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Strategien der extremen Rechten
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Strategien der extremen Rechten – Einleitende BetrachtungenTable of Contents:
Alexander Geisler, Stephan Braun und Martin Gerster 1 Zum Konzept des Bandes1.1 Echos zum Staatsversagen: Alte und neue Diskussionen nach dem NSU"Als Ende 2011 die erschreckende Serie von Morden und Anschlägen der Terrorgruppe ›Nationalsozialistischer Untergrund‹ bekannt wurde, löste das Ausmaß der Verbrechen Trauer und Betroffenheit aus. Aber auch Scham und Fassungslosigkeit, dass die Sicherheitsbehörden der Länder wie des Bundes die über Jahre hinweg geplanten und ausgeführten Verbrechen weder rechtzeitig aufdecken noch verhindern konnten; mehr noch: dass Opfer und Angehörige während der Ermittlungen Verdächtigungen ausgesetzt waren." (Bundestagspräsident Norbert Lammert im Geleitwort zum Bericht des NSU-Untersuchungsausschusses) Die zufällige Entdeckung des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) im November 2011 stellt eine Zäsur dar, die den Blick auf das Spektrum am politisch rechten Rand insgesamt verändern sollte. Profunde journalistische Recherche, aber auch die Arbeit verschiedener parlamentarischer Untersuchungsausschüsse im Bund und in mehreren Ländern förderten in der Folge ein in dieser Dimension kaum vorstellbares Versagen von Politik und Staat zutage, das letztlich auch auf die fragwürdige Organisationskultur der beteiligten Behörden und die damit korrespondierenden Denkmuster der verantwortlichen Mitarbeiter zurückzuführen war. So hält der Bericht des Bundestagsausschusses fest, dass "die Gefahren, die von der militanten neonazistischen Szene und einzelnen Gruppierungen in Deutschland ausgingen bzw. ausgehen, vom Verfassungsschutz (und von der Polizei gleichermaßen) unabhängig vom Fall NSU immer wieder unterschätzt und bagatellisiert wurden" (Bundestagsdrucksache 17/14600: 854). Sowohl die Berichte über die wiederholte Vernichtung von Akten, die möglicherweise zur besseren Aufklärung der NSU-Verbrechen und der behördlichen Versäum nisse hätten beitragen können, als auch die tendenziell rassistischen Vorurteilsstrukturen, auf deren Grundlage die Ermittlungen zunächst betrieben wurden, haben weit über den engeren Kreis der Opfer und ihrer Angehörigen Schaden angerichtet (vgl. Langebach/Speit 2013: 40). So wurde damit das ohnehin nicht übermäßig ausgeprägte Vertrauen der Zivilgesellschaft [1] in die Handlungswilligkeit und -fähigkeit des Staates beschädigt, menschenfeindliche, rechte Ideologien ernsthaft zu bekämpfen. Eine Entwicklung, die auch die bereits lange schwelende Debatte neu befeuerte, in welcher Weise die Auseinandersetzung mit Rassismus, Nationalismus und anderen Teilaspekten rechter Ideologie angemessen zu führen ist. Noch immer liegen Politik, Wissenschaft und Publizistik (vgl. Nowak 2013) im Streit, ob und in welcher Form das Konzept "Extremismus" geeignet ist, den Charakter der darunter subsummierten Phänomene hinreichend präzise und objektiv zu erfassen. Je nach Standpunkt bestreiten Kritiker, dass der Blick durch die "Extremismusbrille" überhaupt Erhellendes zur vergleichenden Analyse rechter und linker Ideologien beizutragen hat, oder es wird der mutmaßliche strategische Missbrauch durch politisch gegensätzlich orientierte Kräfte moniert, die man im Besitz der "Meinungsführerschaft" wähnt. Nach wie vor gilt jedenfalls, was Uwe Backes, als prominenter Befürworter eines auf "die Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaats und seiner fundamentalen Werte" (Backes/Jesse 1993: 40) rekurrierenden Extremismus-Begriffs, vor über zehn Jahren anmerkte: "Bezeichnungen wie Rechtsextremismus, extreme Rechte, radikale Rechte, Rechtsradikalismus, Nationalismus, Ultranationalismus, Rassismus, Faschismus, Neofaschismus, Neonazismus, Neue Rechte, Populismus, Neopopulismus, Nationalpopulismus, Rechtspopulismus oder Fundamentalismus konkurrieren miteinander und werden jeweils wiederum mit unterschiedlichen Inhalten gefüllt. Aufgrund der verschiedenen gesellschaftspolitischen und methodologischen Ausgangspunkte der Autoren dürfte wohl kaum jemals ein Konsens über die einzuschlagenden begrifflichen Fixierungen und Sprachstrategien zu erzielen sein. Doch muss jede wissenschaftliche Analyse ihr Erkenntnisinteresse offen legen, die eigenen gedanklichen Voraussetzungen so klar wie möglich herausarbeiten und die verwendeten Begriffe so exakt wie möglich definieren, damit auch derjenige, der bestimmte Grundüberlegungen nicht teilt, aus der Untersuchung Nutzen zu ziehen vermag." (Backes 2003: 15 ) Diesem Anspruch soll im Folgenden Rechnung getragen werden. So legt der erste Teil dieses Beitrags dar, warum die Herausgeber des vorliegenden Bandes mit dem ebenfalls nicht unumstrittenen Begriff der extremen Rechten operieren, wie sie ihn von konkurrierenden Konzepten abgrenzen und welche Implikationen dies für die innerhalb des Sammelwerks zusammengestellten Beiträge hat. In einem zweiten Teil sollen deren Inhalte kurz angerissen werden, um den Leserinnen und Lesern eine erste Orientierung zu geben, was sie von den jeweiligen Texten zu erwarten haben.
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