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4 Diskussionskontext (II) – (Nachkriegs-) Politologen im „Dritten Reich“: Arnold Bergstraesser, Michael Freund, Adolf Grabowsky„Hier wird das mehr oder minder unbewusste Geschichtsbild provokativ in Frage gestellt, das die westdeutsche Politikwissenschaft von sich selbst gehabt und anderen vermittelt hat“, schrieb Michael Th. Greven 1992, als er Ausgebürgert und doch angebräunt besprach. „Deshalb sollten wir uns nicht wundern, wenn gerade diejenigen mit Abwehr und Kritik reagieren, die in ihrer normativen und wissenschaftlichen Distanz gegenüber dem Nationalsozialismus besonders eindeutig sind. Ihnen wird die Anerkennung zugemutet, dass es im Nachkriegsdeutschland auch in der ‚neuen', in der ‚Demokratiewissenschaft' kein Entrinnen gab, dass auch diese Disziplin ihren Teil an der Verantwortung zu übernehmen, ihren Anteil an der Geschichte zu tragen hat, dass der Versuch, einen absoluten Trennstrich zu ziehen, auch hier nicht gelingen kann.“ Grevens eindringliche Sätze ließen erwarten, dass ihnen eine anhaltende Fachdebatte sowie weitere disziplingeschichtliche Forschungen folgen würden. Zwei äußere Umstände verstärkten diesen Eindruck: - Die Besprechung erschien als Teil einer 10seitigen „Rezension kontrovers“ in zwei Teilen, der ersten (auf längere Zeit auch einzigen) ihrer Art seit Bestehen der Politischen Vierteljahresschrift. - Im Jahr zuvor hatte beim 18. DVPW-Kongress in Hannover jenes in der Einleitung erwähnte Podiumsgespräch „Demokratisch oder angebräunt?“ stattgefunden. Buchsteins und Grevens Texte in der PVS spiegelten die Beurteilungsunterschiede, die dort zu Tage getreten waren. Jedoch entschied die scheidende DVPW-Vorsitzende Beate Kohler-Koch – aus welchen Gründen auch immer – sich dagegen, einen Bericht über die (ad hoc organisierte) Podiumsdebatte in den von ihr herausgegebenen Kongressband aufzunehmen. Selbst auf einen bloßen Hinweis verzichtete ihr Vorwort. Das hieß, dass die Disziplin im Großen und Ganzen überhaupt nichts von der fachgeschichtlichen Diskussion in Hannover erfuhr. Und was die „Rezension kontrovers“ anging, sollte sich erweisen, dass Hubertus Buchstein – der den zweiten Teil bestritt – mit seiner abweichenden Einschätzung auf mehr Resonanz im Fach stieß als Greven. Zu diesem Zeitpunkt war es ein halbes Jahrzehnt her, seit die Politikwissenschaft begonnen hatte, „die Archive [zu] entdeck[en].“ Die Ausgangsfrage hatte gelautet, ob unter dem Nationalsozialismus von einer Politikwissenschaft die Rede sein konnte, die diesen Namen verdiente. Johannes Weyer hatte eine „zunehmend[e] Verselbständigung“ der Disziplin „in den Jahren 1943/44“ behauptet und sich dabei auf die gleichfalls „zunehmende Europa-Orientierung“ der Arbeit von Auslandswissenschaftlicher Fakultät (AWF) und Deutschem Auslandswissenschaftlichem Institut (DAWI) berufen. In Wirklichkeit signalisierte beider Publizistik die fortdauernde Instrumentalisierung durch das Regime zur Untermauerung der Propagandaformeln von Europas „Neuer Ordnung“, respektive – nach Stalingrad – vom „Aufbruch Gesamteuropas gegen den Bolschewismus“. Kurt Lenk hatte repliziert mit der – freilich auf das schmale Sample von vier ausgewählten Beiträgen gestützten – These, an ASF und DAWI sei ausschließlich Pseudooder Antiwissenschaft betrieben worden. Drei Jahre später hatte Beate Wagner präziser argumentiert, zwischen an AWF bzw. DAWI erstellten, „zum Teil empirisch fundierten Studien“ und dem „ideologischen Rahmen“ habe „kaum eine Vermittlung“ stattgefunden. Eine „wissenschaftliche Binnengesetzlichkeit“, die ermöglicht hätte, „die Disziplin von der unmittelbaren politischen Gängelung zu befreien“, sei nicht entwickelt worden. Unausbleiblich hatte nach der Auslandswissenschaftlichen Fakultät die Deutsche Hochschule für Politik (DHfP) das geschärfte Interesse an einer genaueren Durchleuchtung ihrer Forschungsund Lehrtätigkeit auf sich gezogen. Alfons Söllner, Detlef Lehnert und Ernst Haiger hatten in ihren Aufsätzen hervorgehoben, den Wissenschaftsbetrieb an der DHfP habe ein „naturwüchsige[r] Pluralismus… ohne ausgewiesenen Kern“ geprägt; eine „Akademisierung“ der Ausbildung ab 1927 lasse sich nicht feststellen, allenfalls eine Aufwertung auslandswissenschaftlicher Themen; die 1933 umgestaltete, Goebbels unterstellte (D)HfP sei 1939/40 in die AWF „eingebaut“ worden, „die auch ohne sie ihren Betrieb aufgenommen hätte“. Und wie stand es mit Kontinuitäten von der „braunen“ Periode zur Nachkriegspolitologie – personellen, konzeptionellen, inhaltlichen? Es gäbe keine, konstatierten Hubertus Buchstein und Gerhard Göhler 1986. Personell habe die Disziplin nach 1945 aus den drei Quellen Exil, innere Emigration oder Widerstand, schließlich der pro-republikanischen Richtung an der DHfP geschöpft. Einer ihrer Prüfsteine lautete jedoch „Autorenschaft in der Zeitschrift für Politik (2. Halbjahr 1933-1945)“. Unter diese Rubrik fiel Adolf Grabowsky, auch nach 1945 wieder Mitherausgeber der Zeitschrift (1954-1959 veröffentlicht im Auftrag der heutigen DVPW). Sein Name wurde in dem Beitrag jedoch nicht genannt. Und hätte das Kriterium genereller gelautet: „Autorenschaft im Sinne des NS-Regimes 1933-1945“, dann wären weitere Publikationen Grabowskys sowie eine Monographie und zwei Aufsätze Arnold Bergstraessers zu verzeichnen gewesen. Ausgebürgert und doch angebräunt konzentrierte sich auf die theoretischen Positionen an der DHfP und bündelte sie zu drei Wissenschaftsprogrammen, die nebeneinander existierten, seit das konservativ-revolutionäre Politische Kolleg sich ab 1927 Einfluss an der Hochschule gesichert hatte: ein national-oppositionelles, ein demokratisches sowie ein hinsichtlich seiner innenwie außenpolitischen Leitideen „funktionalistisches“ Konzept. Letzterem sind (beispielsweise) Ernst Jäckh und Arnold Wolfers, Präsident bzw. Direktor der DHfP, sowie am rechten Rand Adolf Grabowsky und Arnold Bergstraesser zuzuordnen. Die Schwachstellen dieses Ansatzes – seine Anfälligkeit gegenüber revisionistischen Zielen und Führertums-Ideen, in deren Dienst Prinzipien wie Demokratie und Verständigung als bloße Mittel zum Zweck gestellt wurden – traten zu Tage bei der Reaktion seiner Repräsentanten auf die nationalsozialistische Machtübernahme. Als Buchstein Ausgebürgert rezensierte, räumte er ein, dass Grabowsky „noch vor seiner Emigration in die Schweiz in mehreren Artikeln deutliche Sympathien für den Regierungswechsel bekundete“. Zu den Begründern der Nachkriegspolitologie habe er freilich „nur am Rande“ gehört, sei konzeptionell nach 1945 „ohne Einfluss“ geblieben. Auch Bergstraessers „inhaltliche Affinitäten zur neuen Regierungspolitik und seine Beteiligung an der Nazifizierung der Universität“ bestätigte Buchstein nun. Aber: Der Fall Bergstraesser markiere „die große ‚Ausnahme'“. „Nach meiner Kenntnis der Nachkriegspolitologie“, so Buchstein, „möchte ich behaupten, dass die von Eisfeld genannten Personen auch in Zukunft die einzigen bleiben werden, die Anlass zu derartigen Reflexionen über Kontinuitäten geben können… Weitere wird es nicht geben.“ Mit dieser Prognose war die „eindeutig andere Stellung“ (Buchstein) der Politikwissenschaft gegenüber den Nachbarfächern Geschichte oder Soziologie ein weiteres Mal zementiert. Für ein Jahrzehnt „kanonisiert“ wurde die Festschreibung durch Wilhelm Bleek in seiner Geschichte der Politikwissenschaft in Deutschland. Grabowsky stand auch für ihn „am Rande“. Bergstraesser habe demgegenüber, als Begründer der politikwissenschaftlichen Freiburger Schule, zweifellos die Rolle einer „zentralen Figur“ gespielt. Für die „weit überwiegende Mehrzahl der Gründungsväter“ blieb es dennoch bei der Bewertung, es habe sich um „gegen alle antidemokratischen Versuchungen gefeite Anhänger der Weimarer Republik“ gehandelt. Nur konsequent wies Bleek den unterstellten Versuch zurück, aus der Politikwissenschaft „eine ganz normale deutsche Wissenschaft zu machen.“ Seine Argumentationslinie prägte das Selbstverständnis des Fachs, bis 2011/12 außer Bergstraesser und Grabowsky die Namen Michael Freund und Theodor Eschenburg ins Spiel kamen. Arnold Bergstraesser war schon 1942 im Exil von keinem Geringeren als Golo Mann zum „moralisch schuldigen akademischen Wegbereiter der Katastrophe“ gestempelt worden. Die Hoffnungen, die Bergstraesser zunächst auf den Nationalsozialismus setzte, fanden ihren Ausdruck in einem Brief, den er am 15. März 1933 einer Doktorandin nach Frankreich schrieb. „Was in diesen Tagen in Deutschland geschieht“, urteilte Bergstraesser, „ist die gewaltsame Trennung vieler Millionen von der Resignation und dem Utilitarismus der Nachkriegsepoche.“ Hier sei „die Empörung über das Erlebnis von 1918 und 1919 in unmittelbarer Wucht ausgebrochen.“ Und weiter: „Die Verletzung der Ehre, die damals erfolgt ist…, macht das Volk heute an sich selbst gut. Es findet wieder zu sich, wenn auch in einer sehr ungestümen und zunächst einfach brutalen form… Ich sehe keinen Grund, weshalb die neue brutale Erscheinungsform in der politischen Wandlung eines Massenzeitalters mir den Glauben in die gesunden Grundkräfte der Nation nehmen sollte.“ Der Brief zog – wie sein Verfasser bald auch öffentlich bekunden sollte – die Konsequenz aus Bergstraessers Radikalisierung im Zeichen von Staatsfixierung und Revisionspolitik. Bestimmend für den im Weltkrieg schwer verwundeten Kriegsfreiwilligen blieb die, anderthalb Jahrzehnte später unverändert so beschriebene, „ragende Höhe des Gemeinschaftserlebnisses von 1914“, ebenso wie die feste Überzeugung, Deutschland habe „auch heute noch… die Pflicht, ein Machtstaat zu sein.“ 1932, nachdem er in Heidelberg auf eine außerordentliche Stiftungsprofessur für Staatswissenschaft und Auslandskunde berufen worden war, gab Bergstraesser ausreisenden Austauschstudenten mit auf den Weg, „noch offen“ sei „die Frage: Wie wird der deutsche Staat aussehen, den wir alle als den unseren bezeichnen können?“ Im selben Jahr hatte er maßgeblich – dazu weiter unten – mitgewirkt am Entzug der Lehrbefugnis des Justizkritikers, Pazifisten, Juden und Sozialdemokraten Emil Julius Gumbel durch die Universität Heidelberg wegen angeblicher Beschimpfung gefallener deutscher Soldaten. Während der Weimarer Spätphase war Bergstraessers „Interesse an einer politischen Laufbahn“ erwacht. In einem Staat, „ausgestattet mit diktatorischen Vollmachten“, sah er das Instrument, „mit dessen Hilfe eine selbsternannte Elite die Krise Deutschlands überwinden konnte.“ Sein Wunschtraum, die Basis dafür zu schaffen durch „gesamtstaatliche Zusammenfassung“ unter „verantwortliche[m] Führertum“, veranlasste ihn seit dem Herbst 1931, die Einbeziehung der NSDAP in die Regierung zu fordern, möglichst mit Schleicher als Kanzler. Im August 1932 apostrophierte er die Nazipartei als „breite, plebiszitäre demokratische Bewegung“. Knapp sechs Monate später nannte er in seinem zuvor zitierten Brief die bevorstehende Errichtung eines nationalsozialistischen Staates „völlig unabänderlich“. Nach wie vor hoffte er auf „eine wirkliche Verbindung von Geist und Politik“. Zuvor hatte Bergstraesser Kontakte von Artur Mahrauns Jungdeutschem Orden über Schleicher bis zum linken Flügel der NSDAP geknüpft, „ohne sich festlegen zu lassen“. Er strebte nach der Diktatur, und er suchte nach einem Platz für sich in dieser Diktatur. Seine „taktischen“ Einmischungen in die Berliner „politischen Intrigenspiele“ trugen ihm, so Reinhart Blomert, jedoch nur Misstrauen in den verschiedenen politischen Lagern ein. Dem braunen Regime galt er als „jüdischer Mischling“: Sein Großvater mütterlicherseits hatte dem „israelitischen“ Glauben angehört. Infolge seiner Frontkämpfereigenschaft wurde Bergstraessers Anfang Mai 1933 verfügte Zwangsbeurlaubung – die einer Entlassung gleichgekommen wäre – zunächst vorläufig ausgesetzt. Dass sie Mitte des Jahres rückgängig gemacht wurde, bestärkte ihn in seinen Hoffnungen. Denn unverändert bejahte Bergstraesser die Ablösung der „politische[n] Anarchie“ durch die „schöpferischen Kräfte staatlicher Gesamtgestaltung des Lebens“. Es sei „ein richtiges Wort des Ministerpräsidenten Goering“, schrieb er, „daß ohne den zusammengeballten Willen weniger politischer Persönlichkeiten und die Entfaltung einer außerordentlichen Energie in der Verbreitung des aufklärenden Wortes diese Revolution nicht zustandegekommen wäre.“ Der Staat, folgerte Bergstraesser, sei nunmehr der „starke, innerlich unangefochtene Vertreter des eigenen Volkes.“ Was Bergstraesser Ende 1933 – fünf Tage, nachdem das „Dritte Reich“ den Völkerbund verlassen hatte – zur Rechtfertigung des NS-Regimes in London am Royal Institute of International Affairs ausführte, entsprach dem, was er in Deutschland verlautbart hatte. „Seit vielen Jahren“ habe er empfunden, „dass nur eine Diktatur Ordnung und Zuversicht in Deutschland herstellen würde.“ Und nicht nur er persönlich: „Mit Ausnahme der sozialistischen Parteien empfand die gesamte Bevölkerung Deutschlands das Bedürfnis, die Staatsautorität zu stärken.“ Seine Rechtfertigung des NS-Regimes kulminierte in der Behauptung, es sei „nicht wahr, dass das deutsche Volk keine Diktatur wollte und die National-Sozialisten nicht mit ihrer Ausübung ‚beauftragte'. Am 5. März 1933 erzielten die NationalSozialisten 44 % und die Nationalen, die ebenfalls eine Diktatur wollten, 8 % der Stimmen; beide Parteien gewannen damit eine Mehrheit im Reichstag.“ Der 1938, ein Jahr nach Bergstraesser, in die Emigration gezwungene Ernst Fraenkel hatte die März„wahlen“ ganz anders kommentiert: „Rundfunkmonopol für die Regierung, Redeverbote für die Opposition, das mögen Methoden für einen Balkanstaat sein… Auf die Stimme des Volkes wird sie [die Regierung] sich nicht berufen können.“ Bergstraessers Zielvorstellung hieß „Neubelebung der Kräfte der Gemeinschaft. Wissenschaftsmethodisch sollte sie Ausdruck finden in der Ergänzung der Soziologie durch eine Volkskunde, welche die „unmittelbaren und traditionalen“ Formen des „Gemeinschaftslebens“ zu untersuchen hatte. Bergstraesser visierte zwar noch nicht wie Hans Freyer oder Reinhard Höhn die gänzliche Ablösung der „Gesellschafts“durch „Volks“lehre an, aber letztlich doch eine „dem völkischen und politischen“ Umbruch angemessene „deutsche“ politische Soziologie. Diese politische und wissenschaftliche Positionsbeschreibung macht verständlich, weshalb es – wie aus der Einleitung erinnerlich – Kurt Sontheimer zwei Jahrzehnte später schwer fiel, bei Bergstraesser Sympathie für sein Habilitationsvorhaben zu wecken. Zusammen mit der akuten Gefährdung von Bergstraessers Stellung durch die Rassenideologie des Regimes liefert sie zugleich die Erklärung für sein Verhalten als Referent bei „grundständigen“ Promotionen während der beiden Jahre, die ihm an der Universität Heidelberg noch blieben. Dadurch, dass er mitwirkte an der offenen Ergänzung und Ersetzung wissenschaftlicher durch politische Maßstäbe der Leistungsbeurteilung, trug Bergstraesser 1934/35 bei zur Selbstgleichschaltung der Politikwissenschaft. - Die Arbeit sei „nicht immer zur letzten Klarheit“ gediehen. „Von innerer Anteilnahme an der Staatsgestaltung der Gegenwart ausgehend“, habe der Verfasser aber „doch eine schöne Leistung“ erbracht (Gutachten Bergstraesser zur Dissertation Kurt Walz; Note: 2). - Die „Oberflächlichkeit“ der Arbeit lasse eine „Fülle“ von Fragen „ungelöst“ zurück. Immerhin aber werde die Thematik „im Geiste der national-sozialistischen Politik interessant beleuchtet“ (Gutachten Bergstraesser zur Dissertation Hans Brune; Note: 3-). - „Nach Jahren der Konzentration auf den politischen Kampf“ habe der Verfasser „gewissermaßen von einem Tag auf den anderen mit derselben Energie wissenschaftlich zu arbeiten“ unternommen. Seine „praktische politische Erfahrung und die wissenschaftliche Begabung“ hätten „gemeinsam ein gutes Ergebnis gezeitigt“ (Gutachten Bergstraesser zur Dissertation Fritz Hippler; Note: 1-). Die Honorierung von NS-Bekenntnissen, ungeachtet wissenschaftlicher Schwächen, trat besonders unzweideutig zu Tage bei Bergstraessers Mitwirkung 1934 an der Promotion des damaligen Assistenten am Heidelberger Institut für Zeitungswissenschaft, Hauptamtsleiters in der Reichsführung der Deutschen Studentenschaft und SA-Sturmführers (Leutnants), späteren ordentlichen Professors für Außenpolitik und Auslandskunde, Dauerdekans der Berliner Auslandswissenschaftlichen Fakultät, Leiters des SD-Hauptamts „Gegnerforschung“, Gesandten I. Kl. und Leiters der Kulturpolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes, schließlichen SS-Brigadeführers (Generalmajors) – kurz, des sprichwörtlichen „Nazi[s] in allen Gassen“: Franz Alfred Six. Dessen Dissertation trug den Titel: Die politische Propaganda des Nationalsozialismus. Auf den erst zwei Jahre später vorgelegten Pflichtdrucken hieß die Arbeit markiger: Die politische Propaganda der NSDAP im Kampf um die Macht. Sie beschränkte sich ausdrücklich darauf, „nichts anderes (zu) sein als die Zusammenfassung der Erkenntnisse nationalsozialistischer Propaganda“ – und wurde von Bergstraesser eingestuft als „sachliche und methodische Bereicherung der wissenschaftlichen Literatur über die Dynamik des modernen Staates“, eine „Verbindung äußerster Realistik und analytischer Kühle… mit leidenschaftlicher Anteilnahme“, die lediglich „unter der starken dienstlichen und politischen Inanspruchnahme des Verfassers… etwas… gelitten habe“ (Note: 2-3). Jüngst hat Günter Behrmann den Versuch unternommen, Bergstraessers individuelle Verantwortung bei zwei Vorgängen möglichst weit auf andere Personen und Instanzen zu verlagern: - erstens bei der weiter oben erwähnten Entziehung der Lehrberechtigung des pazifistischen Justizkritikers Emil Julius Gumbel schon vor der NS-Machtübernahme, - zweitens bezüglich der akademischen Karriere des NS-Funktionärs Franz Alfred Six auf der Grundlage seiner gerade erörterten, durch die Promotion erlangten Formalqualifikation. Wie auch Behrmann einräumt, fielen Bergstraesser im Fall Gumbel „Hauptaufgaben bei der Beweiserhebung und die Erstellung des Abschlussberichts zu. Der Ausschuss, in dessen Auftrag er dabei handelte, hat all das mitgetragen. Zweifellos war Bergstraesser… mitverantwortlich.“ Dann aber verschiebt sich die Akzentsetzung: „Nicht er, sondern die mehrheitlich wieder am Verfahren beteiligten Ordinarien hatten schon 1924 das Urteil über Gumbel gesprochen…“ Und die Verantwortung diffundiert immer weiter: „Verantwortlich waren der badische Kultusminister, der Rektor und die Gremien, die das Untersuchungsverfahren eingeleitet und den Entzug der Venia beschlossen haben.“ Mehreres bleibt bei dieser Sicht unerwähnt. In Bergstraessers Bericht sollten gemäß Beschluss des Untersuchungsausschusses „lediglich die Tatsachen gekennzeichnet werden“, die der Ausschuss zu verwerten gedachte. Wie in Ausgebürgert an Hand der Verfahrensakten gezeigt wurde, verfuhr Bergstraesser bereits bei der Beweiserhebung voreingenommen. In seinem Bericht nannte er Gumbel einen „Demagoge[n]“ und warf die „Frage“ auf, inwieweit dieser „imstande“ sei, „für seine Äußerungen eine wirkliche Verantwortung als akademischer Lehrer zu übernehmen.“ Damit war es Bergstraesser, der sich die Diktion jener Fakultätskommission von 1924 zu eigen machte, die Gumbel zur „Demagogennatur“ herabgewürdigt hatte. Außerdem nahm er im Widerspruch zu seinem Auftrag das Urteil bereits vorweg. Bezüglich des Promotionsverfahrens Six führt Behrmann ins Feld, Bergstraessers „sehr vollmundig[e] Lobesformeln“ hätten „seiner Absicherung“ gedient. Six' Prädikat habe dagegen „im unteren Feld der… Notengebung Bergstraessers“ gelegen. Schließlich: „Nicht wissenschaftliche Leistungen, sondern deren Vortäuschung, vor allem aber der mit Hilfe anderer… immer wieder erfolgreich ausgeübte politische Druck“ hätten Six „nach der Promotion vorangebracht.“ Mit Bergstraesser habe seine Karriere „nichts zu tun“ gehabt. Das Argument, Bergstraessers – so auch Behrmann – „sehr vollmundige“ – Lobpreisung dessen, was ich 1991 Six' „Machwerk“ genannt habe, hätte seine Absicherung bezweckt, bleibt bloße Mutmaßung. Selbst im NS-Staat ging es anders. Das bewies bei Six' Habilitation, ebenfalls an der Universität Heidelberg, der Erstgutachter Ernst Schuster, Direktor des Instituts für Volkswirtschaft und Statistik: Er sprach Six' Arbeit die wissenschaftliche Qualität ab. Gegen ihn stellte sich Carl Brinkmann, Alfred Webers Nachfolger als Direktor des Instituts für Sozialwissenschaften. Brinkmanns Willfährigkeit trug wie diejenige Bergstraessers zu Six' weiterem Aufstieg bei. Behrmanns Feststellung, Bergstraessers Note habe sich im unteren Bereich seiner Bewertungsskala bewegt, bedarf des zusätzlichen Hinweises, dass Bergstraesser unter 34 begutachteten Dissertationen sieben schlechter als mit der Note 2-3 bewertete, die er Six zuerkannte. Was Six' Laufbahn an den Universitäten Heidelberg, Königsberg und Berlin angeht, ist schlicht und einfach zu sagen: Sie bedurfte auch unter dem NS-Regime der formalen Legitimation als Voraussetzung. Diese lieferte zu allererst die Promotion. Ohne sie hätte Six Karriere im SD gemacht, kein Zweifel. Außerordentlicher Professor in Königsberg, danach Ordinarius und Dauerdekan der Auslandswissenschaftlichen Fakultät wäre er nicht geworden. Durch Verfügungen des badischen Kultusministeriums wurde Bergstraesser Ende 1934 zunächst die Teilnahme an mündlichen Promotionsprüfungen, Anfang 1935 die Annahme weiterer Doktoranden untersagt. Beide Maßnahmen gingen auf entsprechende Einschränkungen zurück, die das Reichserziehungsministerium für „nichtarische“ Dozenten angeordnet hatte. Das badische Ministerium zog daraus Mitte Mai 1935 den Schluss, „auf eine baldige Entfernung des Professors Bergsträsser hinzuwirken“. Für das Wintersemester 1935/36 ließ Bergstraesser sich beurlauben; die Beurlaubung wurde von Rektor Wilhelm Groh nach Rücksprache mit dem zuständigen Referenten des badischen Kultusministeriums auf das SS 1936 ausgedehnt. Gestützt auf die in der Reichshabilitationsordnung enthaltene Bestimmung über „jüdische Mischlinge“ wurde Bergstraesser am 10. 8. 1936 durch das Reichserziehungsministerium die Lehrbefugnis entzogen. Das badische Kultusministerium beließ ihm „guttatsweise“ die Dienstbezüge bis zum 30. 9. 1936. Nicht nur Bergstraessers „politische[s] Profil“, auch die Umstände seiner Vertreibung wiesen Ähnlichkeiten mit Hans Rothfels auf. Während des Exils kamen weitere Parallelen hinzu. Der konservative Universitätspräsident Robert M. Hutchins, „überzeugter Anhänger des traditionell-europäischen Erziehungssystems“, das er „auch in Amerika durchsetzen wollte“, berief beide nach Chicago – 1944 Bergstraesser, 1946 Rothfels. 1948 veröffentlichte Rothfels seine oben erwähnte Darstellung der Opposition gegen Hitler mit ihrer „Akzentuierung der deutschen Opferrolle“. Bereits 1944 erschien Arnold Bergstraessers zusammen mit George N. Shuster, dem Präsidenten des New Yorker Hunter College, verfasster Abriss Germany. A Short History, für dessen erste fünf Kapitel (Deutschland bis 1914) Bergstraesser verantwortlich zeichnete. Seine Skizze der „neuen Weltmacht“ ab 1871 blieb analytisch blass und wurde noch im Exil von Waldemar Gurian wegen des Fehlens systematischer Einsichten in die strukturellen Ursprünge des Nationalsozialismus kritisiert. 1947 gehörten Rothfels wie Bergstraesser zu den Unterzeichnern eines Memorandums, das gegen amerikanische Schulreformpläne die Förderung des „ethischen Sinn[s]“ durch das traditionelle deutsche Erziehungswesen auf der Grundlage jener „Werte klassischen und christlichen Ursprungs“ beschwor, „die für den Geist des Abendlandes und seine freiheitliche Tradition grundlegend“ seien. Daran schloss sich die Standardforderung, die von der Entnazifizierung bis zur Universitätsreform darauf berechnet war, dass sich bis auf kleinere Korrekturen möglichst wenig änderte: „Letztlich“ sollte „die Lösung des Problems des höheren Schulwesens… der Initiative und dem Urteil der deutschen Behörden übertragen werden.“ Als Bergstraesser sich 1948 interessiert daran zeigte, nach Heidelberg zurück berufen zu werden, verhielt besonders Alfred Weber sich mit Blick auf die „zeitweise vielleicht einmal vorhanden gewesene“ Einstellung Bergstraessers ungemein reserviert. Eine mehrjährige Kontroverse, die dessen Verfolgung durch das NSRegime ebenso wie die „ideologische Verwandtschaft“ mehrerer Schriften „mit dem Nationalsozialismus“ einbezog, endete damit, dass Bergstraesser das Ordinariat in Heidelberg versperrt blieb. Bereits 1953 an der Gründung der Gesellschaft für Amerikastudien beteiligt, wurde er 1954 nach Freiburg berufen, im Jahr darauf zum nebenamtlichen Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik ernannt. Sachliche und persönliche Konflikte führten dort schon 1958 zu seinem Rückzug, doch beeinflusste sein Forschungsansatz weiter die Arbeit der Gesellschaft. Anfang der 1960er Jahre trat Bergstraesser als „treibende Kraft“ bei der Errichtung der Stiftung Wissenschaft und Politik in Erscheinung. Zum Zeitpunkt seines Todes 1964 galt der Träger des Bundesverdienstkreuzes nicht nur seinem Schüler Hans Maier als „kraftvollste[r] Mentor“ der (west-) deutschen Politikwissenschaft. Die Bereitschaft zur „Eingliederung“ in die nationale Gemeinschaft, die Rothfels und Bergstraesser nach 1933 an den Tag legten, konnte – wie gezeigt – brutal durchkreuzt werden durch die Feststellung „nichtarischer“ Abstammung. Das galt auch für Adolf Grabowsky, von dem die Formel der „Eingliederung“ stammt. Grabowsky gab seit 1907 zusammen mit Richard Schmidt (Universität Leipzig) die Zeitschrift für Politik heraus. 1925-1933 leitete er das Geopolitische Seminar der Deutschen Hochschule für Politik. Dem rigorosen Oppositionskurs der Konservativen Revolution hatte er sich zwar versagt. Maßstäbe aber waren und blieben für ihn erstens die Funktion der Demokratie, die „Auslese der großen Persönlichkeit“ – „wahre[n] Führertum[s]“ – zu „rationalisieren“, damit aber „zugleich… sich selber“ zu „überwinde[n]“; zweitens der Primat der Außenpolitik, die Aufgabe des Staates, „im ewige[n]… Kampf Bluthafter gegen Blutlose“ als „geschichtsschaffende Kraft“ aufzutreten. Aus Grabowskys Sicht genügte die Weimarer Republik diesen Ansprüchen immer weniger. Weil es ihr an „mutiger“, „positiver“ Außenpolitik gebrach, und weil ihre Parteien „keine neue Führerschicht“ hervorbrachten, hatte sie „weltgeschichtlich… versagt“. Umso emphatischer beschwor Grabowsky 1932 die Hoffnung auf „den großen Heilsbringer“, den Führer, der dafür sorgen würde, dass der Staat wieder „aus eigenem Gesetz vital die Entwicklung gestaltet.“ Was Wunder, dass er im selben Jahr nach Papens Staatsstreich– der Absetzung der Regierung Braun-Severing – das sozialdemokratisch regierte „Parteibuch“-System Preußens beschuldigte, es habe „seit vielen Jahren“ als „ordnungszerstörende[r] Faktor innerhalb des Deutschen Reiches“ gewirkt. Und was Wunder, dass Grabowsky nach 1933 – unzweideutig auf die eigene Person gemünzt – die Aufforderung an den Nationalsozialismus richtete, „aufbauwillige Kräfte“ bei der „Formung der Nation“ zum Zweck „großer außenpolitischer Entscheidungen (die gewiss nicht notwendig kriegerisch zu sein brauchen“ nicht zurückzustoßen: „Solange noch ein Funke von Hoffnung besteht, soll der Versuch der Eingliederung gewagt werden… Nicht so sehr auf das Blut wie auf die Bluthaftigkeit kommt es an – alle Bluthaften gilt es zu sammeln.“ Bluthaftigkeit: das war die sozialdarwinistische Elle, an der Grabowsky den Staat und seine Träger maß als Instrumente im „ewigen Kampf Bluthafter gegen Blutlose“. Jetzt galt es, „außenpolitische Schlagkraft“ zu entfalten, und Grabowsky gab sich Mühe, daran mitzuwirken. „Deutschlands Handeln“ sei „vollauf gerechtfertigt“ gewesen, schrieben er und Richard Schmidt nach dem Ausscheiden des NS-Staats aus Abrüstungskonferenz und Völkerbund in einer englischen Sonderausgabe der Zeitschrift für Politik, die von der deutschen Diplomatie zu Propagandazwecken eingesetzt wurde. Unmittelbar anschließend fungierte Grabowsky als Mitherausgeber einer weiteren ZfP-Sondernummer, Die Grundlagen des Saarkampfes – „ausgezeichnetes Unterlagenmaterial“ laut Franz von Papens Vorwort, das der „breiten Öffentlichkeit an die Hand gegeben werden“ sollte. In seinem eigenen Beitrag suchte Grabowsky nachzuweisen, dass das Saarland sich bei Erhalt des Völkerbundsstatuts schlechter stünde, „als wenn (es) brutal an Frankreich geschmiedet würde“. Die Morde des 30. Juni 1934 ließen ihn jedoch die Zeichen an der Wand erblicken. Grabowsky emigrierte unverzüglich in die Schweiz. Seine 1948 veröffentlichten Elemente und Probleme der Politik wiesen keine Ähnlichkeiten mehr auf mit Hegemonialdenken und Führerkult der mehrfach zitierten Politik von 1932. Bedeutung für die westdeutsche Politologie gewann Grabowsky nicht durch eine Gastprofessur (1950/51) und, nach Wolfgang Abendroths Berufung, einen anschließenden Lehrauftrag in Marburg (bis 1966), sondern ab 1954 als erneuter (Mit-) Herausgeber der Zeitschrift für Politik („Neue Folge“), bis 1959 im Auftrag der heutigen DVPW. 1969, mehr als zwei Jahrzehnte, ehe Bergstraessers und Grabowskys Rolle während der ersten Jahre des NS-Regimes öffentlich erörtert wurde, waren die Memoiren George W. F. Hallgartens erschienen, betitelt Als die Schatten fielen. Der Zeitpunkt war nicht günstig für eine breite Rezeption durch Historiker und Politologen (erst 1972 erschien im Archiv für Sozialgeschichte eine Besprechung dieses „Dokuments eines risikound begegnungsreichen Lebens“ durch Kurt Klotzbach). Angesichts des heutigen Kenntnisstandes mutet es gespenstisch an, wenn man liest, wie der einer deutsch-jüdischen Familie entstammende, 1933 emigrierte, 1936 ausgebürgerte Hallgarten nach dem Krieg seinen „alten Freund Franz Josef Schöningh“ in Washington DC bei sich zu Gast hatte und anschließend mit ihm zu Alfred Vagts nach Connecticut fuhr – Hallgarten wie Vagts ohne die geringste Ahnung, dass Schöningh (wie in der Einleitung erwähnt) an der Auslöschung der polnischen Juden in Galizien mitgewirkt hatte. Eine harsche Bemerkung widmete Hallgarten dem Kieler Ordinarius für Wissenschaft und Geschichte der Politik: Zu denen, an die Hallgarten sich aus seiner Studienzeit erinnere, gehöre „Michael Freund aus Augsburg, der mir zuerst in der sozialistischen Studiengruppe München bekannt geworden war und der im Begriff, das dreifache Hindernis großer Armut, unscheinbarer Gestalt und starker Taubheit durch eiserne Willenskraft zu überwinden, das Unglück hatte, damit in die Hitlerzeit zu geraten, die seinen Charakter und sein Denken umbog.“ Niemand nahm diesen Satz damals oder auch noch Jahre später wahr. Das mochte mit daran liegen, dass Freund zwar seit 1931/32 an der DHfP tätig gewesen war, aber nicht als Dozent, sondern als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter in der Bibliothek. Darum fiel bei der Auseinandersetzung mit den verschiedenen „Wissenschaftsprogrammen“ der Hochschule der Blick nicht automatisch auch auf ihn. Den 2010 einsetzenden Recherchen Wilhelm Knelangens und Birte Meinschiens zufolge entzieht Michael Freund sich einer „griffigen Kategorisierung“ als Täter oder Opfer („am wenigsten wohl… Widerstandskämpfer“). Jedenfalls gehörte er nicht zu denen, die „gleich nach 1933 in das nationalsozialistische Lager“ wechselten. Während seines Studiums (wie schon bei Hallgarten erwähnt) in sozialistischen Gruppen aktiv, nach seiner Promotion 1926 zunächst Forschungsstipendiat in England und Frankreich, 1935 von der DHfP entlassen, beschränkte er seine verbalen Zugeständnisse während der 30er Jahre auf das Minimum, das einem wissenschaftlichen Publizisten abverlangt wurde. Einen „Wendepunkt“ (Knelangen/Meinschien) stellte 1938, nach Freunds Habilitation an der Universität Freiburg bei Gerhard Ritter, die Verweigerung der venia legendi auf Druck des NS-Dozentenbunds dar: 1940 trat Freund der NSDAP bei (Nr. 7383665). 1942 urteilte er in der von Peter Suhrkamp herausgegebenen Neuen Rundschau, Schuld an der deutschen Niederlage im 1. Weltkrieg trage der Umstand, dass „das Reich nicht die Kraft und den Weg fand, den Krieg wieder zum wahren Krieg der Entscheidung und Vernichtung zu erheben“ – der Vernichtung jener „plutokratischen Mächte“, die „den unförmigen Riesenreichen des Ostens gleich das Vertrauen auf die formund seelenlose dumpfe [bekräftigendes Sorel-Zitat: ‚halbtierische'] Masse von Menschen und Material“ setzten. 1944 publizierte er an Fritz Berbers Deutschem Institut für Außenpolitische Forschung (DIAF), das Ribbentrops Auswärtigem Amt zuarbeitete, eine Auswahl aus Georges Sorels Schriften. Mit den gleichen Begriffen wie zwei Jahre zuvor beschwor Freunds einleitender Text die Drohung der „wimmelnden Menschenhorden“, wie sie die „östliche Steppe“ und die „großen Plutokratien“ zu mobilisieren vermochten. Dazu kamen jetzt antisemitische Ausfälle der Art, wonach „…die Gutgesinnten sich gegen einen Einfall des Judentums wie gegen einen neuen Mongolensturm zu wehren hatten“. Infolge der Umstände der Veröffentlichung sei, so Meinschien, „nicht klar, welche Rolle Freund genau in der Auswahl der Zitate und der Anlage der Einleitung spielte“. Die Parallelen zwischen dem Aufsatz von 1942 und dem Buch von 1944 springen jedenfalls ins Auge. Und die Gesamtanlage der Schrift lässt keinen Zweifel daran, dass sie wie sämtliche übrigen DIAF-Veröffentlichungen die propagandistische Legitimierung nationalsozialistischer Ideologie und Herrschaft bezweckte. Den Schlussabschnitt des Krieges verbrachte Freund, offenbar wiederum mit publizistischen Propagandaaufgaben betraut, an einer SS-Dienststelle bei Prag. Während der frühen 1950er Jahre hielt kein anderer westdeutscher Politologe – soweit bislang bekannt – auf eine Weise Kontakt zu vormaligen intellektuellen Stützen der NS-Herrschaft wie Michael Freund in der geschichtsrevisionistischen Ranke-Gesellschaft. Ins Leben gerufen worden war die Vereinigung 1950 von dem Hamburger Historiker Adolf Rein, der sich als Gestalter der „politischen Universität“ im nationalsozialistischen Sinn verstanden und bis 1940 das Englandreferat des DIAF geleitet hatte. Die Ranke-Gesellschaft sollte „amtsverdrängte“ – von den Alliierten entlassene – und amtierende Hochschullehrer zusammenführen, die Reins „Ekel“ vor der angeblichen „Diffamierung“ deutscher Geschichte teilten – darunter Karl Heinz Pfeffer, Günther Franz, Max Hildebert Boehm, Egmont Zechlin, Otto Brunner, Werner Conze, Andreas Predöhl. „Bis Ende der sechziger Jahre“ blieb die Arbeit des Verbands „von Rein und seinen politischen Absichten geprägt“. In Kiel 1951 zunächst auf ein Extraordinariat für Wissenschaft und Geschichte der Politik berufen, trat Freund – der sich in ausgeprägtem Maß als Zeithistoriker verstand – der Ranke-Gesellschaft noch im selben Jahr bei. Wie weit er trotz dieser Mitgliedschaft „zur Profilierung der Politikwissenschaft als Demokratiewissenschaft bei[trug]“ (Knelangen/Meinschien), bleibt vorerst strittig. Öffentlich geäußert zu ihren Versuchen eines Arrangements mit dem NS-Regime haben sich weder Bergstraesser noch Freund oder Grabowsky. Bergstraesser geißelte nach 1945 wohl generell „unsere eigene Mitverantwortlichkeit“ nicht nur für den Aufstieg des Nationalsozialismus, sondern schon für den Ausbruch des 1. Weltkrieges, begründet in „Übermut“, „Willkür“, „fanatische(m) Nationalismus“, in der „Leerheit unserer damaligen Auffassungen von nationalem Prestige“ und „unsere(r) Achtlosigkeit gegenüber fremden Völkern – hochkultivierten wie primitiven.“ Sein autobiographischer „Rückblick auf die Generation von 1914“ dagegen galt ausschließlich der eigenen Beteiligung an dem Versuch der Jahre 1919-22, „durch die Arbeit der Deutschen Studentenschaft einen unideologischen, aber sachlich tragfähigen Beitrag zum Wiederaufbau zu leisten“. Die Radikalisierung seines eigenen Denkens in der Spätphase der Weimarer Republik bezog Bergstraesser nicht in seine Reflexion ein. Dass Grabowsky im Rückblick aus Anlass seines 80. Geburtstags von der „furchtbare(n) Epoche des Nationalsozialismus“ sprach, wird man eine adäquate Auseinandersetzung mit seinen ursprünglichen Einschätzungen kaum nennen können, zumal ihm zu seiner („als Lehrbuch gedachten“!) Politik, in der er 1932 „zum erstenmal die Summe (s)einer politischen Anschauungen und Erfahrungen gezogen“ habe, an anderer Stelle lediglich der Hinweis einfiel, es sei bei einer „ungewöhnlich große(n) Anzahl von Besprechungen… in ungefähr dreißigtausend Exemplaren verbreitet“ gewesen. Dies über dasselbe Werk, das die bereits zitierte Eloge auf den kommenden „großen Führer“ enthalten, innenpolitisch für die Vorbereitung der „sachliche(n), spezifisch deutsche(n) Art der Diktatur“ geworben, außenpolitisch die deutsche Hegemonie über Mitteleuropa – einen „Bund von Gleichen unter deutscher Führung“ – gefordert hatte. „Kein öffentliches Wort gefunden“ habe Michael Freund nach 1945 „zu seinem eigenen Verhalten, das auch ein eigenes Versagen war“, konstatierten Birte Meinschien und Michael Freund, obwohl er „die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus aktiv mit“ betrieben habe. Jedoch lässt sich gerade dabei eine Abwehrstrategie ausmachen: Hitlers unablässige Charakterisierung als „Dämon“ und „Teufel“, seine ebenso wiederkehrende Bezeichnung als „nicht-deutsch“ – bei fast völligem Verzicht auf „analytische beziehungsweise theoretische Zugriffe“ – bewirkten, dass „die Frage einer Schuld des deutschen Volkes“ sich gar nicht erst stellte. Verantwortung, Mitverantwortlichkeit kann aber auch nicht nur, wie Bergstraessers oben wiedergegebenes Zitat nahelegen möchte, der abstrakten Gesellschaft zugewiesen werden. Davor rangiert der konkrete Eigenbeitrag. Erwartet werden konnte von denjenigen, die der Verkennung oder Verlockung des Nationalsozialismus erlagen, die nicht unbelehrbar blieben – folglich das „Recht auf politischen Irrtum“ für sich reklamierten –, dass sie ihre Erfahrungen offenlegten, dass sie weder logen noch schwiegen. Das galt besonders für akademische Lehrer, die nachfolgenden Generationen gegenübertraten, erst recht in einem Fach wie Politikwissenschaft, das doch unterrichten sollte über Macht und die Korrumpierbarkeit durch Macht, über Ideologien und die Anfälligkeit dafür. Gerade ihnen wäre zuzumuten gewesen, dass sie Jüngeren die Chance geboten hätten, zu lernen aus ihrem Mangel an Widerstandskraft wie ihrem (oft bitteren) Weg zu besserer Einsicht; dass sie tatsächliche Fehlbarkeit erörtert hätten, statt angebliche Unfehlbarkeit vorzutäuschen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte das Publikum jedes Hörsaals ihnen Achtung gezollt. |
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