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Kein Vollzeitrepublikaner – die Findung des Demokraten Theodor Eschenburg (1904-1999)Table of Contents:
[Von der Autorin überarbeiteter, vom Oldenbourg-Verlag genehmigter Wiederabdruck aus: Bastian Hein, Manfred Kittel, Horst Möller (Hg.): Gesichter der Demokratie. Porträts zur deutschen Zeitgeschichte, München: Oldenbourg 2012, S. 187-204. ] EinleitungDie Lebenswege von Udo Wengst und Theodor Eschenburg haben sich früh gekreuzt. Im Tübingen der 1960er Jahre traf der junge Student der Geschichte und Politikwissenschaft das erste Mal auf den über 40 Jahre älteren Professor – eine Begegnung, die sich ihm im wahrsten Sinne des Wortes ins Gedächtnis einbrannte. Diese Wirkung hatte Theodor Eschenburg allerdings nicht nur auf den noch unerfahrenen jungen Mann, sondern auf viele seiner Zeitgenossen – zum Teil selbst gestandene Originale und vergleichbare Charismatiker der westdeutschen Politik. Altbundeskanzler Konrad Adenauer etwa soll nach einem Treffen mit dem aus Kiel stammenden Norddeutschen in dem ihm eigenen, als „Familienkölsch“ bekannten rheinischen Singsang bemerkt haben: „Jestern war de Eschenburg bei mir, isch dachte, der plant 'ne Attentat“. Tatsächlich waren Konrad Adenauer und Udo Wengst beide Zeuge ein und desselben Schauspiels geworden, das als vergnügliche Anekdote in ganzen Studentengenerationen die Runde machte: Der starke Raucher Eschenburg pflegte seine Pfeife noch brennend in die Jackentasche zu stecken; während Vorlesungen etwa kam es auf diese Weise zu bisweilen heftiger Rauchentwicklung. Das Brandloch, auf dessen baldiges Entstehen insbesondere die studentischen Zuhörer Wetten abschlossen, stellte sich allerdings nie ein: Bei seiner Emeritierung zu Beginn der 1970er Jahre ließ sich Theodor Eschenburg beim Tübinger Herrenausstatter Bleckmann am Holzmarkt einen neuen Anzug anfertigen; sein alter blieb nach 26jähriger Tragezeit zurück und fand von dort seinen Weg ins Stadtmuseum – intakt. Für Theodor Eschenburg selbst war das weniger Zufall als vielmehr eine ausgeklügelte „Frage der Technik, angekokelte Taschen zu vermeiden“. Solche und ähnliche Geschichten, Döntjes, wie der Norddeutsche Eschenburg zu sagen pflegte, sollen aber nicht Gegenstand des vorliegenden Aufsatzes sein. Sie verweisen ohnehin nur auf eine Seite der vielschichtigen und von Widersprüchen keineswegs freien Persönlichkeit, die sich eben nicht allein durch VergnüglichAnekdotisches erschließen lässt – mag Theodor Eschenburg dieses auch Zeit seines Lebens besonders geschätzt haben. Auch können die Facetten des Mannes, der vier politische Systeme, nur zwei davon Demokratien, durchlebte, nicht allein aus demokratiegeschichtlicher Perspektive dargestellt werden. Zwar war Theodor Eschenburgs Weg vom Kaiserreich in die Bundesrepublik letztlich ein Weg zur Demokratie. Diese Entwicklung verlief aber nicht linear und weist zahlreiche Brüche auf. Als genuin demokratisch kann sie selbst dann nicht bezeichnet werden, wenn man demokratischem Handeln viele unterschiedliche Ausprägungsmuster und Spielarten zugesteht. Anders formuliert: Eschenburg war nicht, er wurde Demokrat. Dass er als solcher schonungslos demokratische „Systemfehler“ eben jener ersten deutschen Republik aufdeckte, deren Entstehen er zuvor von der Basis aus untergraben hatte, ist dabei einer der vielen Treppenwitze der an Findungen reichen Eschenburgschen Geschichte. Das Nachkriegsnarrativ: Eschenburg als „Gewissen der Nation“ und Wahrer der bundesrepublikanischen Demokratie 1945–1999Theodor Eschenburg gilt als eine der Gründungsfiguren der Bundesrepublik. Bei Kriegsende 41 Jahre alt, begleitete er die Etablierung und Durchsetzung der zweiten deutschen Demokratie von Beginn an. 1946 zog Eschenburg vom Remstal in die schwäbische Heimat seiner Frau und wurde im gleichen Jahr zum Flüchtlingskommissar des Landes Württemberg-Hohenzollern berufen. Ein Jahr später war er im Deutschen Büro für Friedensfragen tätig, das unter der Ägide der Ministerpräsidenten der amerikanischen Besatzungszone Friedensverhandlungen vorbereiten sollte. Zunächst Ministerialrat im sozialdemokratisch geführten Innenministerium in Süd-Württemberg (1947–1952), dann Staatsrat (ab 1951), spielte Theodor Eschenburg alsbald eine bedeutende Rolle bei der Ausgestaltung des Südweststaates. Nicht nur hob er so das Land Baden-Württemberg politisch mit aus der Taufe. Er kommentierte diesen von ihm als vorbildhaft für die gesamte Neugliederung der Bundesrepublik empfundenen Prozess auch aus wissenschaftlicher Perspektive. Diese doppelte Leidenschaft für Politik und Wissenschaft machte er schließlich zum Beruf: Parallel zu seiner Tätigkeit in der württembergischen Regierung nahm der promovierte Historiker Eschenburg bereits kurz nach Kriegsende einen Lehrauftrag an der Universität Tübingen an, wurde 1949 zum Honorarprofessor und schließlich 1952 auf den Lehrstuhl für wissenschaftliche Politik berufen, den er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1973 inne hatte. Mit dem Aufbau des Seminars für wissenschaftliche Politik war Theodor Eschenburg maßgeblich an der Institutionalisierung der Politikwissenschaft in der Bundesrepublik beteiligt. Die Wissenschaft hatte für ihn aber auch stets in die Gesellschaft zu wirken, sollte gleichsam erzieherische und pädagogische Qualität besitzen: Zusammen mit dem Freiburger Ordinarius für Politikwissenschaft Arnold Bergstraesser engagierte sich Eschenburg deswegen für sein Leibund Magenthema, die politische Bildung, und setzte die Einführung des Faches Gemeinschaftskunde an den Schulen des Landes Baden-Württembergs durch. Seine Monographie „Staat und Gesellschaft in Deutschland“ avancierte zum Standardwerk der Gemeinschaftskundelehrer der „ersten Generation“, die bei ihm die Ausbildung durchlief. In eine breitere bundesdeutsche Öffentlichkeit hinein wirkte Theodor Eschenburg aber auch durch sein Engagement bei der Etablierung des Fachs Zeitgeschichte. Er war Mitbegründer des späteren Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) in München und hob 1953 zusammen mit dem ebenfalls in Tübingen lehrenden Historiker Hans Rothfels die Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (VfZ) aus der Taufe, das renommierte deutsche Fachorgan der Geschichtswissenschaft. Fast 20 Jahre lang war Eschenburg Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des IfZ und arbeitete im Herausgebergremium der Vierteljahrshefte. Des weiteren erreichte Eschenburg die bundesdeutsche Gesellschaft der Nachkriegszeit über seine ausgeprägte publizistische Schaffenskraft: In 30 Jahren produzierte Eschenburg mehr als 300 Artikel für das Hamburger Wochenblatt Die Zeit und avancierte damit, wie es sein Schüler, der langjährige Zeit-Chefredakteur Theo Sommer, ausdrückte, zum „Miterzieher einer ganzen Generation von Journalisten“. Diese Dienste an der bundesdeutschen Demokratie haben das Bild Theodor Eschenburgs in der Bundesrepublik nachhaltig geprägt. Über Jahrzehnte hinweg strickte die zweite deutsche Republik an dem Portrait eines ausgesprochen standfesten, charakterstarken, nicht immer bequemen, aber doch verschrobenliebenswürdigen, temperamentvollen Mannes, der mit geradliniger Pedanterie die Demokratie, ihre Institutionen und Verfahrenswege verteidigte und gleichzeitig mit moralischer Rigorosität und analytischem Scharfsinn „Gefälligkeitsdemokratie“, „Ämterpatronage“ und „Beutenahme der politischen Parteien“ anprangerte. Zur Entstehung dieses gerade in der noch ungefestigten jungen Demokratie stabilisierend wirkenden Bildes eines genuinen deutschen Demokraten haben neben Eschenburg selbst vor allem seine Schüler, Kollegen und Weggefährten beigetragen. Ein wenig befremdlich erscheint aus heutiger Sicht die kaum jemals in Frage gestellte Selbstverständlichkeit, mit der Theodor Eschenburg vom angesehen Staatsrat, Hochschullehrer und Rektor nach und nach zum deutschen „Magister“, zum „Gewissen der Nation“, ja zum „Praeceptor Germaniae“ aufstieg und zur neuen Führungsfigur der sich offenbar selbst als „vaterlos“ empfindenden bundesrepublikanischen Gründungsgeneration stilisiert wurde. In Theodor Eschenburg ließ sich hineinprojizieren, was die Allgemeinheit während der Diktatur so schmerzlich hatte vermissen lassen. Mit Genuss etwa kolportierten seine Weggefährten humorige Geschichten, die Eschenburg als Träger damals als ganz und gar „undeutsch“ geltender Tugenden zeigten: „Zivilcourage“, „persönlicher Mut“ und „unbestechliches Rechtsgefühl“. Die Erzählungen reichten von Eschenburgs Ermahnung an Konrad Adenauer, auch der Bundeskanzler müsse die Straßenverkehrsordnung achten, über die Durchsetzung des Parkleitsystems vor der Aula der Universität und den Verweis des Sandalen ohne Socken tragenden studentischen Vorsitzenden aus einer Pressekonferenz bis hin zu Beschwerdebriefen an den Postminister wegen der unrechtmäßigen Erhebung einer Portogebühr von 20 Pfennig. Als „Mahner, Wächter, oft auch Donnerer“ bezeichneten Eschenburg deswegen ehrfurchtsvoll auch seine selbst niemals laut auftretenden Kritiker. Dass sein öffentlich bekundeter moralischer Rigorismus vor Nichts und Niemandem haltmachte, für Angestellte der Universität ebenso wie für Bundeskanzler galt, stimmte gleichwohl nicht immer. Seine schützende Hand hielt er etwa über den Literaten, Rhetorikprofessor und Professorenkollegen Walter Jens: Als der aufgebrachte Jens einen seiner Doktoranden verprügeln wollte und sich einen schriftlichen Verweis einhandelte, ließ Eschenburg das inkriminierende Aktenstück mit den Worten „da findet es niemand“ kurzerhand in der Registratur der Universität verschwinden. „Erfreulich rigoros“, so die verhalten kritische Einschätzung des Politikwissenschaftlers Klaus von Beyme, war Theodor Eschenburg vor allem immer dann, wenn „persönliche Interessen im Spiel waren“. Das Bild des leidenschaftlichen Demokraten und republikanischen Saubermanns ist über ganze Zeitschriftenserien, Festschriftjahrgänge und Studenten wie Professorengenerationen hinweg kolportiert worden und hatte bis vor kurzem nahezu unangetastet Bestand. Nur vorsichtig etwa kratzte Ralf Dahrendorf Ende der 1980er Jahre mit der Behauptung am Sockel des Säulenheiligen der Politikwissenschaft, Eschenburg sei weder der „Fundamentalliberale“, zu dem man ihn gerne stilisiert habe, noch „der enthusiastischste Demokrat der Nachkriegszeit“ gewesen und habe stets mehr auf Ordnung gepocht als das freie demokratische Spiel der Kräfte befördert. Diese Haltung war ja auch per se nicht verwerflich und konnte auf das spezifische Demokratieverständnis des in der Weimarer Republik sozialisierten Demokraten zurückgeführt werden, das mehr auf Machtkontrolle und -eindämmung denn auf aufgeklärtes, selbstbewusstes Staatsbürgerhandeln ausgerichtet war. Doch auch Eschenburgs journalistische, wissenschaftliche und schließlich autobiographische Werke erregten lange Zeit kaum Aufsehen, obwohl bei genauerem Lesen eines klar wird: Eschenburg war seit den 1950er Jahren darum bemüht, seine keinesfalls über jeden Zweifel erhabene politische Vergangenheit zu rechtfertigen, zu glätten, anzupassen und schließlich auch neu zu erfinden. Dazu gehörten etwa Versuche, das politische Klima im Württemberg der Zwischenkriegszeit zu beschönigen, das er als junger Mann selbst mitgeprägt hatte. So kam er beispielsweise in einem 1974 erschienenen Artikel zu dem Schluss, dass sich im Südwesten der 1920er Jahre liberales politisches Gedankengut aufgrund des Vorbilds der Studentenschaften in Tübingen, deren Vorsitzender er zu diesem Zeitpunkt gewesen war, schnell habe verbreiten können. Michael Ruck, der sich zwanzig Jahre später in einer umfangreichen Studie intensiv mit Württemberg in der Weimarer Zeit beschäftigte, fand das „erstaunlich“. „Diese Behauptung eines prominenten Zeitzeugen wird durch die historische Analyse nicht gestützt“, lautete sein Fazit. Weder die württembergische Studentenschaft noch die Staatsregierung seien liberal gewesen; letztere habe der deutlich „völkisch-nationalen Majorität“ der Studenten in den 1920er Jahren sogar massiv den Rücken gestärkt. Auch an der Mitte der 1980er Jahre in Der Zeit erschienenen EschenburgRezension des Buches von Hans-Jürgen Döscher „Das Auswärtige Amt im Dritten Reich“ nahm lange Zeit ebenso wenig jemand Anstoß wie an einem Aufsatz Eschenburgs in der Zeitschrift Geschichte in Wissenschaft und Unterricht aus dem Jahr 1955. Erst kürzlich haben der Historiker Nicolas Berg und der Politikwissenschaftler Rainer Eisfeld herausgestellt, dass Eschenburg in diesen Artikeln zumindest aus heutiger Sicht merkwürdige Formulierungen gewählt hat, die aufhorchen lassen. In dem Aufsatz von 1955 lobte Eschenburg den Historiker und Journalisten Konrad Heiden für seine objektive Darstellung der „positiven Seiten“ des Nationalsozialismus, die dieser noch vor seiner Vertreibung durch das NS- Regime (Heiden war Jude) in der Weimarer Republik herausgearbeitet hatte – eine zumal für eine methodische Schrift ungewöhnliche Feststellung, wie Berg richtig bemerkt. In der Rezension von 1987 kritisierte Eschenburg den 1943 geborenen Historiker Hans-Jürgen Döscher wegen der in seinem Buch angeblich aufscheinenden Unkenntnis des „Ambiente“ der Hitler-Diktatur, deren „Zwangslage(n)“ sich nicht nach „rechtsstaatlichen und demokratischen Begriffen“ beurteilen ließen. Wie Rainer Eisfeld überzeugend gezeigt hat, trug in Eschenburgs Sichtweise die Verantwortung für die Ermordung und Verfolgung der europäischen Juden dann auch nicht der in Nürnberg als Kriegsverbrecher verurteilte Diplomat Ernst von Weizsäcker. Der, so Eschenburgs Argumentation, sei in der NS-Diktatur schließlich nicht mehr Staatssekretär Weimarer Rechts und deswegen auch von seinen rechtsstaatlichen „Pflichten“ entbunden gewesen. Und auch das Auswärtige Amt traf nach Eschenburg keine Schuld; in seinen Augen trug diese allein „der Führer“ Adolf Hitler selbst. Ähnlich argumentierte Eschenburg in den 1970er Jahren etwa im Falle Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigks, zu Beginn der 1930er Jahre zunächst Reichsfinanzminister, später Leitender Minister und damit „Quasikanzler“ der Reichsregierung Dönitz. In einer Rezension zu dessen Biographie, die einem ehrenden Nachruf auf den inzwischen Verstorbenen gleichkam, formulierte Eschenburg erneut, wie schwer es für viele in der Bundesrepublik sei, das Handeln zahlreicher „aufrichtiger“ Männer in Politik und Bürokratie des NS-Regimes tatsächlich zu verstehen. Für Schwerin, 1949 von einem amerikanischen Militärgericht wegen seiner Rolle bei der Aufrüstung und der Enteignung der Juden zu zehn Jahren Haft verurteilt, sei der Nationalsozialismus eine „völlig fremde Welt“ gewesen, zu der er „keinen Zutritt haben wollte“. Dennoch unterzeichnete Schwerin die als „Judenbuße“ bekannt gewordene Reichsverordnung, die eine „Abgabe“ der Juden von einer Milliarde Reichsmark festsetzte. Eschenburg schrieb dazu in einer quellenunkritischen Haltung: „Er tat es in der vergeblichen Hoffnung, eine ‚Nacht der langen Messer' gegen die Juden zu verhindern“. Und weiter: „Was die Amtsund Dienstvorstellungen Schwerins in der Diktatur des Dritten Reiches angeht, so hat es in dieser Zeit manche Minister, Staatssekretäre, Ministerialdirektoren, Landräte und Oberbürgermeister gegeben, die ebenso dachten. Ein Verständnis für sie wird kaum jemand aufbringen können, der die grauenhafte Periode durch eigenes Erleben nicht gekannt hat. Sie scheuten, wie es Schwerin gesagt hat, die ‚Fahnenflucht' und blieben, um Schlimmeres zu verhüten.“ Dass man damit „Auswüchse“ des Nationalsozialismus verhindert und letztlich beinahe schon Widerstand geleistet habe, war ein in Deutschland nach 1945 oft zu hörendes Argument. Dass Eschenburg mit solchen und ähnlichen Aussagen nicht nur versuchte, die kompromittierten alten Funktionseliten zu entlasten, sondern auch das eigene Handeln in Weimarer Republik und Nationalsozialismus zu rechtfertigen und dem sich wandelnden Demokratieideal anzupassen, ist zumindest wahrscheinlich. Eschenburgs Memoiren sprechen in ihren Auslassungen, Verzerrungen und Verharmlosungen jedenfalls Bände – nicht nur über das Rechtfertigungsbedürfnis eines in der Bundesrepublik zum Demokraten gereiften Mannes. Auch die Unsicherheit darüber, was denn Demokratie und demokratisches Handeln im jeweiligen zeitlichen und politischen Kontext eigentlich bedeuten sollten und wie sich das wiederum zur Bezugsgröße Demokratie bundesrepublikanischer Prägung verhielt, an der sich nach 1945 jedes frühere Handeln messen lassen musste, wird darin an mehr als einer Stelle sichtbar. Wandlungen eines Politischen: Weimarer Republik und NationalsozialismusDer 1904 in Kiel geborene und in Lübeck aufgewachsene Theodor Eschenburg hat in Kindheit und Jugend selten Erfahrungen mit der Demokratie gemacht. Im zunächst stark monarchistisch-reaktionär, dann zunehmend auch rassistisch-antisemitisch geprägten Elternhaus, aber auch später in Schule und Universität, bot sich ihm über lange und prägende Zeiträume hinweg kaum Gelegenheit, ein republikanisches Verständnis zu entwickeln und demokratisches Handeln in der Praxis zu erlernen. Sein Vater, ein Seeoffizier mit einer dezidierten Abneigung gegen alles Katholische und ausgesprochener Verehrung für die Monarchie, intolerant nach Eschenburgs eigenen Äußerungen sowohl gegenüber religiös als auch politisch Andersdenkenden, hielt selbst nach dem Sturz des Kaisers dem exilierten Monarchen die Treue. Nicht nur machte er aus seiner tiefen Abscheu gegen alles Republikanische keinen Hehl, sondern trat nach 1918 auch immer offener antisemitisch auf. Die „Geheimnisse der Weisen von Zion“, ein zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Umlauf gebrachtes und eine jüdische Weltverschwörung kolportierendes Werk, wurde seine neue Bibel und trieben ihn nach und nach in den rassischen Antisemitismus. Die Auswirkungen bekam sein etwa 15jähriger Sohn am eigenen Leib zu spüren: Ihm wurden Freundschaften mit jüdischen Kindern verboten. In der Schule setzte sich dieser Geist fort: Der Geschichtsunterricht etwa war offen antirepublikanisch, der von Theodor Eschenburg hoch verehrte Klassenlehrer, ein Lateiner, beeindruckend offenbar durch Charakter und Autorität, machte gegenüber seinen Eleven nie einen Hehl daraus, dass er der rechtsgerichteten Jugendbewegung nahe stand. Theodor Eschenburg erlebte darüber hinaus die Anfeindungen, denen etwa der Direktor des städtischen Gymnasiums aufgrund seines jüdischen Namens ausgesetzt war. Rechtsanwälte der Stadt forderten in den 1920er Jahren offen die Absetzung des „Juden Rosenthal“; die Masse der Lübecker schwieg, redete aber hinter vorgehaltener Hand über den angeblich unchristlichen Lebenswandel des Direktors. Seine Absetzung erfolgte dann 1933, obwohl er seiner Herkunft nach gar nicht unter das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ fiel. Stark konstruiert erscheinen vor diesem Hintergrund noch in jüngster Zeit zu lesende Einschätzungen, Theodor Eschenburg sei in einem „jeder Ideologie abgeneigten“, „weltoffenen“ Milieu aufgewachsen. Wie viel Theodor Eschenburg allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz von seiner insgesamt antirepublikanisch und antisemitisch geprägten Jugendzeit tatsächlich internalisiert hat, ist nicht mehr zu klären. Tatsache ist aber, dass sich ihm keine Alternativen boten: Es bestand für ihn zunächst gar keine Möglichkeit, sich der streng protestantischen, deutschtümelnden und atmosphärischen Enge seiner Heimatstadt Lübeck und seines Elternhauses zu entziehen. Die Chance dazu tat sich erst nach der Beendigung der Schulzeit auf. Im Rückblick hat Theodor Eschenburg die Wahl Tübingens als Studienort primär als Ausdruck der wachsenden jugendlichen Unabhängigkeit von seinem autoritären Elternhaus gedeutet. Sein Vater, so Eschenburg, sei weder mit der Wahl der Stadt noch mit der Wahl der Fächer, Staatsrecht und Geschichte, einverstanden gewesen. Tübingen brachte er offenbar mit dem Dichter Ludwig Uhland in Verbindung, der in seinen Augen vor „demokratischem Öl“ nur so „triefte“. Viel zu sehr, so Eschenburg weiter, habe sein Vater darüber hinaus Angst gehabt vor den demokratischen Einflüssen, die die neue „kritischere“ Geschichtswissenschaft auf seinen Sohn hätte ausüben können. Dass diese Gefahr im Tübingen der 1920er Jahre nun wirklich nicht bestand, haben neuere historische Studien eindeutig herausgearbeitet.244 Entgegen Theodor Eschenburgs wiederholter Ehrbekundung für das angeblich so „liberale, demokratische Klima“ des Landes, das ihn stets angezogen habe, steckte die schwäbische Kleinstadt mitsamt ihrer Hochschule bereits in der Frühphase der Weimarer Republik tief im braunen Sumpf der völkisch-antisemitischen Bewegung. So existierten bereits seit 1922 eindeutige Anweisungen der Universitätsleitung, „rassefremde Ausländer (namentlich Ostjuden)“ vom Studium auszuschließen. Offen rühmten sich zahlreiche Gelehrte auch des Vorsprungs, den die Hochschule ihrer Meinung nach in der wissenschaftlichen Behandlung der „Judenfrage“ gegenüber den anderen deutschen Universitäten hatte. Und tatsächlich war Tübingen dann auch die deutsche Universität, die 1933 die wenigsten jüdischen Gelehrten entlassen musste – so erfolgreich war bereits in der Weimarer Republik die „Selbstarisierung“ der Hochschule gewesen. Auch die „demokratische“ Geschichtswissenschaft, vor der Vater Eschenburg angeblich so eindringlich gewarnt hatte, existierte an der Universität Tübingen nicht oder nur rudimentär. Eschenburgs Tübinger Lehrer, der Mittelalterhistoriker Johannes Haller, war einer der zur damaligen Zeit bekanntesten deutschen Geschichtswissenschaftler, dessen dezidiert nationalistische Haltung weit über Tübingen hinaus bekannt war und Einfluss auf die Weimarer Gesellschaft insgesamt ausübte. Antisemitismus gehörte für Haller zum guten Ton: In einer Senatssitzung in den 1920er Jahren erregte sich der Historiker (aber auch eine ganze Reihe weiterer Professoren) in typischem antisemitischen Duktus heißblütig über die angeblich ungenügende „nationale Gesinnung“ des „vaterländischen Kriegsdienstverweigerers“, „Kommunisten“ und Anwärters auf den Lehrstuhl für theoretische Physik, Alfred Landé; die Berufung des jüdischen Gelehrten lehnte er rundheraus ab. Haller, der sich früh der NSDAP anschloss, zu den offensiven Unterstützern des von Alfred Rosenberg gegründeten „Kampfbunds für deutsche Kultur“ gehörte und 1932 den Wahlaufruf von Hochschullehrern für Hitler unterschrieb, besaß darüber hinaus ein ausgesprochen demagogisches Talent: „Besser als Goebbels-Reden“, schwärmte etwa der Altphilologe Karl Reinhardt über Hallers Vorlesungen. Und auch Theodor Eschenburg fand für seinen Lehrer lobende Worte: „[Er machte] ohne Rücksicht auf das jeweilige Vorlesungsthema aus [seiner] antidemokratischen [Haltung], aus [seiner] Verachtung gegenüber der Republik, deren Regierung und ihrer Politik kein Hehl. Bei Haller verging kaum eine Stunde, in der nicht eine scharfe, vielfach sogar gehässige, gezielte Bemerkung, die sorgfältig vorbereitet und glanzvoll vorgetragen war, fiel, um mit großem Beifall aufgenommen zu werden“. Das Zitat bietet nicht nur einen bezeichnenden Einblick in die nationalistisch aufgeladene Stimmung, die damals in weiten akademischen Kreisen herrschte, sondern spiegelt auch die Bewunderung wider, die Eschenburg allem Anschein nach für die Haltung Hallers empfand. Diese atmosphärische Skizze findet sich in den Memoiren Eschenburgs zwar wohlweislich nicht wieder. Die Ehrfurcht für seinen akademischen Lehrer, der nicht nur sein „Bild von Geschichte mitgeprägt“ hat, sondern zu dem er auch eine persönliche Verbindung aufbaute, konnte Eschenburg aber nie ganz verhehlen: „Rhetorische Eleganz verband er mit reichem Inhalt“, hielt Eschenburg noch im Rückblick fest. War schon auf den Kathedern der Tübinger Universität wenig von demokratischer Gesinnung zu spüren, gilt dies in noch stärkerem Maße für die studentischen Kreise der kleinen Universitätsstadt am Neckar. Theodor Eschenburg schloss sich sofort bei Beginn seines Studiums im Jahr 1924 der schlagenden Verbindung „Germania“ an und wurde umgehend zum Vorsitzenden des „Hochschulrings deutscher Art“ (HDA) gewählt, einem Zusammenschluss Tübinger Verbindungen. „Das gehörte einfach zum Studium“, rechtfertigte er den Eintritt im Rückblick. Demokratisch, republikanisch oder auch liberal orientiert waren die meisten Verbindungen im Schwäbischen indes nicht. Schon gar nicht traf das für den Hochschulring Deutscher Art zu, der, so dessen ehemaliger Vorsitzender Eschenburg, „vor allem deutschnational, zum geringeren Teil völkisch geprägt“ gewesen sei. Die Geschichtswissenschaft ist schon früh zu einer anderen Einschätzung gelangt. Und vor kurzem hat die Historikerin Sonja Levsen in einer detaillierten Untersuchung erneut herausgestellt, dass Studentenbünde „wie der HDA von Beginn an einen radikalen, aggressiven Nationalismus mit stark völkischer Prägung“ vertraten. Selbst Korporationen wie die „Nicaria“, die dem HDA Mitte der 1920er Jahre noch am deutlichsten oppositionell gegenüberstanden, hätten ausdrück-lich „seine wertvolle Grenzlandarbeit und seine völkischen Ideale“ gelobt. Die staatsbürgerliche Bildungsarbeit, die sich Theodor Eschenburg im Rahmen seiner Tätigkeit beim HDA auf die Fahnen schrieb, eben gerade weil die Mehrheit der Studenten dem schwarz-weiß-roten, antidemokratischen Geist verfallen gewesen sei, erscheinen vor diesem Hintergrund in einem etwas anderen Licht: In Tübingen, so hat Levsen herausgefunden – und so weit reicht auch die Übereinstimmung mit den Eschenburgschen Memoiren –, sei das Engagement des HDA seit dem zweiten Drittel der 1920er Jahre in der „Bildungsarbeit“ besonders weitreichend gewesen. Von demokratischer Staatsbürgerkunde hingegen könne in diesem Zusammenhang nicht gesprochen werden: So habe der HDA Studienreisen in „völkisch gefährdete Gebiete“ durchgeführt, die Zeitungen der Auslandsdeutschen aufbereitet und die Lokalpresse Württembergs mit Artikeln über das Auslandsdeutschtum beliefert; jeweils rund 14 Veranstaltungen und Diskussionsabende hätten jährlich auf dem Programm gestanden. Theodor Eschenburg, so der Historiker Michael Kotowski, habe zu diesem außergewöhnlichen Engagement des HDA „entscheidend“ beigetragen, letztlich habe der Bund so auch einen „kaum zu unterschätzenden Einfluss“ auf die Tübinger Studentenschaft ausüben können. Insgesamt, so Levsens abschließende Einschätzung, sei das „politisierte Selbstverständnis der Nachkriegsstudenten“ förderlich für eine „demonstrative Distanz zur Republik“ gewesen, die sich bis zum Ende der 1920er Jahre noch vergrößerte. Doch damit nicht genug: Eschenburg verfügte im Hochschulring Deutscher Art über eine für einen studentischen Vorsitzenden ganz ungewöhnliche Machtfülle. Wie wir durch neuere Arbeiten wissen, hat er davon Gebrauch gemacht: Im Gegensatz zu Eschenburgs rückblickender Darstellung ging der zumindest zeitweise von einem stark nationalen Geist erfasste Student vehement gegen Andersdenkende vor. Den aus einer jüdischen Familie stammenden Pazifisten und Justizkritiker Emil Julius Gumbel etwa, der auf Einladung der Arbeitsgemeinschaft sozialistischer Akademiker Mitte des Jahres 1925 zum Vortrag nach Tübingen gereist war, empfing an der Universität ein von Theodor Eschenburg verantwortetes Plakat mit folgender Aufschrift: „Nach der allgem. Verurteilung seiner Rede an der Universität Heidelberg bedeutet sein Vortrag hier eine starke Beleidigung eines jeden teutschen Studenten. Wir erwarten auf das Bestimmteste, dass Herr Dr. Gumbel von seinem Vorhaben absieht“. Die ohnehin aggressive Stimmung unter den Studenten hat dieses Plakat vermutlich noch zusätzlich angeheizt. Für die folgende als „Lustnauer Schlacht“ in die Geschichte eingegangene tätliche Auseinandersetzung zwischen Gegnern und Anhängern Gumbels, bei der es zu mehr als einem Dutzend Verletzten kam, musste sich Theodor Eschenburg dann auch in einem zweistündigen Verhör bei der Polizei verantworten. „Damit war die Sache erledigt“, kommentierte Eschenburg den Vorfall lapidar. Ausgerechnet mit der „Causa Stresemann“ rechtfertigte Theodor Eschenburg im Nachhinein sein Vorgehen gegen Gumbel. In seinen Memoiren heißt es, er habe einen Vortrag seines großen Vorbilds, dem nationalliberalen Politiker und kurzzeitigen Reichskanzler der großen Koalition, Gustav Stresemann, durch den Vortrag Gumbels nicht gefährden wollen. Angeblich nämlich erhoffte sich Eschenburg von dem hohen Besuch sogar ein „Umfunktionieren“ des HDA, eine Rückführung des Hochschulrings in gemäßigte, liberale Fahrwasser. Allerdings war der Student in den frühen 1920er Jahren offenbar nicht der glühende Anhänger Stresemanns, als der er sich auch später immer wieder gerne gerierte. Wie ein neuer Quellenfund nahe legt, jubelte Eschenburg beim Hitlerputsch vom November 1923 nicht dem Nationalliberalen Gustav Stresemann, sondern dem Nationalsozialisten Adolf Hitler als neuer „Führerfigur“ für Deutschland zu: „Im Anfang unseres politischen Denkens, als Primaner, sahen wir in der deutschen Republik einen Staat der Unordnung, der Korruption, der Unmännlichkeit; wir haßten sie nicht, sondern wir verachteten sie. Unser Ideal war, nicht nur unter dem Einfluß von Erziehung und Elternhaus, das scheinbar glanzvolle Reich vor 1914, vor dem wir uns eine ans Legendäre grenzende Vorstellung machten. Im Grunde verstanden wir eigentlich von keinem, der zur bürgerlichen Rechten gehörte, daß er nun mit seiner ganzen Persönlichkeit dem neuen Staate diente. Wir jubelten im November 1923 Hitler zu. Wir erhofften alles von der Macht der Generäle, von Stresemann hatten wir keine Vorstellung. Seitdem er als Kanzler den passiven Widerstand, von dem wir in unserer Sehnsucht nach heldischem Handeln begeistert waren, aufgegeben hatte, zählten wir ihn auch zu jener großen Schar, von der wir ohne nähere Kenntnis der Umstände und der Person den Aufstieg des Reiches nicht erwarteten.“ Der „Vernunftrepublikaner“, als den sich Theodor Eschenburg später selbst einmal bezeichnete und als der er für die Weimarer Republik eingestanden habe, ohne sie sich je zur Herzensangelegenheit zumachen, scheint der Student zu diesem Zeitpunkt offenbar noch nicht gewesen zu sein. Die Frage, ob sich Theodor Eschenburg durch die zunehmend engen Kontakte zu Stresemann schließlich dazu entwickelte, ist nicht einfach zu beantworten. Stresemann übte aber wohl nur kurzfristig Einfluss auf Theodor Eschenburg aus und befand sich als Nationalliberaler im akademischen Umfeld Eschenburgs sowohl in Tübingen als auch ab 1926 in Berlin in der Minderheit. Der Verfassungshistoriker Fritz Hartung etwa, Eschenburgs Doktorvater in Berlin, machte keinen Hehl aus seiner antidemokratischen und antiparlamentarischen Gesinnung: Unter expliziter Berufung auf Carl Schmitt sprach er beispielsweise von einer „falschen Auffassung der Freiheit als einer Freiheit vom Staate“ und erwies sich auch in anderen Äußerungen als alles andere als ein Vernunftrepublikaner. Zu Eschenburgs akademischen Lehrern gehörten neben Hartung aber auch andere radikal-nationalistische, antiparlamentarische und antidemokratische Schwergewichte wie etwa Albert Brackmann, der als „graue Eminenz der deutschen Ostforschung“ gilt. Und auch Eschenburgs sonstiges Umfeld, etwa der nationalkonservative, enge Kontakte zum italienischen Faschismus pflegende Herrenclub, in dem er in Berlin regelmäßig verkehrte, war kein Sammelbecken für Republikaner. Bei den von Theodor Eschenburg mitbegründeten „Quiriten“ schließlich, einer nicht eindeutig zuzuordnenden „privaten Gelehrtenrunde“, trat neben Axel August Gustav Johann Freiherr von Freytagh-Loringhoven, einem Reichstagsabgeordneten der DNVP/NSDAP, der dort seine antirepublikanischen, antisemitisch-völkischen Ansichten vertreten durfte, auch der umstrittene Staatsrechtler Carl Schmitt in Erscheinung. Ihn verehrte Eschenburg sehr. In der Zeit, in der die Weimarer Republik bereits mit Notverordnungen regiert wurde, hielt Schmitt bei den Quiriten einen nach Meinung Eschenburgs „brillanten“ Vortrag über „das Problem, wie das parlamentarische System in ein präsidial-plebiszitäres umgewandelt werden könne und zwar ohne Änderung der Verfassung“. Die „kommissarische Diktatur“, die Schmitt in diesem Zusammenhang vorschlug, sei damals noch ganz „der Verteidigung der Weimarer Republik“ verpflichtet gewesen, heißt es in Eschenburgs Memoiren wenig überzeugend. Eschenburg selbst hatte nur eine Seite zuvor zugeben müssen, dass „sich die Kritik am Parlamentarismus“ zu dieser Zeit bereits „nachhaltig verschärft hatte“ und nun auch in den „Reihen überzeugter Demokraten“ salonfähig geworden war. Die Denkfigur der kommissarischen Diktatur hat Theodor Eschenburg Zeit seines Lebens umgetrieben. In seinen Memoiren hat er seine Affinität zur Schmittschen Diktatur auf Zeit allerdings als „Führerdemokratie“ à la Alfred Weber, Demokrat und Bruder des ungleich bekannteren Max Webers, ausgegeben. Wie sehr ihn der Gedanke gepackt hatte, ob er nun tatsächlich eine Diktatur oder eine zeitweise autoritative Demokratie favorisierte, zeigt ein Interview, das er Journalisten des Politmagazins Der Spiegel 1969 gab. Darin schlug er für die Bundesrepublik eine „Diktatur auf Zeit“ zur totalen Verfassungsrevision vor; auf die indignierte Nachfrage der Journalisten erklärte Eschenburg lediglich, man habe das Zitat aus dem Zusammenhang gerissen, er habe von einer „Aufräumungsdikatur“ gesprochen, die eine Demokratie von Zeit zu Zeit brauche, und – „bitte“ –, das Publikum der „schwäbischen Stadt“, in der er gesprochen habe, habe ihn schon verstanden. Vor diesem Hintergrund wird die bislang kaum zur Kenntnis genommene Einschätzung Hans-Jürgen Döschers plausibler, Eschenburg habe zu jenen Anhängern Stresemanns gehört, „die nach dessen Tod (1929) allmählich in deutschnationales Fahrwasser gerieten und schließlich 1933 bei der NSDAP und SS Zuflucht suchten“. Tatsächlich ist Eschenburg der Motor-SS beigetreten und hat während der NS-Zeit, die er nach eigenen Angaben „entpolitisiert“ verbracht haben will, als Geschäftsführer einer Gruppe von mittelständischen Verbänden der Kurzwarenund Elektroindustrie mindestens in einem Fall die Arisierungsfrage gestellt. Damit hat Eschenburg die Konfiszierung jüdischen Eigentums in der NS-Diktatur – und sei es auch nur aus Opportunismus – unterstützt. Über Denken und Handeln Eschenburgs zwischen 1919 und 1933 sowie zwischen 1933 und 1945 ist allerdings bislang immer noch sehr wenig bekannt. Die meisten Aussagen über diese Periode stammen aus seiner eigenen Feder und sind – bis auf einzelne lobenswerte Ausnahmen – bisher nicht wirklich kritisch hinterfragt worden. Hier sollte man die Chance des zweiten Blicks (Hans Günter Hockerts) ergreifen und sich von der bislang dominierenden Erstdeutung befreien. Zudem fehlen Untersuchungen, die Eschenburgs Gedankengebäude ideengeschichtlich auf Kontinuitäten abklopfen und danach fragen, wie und ob sich Inhalte gewisser dominierender „Ideencontainer“ (bei Eschenburg: institutionelles Handeln, der Staatsbegriff, Zentralismus, politische Bildung und das Modell der „Diktatur auf Zeit“) über die Zeit gewandelt haben. Unbedingt wäre dabei auch an die Erschließung neuer Quellenbestände, etwa Korrespondenzen, zu denken, die Aufschluss über die politische Haltung des vor 1945 nur schwer fassbaren Mannes geben könnten. Wann und ob aus Theodor Eschenburg, der in Jugend, Schule und Studium so wenig demokratisch sozialisiert wurde, der 1923 den Aufstieg Hitlers bejubelte und noch Mitte der 1920er Jahre Vorsitzender einer völkisch-nationalen Hochschulvereinigung war, tatsächlich der „Vernunftrepublikaner“ wurde, als der er sich später darstellte, kann zwar aufgrund des bislang bekannten Materials nicht zweifelsfrei geklärt werden. Tatsache aber ist, dass Eschenburg erst nach 1945 wirklich zur Demokratie gefunden hat. Seine Verdienste beim Aufbau der Bundesrepublik werden dadurch nicht bestritten. Weiterführende LiteraturEisfeld, Rainer: Theodor Eschenburg: Übrigens vergaß er noch zu erwähnen… Eine Studie zum Kontinuitätsproblem in der Politikwissenschaft, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 59 (2011), S. 27-44. Eschenburg, Theodor: Also hören Sie mal zu: Geschichte und Geschichten 1904 bis 1933, Berlin 1995. Eschenburg, Theodor: Letzten Endes meine ich doch. Erinnerungen 1933-1999, Berlin 2000. Hermann, Rudolph (Hg.): Den Staat denken. Theodor Eschenburg zum Fünfundachtzigsten, Stuttgart 1989. Hinweise zu den QuellenUnterlagen zu Eschenburgs Wirken als Student in Tübingen finden sich ebenso wie solche zu seiner Zeit als Professor und Rektor im dortigen Universitätsarchiv. Material zu seiner Verbandstätigkeit im Dritten Reich liegt vor allem im Bundesarchiv Berlin. Für die Jahre nach 1945 sind unter anderem das Hausarchiv des IfZ in München und der Nachlass Marion Dönhoff in Hamburg einschlägig. Claus Offe: |
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