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I Streitpunkte – Einführung in die Thematik

Zwischen Abwehrreaktion und kritischer Distanz

Rainer Eisfeld

1 Die Eschenburg-Debatte: Kein isolierter – ein exemplarischer Fall

„Was wir seit Jahren bei den posthumen Kampagnen gegen Hans Rothfels, Arnold Bergstraesser oder Theodor Eschenburg erleben, ist nichts anderes als deutscher McCarthyismus der verächtlichsten Art“, machte der Adenauer-Biograf Hans-Peter Schwarz sich 2013 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Luft.

Mit „Kampagnen“ meinte Schwarz öffentliche Debatten darüber, welche Rollen bundesrepublikanische Historiker respektive Politologen im „Dritten Reich“ gespielt hatten. Auslöser solcher Diskussionen waren und sind neue Quellenund Aktenfunde, die konkrete, zuvor nicht gestellte Fragen aufwerfen. Von geplanten, koordinierten Aktionen, wie man sie mit dem Begriff „Kampagnen“ verbindet, kann nicht die Rede sein. Und zum generellen Verständnis mccarthyistischer Vorgehensweisen gehört, dass es sich um demagogische Schmähungen handelt, die keine Rücksicht nehmen auf die Beweisbarkeit erhobener Vorwürfe.

Ein Augenblick ruhigen Nachdenkens genügt folglich, um zu erkennen, dass zwischen diesem akzeptierten Verständnis und dem Begriffsgebrauch durch Schwarz nicht die geringste sachliche, sondern nur eine suggestive Analogie existiert.

Schwarz hatte 1958 bei Bergstraesser promoviert und sich 1966 bei Eschenburg habilitiert. In der Nachfolge von Eschenburg und Rothfels fungierte er seit 1978 als Mitherausgeber der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. Sein Fall liefert ein instruktives Beispiel dafür, auf welche Weise tief verankerte persönliche Loyalitäten den Blick verstellen und sachliche Distanz verhindern können.

Dennoch lassen sich aus seiner Polemik zwei Lehren für die Anlage dieses Buchs ziehen.

Erstens markieren die Namen, die Schwarz nennt, zwei Jahrzehnte einer Debatte, die in den beiden Fächern Politikwissenschaft und Zeitgeschichte geführt wurde. Das gilt zumal dann, wenn man sie noch ergänzt um Werner Conze, Karl Dietrich Erdmann und Theodor Schieder, um Michael Freund und Adolf Grabowsky. Die Debatte hat einerseits in wichtigen Punkten Klarheit erzielt, andererseits fortbestehende Kontroversen angestoßen.

- 1991 begann in der Politikwissenschaft mit der Studie Ausgebürgert und doch angebräunt sowie einem Podiumsgespräch beim 18. DVPW-Kongress in Hannover („Demokratisch oder angebräunt?“, Leitung Gerhard Göhler; Teilnehmer Hubertus Buchstein, Rainer Eisfeld, Michael Th. Greven und Kurt Lenk) die Diskussion über Arnold Bergstraessers Verhalten während der Schlussphase der Weimarer Republik und der ersten Jahre des NS-Regimes. Auf die Umstände, unter denen diese Diskussion anschließend zunächst wieder verebbte, wird später einzugehen sein.

- 2011/12 setzte, ebenfalls zunächst in der Politikwissenschaft, die Debatte über Theodor Eschenburg ein – mit einem Aufsatz in der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, einem Gutachten von Hannah Bethke und einem Sonderplenum beim 25. DVPW-Kongress in Tübingen („Deutsche Nachkriegspolitologen in der NS-Diktatur“, Leitung Hubertus Buchstein, Teilnehmer Günter Behrmann, Hannah Bethke, Rainer Eisfeld, Wilhelm Knelangen sowie Gerhard Lehmbruch an Stelle des jäh verstorbenen Michael Th. Greven).

- Zwischen beiden Eckpunkten war 1998 die Sektion „Deutsche Historiker im Nationalsozialismus“ des 42. Historikertags in Frankfurt angesiedelt (Leitung Winfried Schulze und Otto Gerhard Oexle, Referenten Peter Schöttler, Pierre Racine, Götz Aly, Michael Fahlbusch und Mathias Beer, Kommentator Jürgen Kocka). Ein wesentlicher Teil der Vorträge und Stellungnahmen drehte sich um Conze und Schieder – mit wiederholten Bezügen zu Rothfels – im Kontext deutscher „Volkstums“bzw. „Ostforschung“. Erheblich mehr Raum widmete Ingo Haar anschließend Rothfels in seiner Monographie Historiker im Nationalsozialismus (2000). Ihr folgten der Sammelband Hans Rothfels und die deutsche Zeitgeschichte (2005, Herausgeber Johannes Hürter und Hans Woller), im selben Jahr Jan Eckels Rothfels, 2001, dann 2010 Thomas Etzemüllers und Jan Eike Dunkhases Conze-Biografien. Schon vorher war nachgewiesen worden, dass Karl Christian Erdmann zeitweise nationalsozialistische Propaganda betrieben hatte – gleichfalls im Gegensatz zu seinem nach 1945 verbreiteten Selbstund Fremdbild. 2007 deckte Klaus Große Kracht im Jahrbuch für Neuere Theologiegeschichte auch Fritz Fischers pro-nazistische Vergangenheit auf.

Für den Aufbau dieses Buchs lautet das Fazit: Die Debatten in den Disziplinen Politikwissenschaft und Zeitgeschichte über das Verhältnis einiger ihrer prominentesten Nachkriegsvertreter zum NS-Regime liegen nach Inhalt und Verlauf zu nahe beieinander, als dass eine Studie über die erste die zweite ignorieren könnte. Das gilt erst recht in Anbetracht des Umstandes, dass Theodor Eschenburg, um den es nachfolgend geht, neben Rothfels „Gründervater“ und „langjährige[r] Herausgeber der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte“ war. Die Eschenburg-Kontroverse erweist sich vor diesem Hintergrund nicht als isolierter, sondern als exemplarischer Vorgang.

Zweitens müssen Konsequenzen aus der Art gezogen werden, mit der Schwarz (und, wie zu zeigen sein wird, keineswegs nur er) deutlich macht, dass die gesamte Richtung, welche die Erörterungen genommen haben, ihm nicht passt. Das beschränkt sich in seiner erwähnten Zuschrift nicht auf die Ausdrücke „McCarthyismus“, „verächtlich“ und „Kampagnen“, mit denen vielschichtige, faktengestützte Debatten reduziert werden auf (so wiederum Schwarz) „Verunglimpfung verdienter Verstorbener“. Zugleich werden die konkreten Handlungen, um die es bei Eschenburg geht, zum Verschwinden gebracht hinter beschönigenden Allgemeinplätzen: „minime politische Belastung“, „ein paar braune Spritzer auf seiner Weste… wie Millionen seiner Generation“. Subjektive Wahrnehmungen und apodiktisch verkündete Wertungen ersetzen die Befassung mit tatsächlichem Verhalten, in der Hoffnung, dessen weitere öffentliche Erörterung – eben die angebliche „Kampagne“ – auf solche Weise abzuschneiden.

Schwarz war nicht der einzige unter denjenigen, die Eschenburg promoviert oder habilitiert hatte (gelegentlich beides), denen das Gespür für Stil und Inhalte abhanden kam, als sie sich zur Verteidigung um das „Denkmal“ ihres Lehrers scharten. Ekkehart Krippendorff kanzelte meinen Aufsatz von 2011 ab als „Denunziation“ – ein beliebtes Klischee westdeutscher „Vergangenheitspolitik“, auf das ich weiter unten zurückkomme. Gerhard Lehmbruch hielt seinen Fachkollegen vor, bei ihnen sei eine Generation „zum Zuge“ gelangt, „der jeder lebensgeschichtliche Bezug zu jener Vergangenheit abhandengekommen“ sei. Der Vorwurf stellt eine bemerkenswerte Absage dar an die Nachbardisziplin Geschichte im Allgemeinen dar wie an drei bis vier Generationen von Historikern (Ulrich Herbert, Norbert Frei, Peter Schöttler, Michael Wildt; Götz Aly, Karl Heinz Roth; Michael Fahlbusch, Ingo Haar) im Besonderen.

Kaschiert worden ist in den Kontroversen über Conze, Schieder, Rothfels und Eschenburg die Abwehrreaktion der Verteidiger wiederholt mit dem Vorwurf, bei den Kritikern sei ein „moralisch siegessicherer Purismus“ (Hans-Ulrich Wehler) am Werk. „Insbesondere politisch der Linken zuneigende Wissenschaftler“ tendierten angeblich dazu, das Handeln von Personen, die im NS-Regime „mitgemacht“ hätten, „aufgrund heutiger moralischer Maßstäbe zu beurteilen“ (Udo Wengst). Die Debatten sollten jedoch „nicht… stehenbleiben… bei der Platzierung moralischer Bewertungen aus heutiger Perspektive“ (Wolfgang J. Mommsen). Dazu habe ich früher geschrieben und wiederhole hier:

Die moralischen Maßstäbe, an denen die innenund außenpolitischen Verbrechen des NS-Regimes – insbesondere die sukzessive Entrechtung, Ausplünderung und Ermordung von Juden und anderen Minderheiten – sich messen lassen mussten und gemessen wurden, waren 1938, 1950, 1990 oder 2013 dieselben. Und mit „liberal“, „links“ oder „konservativ“ hatten sie nichts zu tun. Es gab zwischen 1933 und 1945 stets Deutsche jeglicher politischer Couleur, die entweder im Exil oder im Lande selbst (dort um den Preis der Gefährdung ihrer Freiheit und ihres Lebens) anders schrieben und anders handelten als die Kollaborateure des Nationalsozialismus. Dass die Täter die auch damals gültigen ethischen Regeln, stillschweigend oder offenherzig, für sich außer Kraft setzten zu Gunsten der Unmoral des Regimes, kann nicht heißen, ihnen das rückblickend nachzusehen.

Für die Gliederung des Buchs ergab sich aus diesen Debatten, dass die Resultate der Archivrecherchen, welche die Kontroverse zunächst ausgelöst und danach in Form weiterer Funde begleitet hatten, getrennt von der Kontroverse selbst vorgestellt werden mussten, um ihre unabhängige Einschätzung zu ermöglichen. Bei der Wiedergabe der Fakten bin ich nicht in der Systematik, wohl aber dem Inhalt nach der Dokumentation gefolgt, welche die Vierteljahrshefte in ihrer Ausgabe 4/2014 veröffentlicht haben.

Die quellenmäßige Rekonstruktion der Kontroverse konzentriert sich auf Zeitschriftenaufsätze sowie einige öffentliche Statements. Zeitungsartikel sind nur in einem einzigen Fall berücksichtigt, wobei die Ausnahme in dem vorausgeschickten Überblick erläutert wird. Dafür beschäftigt sich der Überblick mit einigen jener Pressemeldungen und -kommentare, die sich mehr durch Phantasie und Polemik auszeichnen als durch Sachinformation und inhaltlich einleuchtende Wertungen. Dabei wird deutlich, dass immer mehr die Frage in den Vordergrund rückte, wie mit dem nach Eschenburg benannten Lebenswerk-Preis verfahren werden sollte, den die DVPW seit 2003 vergab. Das war nicht von Vorteil für die Diskussion über Eschenburgs Handeln während des NS-Regimes wie über seinen späteren Umgang mit dieser Zeit.

Generell trat zu Tage – kaum anders als bei den Debatten im Fach Geschichte –, wie wenig souverän der Umgang mit der NS-Vergangenheit immer noch und immer wieder ausfallen kann, sobald an tief verankerte persönliche Loyalitäten gerührt wird. An der dann ausbrechenden Aggressivität hat sich in einem halben Jahrhundert erstaunlich wenig geändert. Unbefragte Selbstbilder, idealisierte Wahrnehmungen eigener akademischer Lehrer, falsch verstandene kollegiale Loyalitäten, Wunschvorstellungen schließlich von der professionellen Integrität des eigenen Fachs auch unter antidemokratischen Bedingungen sind häufig derart miteinander verzahnt, dass bereits punktuelle Infragestellungen heftige Reaktionen auslösen.

Wie wenig sich in dieser Hinsicht gewandelt hat, wenn es um den Versuch der Blockierung unliebsamer Wahrheiten über die NS-Zeit oder über ihr geistig-politisches Vorfeld geht, verdeutlicht das Beispiel der Ablehnung eines Buchmanuskripts, das dem Institut für Zeitgeschichte 1960/61 zur Veröffentlichung in seiner Schriftenreihe vorlag. Der Verfasser war Kurt Sontheimer, und es handelte sich um nichts weniger als dessen bis heute als Standardwerk wahrgenommene Untersuchung Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik.

Der Vorgang ist bislang zweimal in der Literatur aufgegriffen worden, aber erst jetzt stehen sämtliche Akten zur Verfügung – einschließlich Sontheimers Korrespondenz mit Paul Kluke und Helmut Krausnick, seinerzeit Generalsekretäre des IfZ. Zusätzliches Interesse kann die Angelegenheit im Zusammenhang dieses Buchs deshalb beanspruchen, weil nach diametral entgegengesetzten gutachtlichen Äußerungen Werner Conzes und Hans Herzfelds der Beirat und das Kuratorium des Instituts Theodor Eschenburg beauftragt hatten, ein „Obergutachten“ zu erstellen. Beteiligt an der Entscheidung waren ferner der Jurist Erich Kaufmann, die Historiker Hans Rothfels, Theodor Schieder und Paul Kluke sowie der Politologe Otto Heinrich von der Gablentz.

Sontheimer verfasste das Werk 1957-59 während eines zweijährigen Forschungsauftrags am IfZ. Das Vorhaben sollte ihm ermöglichen, „mich in einer für mich befriedigenden Form von Prof. Bergsträsser zu lösen, mit dem weiter zusammenzuarbeiten ich kein ausgesprochenes Verlangen habe“, weil „ich seine apologetische Tendenz [i. e. gegenüber der anti-demokratischen Bewegung] nicht in allem teilen kann“ und sein „Vertrauen nur begrenzt habe“. Bereits die Verankerung des Projekts am IfZ gelang Kluke erst im zweiten Anlauf. Der erste „scheiterte an einigen älteren Mitgliedern“ – darunter Fritz Hartung, der sich beim zweiten Mal jedoch für das Vorhaben aussprach –, die meinten, dass man „den antidemokratischen Denkern zu viel Ehre antäte, sie überhaupt erst in den Rang einer politischen Kraft erhebe, die sie nicht gewesen seien.“Angesichts des späteren Verlaufs erscheint Nicolas Bergs Bemerkung nicht unangebracht, man habe sich damals im Beirat des IfZ „mitunter sehr bewusst“ entschieden, „was erinnert und was vergessen werden sollte“.

Ende 1959 legte Sontheimer das Manuskript der Untersuchung vor und reichte es zugleich an der Universität Freiburg als Habilitationsschrift ein, nachdem Bergstraesser sich bereits Ende 1956 „nach seinen eigenen Worten ‚mit der Arbeit versöhnt'“ hatte. Einige Monate früher war Sontheimer – der mittlerweile drei Aufsätze in den Vierteljahrsheften veröffentlicht hatte – von Klukes Nachfolger Krausnick in einem Brief an Bergstraesser als „ruhige, ernste und abwägende Persönlichkeit“ charakterisiert worden, bei der ein „unleugbare[s] Streben nach historischer Gerechtigkeit“ sich verbinde mit „Behutsamkeit im Urteil“ sowie einer „schriftstellerische[n] Gabe von beträchtlichem Ausmaß“. Die bereits fertig gestellten Teile seiner Studie berechtigten „zu den gleichen Hoffnungen, die seine früheren Arbeiten geweckt“ hätten.

Hans Herzfelds Gutachten über Sontheimers Antidemokratisches Denken entsprach Krausnicks Einschätzung. Nachdem Herzfeld dem Verfasser außer der „Gabe höchst geschliffener und geistreicher Formulierung“ eine „um ein wirklich sachliches Urteil bemüht[e] historisch[e] Denkarbeit“ attestiert und an der Arbeit ihren „im ganzen durchsichtige[n] und zweckmäßige[n] Aufbau“ gelobt hatte, fällte er das Urteil, „mit allem Nachdruck“ müsse „betont werden“, dass das Gesamtproblem „mit größter Eindringlichkeit anschaulich gemacht und geklärt wird“. Sontheimers Studie belege, „dass die Summe dieser ideologischen Strömungen… eine der grundlegenden, unter keinen Umständen zu übersehenden Ursache[n] für den Misserfolg ihres [i. e. der Weimarer Republik] gewesen ist.“ Herzfeld schloss:

„Ich bin daher überzeugt, dass das IfZ in hohem Maße daran interessiert ist, das Buch sobald als möglich zur Drucklegung zu bringen.“

Werner Conze hingegen fertigte die Studie kurz und schroff ab. Gemessen am Aufwand, sei der wissenschaftliche Ertrag „gering“, das Buch über „weite Strecken“ nicht viel mehr als eine „gründliche Zitatensammlung“, die Begriffsbildung „unzureichend“ und „ahistorisch“. Am schwersten wog in Conzes Augen, dass Sontheimer „nicht die historische Methode des Verstehens“ anwende. Und um mildernde Umstände von vornherein auszuschließen, betonte Conze, „alle diese Einwände betr[ä]fen nicht Einzelheiten, sondern die Fragestellung, Begriffsbildung und Methode im Ganzen.“

Als Beirat und Kuratorium sich unter Rothfels' Vorsitz in Anwesenheit von Conze, Herzfeld, Eschenburg, Kluke und Krausnick mit der entstandenen Situation befassten, lag Sontheimers Manuskript bereits fast ein Jahr vor und war in Freiburg als Habilitationsschrift angenommen worden. Kluke wie Krausnick werteten diesen Umstand als „Gütesiegel“. Beide betonten, in der „treffsicheren Textund Zitatenauswahl“ zeigten sich Sontheimers „Einsicht und Kennerschaft“. Conze, vorsichtig unterstützt von Rothfels, beharrte jedoch auf seinem „methodischen“ Einwand, bei Sontheimer mache sich „ein Mangel an Verstehen-Wollen der 20er Jahre bemerkbar“. Eschenburg, der sich nicht geäußert hatte, wurde schließlich beauftragt, ein Zusatzgutachten zu erstellen.

Die Stellungnahme, die Eschenburg ein halben Jahr später vorlegte, beschränkte sich auf eine knappe Schreibmaschinenseite. Nach zwei abschätzigen Seitenhieben(„freischwebende[s] Geisterreich“, „kaum noch erträgliche Penetranz moralisierender Schulmeisterei“) widersprach Eschenburg Conzes Urteil in dem einen Punkt, bei Sontheimers Studie handle es sich „lediglich um eine Zitatensammlung“. Stattdessen stufte er die Arbeit „trotz ihrer Schwächen“ als „durchaus nützlich[e]… erste Bestandsaufnahme über Mohler hinaus“ ein. Ihre Veröffentlichung „würde“ er „durchaus für empfehlenswert halten“. „Im übrigen glaub[t]e“ er, „weitgehend den Bemerkungen von Graml folgen zu können.“ Herzfelds Gutachten erwähnte er mit keinem Wort, geschweige denn, dass er dessen Gesichtspunkte gegen Conzes Einwände abgewogen hätte.

Die „Bemerkungen“, auf die Eschenburg sich bezog, waren institutsintern von Hermann Graml angefertigt worden, einem unpromovierten28 Mitarbeiter Helmut Krausnicks, wesentlich später – 1978-1993 – Chefredakteur der Vierteljahrshefte. Bereits Graml hatte Anstoß an Sontheimers angeblich „penetrant[er]… Neigung“ genommen, „Zensuren für moralisches und unmoralisches Denken auszuteilen“ (Eschenburg hatte sich die Formulierung offenkundig zu Eigen gemacht und weiter zugespitzt). Conze hielt er jedoch entgegen, Sontheimer „verstehe“ die antidemokratischen Denkmuster durchaus, denn er „erkläre“ sie aus antirationalistischen philosophischen Strömungen, vordringendem Anti-Intellektualismus und „Kriegserlebnis“. Dafür vermisste Graml seinerseits eine deutlichere Berücksichtigung der „wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen“ Zeitumstände. Immerhin: Sontheimers „gründliche“, „brauchbare und gute“ Untersuchung verbreitere die von Mohler geschlagene Schneise „zu einem schon recht bequem zu begehenden Weg“.29 Doch in der Hierarchie von Beirat und Kuratorium besaß Gramls Stellungnah me kein Gewicht – was Eschenburg, der die Verhältnisse am Institut genauestens kannte, klar sein musste. Auf der entscheidenden Sitzung wurde sie nicht einmal verlesen. Und auch für Gramls Äußerungen galt, wie für Eschenburgs wenig interessiert wirkendes Gutachten, was Sontheimer einen Monat später in einem Brief an Krausnick zu Recht monierte: dass „die Argumentation von Herzfeld… gar keine Rolle mehr zu spielen… scheint.“ Alles sei „auf die durch Conze in die

Debatte geworfenen Gesichtspunkte verschoben worden.“

Als Beirat und Kuratorium am 4. 11. 1961 wieder tagten, fehlte Eschenburg. Dafür war jemand zugegen, der in seinem Briefkopf den Titel „Der Rechtsberater des Auswärtigen Amtes“ führte und von Krausnick anderthalb Jahre zuvor um ein Teilgutachten über Sontheimers Kapitel „Die Staatsrechtslehre der Weimarer Republik“ gebeten worden war: Erich Kaufmann. Dessen ungebrochen nationalistische Grundüberzeugung – aller unter dem NS-Regime erfahrenen Verfolgung zum Trotz – lässt sich kaum besser kennzeichnen als mit jener durch Krockow berichteten, von Helmuth Plessner stammenden Anekdote aus der Zeit, als der jüdische Soziologe und der jüdische Jurist sich im niederländischen Versteck trafen: Plessner: „Herr Kaufmann, bloß Wochen noch oder vielleicht ein paar Monate, dann sind wir gerettet. Die Invasion kommt, die zweite Front…“ Kaufmann: „Aber, Herr Plessner, Sie wollen doch nicht sagen, dass dieunseren Atlantikwall stürmen?“

Krockow hatte 1958 – während Sontheimer an seiner Untersuchung arbeitete – auf die Lehre von der „Machtentfaltung“ als „Wesen“ des Staates hingewiesen, die Kaufmann noch vor dem 1. Weltkrieg unter dem Leitgedanken entwickelt hatte, zwischen „[staatlichem] Machtstreben und sittlicher Kraftanstrengung“ bestehe eine „sozusagen prästabilierte Harmonie.“ Kaufmann: „Von dem Machtgedanken aus wird der Staat zum Wohlfahrtsstaat und zu einem sittlichen Institut.“ Machtentfaltung bedeute den Willen, „sich in der Geschichte zu behaupten und durchzusetzen“. Deshalb sei „nicht die ‚Gemeinschaft frei wollender Menschen', sondern der siegreiche Krieg… das soziale Ideal… als das letzte Mittel zu jenem obersten Ziel.“34 In Kaufmanns Gutachten, das keineswegs nur das zugewiesene Kapitel, sondern Sontheimers gesamte Arbeit in den Blick nahm, kehrten diese Ideen zeitgemäß drapiert wieder:

„Dass ein ‚starker Staat', ein Staat über Interessengruppen und Parteigetriebe, erstrebt wird, der ‚Autorität' hat, dass eine über diesen stehende Volksgemeinschaft und ein nationaler Staat, der auch Macht entfalten kann, dass gerade ein demokratischer Staat der Führung, einer ‚Leadership' braucht, ist nicht ohne weiteres antidemokratisch.“

Bei dieser Prämisse konnte kaum wundernehmen, dass die Lektüre des Manuskripts Kaufmann „etwas qualvoll“ angemutet hatte. Für die erlittene Qual revanchierte er sich, indem er schlankweg und mit regelrecht vernichtender Gesamtwirkung eine Reihe abwertender Behauptungen erhob:

„Es fehlt dem Verfasser nicht nur jede ‚historische Methode', sondern auch die erforderliche Klarheit über die – nicht nur juristischen – Grundbegriffe des staatlichen Lebens… Der Verfasser hat sich bei diesen Ausführungen geistig übernommen.“ Zusammenfassend: Sontheimer habe „sich eine Aufgabe gestellt, der er weder geistesgeschichtlich, noch historisch, noch staatsrechtlich-politisch gewachsen ist.“

Vor dieser geharschnischten Attacke knickten Hans Herzfeld und Otto Heinrich von der Gablentz ein, nachdem Eschenburgs und Kaufmanns Gutachten verlesen worden waren. Herzfeld „gab zu, dass gegen die Arbeit „erhebliche methodische Bedenken“ bestünden. Von der Gablentz äußerte, dass solche Bedenken „wohl zuträfen“. Religiös-sozialistisch und zugleich konservativ-reformerisch beeinflußt, hatte er dem Kreisauer Kreis angehört, zu den Mitbegründern der Berliner CDU gezählt, leitete seit 1955 die DHfP, danach das Otto Suhr-Institut, war seit 1959 Lehrstuhlinhaber an der Freien Universität, trat 1965 wegen des „versäumten Neubeginns der westdeutschen Politik“ aus der CDU aus. Ihm konnte nicht verborgen geblieben sein, dass es Sontheimer um die Herausarbeitung und Bewertung ideologischer Muster zu tun war, denen manch einer angehangen hatte – oder, wie Kaufmann, noch anhing –, der nach wie vor über akademischen Einfluss verfügte. Dass ein Wissenschaftler mit von der Gablentz' Hintergrund Kaufmanns Passage über den „starken Staat“ und die „Volksgemeinschaft“ nicht zum Anlass nahm, das gesamte Gutachten mit seinen pauschalen Aburteilungen in Frage zu stellen, bleibt rückblickend kaum verständlich. Wenigstens verteidigte er Sontheimer „nachdrücklich“ gegen Kaufmanns Unterstellung mangelnder Qualifikation. Weitere Äußerungen, außer dem Bedauern des Generalsekretärs Krausnick über die eingetretene Entwicklung, verzeichnet das Protokoll nicht.

Als die Entscheidung gegen eine Veröffentlichung des Antidemokratischen Denkens in der IfZ-Schriftenreihe fiel, hatte der 33jährige Kurt Sontheimer bereits einen Ruf auf den Lehrstuhl für Politische Wissenschaft an der Pädagogischen Hochschule Osnabrück erhalten, der als Reaktion auf die Welle antisemitischer Schmierereien der Jahreswende 1959/60 geschaffen worden war. Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik erschien 1962 in der Nymphenburger Verlagsanstalt und wurde zu einer Erfolgsgeschichte (Studienausgabe 1968, Taschenbuch 1978). In seinem Nachruf auf Sontheimer verlieh Iring Fetscher 2005 der im Fach herrschenden Überzeugung Ausdruck: „Ein Klassiker“.

„Ein anschauliches Exempel“ nannte Sontheimer in einem bitteren Brief39 die „Abfuhr“ durch den IfZ-Beirat. In der Tat ein bleibendes Lehrstück, auch im Hinblick auf die jüngsten Kontroversen um Eschenburg, Conze, Schieder und so fort: Noch immer dient der „fadenscheinige Vorwand methodisch-analytischer Mängel“ dazu, „weltanschaulich unliebsame Publikationen“ zu „disqualifizieren“. Und nach wie vor feiert Eschenburgs Vorwurf „moralisierender Schulmeisterei“, wie oben bereits gezeigt, nicht nur bei seinen eigenen Schülern und Anhängern unentwegte Urständ.

Doch bilden derartige Kontinuitäten lediglich einen Aspekt des Lehrstücks ab. Die Kehrseite hatte Sontheimer ebenfalls angesprochen, als er in seinem Brief den „andere[n] und fairere[n] Geist“ unterstrich, der im IfZ selbst und bei den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte herrschte. Auch bei den Debatten, die sich über die Vergangenheit der Begründer und jahrzehntelangen Herausgeber der Vierteljahrshefte, Hans Rothfels und Theodor Eschenburg, entspannen, zeigte das Institut sich bereit, im Rahmen eines „offenen Umgang[s]“ mit der eigenen Geschichte an der „Aufarbeitung“ der Vorwürfe mitzuwirken. Dabei scheuten die verantwortlichen Redakteure der Vierteljahrshefte, Hans Woller und Jürgen Zarusky, ebenso wie deren Herausgeber sich nicht, auch kontroverse Beiträge zu veröffentlichen und Forschungsdesiderate zu benennen. Dies kontrastierte mit der „Strategie“ der Politischen Vierteljahresschrift, an der – obgleich sie als maßgebliche Zeitschrift ihres Fachs firmiert – die Eschenburg-Debatte bislang vorbeilief.

Ein weiterer Beitrag aus dem Institut für Zeitgeschichte eröffnete eine wichtige Perspektive auf einen Aufsatz, der von Bernhard Schlink stammt, dem Verfasser des Erfolgsromans Der Vorleser. Nicht von ungefähr begann dieser 2011 veröffentlichte Aufsatz wenig später, gepuscht von Gerhard Lehmbruch, durch die Eschenburg-Kontroverse zu geistern, lastete Schlink doch der deutschen Gegenwart eine „Kultur“ des „Denunziatorischen“ an. Darunter verstand er einen „Entlarvungsund Demontierungsimpuls“, der – weil er „moralisch diskreditier[en]“ wolle – „Komplexität reduzier[e]“. Einmal mehr zog sich vehemente Kritik an Urteilen, die angeblich ständig „von der Höhe heutiger Moral“ gefällt werden, wie ein roter Faden durch Schlinks Text. Der moralische Anspruch gehe überdies auch noch „ins Leere“, seien doch „Legenden, Beschönigungen und Verfälschungen“ der NS-Täter längst „erledigt“. Stattdessen gelte es, die „Innensicht“ solcher Täter herauszufinden, ihre „Wahrnehmungen und Empfindungen“ darauf zu prüfen, „welche Verhaltensmöglichkeiten und moralischen Verpflichtungen sie damals gesehen“ hätten.

Aus ihm selbst mehr oder minder klaren Motiven ist es Schlink um das „Verstehen“ der Täter zu tun, nicht um den Blick auf die Opfer. Jedenfalls aber überhöht er damit, zugleich in Abwehr literaturwissenschaftlicher Kritik an seinem vorausgegangenen Werk Der Vorleser (1995), die dort zugrunde gelegte Erzählperspektive ins Grundsätzliche. Jürgen Zarusky hat gezeigt, dass bereits in Schlinks Roman, soweit dort KZ-Gewalt und Judenmord das Thema bildeten, die Opferperspektive ausgespart blieb, die Täterin „als ‚schuldlos schuldiges' Rädchen in einem fatalen Getriebe“ dargestellt wurde. „Literarisch zweifelsohne wirkungsvoll präsentiert“, stehen die Gestalt der weiblichen Hauptfigur, nicht anders als die Handlung des Romans – wie Zarusky detailliert nachweist –, durch „Retouchen und Weglassungen… in einem zum Teil grellen Kontrast zur historischen Realität“.

Die „Auflösung“ der NS-Verbrechen durch Schlink in „ahistorische Zwangssituationen“, von „konkreter Verantwortung völlig losgelöst“, stellte eine attraktive Konstruktion dar, die zum außerordentlichen Erfolg des Buchs beigetragen haben mag. Das könnte wiederum nicht wenig damit zu tun haben, dass die Forschung über die Verbrechen des Nationalsozialismus einen Konkretionsgrad erreicht hat, der die Mitverantwortung für solche Verbrechen unbequem nahe an manchen Zeitgenossen heranrücken lässt. Angesichts der mittlerweile verstrichenen Zeit weniger an ihn persönlich, als – wie Susanne Heim formuliert hat – an „die Firma, die er heute leitet“, an „das Institut, dem er vorsteht“, an „die Familie, aus der er kommt“, schließlich an „die eigenen Doktorväter“.

Doch keineswegs alle Betroffenen reagieren so, wie Schlinks „Kulturkritik“ erwarten ließe.

Durch die Fernsehdokumentation Das Schweigen der Quandts 2007 konfrontiert mit einer Seite der Familienvergangenheit, die sie „weggeschoben“ hatten, wurden die BMW-Erben Gabriele und Stefan Quandt (in ihren eigenen Worten) „aufgerüttelt“. Mittels Öffnung des Firmenarchivs ermöglichten sie eine Studie, in der die Ausbeutung von KZ-Häftlingen und die Aneignung jüdischer Firmen qua „Arisierung“ durch ihren Großvater, den Industriellen Günther Quandt, nachgewiesen wurde. Das Resultat kommentierten beide in der ZEIT:

„Wir haben erkannt, dass es falsch war, nicht ganz genau wissen zu wollen, was damals geschehen ist. Von dieser Haltung mussten wir uns verabschieden, und zwar endgültig… Natürlich fühlt man sich grauenvoll, wenn man das sieht und hört und es sich vorstellt. Man schämt sich… Auch wenn man lieber einen Großvater hätte, auf den man in jeder Hinsicht stolz sein kann, aber es ist eben der, mit dem wir leben müssen.“

Die Enkel des SZ-Verlegers Franz-Josef Schöningh, Lorenz, Maria-Theresia und Rupert von Seidlein, erhielten 2003 die Mitteilung, dass ihr Großvater 1942-44 keineswegs als Forstverwalter, sondern als stellvertretender Kreishauptmann zunächst im galizischen Sambor, anschließend in Tarnopol fungiert hatte. „Für mich hieß das: Er war im Auge des Hurrikans. Denn nirgends in Europa hatte es eine solche jüdische Bevölkerungsdichte gegeben wie in Galizien… Die Deutschen haben [dort] unvorstellbar grausam gewütet“ (Maria-Theresia von Seidlein). Die Geschwister stellten Briefe und sonstige Familienunterlagen für Recherchezwecke zur Verfügung. Gemeinsam gaben sie eine Biographie Schöninghs heraus. Deren Ergebnis lautete:

In Sambor hatte Schöningh die Aufgabe übernommen, die jüdische Bevölkerung

„ohne Grausamkeit, wenn auch mit Härte“ in ein Ghetto zu sperren (so in einem Privatbrief). Für Tarnopol war ein Ghetto bereits errichtet worden. Zum Zeitpunkt des deutschen Einmarschs lebten in Sambor rund 8000, in Tarnopol etwa 18 000 Juden. Wie in ganz Galizien wurden Abertausende von Ghettoinsassen 1942/43 aus beiden Orten in das Vernichtungslager Belzec deportiert. Bei dem Prozess „arbeitsteiligen“ Mordens wirkten Sicherheitspolizei und Zivilverwaltung zusammen. Maria-Theresia von Seidlein zog 2013 das Fazit: „Für mich und meine Brüder war die Wahrheit wichtig. Wir wollten wissen, was war… [Und dann] heraus damit! Ganz nüchtern, damit jeder, der das möchte, sich selbst ein Urteil bilden kann.“ Anstöße von außen waren es, welche die Enkel Quandts und Schöninghs nach dem Tod ihrer Großväter dafür sensibilisiert hatten, dass die NS-Zeit anders zu gewichten war, „als wir sie für uns gewichtet hatten“ (Gabriele Quandt). Um Kampagnen ging es auch dabei nicht. Von Denunziation konnte ebenso wenig die Rede sein. Legenden, Beschönigungen und Verfälschungen über die NS-Zeit sind, anders als Schlink meint, gerade darum nicht „erledigt“, weil nach 1945 bis ins familiäre Umfeld hinein so nachhaltig geschwiegen und so vielfältig gelogen wurde.

Übertragen auf die nachfolgend in diesem Buch erörterten Vorgänge: Keine Disziplin kann glaubwürdig bleiben, die mit dem Anspruch auf Erkenntnisvermittlung auftritt, Erkenntnisse über ihre eigenen personellen und institutionellen Wurzeln jedoch abweist. „Wie unangebracht es auch heute noch ist, sich der Selbstzufriedenheit einer vermeinlich ‚bewältigten' deutschen Vergangenheit hinzugeben“, haben jüngst nicht nur die Politik-, sondern auch die Erziehungswissenschaft und die Südosteuropa-Forschung nacheinander erfahren müssen.

Die individuellen, immer wieder aufs Neue verstörenden „moralische[n] Katastrophe[n]“ im Zusammenhang der Judenverfolgung nahmen nicht über Nacht ihren Anfang mit der mörderischen „Endlösung“. Sie begannen damit, dass technische Effizienz und bürokratischer Diensteifer bei der Meisterung selbstoder fremdgestellter Aufgaben ihrer ethischen Substanz entkleidet und zu Eigenwerten verabsolutiert wurden. Wem es, wie Theodor Eschenburg, laut vielfältigem eigenem Bekunden zu tun war um das „angemessene“ Verhalten in und gegenüber politischen Institutionen, der muss sich gegebenenfalls die Frage vorlegen lassen, ob und auf welche Weise er versucht hat, sich solcher „Angemessenheit“ auch unter den Bedingungen des NS-Regimes zumindest anzunähern.

Eschenburg hat die Frage bekanntlich nicht für sich zu beantworten getrachtet, sondern ist auf die Beispiele anderer ausgewichen (Hans Globke, Ernst von Weizsäcker, Lutz Schwerin von Krosigk), deren Kollaboration mit den Nazis er beschönigte und verteidigte. Über seine eigene berufliche Tätigkeit im „Dritten Reich“ beschränkte er sich 1987 auf die Andeutung: „Wir alle waren Gegner des Regimes, mussten aber um der Arbeit und des Überlebens willen unser Auskommen mit den Machthabern und ihren Stellen suchen“.

Wie weit kam Eschenburg dem Regime dabei konkret entgegen? Welche Konzessionen machte er als Verbandsgeschäftsführer in der Bekleidungsbranche und Leiter industrieller Prüfungsstellen dem zunehmend rassistischen NS-Staat? Gingen solche Konzessionen auf irgendjemandes Kosten? Und wie sind die ermittelten Fakten zu bewerten?

Darüber entspann sich seit 2011 jene Kontroverse, die der vorliegende Band dokumentiert und kommentiert.

 
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