Desktop-Version

Start arrow Politikwissenschaft arrow Handlungsfähigkeit von geduldeten Flüchtlingen

  • Increase font
  • Decrease font


<<   INHALT   >>

6.2.1.1 Anfängliche Orientierungslosigkeit in Deutschland

Nazims erste Erinnerung, die er mit seiner Ankunft in Deutschland verknüpft und im Interview mitteilt ist die Überraschung, in „so [ein] Heim [zu] kommen“ (Z. 5) und nicht wie gedacht „in [eine] Wohnung [zu] gehen“ (Z. 5). Der Befragte, der mit seiner Familie nach Deutschland gekommen ist, hat keinerlei Einfluss auf seinen zukünftigen Wohnort und der Art der Unterkunft. Die Familie kann nicht eigenständig in eine Wohnung gehen, sondern kommt aufgrund von gesetzlichen Vorgaben in ein „Heim“ (Z. 5). Anfangs verspürt Nazim ein allumfassendes Gefühl von Fremdheit und Unbekanntem, da er „Deutschland nicht [kannte]“ (Z. 6), was dazu führt, dass er seine Anfangszeit als „schlecht“ (Z. 21) erlebt. Dies führt er vor allem auf die nicht vorhandenen Deutschkenntnisse zurück. Das wirkt sich gravierend auf die anfängliche Situation der Familie aus. Die fehlenden Sprachkenntnisse sowie das Fremdsein implizieren das Erleben mangelnder Agency, was sich in von Nazim aufgezählten Fragen wie „wo sollen wir gehen (?) wo/ wo sollen wir lieben [leben] (?) (….) können wir einkaufen (?)“ (Z. 24f.) wiederspiegelt. Dies zeigt eine Hilfsund Orientierungslosigkeit aufgrund von mangelndem bzw. nicht vorhandenem Wissen über bestimmte Handlungsoptionen, die von existentiellen Bereichen wie der Frage nach einem (sicheren) Ort zu leben bis hin zu alltagspraktischen Bereichen wie der Frage nach Einkaufsmöglichkeiten reicht. Nazim schließt die Erzählung über die Anfangszeit in Deutschland mit der Feststellung, dass sie ein „bisschen gelähmt“ (Z. 26f.) waren, ab. Damit wird das Ausmaß der Hilfsund Orientierungslosigkeit ersichtlich, welches die Familie in einen Zustand der Machtund Kraftlosigkeit versetzt, in welcher sich der Befragte als massiv eingeschränkt bzw. „gelähmt“ fühlt. Nazim versucht dieser Situation der Lähmung aktiv entgegenzuwirken, indem er, nachdem er erkannte wie wichtig die Sprache für die Bewältigung des Lebens ist, in die Schule geht und dort versucht einen Abschluss zu machen.

 
<<   INHALT   >>

Related topics