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1 Einleitung

1.1 Hinführung und Fragestellungen

Universitas semper reformanda! – so das Credo der humanistischen Gelehrten seit den frühen Tagen der Universitätsgeschichte. Als gesellschaftliche Schlüsselinstitutionen sind Universitäten in ihrer langen Entwicklungsgeschichte immer wieder gefordert gewesen, mit gesellschaftlichen sowie politischen Veränderungsansprüchen umzugehen. Insofern lässt sich die Entwicklung der Universitäten als ein fortwährender Wandel mit zeitweise tiefgreifenden Brüchen verstehen. Dies betrifft in den letzten Jahren insbesondere auch die Organisation der Ressourcensteuerung sowie der Leitungsstrukturen. Zugleich offenbart sich dem aufmerksamen Beobachter [1] aber in vielen Bereichen eine überraschende Bewahrung zentraler Strukturen und Prinzipien der Hochschulorganisation. Während dies mitunter als Ausdruck des Beharrungsvermögens von Universitäten als „überlebenstüchtige Versager“ gesehen wird, lässt sich gerade die Kontinuität spezifischer organisatorischer Eigenheiten von Universitäten als eine wesentliche Voraussetzung für deren wissenschaftlichen Erfolg verstehen (Schimank 2001: 223; Ben David/Zloczower 1962: 47).

Dennoch verdichten sich in den letzten beiden Jahrzehnten Diagnosen, dass Hochschulen [2] derzeit Gegenstand tiefgreifender Veränderungen geworden sind und sich gegenwärtig eine Transformation des Zusammenspiels zwischen Staat, Wissenschaftsorganisationen und gesellschaftlichen Umweltakteuren vollzieht (Jansen 2007; Paradeise et al. 2009; Whitley et al. 2010; Enders et al. 2011; Kehm et al. 2012). Umfassende Veränderungen der Hochschul-Governance haben dabei in den meisten europäischen Wissenschaftssystemen die traditionellen Strukturen der Hochschulorganisation maßgeblich in Bewegung gebracht (Braun/Merrien 1999; Lange/Schimank 2007). Dies konstatieren auch Beiträge zu den Entwicklungen des Hochschulsektors in Deutschland (Stölting/Schimank 2001; Teichler 2005; Jansen 2010; Von Lüde 2010; Kehm et al. 2012). Ausgangspunkt und ideologischer Kern dieser Veränderungen ist ein in der Politik, Gesetzgebung und Öffentlichkeit verändertes Steuerungsund Organisationsverständnis für Wissenschaftseinrichtungen nach den Maßgaben eines „neuen“ Steuerungsmodells für den öffentlichen Sektor, das als „policy paradigm“ den Reformen des traditionellen Modells der Hochschul-Governance zu Grunde gelegt wurde (vgl. Lange/Schimank 2007; Bogumil et al. 2010). Die Umgestaltungen beziehen sich sowohl auf die Governanceund Steuerungsstrukturen zwischen Staat und Hochschulen als auch auf die formale Organisation hochschulischer Entscheidungsund Verwaltungsprozesse.

Damit sind auch vielfältige Veränderungen in der Leitungsund Verwaltungsorganisation in Gang gesetzt worden, die im deutschen Hochschulund Wissenschaftssektor kaum als abgeschlossen gelten können (De Boer 1998; De Boer et al. 2007a; Bogumil/Heinze 2009). Ungeachtet der Unterschiede zwischen den formalen Vorgaben in den Landeshochschulgesetzen (LHG) [3] und deren Umsetzung innerhalb der Hochschulen ist dabei übergreifend eine Stärkung der Organisationsund Finanzautonomie sowie der hierarchischen Selbststeuerung der Hochschulen konstatiert worden (Lange/Schimank 2007; Bogumil et al. 2010; Sandberger 2011; Hüther 2010). Während sich die Hochschulund Verwaltungsforschung seit Ende der 1990er Jahre ausführlich mit der Einführung dieser neuen Steuerungsformen, Finanzierungsinstrumente und Organisationsmodelle sowie deren Implikationen für Forschung und Lehre beschäftigt hat, sind Veränderungen der Verwaltungsorganisation bislang nur selten betrachtet worden. Doch was sind zentrale Charakteristika der Verwaltungsorganisation deutscher Hochschulen und inwiefern haben sich diese unter den veränderten Vorzeichen der Governance des Wissenschaftssystems gewandelt?

Obschon Hochschulen als vergleichsweise alte Organisationen gelten können, ist die Etablierung einer eigenständigen Leitungsund Verwaltungsorganisation auf der institutionellen Ebene ein historisch eher jüngeres Phänomen und eng an die Herausbildung des Nationalstaates mit seiner spezifischen Verwaltungsstruktur sowie an die Wachstumsschübe des Wissenschaftssystems seit dem 19. Jahrhundert gekoppelt (Oppermann 1996: 1015ff.; Stichweh 2009: 4). Insofern ist die Gestaltung der Leitungsorganisation erst in den jüngeren Phasen der Hochschulentwicklung zu einem zentralen Gegenstand ausführlicher Diskussionen avanciert (Schuster 1996: 839).

Seit Beginn des 19. Jahrhunderts hatte sich an deutschen Hochschulen im Hinblick auf die Verwaltung ein dualistisches Organisationsprinzip entwickelt, bei dem formal zwischen staatlicher Ressourcenverwaltung und akademischen Selbstverwaltungsangelegenheiten unterschieden wurde (vgl. Kimminich 1996: 231ff.; Fonk 1973: 465ff.). Die sich in diesem Kontext langsam etablierende Hochschulverwaltung beruhte zunächst auf einer institutionellen Trennung der Leitungsaufgaben: Der Rektor fungierte als gewähltes Oberhaupt der akademischen Selbstverwaltung, während administrative Entscheidungen und deren Umsetzung von staatlichen Instanzen wahrgenommen wurden (Schuster 1982: 280). Obschon die Reformen seit 1945 die Stärkung der institutionellen Autonomie der hochschulischen Selbstverwaltung und die Abschaffung des Kuratorenamtes bedeuteten, blieb die Trennung zwischen akademischen und staatlichen Angelegenheiten ein historisch gewachsenes Element bei der Entwicklung der Leitungsund Verwaltungsorganisation an deutschen Hochschulen (Thieme 1996: 830, 835ff.).

In der Hochschulorganisation spiegelte sich dieses dualistische Organisationsprinzip nicht nur in der Festlegung der Rechtsstellung als Körperschaften und zugleich als staatliche Anstalten wider, sondern zeigte sich auch an der Etablierung einer Aufgabenteilung bei der Leitung der Hochschule (Kimminich 1996: 231; Schuster 1996: 845). Dem Rektor oder Präsidenten, als dem durch die Selbstverwaltung der Hochschule gewählten akademischen Oberhaupt der Hochschule, stand der durch das Ministerium ernannte Kanzler als Verwaltungsleitung gegenüber. Als Verantwortlicher für die Wirtschaftsund Personalverwaltung und Haushaltsbeauftragter der Hochschule nahm der Kanzler, im Unterschied zu der 2-3 jährigen Amtszeit der Präsidenten und Rektoren, sein Amt zumeist als Beamter auf Lebenszeit wahr. So entstand eine bisweilen ambivalente Wahrnehmung des Kanzlers als „Fremdkörper“ (Meusel 1978: 129) oder „Grenzgänger“ (Wallerath 2004: 218), wobei die Rechtfertigung dieser Sichtweise jedoch wiederholt in Zweifel gezogen wurde (Horst/Neyses 2007: 445).

Spätestens seit Ende der 1990er Jahre ist den Hochschulen von unterschiedlichen Seiten nahegelegt worden, diese traditionellen Leitungsund Verwaltungsstrukturen zu reorganisieren und die Hochschulleitungen zu „professionalisieren“ (Müller-Böling/Fedrowitz 1998; Wissenschaftsrat 2003; Stifterverband 2006; Nickel/Ziegele 2006). Der Deregulierung der Organisationsbestimmungen im Hochschulrahmengesetz (HRG) von 1998 und den daran anknüpfenden Novellierungen der Landeshochschulgesetze (LHG) sind seither umfangreiche Reorganisationsprozesse der Hochschulleitungsund Verwaltungsstrukturen gefolgt (Sandberger 2011). Hierzu gehören besonders die Stärkung von Kompetenzen der Hochschulleitung in Fragen der Organisation, des Personals und der Finanzen sowie die Zusammensetzung, Amtszeiten und Wahlmodi der Hochschulleitungsmitglieder. Darüber hinaus impliziert die mittlerweile flächendeckende Einführung von Hochschulräten (Laqua 2004; Lange 2009; Hüther 2010), die Etablierung von Ressortstrukturen und zahlreicher neuer administrativer Einheiten in der Hochschulverwaltung einen umfassenden Ausbau der traditionellen Leitungsund Verwaltungsorganisation der Hochschulen (Krücken et al. 2010; Merkator/Schneijderberg 2011).

Angesichts dieser organisatorischen Veränderungen sind auch deren Implikationen für das Amt des Kanzlers als möglichem „Irrweg“ oder „Auslaufmodell“ erörtert geworden (Breitbach 2005; Battis 2009). Dabei geht es sowohl um die institutionelle Stellung der Verwaltungsleitung in der Gesamtorganisation als auch um die praktische Wahrnehmung und den beruflichen Status des Kanzlers (Wallerath 2004; Horst/Neyses 2007; Knauff 2007; Franke 2010). Jenseits einer umfassenden juristischen Aufarbeitung der Gesetzgebung im Hinblick auf die Stellung des Kanzlers (Ludwig 1984; Epping 1993; Horst/Bußmann 2003), des „Wissenschaftsadministrators“ (Meusel 1978) oder des hauptamtlichen Vizepräsidenten (Neese 1999; Knauff 2004; 2007) gibt es bislang jedoch kaum eine sozialwissenschaftliche Beschäftigung mit der Verwaltungsleitung der Hochschulen [4]. Insofern stellt sich für die vorliegende Arbeit die Frage, wie sich die institutionelle Stellung und das berufliche Profil ihrer Amtsinhaber vor dem Hintergrund der angeführten Veränderungen der Hochschulleitung in Deutschland gewandelt haben?

Aus organisationssoziologischer Perspektive wird argumentiert, dass die gegenwärtigen Veränderungen der Hochschulorganisation keineswegs als punktuelle oder turnusmäßige Reformen zu verstehen sind. Vielmehr handele es sich um eine umfassende Transformation der Hochschule zu einer vollständigen bzw. agenthaften Organisation (Brunsson/Sahlin-Andersson 2000; Krücken/Meier 2006; De Boer et al. 2007a; Ramirez 2006). Hochschulen, so die These, würden damit zunehmend als handlungsfähige Akteure gedacht und adressiert (vgl. Meier 2009). Damit verbinden sich auch formale Rekonfigurationsprozesse, aufgrund derer sich Hochschulen tendenziell korporativen Organisationen annähern (Meier/Schimank 2010).

Damit werden jedoch die in der Organisationsforschung etablierten Charakterisierungen der Hochschulorganisation in Frage gestellt, da Hochschulen bislang zumeist als „spezifische“ Organisationen ohne umfassende hierarchische Integration und Spitze konzeptualisiert wurden (Clark 1983: 140; Krücken/Röbken 2009: 340; Musselin 2007). Dabei fällt auf, dass in den meisten Beschreibungen dieses institutionellen Wandels der Hochschulorganisation die Herausbildung rationalisierter Formalstrukturen sowie die Hierarchisierung von Entscheidungsprozessen auf der Ebene der Leitungsund Verwaltungsorganisation als zentrale Indizien der Entwicklung von Hochschulen zu vollständigen oder agenthaften Organisationen verstanden werden. Doch inwiefern lässt sich am Beispiel der Verwaltungsleitung an deutschen Hochschulen institutioneller Wandel der Hochschule zur agenthaften Organisation nachvollziehen?

Ausgangsthese dieser Arbeit ist es, dass sich an der Stellung und dem Profil der Hochschulverwaltungsleitung ein institutioneller Wandel der Hochschule hin zu einer agenthaften, vollständigen Organisation mit klaren Grenzen und managerialen Strukturen nachvollziehen lässt. Zur Herausarbeitung dieser These greift die Arbeit auf das organisationstheoretische Konzept der „institutionellen Logiken“ im organisationssoziologischen Neoinstitutionalismus als Analyserahmen zurück (Friedland/Alford 1991; Thornton/Ocasio 1999, 2008; Thornton et al. 2012). Institutionelle Logiken werden hier als übergreifende Organisationsprinzipien verstanden, die als kultureller Rahmen sowohl institutionelle Zuschreibungen als auch die Auswahl dominanter Organisationsmodelle und Erwartungen an soziale Interaktionsformen innerhalb eines organisationalen Feldes umfassend beeinflussen (Thornton et al. 2012: 2). Dabei wird davon ausgegangen, dass feld-spezifische institutionelle Logiken insbesondere in Umbruchszeiten auf unterschiedliche Elemente institutioneller Ordnungen wie z.B. Familie, Religion, Staat, Markt, Profession oder Korporation rekurrieren. Anders als die Fokussierung auf die Umsetzung von New Public Management (NPM) als ein abstraktes „Governance-Regime“ oder Modell in einigen Beiträgen der Hochschulforschung (Lange/Schimank 2007; Bogumil et al. 2010; Kamm/Köller 2010) ermöglicht der Bezug auf das Konzept der institutionellen Logiken ein stärker auf das Organisationsfeld bezogenes, differenzierteres Verständnis für das Nebeneinander von Deinstitutionalisierung und Reinstitutionalisierung alter und neuer Elemente der Hochschulorganisation.

Hieran anknüpfend wird argumentiert, dass die Leitungsund Verwaltungsorganisation an deutschen Hochschulen durch jeweils dominante Logiken organisationsfeld-übergreifend geprägt gewesen ist. Die Arbeit zeigt auf, dass sich in der Verwaltungsleitung bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts und während der Reorganisation der Hochschulorganisation in der Nachkriegszeit Entwicklungen abzeichnen, die spätestens seit den 1990er Jahren als institutioneller Wandel von einer akademisch-bürokratischen zu einer post-bürokratischen Logik der Hochschulorganisation verstanden werden können.

Am Beispiel der Verwaltungsleitung verdeutlicht die Arbeit, dass dieser institutionelle Wandel der Hochschulorganisation mit der schrittweisen Integration der Verwaltungsleitung in eine nach Ressorts differenzierte Hochschulleitung und mit auf die Organisation bezogenen Rekrutierungsund Einstellungsmustern einhergeht. Hieraus resultiert auch eine Verlagerung der institutionellen Grenzziehungen innerhalb der Hochschulleitungsorganisation: An die Stelle der Unterscheidung zwischen staatlichen und akademischen Aufgaben bzw. innen und außen tritt die hierarchische Differenzierung nach der Bedeutung der Aufgaben für die Binnenorganisation der Hochschule (Neese 1999: 20). Zugleich wird durch die Analyse der Arbeit deutlich, dass dieser formale Wandel der Hochschulleitungsund Verwaltungsstrukturen auch mit Veränderungen der qualifikatorischen Voraussetzungen und des beruflichen Profils des Kanzlers als vorwiegend juristisch ausgebildetem Verwaltungsgeneralisten hin zu einem eher auf Managementkompetenzen fokussierten Hochschulmanager korrespondiert.

Beschreibungen dieser Veränderungen der Hochschulorganisation als bloße Umsetzung des NPM als neuem Steuerungsmodell greifen jedoch zu kurz. Vielmehr zeigt sich am Beispiel der Verwaltungsleitung, dass institutioneller Wandel der Hochschule zu einer vollständigen Organisation als ein auf veränderten gesellschaftspolitischen Zuschreibungen beruhender transformativer Wandel zu charakterisieren ist (Greenwood/Hinnings 1996), bei dem die Einführung managerialer Formalstrukturen sich als in längere Phase der „Sedimentierung“ (Zucker 1977) verstehen lässt.

  • [1] Zwecks besserer Lesbarkeit wird in dieser Arbeit sowohl für die männliche wie die weibliche Form durchgängig die männliche Form verwendet
  • [2] Der Begriff Hochschule wird in dieser Arbeit als Oberbegriff für alle staatlichen und staatlich anerkannten wissenschaftlichen Hochschulen verwendet und umfasst insofern sowohl Universitäten mit Promotionsund Habilitationsrecht als auch Hochschulen ohne Promotionsrecht
  • [3] Zur Vereinfachung wird im Text „LHG“ sowohl für den Singular als auch den Plural von Landeshochschulgesetze verwendet
  • [4] „Verwaltungsleitung“ wird hier, wie auch in den anderen Kapiteln der Arbeit, als Oberbegriff für die unterschiedlichen Bezeichnungen für die administrative Leitungsfunktion an Hochschulen und damit insbesondere das Amt des Kanzlers, leitenden Verwaltungsbeamten und hauptamtlichen Vizepräsidenten für Haushalts-, Personal,und Verwaltungsangelegenheiten verwendet
 
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