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2.5 Das allgemeine Strukturgleichungsmodell

Jeder Pfeil im Pfaddiagramm entspricht einer Modellgleichung. Dementsprechend groß ist die Zahl der Gleichungen, die selbst für ein mäßig komplexes Modell wie das aus den Abb.2.7 und 2.8 spezifiziert werden muss [1]. Mit Hilfe der in

Abschn. 2.1 vorgestellten matrixalgebraischen Konventionen lässt sich diese Vielzahl von Gleichungen in kompakter Form beschreiben. Die Präsentation orientiert sich dabei an der inzwischen klassischen Darstellung bei Bollen (1989) [2]. Ein grundlegendes Verständnis dieser Notation ist für die Spezifikation einfacher Modelle mit moderner Software entbehrlich, erleichtert aber das Verständnis der unten vorgestellten Schätzverfahren und den Zugang zur weiterführenden Literatur.

Das allgemeine Strukturgleichungsmodell besteht aus zwei Teilen. Gleichung (2.34) beschreibt das strukturelle Modell:

η = Bη + + ζ Strukturelles Modell (latente Variablen) (2.34)

Dabei ist η ein Vektor, der m latente endogene Variablen enthält; ξ ist ein Vektor mit n exogenen latenten Variablen. Der Vektor ζ (mit m Elementen) enthält die Fehlervarianzen für die endogenen latenten Variablen. Bei B und r handelt es sich jeweils um Matrizen, die die Koeffizienten aufnehmen, welche die Zusammenhänge zwischen den latenten Variablen beschreiben. Dabei enthält B die Beziehungen zwischen den endogenen Variablen [3], während r die Effekte der exogenen auf die endogenen Variablen enthält.

Hinzu kommen zwei Kovarianzmatrizen. Die Matrix Cl nimmt die Kovarianzen zwischen den exogenen latenten Variablen in ξ auf, während II die Kovarianzen zwischen den zufälligen Einflüssen (ζ ) auf die endogenen latenten Variablen enthält.

In dem in Abb. 2.7 und 2.8 abgebildeten Pfadmodell hat η vier Elemente (Konkurrenzempfinden, Rassismus, Religiosität und Sympathie für die NPD). B enthält vier Elemente, die ungleich 0 sind: den Einfluss von Konkurrenzempfinden auf Rassismus und Sympathie sowie die Effekte von Rassismus und Religiosität auf die Sympathie gegenüber der NPD. Der Korrelation zwischen Rassismus und Religiosität entspricht genau ein Element ungleich 0 in II. Das

Lebensalter ist die einzige exogene Variable im Modell und damit auch das einzige Element von ξ [4].

Das strukturelle Modell wird durch das Messmodell ergänzt:

x =αxξ + δ (2.35)

y =αyη + (2.36)

Hier sind x und y Vektoren, die die Indikatoren für die exogenen bzw. endogenen latenten Variablen enthalten. Die Matrizen αx und αy verknüpfen Indikatoren und latente Konstrukte. In Gl. (2.37) ist deutlich zu erkennen, wie die einzelnen Elemente von y, d. h. die Indikatoren für die endogenen Variablen, von η1 und η2 beeinflusst werden. Beispielsweise ist y1 die mit den Pfadkoeffizienten [5] λ11 bzw. λ12 gewichtete Summe der beiden latenten Variablen η1 und η2.

Verglichen mit einem einfachen Regressionsmodell hat das allgemeine Strukturgleichungsmodell eine sehr große Zahl von Parametern, die aus den empirischen Daten geschätzt werden müssen. Allerdings reduziert sich diese Zahl in Abhängigkeit davon, welche Zusammenhänge zwischen den Variablen spezifiziert werden. Wenn man beispielsweise davon ausgeht, dass die Indikatoren y1, y2, y3 ausschließlich von der ersten latenten Variablen beeinflusst werden, während y4, y5, y6 ausschließlich auf die zweite Variable ansprechen, müssen sechs der zwölf Elemente von αy nicht geschätzt werden, sondern werden a priori vom Forscher festgelegt:

Ähnliches gilt auch für andere Matrizen des Modells: Immer dann, wenn im Pfadmodell keine Verbindung zwischen zwei Variablen bzw.Fehlervarianzen vorgesehen werden, impliziert dies einen vorab festgelegten Wert von 0 in einer Matrix. Aus diesen Festlegungen ergeben sich für die Schätzung des Modells Restriktionen, aus denen sogenannte FREIHEITSGRADE resultieren, die für Hypothesentests genutzt werden können (siehe Abschn. 2.6.4).

In der hier vorgestellten Form enthält das allgemeine Modell keine Achsenabschnitte, und die Mittelwerte aller latenten Variablen sind gleich 0. Dies erklärt sich daraus, dass Strukturgleichungsmodelle ursprünglich ausschließlich auf der Grundlage von Kovarianzmatrizen geschätzt wurden. Diese enthalten nur Informationen über die Zusammenhänge zwischen den beobachteten Variablen, nicht über deren Niveau. Inhaltlich entspricht dies der Analyse von Daten, die an ihrem Mittelwert zentriert wurden (Bollen 1989, S. 13).

Heute werden Strukturgleichungsmodelle häufig auf Basis der Rohdaten geschätzt. Um dem Rechnung zu tragen, kann das allgemeine Modell durch Achsenabschnitte und Mittelwerte ergänzt werden. Diese zusätzlichen Elemente werden in der englischsprachigen Literatur als MEAN STRUCTURE(S) bezeichnet. Konkret werden die Gl. (2.35) und (2.36) durch je einen zusätzlichen Vektor [6] erweitert, der die Achsenabschnitte der Indikatoren für die exogenen bzw. endogenen Variablen repräsentiert.

x =υx + αxξ + δ (2.39)

y =υy + αyη + . (2.40)

Abb. 2.9 Grundgesamtheit vs. Daten

Gleichung (2.34) erhält ebenfalls einen zusätzlichen Vektor α, der die Mittelwerte der latenten endogenen Variablen aufnimmt:

η = α + Bη + + ζ . (2.41)

Die Mittelwerte der exogenen latenten Variablen ξ enthält der Vektor κ (Bollen 1989, S. 350–351).

Rohdaten bzw. Matrizen, die mit Vektoren der empirischen Mittelwerte augmentiert sind, sind informativer als reine Kovarianzmatrizen. Deshalb ist es möglich, auf ihrer Grundlage Mittelwerte und Achsenabschnitte zu schätzen. Zugleich stellen sich aber durch die größere Zahl von Parametern, die nun zu schätzen sind, neue Identifikationsprobleme (vgl. Abschn. 2.6.3), die zusätzliche Restriktionen erfordern können (Bollen 1989, S. 351). Diese zeigen sich u. a. bei der MehrGruppen-Faktorenanalyse (vgl. Abschn. 3.3).

  • [1] Moderne Programme enthalten sinnvolle Voreinstellungen, so dass nicht alle diese Gleichungen von Hand eingegeben werden müssen
  • [2] 33 Für diese Beschreibung werden in der Literatur verschiedene Notationen verwendet. Die in diesem Buch verwendete Notation lehnt sich an die von Jöreskog entwickelten Konventionen an. Eine tiefergehende und leicht zugängliche Einführung liefert Bollen (1989, S. 10–20, 80–81). Einen Überblick über die griechischen Kleinund Großbuchstaben gibt Tab. 1.1 auf Seite 6
  • [3] Alle Werte auf der Hauptdiagonalen von B sind gleich 0, da keine endogene Variable einen Einfluss auf sich selbst hat (Bollen 1989, S. 15)
  • [4] Das Alter ist eine manifeste Variable. Um die Notation übersichtlich zu halten, kann man sich vorstellen, dass es sich hier um eine latente Variable handelt, die mittels eines einzigen Indikators perfekt gemessen wird
  • [5] Die Pfadkoeffizienten sind die Elemente der zugehörigen Matrix. Nach der oben in Abschn. 2.1.1 eingeführten Konvention werden deshalb für sie die dem Namen der Matrix entsprechenden griechischen Kleinbuchstaben verwendet
  • [6] υ ist der griechische Kleinbuchstabe Ypsilon.
 
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