925/26 ihr Sprecher. Wie in einer bereits 1999 erschienenen, aber kaum rezipierten Studie herausgearbeitet wurde, war Eschenburg seit dem Wintersemester 1924/25 zudem Vorsitzender des Hochschulrings Deutscher Art (HDA), einer nationalen Gruppierung mit „stark völkischer Prägung“, in die nur „Arier“ aufgenommen werden durften und deren politische Bildungsarbeit Eschenburg „entscheidend“ bestimmte654. In dieser Funktion war er, wie Rainer Eisfeld publik gemacht hat, maßgeblich an dem Versuch beteiligt, den von der Arbeitsgemeinschaft sozialistischer Akademiker initiierten Vortrag von Emil Julius Gumbel, ein aus einer jüdischen Familie stammender Pazifist und Justizkritiker, zu verhindern. Für die Konsequenzen der folgenden, als „Lustnauer Schlacht“ in die Stadtund Universitätsgeschichte eingegangenen tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern und Gegnern Gumbels musste Eschenburg sich auf dem Polizeirevier verantworten. Damit hat Eschenburg nachweislich eine antisemitisch motivierte Hetzkampagne billigend in Kauf genommen.

Näheres war bislang nicht bekannt, doch scheint Eschenburg – womöglich beeinflusst durch die Begegnung mit Stresemann – seine politischen Ansichten ab etwa 1925 überdacht zu haben. Wie erst jetzt erschlossene Dokumente aus dem Nachlass seines Studienfreunds Paul Binder im Archiv für Christlich-Demokratische Politik (ACDP) nahe legen, war Eschenburg zumindest nach seinem Wechsel nach Berlin 1926 bemüht, mäßigend auf die offenbar von radikalen deutschnationalen Studenten bewusst aufgeheizte Stimmung in Tübingen einzuwirken. Deutlich wird in den Briefen, die Binder und Eschenburg zwischen 1927 und 1928 austauschten, dass Eschenburg allzu radikal auftretende Deutschnationale aus dem Vorstand des Hochschulrings auszuschließen versuchte.

Die Kreise, in denen sich Binder und Eschenburg während ihres ausgesprochen intensiven Einsatzes für den Hochschulring bewegten, sind von Paul Binder selbst beschrieben worden: Die Personen, die die beiden Strippenzieher nach Tübingen zu Vorträgen zu holen und für einen „Förderkreis“ des notorisch klammen Hochschulrings zu gewinnen versuchten, entstammten „durchweg dem konservativen Lager, das sich vom rechten Flügel der Demokratischen Partei bis zum linken Flügel der Deutschnationalen ausdehnt. Es sind die Männer, die um unserer nationalen Selbsterhaltung willen zunächst einmal für die Erhaltung des heutigen Reichs und sodann in erweiterter Linie für dessen schrittweise Erneuerung eintreten. Es ist daher kein Zufall, dass sich unser Förderkreis weithin mit den Persönlichkeiten des Luther'schen Bundes zur Erneuerung des Reiches decken wird.“

Mit dem Ziel der Reichsreform und Stärkung der Reichsgewalt unter der Führung des ehemaligen Reichskanzlers Hans Luther vereinigte der am 6. Januar 1928 in Berlin gegründete Bund zur Erneuerung des Reiches Politiker der Deutschen Demokratischen Partei (DDP), des Zentrums sowie Mitglieder des rechten Randes der Deutschen Volkspartei (DVP), einige Sozialdemokraten und parteilose Konservative sowie Industrielle, Bankiers, Wissenschaftler und Publizisten. Tatsächlich finden sich zahlreiche Namen, mit denen Binder und Eschenburg in ihren Briefen jonglierten, auf der Mitgliederliste des Luther-Bundes wieder. Zu Vorträgen nach Tübingen reisten neben Hans Luther selbst die Bund-Mitglieder Gustav Stresemann, Hermann Höpker-Aschoff, das Präsidiumsmitglied des Reichsverbands der Deutschen Industrie, Ludwig Kastl, der in der Ostforschung engagierte Historiker und Deutschnationale Otto Hoetzsch sowie der Präsident des Reichslandbundes und spätere Unterzeichner der Industrielleneingabe an Paul von Hindenburg, Eberhard Graf von Kalckreuth. Zudem hielt der in Tübingen lehrende nationalistisch-antisemitische Historiker und Lehrer Eschenburgs Johannes Haller einen Vortrag. Über den Kreis des Bundes zur Erneuerung des Reichs hinausgehend, traten im Rahmen von HDA-Veranstaltungen in der Universitätsstadt am Neckar auch der Anglist und „Wortführer nationalkonservativer Kreise“ Wilhelm Dibelius, der mit Bevölkerungsfragen beschäftigte Diplomat Oskar Wingen von der Presseabteilung der Reichsregierung sowie Paul Max Eckhardt, Bevollmächtigter in deutsch-polnischen und deutsch-tschechoslowakischen Grenzfragen, auf666. Zudem bemühte sich Eschenburg 1928 um die Redner Siegfried von Kardorff, zu diesem Zeitpunkt Vizepräsident im Präsidium des Deutschen Reichstages, Hans von Seeckt, Reichstagsabgeordneter der DVP, den Prälat Ludwig Kaas, Vorsitzender des Zentrums, und auch Alfred Hugenberg, Vorsitzender der sich im Wahlkampf 1928 zunehmend radikalisierenden Deutschnationalen Volkspartei (DNVP).

Wie Paul Binder selbstlos zugab, war das „Gedeihen“ des Tübinger HDA „fast ausschließlich das Werk Eschenburgs“. Tatsächlich zog der junge Doktorand von Berlin aus die Fäden, erwies sich als talentierter Netzwerker und agierte überaus geschickt und strategisch. So scheint es auch weniger „schwäbischer“ Liberalität als gewieftem Taktieren geschuldet gewesen zu sein, dass Eschenburg selbst führende Köpfe der DNVP wie Hugenberg oder Männer, die er selbst nicht schätzte, wie den Deutschnationalen Wilhelm Bazille, zu tolerieren bereit war, wenn das nur die erwünschte Presse für den Hochschulring brachte: Gegen Bazilles Ausführungen im Rahmen eines Vortrags, die Eschenburg inhaltlich „unglaublich“ fand, unternahm er vor allem deswegen nichts, weil der Hochschulring erst durch Bazille „zum Forum in Württemberg geworden“ sei und das neben erhöhter Aufmerksamkeit eben auch die Sicherung der prekären Finanzlage versprach. Aus solchen Gründen hatte Eschenburg auch gegen eine Einladung des DVP-Mitglieds und Duisburger Oberbürgermeisters Karl Jarres „nichts einzuwenden“. Der deutschnationale Vorstand des HDA hatte bei Eschenburg Jarres' Einladung angemahnt, weil man „mehr denn je auf die bewusst nationale, ja geradezu konservative Haltung der führenden Württemberger Rücksicht nehmen“ müsse und sich nicht mehr durch „ungeschickte Veranstaltungen“ den Ärger der förderungswilligen Geldgeber zuziehen dürfe. Wie abhängig der Hochschulring dadurch auch politisch von seinem „Förderkreis“ und den Finanzspritzen war, die ihm insbesondere führende deutsche Unternehmer und Industrielle zukommen ließen, ergibt sich aus der Korrespondenz zweifelsfrei. So war Eschenburg sehr darum bemüht, alle administrativen und politischen Fragen mit dem einflussreichen Großindustriellen, Geschäftsführer des Langnam-Vereins und Deutschtumsaktivisten Max Martin Schlenker, einem der beständigsten Geldgeber, abzustimmen673. Förderkreismitglied Ludwig Kastl griff sogar inhaltlich in die Ausrichtung des Hochschulrings ein, lehnte dezidiert republikanische Redner ab und veranlasste dadurch auch Eschenburg, diese fallen zu lassen und nach Alternativen zu suchen.

Dass der Hochschulring mit dieser Politik Mitglieder der DDP und liberal gesinnte potenzielle Geldgeber verprellte, zeigt sich am Beispiel des schwäbischen Unternehmers Robert Bosch: Nur unter der Bedingung, dass sich der HDA, der ja bis mindestens Mitte der 1920er Jahre eine völkische und antisemitische Stoßrichtung hatte, „gewandelt“ habe, war Bosch bereit, in den Förderkreis des Hochschulringes einzutreten. Stresemann und Luther allein waren für ihn bezeichnenderweise „noch keine Gewährsmänner“ für diesen Wandel. Obwohl sich Eschenburg um Bosch sehr bemühte, weil er als „der Garant“ dafür erschien, „dass wir nicht zu weit nach rechts abdriften“, antwortete Bosch, so weit das den Quellen zu entnehmen ist, auf Eschenburgs Werbeversuche nicht. Tatsächlich hielten sich auch die wenigen Parteimitglieder der DDP, die Eschenburg für Vorträge zu gewinnen versuchte, wie etwa der Hamburger Bürgermeister Carl Wilhelm Petersen, vornehm zurück und ließen sich allem Anschein nach von dem Netzwerker aus Berlin nicht nach Tübingen locken.

Während sich also bereits das Umfeld des HDA keineswegs allein aus gemäßigten Liberalen und Republiktreuen zusammensetzte, ist auch die politische Haltung Eschenburgs bei weitem nicht so klar und eindeutig, wie das bislang immer behauptet wurde. Zum einen verstand er es geradezu virtuos, zwischen den Fronten zu lavieren. Er gefiel sich in dieser Uneindeutigkeit und scherzte über die Verwirrung, die er damit oftmals hervorrief: „Sie treiben kluge Politik; Sie gehen zur Rechten und machen Politik der Linken“, zitierte Eschenburg genussvoll die Reaktion eines Redakteurs des Berliner Tagblatts auf einen Artikel aus seiner Feder.

Zum anderen sind Eschenburgs Äußerungen über weite Strecken der Zwischenkriegszeit von anti-parlamentarischen, anti-pluralistischen und anti-partikularistischen Ressentiments mit starkem elitären Einschlag geprägt. Wie mehrere Aufsätze in der Stresemann-Monatsschrift Die deutschen Stimmen belegen, wandte sich Eschenburg ganz klar gegen jeden „Parteihändel“, den schon Stresemann nicht geduldet habe. Der pluralistische Parteienstreit bedeutete für Eschenburg die Gefährdung einer von ihm als dringend notwendig erachteten „einheitliche[n] politische[n] Willensbildung“ im zu errichtenden „Einheitsstaat“. Hierin wusste er sich mit seinem akademischen Lehrer, dem Historiker und frühen NSDAP-Mitglied Johannes Haller einig, der Eschenburgs Meinung zufolge auf einer öffentlichen Führertagung des Reichslandbunds Ende 1927 eine „politische Idee […] in glänzender Form“ entwickelt hatte. In Hallers Ansprache, die Eschenburg auch intern als „sehr geistvollen“ Vortrag bezeichnete, war sein Lehrer „für den Einheitsstaat als der gegebenen Entwicklung der Bismarckschen Verfassung“ eingetreten. Diesem Einheitsstaat Leben einzuhauchen, „das ganze Volk“ mit einer parlamentarisch nicht zu erzielenden „Sehnsucht nach einem einigen Reich“ zu infizieren, sah Eschenburg als Aufgabe einer elementar politischen, aber einer „von Organisationen unbeschwerte[n] Bewegung“ an.

Der Schlüssel auf dem Weg zum Einheitsstaat, der nicht – und darin war Eschenburg ganz Konservativer – auf dem Wege des Umsturzes erreicht werden konnte, war die politische Schulung und Erziehung der akademischen (männlichen) Jugend. Diese Aufgabe sollten „Männer des politischen Lebens oder aus der Wirtschaft“ übernehmen. Jedweder „Presseund Parteipropaganda“ erteilte Eschenburg hingegen eine klare Absage. Wie er sich die Erziehung vorstellte, die viel mehr als bloße Wissensvermittlung sein sollte, wird aus einem Schreiben ersichtlich, in dem sich Binder auf eine gemeinsam mit Eschenburg verfasste Denkschrift berief: Beiden ging es demnach darum, „Übereinstimmung und Annäherung der Staatsanschauung“ zu erzielen, um einen „Weg zur Eindämmung des partikularen Geistes zu finden“, was letztlich zu einer „großen Geschlossenheit und Einheitlichkeit der politischen Willensbildung des Reichs“ führen sollte. Die Studenten waren dabei für sie die „Schicht“, auf die sich die künftigen Führer des Staates stützen sollten, eine Art intermediäre Mittlerstelle, über die die Führer ihren „Willen auf die Massen des Volkes“ übertragen konnten. Mit dieser Idee bewegten sich Binder und Eschenburg sehr nah an sozialharmonischen Gemeinschaftsvorstellungen zahlreicher konservativer deutscher Intellektueller der Zwischenkriegszeit, ohne allerdings deren oftmals mystisch-pietistisch geprägte Vorstellungen der Innerlichkeit aller Bildungsprozesse nachzuvollziehen.

All diese Äußerungen lassen sich zwar noch als Ja zur Republik lesen. Im Zentrum von Eschenburgs intellektueller Tätigkeit stand aber stets der starke Staat, dessen republikanische Verfasstheit für ihn eine untergeordnete Rolle spielte. Und auch der parlamentarischen Demokratie stand er eher skeptisch gegenüber. Eine Annäherung daran, was Demokratie für Eschenburg Ende der 1920er und zu Beginn der 1930er Jahre bedeutete, ergibt sich mit Blick auf seine Vorstellung, wie innerparteiliche Willensbildung zu funktionieren hatte. „In der Demokratie“, so Eschenburg, habe die Partei „bis zu einem gewissen Grad den Charakter der Gefolgschaft“ anzunehmen. Entscheidungen und Wahlhandlungen waren für ihn „vorwiegend Sache der Führer und des Kabinetts“. Entsprechend sah er „Mikrodemokratien“, womit er insbesondere die kommunistische und sozialdemokratische Basis in den Kommunen bezeichnete, als Beginn der Zerstörung des Staates „von unten“. Den „Volksstaat“, wie Binder und Eschenburg die Weimarer Republik häufig unter dezidierter Auslassung des Begriffs Demokratie bezeichneten, legten beide ganz klar zugunsten des Staates aus. Deutlich wird das auch in der Haltung, die Eschenburg in der Flaggenfrage einnahm: Er hielt es für das Beste, berichtete er Binder aus Berlin, wenn die Deutschnationalen dazu kämen, „Staatsform und Staatssymbole an[zu]erkennen“. Das hieß für Eschenburg aber nicht etwa ein Bekenntnis zur Republik abzulegen, sondern war für ihn die Voraussetzung dafür, dass die Deutschnationalen „sich tatsächlich wieder eine wirkliche Macht im Staate“ verschaffen könnten.

Dass Eschenburg und Binder die Republik zwar nicht umstürzen, aber eben doch transformieren wollten, zeigen besonders eindrücklich ihre weitgehenden Pläne zur Umgestaltung der bürgerlichen Parteienlandschaft nach dem Tod Stresemanns im Jahr 1929, dem damit eine Art Zäsurfunktion zukommt. Binders und Eschenburgs Vorstellungen liefen letztlich auf die weitgehende Abschaffung des Parlamentarismus hinaus, der Schritt zu autoritären Staatskonzeptionen war nicht weit. Der programmatische Entwurf dieser Idee scheint zwar maßgeblich von Paul Binder und Werner Plappert, promovierter Jurist und Zigarrenfabrikant, der die Geschicke des HDA über weite Strecken der Zwischenkriegszeit mitbestimmte, verfasst worden zu sein. Eschenburg hat diesen Plänen aber nicht nur positiv gegenübergestanden, er hat sie aktiv unterstützt, wie wir aus den detailgenauen Berichten Binders über die Lage in Berlin Ende der 1920er und Anfang der 1930er Jahre wissen.

Um was genau ging es in diesem Plan? Bereits fünf Tage nach dem Tod Stresemanns am 3. Oktober 1929 lag das Programm für eine neue Partei vor, das bezeichnenderweise mit den Worten beginnt: „Stresemann ist tot.“ In dieser Schrift werden zunächst die Mängel des bisherigen Systems beschrieben: ständige Regierungskrisen, die die immer gleiche Regierungskoalition der „linken Parteien mit der Deutschen Volkspartei“ hervorbrächten. Eine „regierungsfähige Rechte“ gebe es nicht mehr, seit Hugenberg die Führung der DNVP übernommen habe. Damit herrsche die „Anarchie der Parteien“. „Staatspolitische Aufgaben“ blieben liegen und würden von der Regierung lediglich „verwaltet“. Deswegen ging es den Autoren der Denkschrift um die Gründung einer neuen, nationalen Partei, die „den Staatswillen verkörpert“ und „an die Stelle der drei bürgerlichen Parteien – Demokraten, Volkspartei und deutschnationale Volkspartei – zu treten“ hatte. Dass diese „nicht freiwillig“ abdanken würden, darüber war man sich im Klaren: Deswegen war geplant, „diese überalterten Gebilde“ im „Wahlkampf zu zertrümmern“. Zwar bekannte sich die Denkschrift formal zu Demokratie und Republik; dieses Bekenntnis drückte sich auch in dem gewählten Namen „Republikanische Reichspartei“ aus. An mehr als einer Stelle des Programms aber scheint durch, dass sich die konkrete Staatsform dieser einen, den Staatswillen repräsentierenden Partei unterzuordnen hatte, ja dass die Staatsform letztlich, wie man auch offen zugab, „bedeutungslos“ war.

Bereits 1929 scheinen vor allem Eschenburg und Binder in größter Anspannung den Bruch der DNVP erwartet zu haben. Sie hofften, einen Teil der Deutschnationalen unter der Führung von Reichsernährungsminister und Präsident des Reichslandbundes Martin Schiele in die neu zu gründende Partei ziehen zu können. Allerdings liefen die Dinge bei den Deutschnationalen nicht wie von Eschenburg erwartet: Offenbar zögerte Schiele, den Bruch wirklich zu vollziehen, weil er fürchtete, der Parteiapparat könne im Falle einer Spaltung bei Hugenberg bleiben. Zudem fehlte, wie Binder bekannte, der neuen Partei ein „Führer“. Hans Luther, der offenbar ursprünglich vorgesehen war, hatte nach Meinung Binders „gar kein demagogisches Talent“ und auch der parteilose Reichswehrminister Wilhelm Groener schied aus genau diesem Grund aus. Die Pläne Eschenburgs und Binders gerieten deshalb ins Stocken.

Erst ein Jahr später wurde die neue Partei tatsächlich aus der Taufe gehoben, allerdings unter einem anderen Namen und ganz anders als von Binder, Plappert und Eschenburg ursprünglich geplant. Dem demokratischen Abgeordneten Erich Koch-Weser gelang es mit seiner schnellen Reaktion nach der Reichstagsauflösung im März 1930, die Gründung der Staatspartei maßgeblich mitzubestimmen und nach seinen Vorstellungen zu beeinflussen. Eschenburg, der unmittelbar nach dem Bruch der „Großen Koalition“ unter Reichskanzler Hermann Müller bereits mit dem rechten Flügel der Deutschen Volkspartei, u. a. mit Julius Curtius, in Verhandlungen zu treten versuchte, konnte nur noch zusehen, wie ihm seine jahrelange Arbeit im Hochschulring zwischen den Fingern zerrann und sich auch die über Jahre auf-gebauten Kontakte zu einflussreichen Personen aus Industrie und Politik nicht in politische Münze verwandelten. Denn die Auflösung der Demokratischen Partei, die Koch-Weser betrieben hatte, um diese geschlossen in die Staatspartei überführen zu können, passte Binder und Eschenburg überhaupt nicht ins Konzept: Das sei „ein großer Fehler“ gewesen, beschwerten sich beide, denn damit sei „ein großer Teil des pazifistischen linken Flügels, den man doch gerade abstoßen wollte“, einfach in die neue Partei „mit herübergekommen“. Dass Eschenburg den Gründungsaufruf dennoch unterschrieb und damit letztlich sein Placet zum Aufbau der Staatspartei gab, ist seinen eigenen Angaben zufolge allein dem Versuch geschuldet gewesen, „Schlimmeres“, d. h. eine noch größere Linkslastigkeit der Partei zu verhindern. Für Eschenburg jedenfalls trifft die Einschätzung der Forschung, dass die Staatspartei vor allem gegründet worden sei, um eine „Erosion des Linksliberalismus“ aufzuhalten, mitnichten zu. Im Gegenteil: Offenbar hat es noch sehr viel weitergehende Pläne gegeben, über die wir aber erst im Ansatz Bescheid wissen. Wie Binder in einem Schreiben an Plappert betonte, hatte sich „bei Eschenburg und seinen Freunden“ in Berlin Ende Januar 1931 eine ähnliche Auffassung durchgesetzt, die Binder und Plappert bereits ein Jahr zuvor geteilt hätten. Worum es sich dabei konkret handelte, darüber ergeht sich Binder lediglich in Andeutungen: Offenbar aber ging es um nichts Geringeres als „die Besitzergreifung des Staates durch eine reorganisierte Rechte“, die aber nur dann einen „bleibenden Erfolg“ verspreche, wenn „es möglich ist, die Reparationslast für die Dauer abzuschütteln“. Da damit in der nächsten Zeit nicht zu rechnen sei – Binder argumentierte, dass die USA die Einnahmen bereits in ihr ordentliches Budget aufgenommen hätten – „muss schon aus diesem Grunde jede nationalpolitische Reorganisation, die sich übrigens ohne organisatorische Kleinarbeit […] nicht wird durchsetzen können, erfolglos bleiben“. Damit waren die Pläne für eine Transformation der Weimarer Republik unter konservativ-autoritären Auspizien, wie sie Eschenburg und Binder geschmiedet hatten, zu Beginn des Jahres 1931 gescheitert, sie wurden, soweit das die Quellen belegen, offenbar auch nicht weiter verfolgt.

Über Eschenburgs Tätigkeit in der Zeit bis 1933 wissen wir bislang recht wenig. Aus der Politik scheint er sich weitgehend herausgehalten zu haben und auch publizistisch betätigte er sich nur noch vereinzelt unter dem Pseudonym GeorgьHuneus in der liberalen Vossischen Zeitung. Auch über seine Zeit im Verein Deutscher Maschinenbauanstalten (VDMA) und seine Tätigkeit im Bund freier Wirtschaftspolitik im Umfeld von Alexander Rüstow gibt es bislang kaum gesicherte Erkenntnisse. Wie sich einem von Eschenburg verfassten Lebenslauf, der sich in den Akten des Reichswirtschaftsministeriums befindet, entnehmen lässt, war Eschenburg seit Januar 1930 Referent im VDMA und ab Sommer 1932 in der Geschäftsführung des Bundes freier Wirtschaftspolitik tätig.

 
<<   INHALT   >>

Related topics