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4 Der Geschäftsführer

In Politikwissenschaft und Zeitgeschichte etablierte Theodor Eschenburg sich erst nach 1945 als „Seiteneinsteiger“. Seine Nachkriegslaufbahn begann mit der „Lehrermächtigung“, die Carlo Schmid als Staatspräsident von SüdwürttembergHohenzollern ihm im Winter 1946/47 für eine Vorlesung an der Universität Tübingen über die Geschichte der Weimarer Republik erteilte. In Tübingen hatte Eschenburg während der 1920er Jahre die ersten vier Semester seines Studiums absolviert. 1924 war er der schlagenden Verbindung „Germania“ beigetreten, die (wie Tübingens übrige Korporationen) seit 1919 keine „Juden und Abkömmlinge von Juden“ mehr aufnahm. Im Wintersemester 1924/25 hatte der Hochschulring deutscher Art (HdA), der – nicht nur an dieser Universität – einen „aggressiven Nationalismus mit völkischer Prägung“ vertrat, ihn als Vorsitzenden gewählt. Zum „Kreise der Rechtsradikalen“ gehörig, dem die Stresemann-Vertraute Antonina Vallentin ihn zuordnete, ehe Stresemann ihn „von Hitler weg zu sich selbst bekehrte“, wechselte Eschenburg 1926 an die Universität Berlin. Er suchte nach „eine[r] Persönlichkeit, in der wir endlich wieder einen Führer sahen“, weil sie ein „positive[s] Programm“ bot. Und er war auf der Suche nach einem Promotionsthema. Beiden Zielen kam die politische und persönliche Annäherung an Gustav Stresemann entgegen.

1929 promovierte er in Berlin bei Fritz Hartung über den konservativ-liberalen „Bülow-Block“ der Jahre 1907/09. Die Buchfassung seiner Dissertation erschien, eingeleitet durch Stresemann, unter dem Titel Das Kaiserreich am Scheideweg. Bassermann, Bülow und der Block. „Alpha und Omega aller inneren Staatspolitik“ nannte Eschenburg dort, dass die Regierung „von sich aus bestimmen konnte“, welches „Maß und Ziel“ politische Reformen besitzen sollten, „ohne „dass sie sich die Führung… aus der Hand nehmen“ ließ. Dieses Programm versah Eschenburg mit dem Etikett „staatskonservativ“. Ihm gehörte seine erkennbare Sympathie. Als

„Offenbarung“ hatte Eschenburg während der Arbeit an seiner Dissertation, wie er rückblickend schrieb, Alfred Webers Konzept der „unegalitären Führerdemokratie“ empfunden, mit dem Weber den Staat als „etwas Selbständiges gegenüber den gesellschaftlichen Kraftzentren“ erhalten wollte. Die Führung sollte nach Weber zwar abwählbar, die Kompetenz zu „selbständiger Entscheidung und Willensbildung der ausgelesenen Führerspitze“ jedoch nicht parlamentarisch kontrollierbar sein. Dass Stresemann Alfred Webers „führerdemokratische“ Position teilte, dürfte Eschenburg in seiner Fixierung auf den starken Staat bestärkt haben. Noch 1995 fügte er hinzu, auch „heute sehe [er] in der Konstruktion Alfred Webers die optimale Lösung des demokratischen Problems“.

Eschenburg trat der DVP bei. Nach Stresemanns Tod wechselte er zur Deutschen Staatspartei, dem kurzlebigen Zusammenschluss der DDP mit dem Jungdeutschen Orden, für die er sich 1930 vergeblich um ein Reichstagsmandat bewarb. Das Bündnis DDP/Jungdo scheiterte nicht zuletzt an dem „Ressentiment gegen den Parteiismus“, das der „Orden“ unter seinem „Hochmeister“ Artur Mahraun „lange gezüchtet“ hatte. Bereits die DDP, häufig als Weimarer „Verfassungspartei par excellence“ apostrophiert, hatte jedoch – wie eine sorgfältige Studie bereits vor dreieinhalb Jahrzehnten gezeigt hat – einem „demokratischen Nationalismus“ gehuldigt, der die Rolle des Führertums betonte, die „innere Geschlossenheit“ einer

„Volksgemeinschaft“ als „Voraussetzung einer starken Außenpolitik“ verstand und „Wunschträume[n]“ von der „Wiederherstellung deutscher Größe und Weltgeltung“ nachhing. Nach der Umbildung zur Staatspartei (auch nach dem Bruch mit dem Jungdo behielt die ehemalige Deutsche Demokratische Partei den Namen bei) erhob deren von Eschenburg hoch geschätzter Vorsitzender Hermann Dietrich das Ende liberaler Prinzipien zum Programm: „Das Zeitalter des Liberalismus [liegt] hinter uns… Der einzelne Bürger muss zur Staatsidee erzogen werden.“

Nicht anders als in dem parteipolitischen Umfeld, das Eschenburg für sich wählte, trat der Wandel der politischen Kultur gegen Ende der Weimarer Republik in dem Diskussionszirkel zu Tage, den er 1928 unter dem Namen „Quiriten“ maßgeblich mitgegründet hatte. Beifällig zitierte Eschenburg später aus den Erinnerungen des exilierten deutsch-amerikanischen Historikers Felix Gilbert dessen Urteil über die Absicht des Debattierclubs, „den ständig wachsenden Spannungen zwischen den politischen Parteien entgegenzuwirken“. Dies habe „genau [s]einer [Eschenburgs] Intention“ entsprochen. Nur zwei Seiten weiter hatte Gilbert allerdings den „Sturm“ geschildert, der ihm dort entgegengeschlagen war, als er 1931 Kritik an dem deutsch-österreichischen Zollunionsprojekt übte, weil es an Frankreich scheitern und Deutschland eine „völlig unnötige“ Demütigung eintragen müsse (was dann auch geschah). Seine Sichtweise wurde als „nichtswürdig“ (despicable) und „undeutsch“ geschmäht. Gilbert: „Eine Linie war plötzlich gezogen zwischen Ansichten, die als deutsch galten, und anderen, die als undeutsch verworfen wurden.“ Diese Erfahrung Gilberts („I was quite upset“), Indiz für das binnen drei Jahren einschneidend veränderte Klima bei den Quiriten, erwähnte Eschenburg nicht.

Nach seiner Promotion nahm Theodor Eschenburg zunächst eine Referentenstelle beim Verein Deutscher Maschinenbauanstalten an. 1932 wechselte er für ein Jahr in die Geschäftsführung des Deutschen Bundes für freie Wirtschaftspolitik, einer von exportorientierten Branchen (Maschinenbau, Chemie, Schifffahrt) ins Leben gerufenen Lobbyorganisation, die für Deutschlands Ausfuhrsteigerung warb. Danach fungierte er, zusätzlich zu seiner bereits erwähnten Tätigkeit als Geschäftsstellenleiter einer Fachuntergruppe der Bekleidungsindustrie, als Geschäftsführer der Fachgruppe Schnitzund Formerstoffe („Schnitzform“) bei der Wirtschaftsgruppe Holzverarbeitende Industrie. Dieselbe Funktion übte er für „einige Kartelle“ aus, darunter die Patent-Treuhandgesellschaft Berlin, das deutsche Reißverschlusskartell.

In der Wirtschaftsgruppe Bekleidungsindustrie wurde Eschenburg am 4. März 1937 außerdem als Beauftragter der Prüfungsstelle für die Fachuntergruppe Knopfund Bekleidungsverschlussindustrie berufen.. Derartige Stellen, von den Wirtschaftsgruppen parallel zu den staatlichen Überwachungsstellen eingerichtet, waren zuständig für Fragen der Preisund Markt-, vor allem aber der Exportbzw. Importbeobachtung und -kontrolle. Zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt folgte die weitere Berufung als Beauftragter der Vorprüfstelle „Schnitzform“ bei der Prüfungsstelle Holzverarbeitende Industrie.

Unerwähnt ließ Eschenburg bereits in dem Lebenslauf von 1936 seine – vermutlich zeitweilige – SS-Zugehörigkeit, über die sein SS-Stammrollenblatt nicht völlig schlüssige Auskunft gibt. Er wurde seit dem 30. Juni 1933 als SS-Anwärter geführt, am 6. März 1934 mit der Nummer 156 004 in die SS aufgenommen und dem Motorsturm 3/III/3 zugewiesen. Die Rubrik „Verwendung, Versetzungen, Ausscheiden“ des Stammrollenblatts enthält keinen Eintrag.

In Eschenburgs erst nach seinem Tod publiziertem zweitem Memoirenband stehen dazu die Sätze: „Im Spätherbst 1934 lieferte ich meine Uniform ab. Meine Mitgliedschaft in der SS war beendet.“ Seine beruflichen Verpflichtungen, ergänzte Eschenburg, hätten immer häufiger mit dem Dienst in der SS kollidiert. Da Wirtschaftsankurbelung „groß geschrieben“ wurde, sei es ihm „mit Billigung der SS“ gelungen, wieder auszuscheiden.

Über seine Tätigkeit als „Kartellgeschäftsführer“ schrieb Eschenburg später, die Arbeit der beteiligten Verbände habe lediglich insoweit „auch politischen Charakter“ gehabt, als die Gruppierungen im Rahmen des staatlichen Lenkungssystems als „eine Art von politischen Gebilden“ fungierten – „nur dass ihr Wirkungskreis beschränkter war“. Ein beschränkter, klar umrissener politischer Bereich existierte jedoch im NS-Staat nicht. „Das Politische“ galt als „Objekt des Maßnahmenstaates“, nicht des Normenstaates, und „die Entscheidung darüber, was politisch sei, [oblag] ausschließlich den politischen Instanzen“. Die damit verbundene Ausschaltung des „Recht[s] schlechthin“ für den fließenden Bereich des Politischen betraf in besonderem Maße die Herausdrängung der Juden aus der rassistisch definierten „Volksgemeinschaft“, die mit der „Entjudung“ der deutschen Wirtschaft, wie gezeigt, 1938 eine neue Stufe erreichte.

Glaubt man Eschenburgs Darstellung, dann präsentierte sich ihm das Österreich des Jahres 1938 als entspannte Idylle, fernab von Rassismus und Verfolgungen. Er fuhr nach Wien, um „mit den entsprechenden Verbänden in Österreich Fühlung zwecks Eingliederung in die Reichsorganisation aufzunehmen“. Er erlebte den „Charme der österreichischen Anpassung an die neuen Verhältnisse“ – „‚habe die Ehre, küss' die Hand, und ein herzliches ‚Heil Hitler' der gnädigen Frau'.“ Und „in der Folgezeit“ war er „öfters geschäftlich in Wien, manchmal mit meiner Frau. Der Anschluss veränderte die Stadt kaum…“

Die Wirklichkeit war grimmiger. Zum Zeitpunkt des „Anschlusses“ existierten in Wien zwei Reißverschlussfabriken in jüdischem Besitz: Alfred Auerhahn (Marke „Alfa“) und Max Blaskopf (Marke „Ritsch“). Abwickeln oder „arisieren“ lautete aus Sicht der – wie erwähnt, im Mai eingerichteten – Vermögensverkehrsstelle die Frage. Im Falle einer „Arisierung“ musste geklärt werden, auf welchen der zahlreichen Bewerber die Firma zu übertragen sei.

Theodor Eschenburg wurde hinzugezogen. Namens der Fachuntergruppe befürwortete er gegenüber dem zuständigen Sachbearbeiter mündlich (am 28. Oktober) wie schriftlich (am 1. November 1938) die Ausschaltung beider Betriebe als Konkurrenten um knapp gewordene Rohstoffe. Eschenburg argumentierte, infolge der Einverleibung der Sudentengebiete und ihrer einschlägigen „arischen“ Firmen sei die Branche übersetzt, weshalb „an einer Liquidierung aller nichtarischen Betriebe, soweit sie noch nicht arisiert sind, Interesse besteht“ (Dokument 2). Der Sachbearbeiter folgte Eschenburg bezüglich der (kleineren) Firma Auerhahn, sprach sich aber – auch hier nach eingehender Erörterung der Sachlage mit Eschenburg – mit Rücksicht auf die deutschen Exportinteressen für den Erhalt der Firma Blaskopf bei gleichzeitiger „Entjudung“ aus (Dokument 3).

In einem ausführlichen Schreiben an das Reichswirtschaftsministerium (RWM) vom 7. Juli 1939 betreffend „Entjudung der Firma Alfred Auerhahn“ bekräftigte Eschenburg, der „zweckmäßigste Weg“ scheine zu sein, „diesen Betrieb alsbald der Liquidation zu überführen“ (Dokumente 4a und 4b). Am 26. März 1940 übermittelte das RWM der VVSt seine Zustimmung: „Eine Aufrechterhaltung des Betriebes ist nach der Stellungnahme der Knopfund Bekleidungsindustrie [sic] nicht gerechtfertigt“ (Dokument 5). Am 31. Oktober 1940 bestätigte die VVSt, „Abt. Betriebsentjudung“, die erfolgte Abwicklung „wegen Überbesetzung der Reißverschlussfabrikation“. Die Löschung im Handelsregister erfolgte schließlich zum 11. August 1943.

Die Firma Blaskopf wurde 1939 „arisiert“ durch Veräußerung – über die seit 1914 bestehende, seit 1938 für „Arisierungs“zwecke eingesetzte Österreichische Kontrollbank für Industrie und Handel – an einen „alten Kämpfer“, SA-Obersturmbannführer Josef Geissler, der 1946 wegen Kriegsverbrechen zu sieben Jahren schweren Kerkers verurteilt wurde.

Am 1. November 1938 befasste sich Eschenburg nach seiner Rückkehr aus Österreich nicht nur mit der „Entjudung“ der Wiener Firmen Auerhahn und Blaskopf (vgl. Dokument 2), sondern auch – in seiner Funktion als Leiter der Vorprüfstelle „Schnitzform“ – mit der anstehenden „Arisierung“ des Köln-Berliner Unternehmens Wilhelm Runge & Co. sowie dessen Tochtergesellschaft Lozalit AG. Der Betrieb für Kunstharzund Zelluloseerzeugnisse war Ende 1937, ungeachtet der jüdischen Konfession seines Inhabers Wilhelm Fischbein, durch den Leiter des Rohstoffamts, Generalmajor Fritz Löb, in den Vierjahresplan aufgenommen worden, weil die verwendeten Materialien als devisensparende Ersatzstoffe galten. Mitte 1938 hatten im RWM jedoch Überlegungen eingesetzt, Fischbein zu enteignen.

Am selben Tag, an dem er wegen der beiden Wiener Betriebe an die VVSt schrieb, war Eschenburg zu einer Besprechung der Angelegenheit Runge/Lozalit ins RWM geladen. Laut Gesprächsvermerk des Sachbearbeiters hielt er die Lösung der „Arisierungsfrage“ gleichfalls für „schnellstens…erforderlich“. Er nannte für eine eventuelle Übernahme zwei Firmen, kündigte weitere „eingehende Vorschläge“ an, teilte mit, ihm sei „zu Ohren gekommen“, man habe Fischbein in England „einen Angestelltenposten angeboten“, und sah überhaupt die „Gefahr“, Fischbein könne sich „in das Ausland beg[eben]“ und „ein neues Unternehmen aufzieh[en]“. Konsequenz: „Dr. Eschenburg hält ebenfalls die alsbaldige Einziehung des [Reise-] Passes für geboten“ (Dokument 6).

Von dieser Auffassung rückte Eschenburg in einer weiteren Besprechung am 4. November ab, damit „die Exportmöglichkeiten nicht beeinträchtigt würden“. Außerdem schrieb er dem RWM in einem Brief vom 8. November, betreffend die „Ausstellung eines Reisepasses für den Juden Wilhelm J. Fischbein“, er habe „weder gegen die Erteilung eines neuen Reisespasses“ Bedenken noch gegen die Erteilung einer „Ausreisegenehmigung zu gegebener Zeit“, wobei er wiederum wirtschaftliche Erwägungen ins Feld führte. Andererseits erwähnte er, konkreter als in der Unterredung am 1. November, er habe „vorsorglich“ dem RWM von der „Vermutung“ Kenntnis gegeben, „dass Fischbein unter dem Vorwand, Exportaufträge hereinzuholen, unter Benutzung deutscher Devisen im Auslande Fabriken… einrichtete, um sich selbst eine neue Existenzbasis zu schaffen“ (Dokument 7).

Damit hätte Fischbein gegen das Gesetz gegen Wirtschaftssabotage vom 1. Dezember 1936 verstoßen. Das von Göring als Beauftragtem für den Vierjahresplan initiierte Gesetz bedrohte Kapitalflucht sowie das Belassen von Vermögenswerten im Ausland (sogenannte Devisenschiebung) mit der Todesstrafe. Es war im Völkischen Beobachter vom 3. Dezember 1936 auf der Titelseite sowie auf S. 11 (dort unter der sechsspaltigen Überschrift „Bekämpfung von Devisenvergehen“) bekanntgegeben worden. Laut Gesetzestext galt die Strafe auch, wenn die Tat im Ausland begangen wurde. Für die Aburteilung war der Volksgerichtshof zuständig.

In der lückenhaften Überlieferung des Bundesarchivs zum Volksgerichtshof sind bislang Urteile nach dem Gesetz gegen Wirtschaftssabotage nicht aufgetaucht. In den Akten des Oberreichsanwalts beim Volksgerichtshof finden sich jedoch zwei Ermittlungsverfahren wegen „Verbrechens der Wirtschaftssabotage“ aus den Jahren 1938/39. Im ersten Fall handelte es sich um einen jüdischen Firmenbesitzer, der Mitte 1938 nach England geflohen war und die Flucht durch Belassen von Exporterlösen im Ausland vorbereitet hatte. Gegen den Betreffenden wurde Haftbefehl erlassen, er wurde ausgebürgert, und für die Firma wurde ein Treuhänder eingesetzt.

Was Eschenburgs ohne Not geäußerte „Vermutung“ für den Fabrikanten bedeuten konnte, musste ihm klar sein. Fischbein jedenfalls mied nach dem 9. November wohlweislich seine Wohnung: Massenfestnahmen im Anschluss an die Reichspogromnacht, gefolgt von Überstellungen der Verhafteten nach Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen, sollten vorrangig „wohlhabende Juden“ zwingen, unter dem Druck von „Misshandlungen ihr Vermögen Nichtjuden [zu] übertragen“. Fischbein und er, gab Wilhelm Runge – bei der Gründung des Unternehmens 1934 nomineller Inhaber, später Firmenangestellter – während des Wiedergutmachungsverfahrens 1965 zu Protokoll, hätten wochenlang im Hotel Kaiserhof in Berlin im selben Appartement gewohnt. „Während ich mit meinem vollen Namen eingetragen war, glaube ich, dass Herr Fischbein sozusagen schwarz bei mir wohnte“.

Mitte Dezember 1938 verfasste der zuständige RWM-Referent den Unheil kündenden Vermerk, „dass im Falle Fischbein möglicherweise ein Interesse daran bestehen wird, den Juden nicht auswandern zu lassen.“ Fischbein sei deshalb „der Auslandspaß abgenommen worden. Der Paß befindet sich bei den Akten“. Einen Monat zuvor hatte der Referent am 15. November 1938 ein Gespräch vom Vortag festgehalten, in dem er Fischbein unter Verweis auf die zwei Firmen, die Eschenburg genannt hatte, anheim gestellt habe, sich wegen der „Arisierung“ „noch einmal mit Dr. Eschenburg in Verbindung zu setzen“. Fischbein werde „Herrn Dr. Eschenburg heute Nachmittag aufsuchen“ (Dokument 8).

Auch in einer weiteren Ministeriumsbesprechung am 18. November blieb Eschenburg nicht passiv. Die Gesprächsrunde ventilierte die Idee, an Stelle eines Treuhänders einen „politischen Kommissar“ mit „umfassenden Vollmachten“ zur Beschleunigung der „Arisierung“ einzusetzen. „Als geeignete Persönlichkeit“ wurde laut Gesprächsvermerk „von den Herren Willée [Hauptabt. I, Abt. Chemie] und Dr. Eschenburg der Vortragende Legationsrat a. D. Redelhammer genannt, der in Berlin bereits eine Fabrik mit Kunstharzerzeugnissen betreibt und als Sachkenner gelten kann.“. Doch stellte sich rasch heraus, dass der Gedanke bindenden Weisungen Görings „hinsichtlich der Überführung jüdischer Betriebe in deutschen Besitz“ widersprach und fallen gelassen werden musste. Eschenburgs Name tauchte in den einschlägigen Akten zuletzt als Adressat eines RWM-Schnellbriefs vom März 1939 auf, in dem er aufgefordert wurde der nunmehr „arisierten“ Firma seine besondere Aufmerksamkeit zu widmen und auf Stärkung des Exports hinzuwirken. Bis zur Auffindung der Unterlagen über die „Entjudung“ der Wiener Unternehmen Auerhahn und Blaskopf konnte die mit Wilhelm Fischbeins Namen verbundene „Arisierung“ im Hinblick auf Eschenburg noch als „(e)in Fall von Opportunismus“ – mit Betonung auf „ein“ – „bei unumstrittener Lebensleistung“ erörtert werden. Die im Österreichischen Staatsarchiv entdeckten Dokumente belegen, dass Eschenburg in seinen beruflichen Funktionen an drei „Arisierungs“-Fällen maßgeblich beteiligt war. Die Mitwirkung bei den einzelnen Etappen der Enteignung jüdischer Vermögen gehörte während der Phase 1938/39 zum Alltagsgeschäft der von ihm geleiteten Stellen. Dafür, dass mit weiteren Beispielen zu rechnen ist, spricht der vorletzte Satz in seinem Brief an die VVSt vom 1. November 1938 (Dokument 2): „Unter diesen Antrag“ – i. e. den Vorschlag der Fachuntergruppe „zur Liquidierung aller nichtarischen Betriebe, soweit sie noch nicht arisiert sind“ – „fallen auch zwei Firmen im Altreichsgebiet“. Deren Akten harren noch der Entdeckung. Erschwert wird die Suche dadurch, dass Ende 1943, einem Rundschreiben Eschenburgs zufolge, ein Großteil der Unterlagen – offenbar bei einem Bombenangriff – vernichtet wurde und die Geschäftsstelle umziehen musste.

Eschenburgs Brief vom 1. November 1938 an die VVSt (Dokument 2) dokumentiert die Konsequenz, mit der er das Interesse der kartellierten Branche an der Ausschaltung von Konkurrenten vertrat, als die antijüdische Politik des NS-Regimes die Chance dazu bot. Sein Schreiben vom 8. November 1938 an das RWM (Dokument 7) offenbart die Zweckrationalität, mit der er sich in den Dienst des Regimes stellte. Mündlich wie schriftlich unterrichtete Eschenburg die Behörden darüber, was ihm „zu Ohren gekommen“ war, er gab ihnen „vorsorglich“ Kenntnis von einer „Vermutung“, bat um Durchführung „einer eingehenden Betriebsprüfung“. Kurz, er legte „einem jüdischen Mitbürger“ in einer für deutsche und österreichische Juden „immer schwieriger[en]“ Situation „Steine in den Weg“. Hier traten die Schwachstellen seiner eingangs geschilderten Staatsaufassung zu Tage, die „effizientes“ Regieren „von oben“ zum Eigenwert überhöhte.

Wilhelm Fischbein gelang es dennoch, wie die Restitutionsakten zeigen, am 15. Januar 1939 illegal über die Schweiz nach England zu entkommen. Freunde in London gründeten eine Auffanggesellschaft, die ihn als geschäftsführenden Direktor einstellte. Am 9. und am 20. Februar 1939 wurde beim RWM festgehalten, der Fabrikant sei „flüchtig geworden“ beziehungsweise „ohne Pass in das Ausland gegangen“. 1966 sprach ihm das Landgericht Köln 20 000 DM als Erstattungsbetrag zu. Nach Aufhebung des Urteils durch das OLG Köln und Hinzuziehung eines Sachverständigen einigte man sich 1971 (Fischbein war mittlerweile 67 Jahre alt) auf einen Betrag von 125 000, abzüglich der bereits zuerkannten 20 000 DM. Alfred Auerhahn war vom 28. 6. – 8. 7. 1938 in Gestapohaft. Ende März 1939 reiste er mit einem ordnungsgemäß ausgestellten Pass nach Berlin, flüchtete von dort nach London und nahm als englischer Staatsbürger den Namen Alfred Austin an. Seine Firma war fast ausschließlich mit englischen Finanzmitteln aufgebaut worden. Ein Restitutionsantrag des englischen Kapitalgebers konnte in den Akten nicht ermittelt werden.

Max Blaskopf wurde 70jährig 1942 mit seiner Frau nach Theresienstadt deportiert. Beide überlebten den Lageraufenthalt nicht. Für Max Blaskopf wurde als Todestag der 28. September 1943 ermittelt82. Sein und seiner Frau Schicksal illustriert, dass außer im Falle jener Minderheit, die sich rechtzeitig zur Flucht entschloss und auch entkam, die Zerstörung der Existenzgrundlage eine Zwischenstufe bedeutete auf dem Weg in die Ermordung.

Für 1941 überlieferte Akten weisen aus, dass Eschenburg während des Krieges im besetzten Europa als Leiter der Vorprüfstelle „Schnitzform“ (siehe Fall Fischbein) „maßgeblich an der Ausschaltung von jüdischen Betrieben aus dem Handel mit dem Deutschen Reich“ mitwirkte. Wie andere Stellen dieser Art war seine Vorprüfstelle in Zusammenarbeit mit der oben erwähnten Reichsstelle für den Außenhandel routinemäßig beteiligt an der Überprüfung ausländischer Firmen auf politische und „rassische“ Zuverlässigkeit. Jüdische und „deutschfeindliche“ Unternehmen wurden, wie im Abschnitt über „Arisierungen“ bereits vermerkt, von der Belieferung durch deutsche Betriebe ausgeschlossen.

Im Sommer und Winter 1941 drängte Eschenburg in zwei Schreiben (Dokumente 10 und 11) auf erneute Nachprüfung, ob ein von der Reichsstelle bereits als „arisch“ klassifiziertes Kopenhagener Unternehmen nicht doch eine Tarnfirma sei, „Gründung eines emigrierten Juden“, die unter „arischem“ Deckmantel mit „aus Deutschland bezogene[r] Ware… den deutschen Ausführern Konkurrenz“ auf Drittmärkten mache. Eschenburg: „Ich beabsichtige daher, die Belieferung der Firma zu sperren, sobald mir eine eindeutige Auskunft von Ihnen vorliegt[,] und bitte daher nochmals um Beschleunigung.

Der Vorgang, bei dem Eschenburg „von sich aus aktiv“ wurde und zweimal nachhakte, statt es bei der Auskunft der Reichsstelle zu belassen, verstärkt den am Beispiel der Wiener „Arisierungen“ gewonnenen Eindruck der Ausschließlichkeit, mit der Eschenburg sich von wirtschaftlichen Erwägungen zur Ausschaltung jüdischer Konkurrenten leiten ließ. Mehr noch: Eschenburg drangsalierte einen jüdischen Deutschen aufs Neue, der bereits einmal sein Unternehmen eingebüßt hatte und vor dem rassistischen NS-Regime geflüchtet war.

Die 1901 in Berlin gegründete Firma Seliger & Co. war Anfang September 1938 durch „Ausscheiden“ der Gesellschafter Walter und Siegfried Seliger sowie „Eintritt“ des Kaufmanns Walter Rau „arisiert“, der Name der Firma Mitte 1939 in „Walter Rau KG“ geändert worden (Dokument 9). Nun, nach der Besetzung Dänemarks durch die Deutschen, wurde Siegfried Seliger (über Walter Seliger finden sich keine Angaben mehr) im Kopenhagener Exil, in dem er sich eine zweite Existenz geschaffen hatte, erneut von den Diskriminierungen seiner Verfolger, diesmal in Gestalt Eschenburgs, eingeholt.

Am 1./2. Oktober 1943 drohte Seliger wie allen dänischen und nach Dänemark geflohenen Juden die Deportation in deutsche Konzentrationslager. Der deutsche Diplomat Georg Ferdinand Duckwitz unterrichtete kurz zuvor dänische Vertraute. Schwedische Stellen wurden auf eine eventuelle Massenflucht vorbereitet. Eschenburgs vorheriges Verhalten stach erheblich ab von der überwältigenden Solidarität, welche die dänische Bevölkerung gegenüber ihren gefährdeten Mitbürgern an den Tag legte. Knapp fünfhundert Juden wurden zwar nach Theresienstadt verschleppt, doch weit mehr als 7000 konnten versteckt und mit Booten übers Meer nach Schweden in Sicherheit gebracht werden. Zu ihnen gehörte Siegfried Seliger, der am 5. Juni 1945 nach Kopenhagen zurückkehrte.

 
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