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Geleitwort

Das Thema des Buches von Albrecht Blümel ist hochaktuell und wird es ganz sicher auch noch während der nächsten Jahre sein. So ergab ein „brainstorming“, an dem einer der beiden Verfasser dieses Vorwortes im November 2014 mit hochrangigen Vertretern aus Hochschulleitungen und Hochschulpolitik teilnehmen konnte, um zentrale Herausforderungen der Hochschulentwicklung und -politik zu identifizieren, dass neben den Mega-Herausforderungen „Hochschulexpansion“, „Finanzierung“ und „Digitalisierung“ die Frage nach der Zukunft der Verwaltungsleitung an deutschen Hochschulen bei fast allen Teilnehmenden ganz oben rangierte. An dieser Stelle kann sozialwissenschaftliche Aufklärung eine ganz wichtige Rolle spielen. Der Blick in die Forschung zeigt jedoch, dass eine Analyse der Hochschulverwaltungsleitungen, in Deutschland zumeist als Kanzler bezeichnet, noch aussteht. Dies ist insofern erstaunlich, als die sozialwissenschaftliche Hochschulund Organisationsforschung in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht und zahlreiche hochschulspezifische Berufsgruppen und Organisationsveränderungen eingehend untersucht hat. Blümel betritt mit seinem Buch also empirisches Neuland.

Um dieses Neuland zu vermessen und abzustecken, greift Blümel auf eine breite Vielfalt an Datenquellen, Erhebungsund Auswertungsmethoden zurück. Konkret finden sich eine Auswertung universitätshistorischer Arbeiten und eine Dokumentenanalyse der Landeshochschulgesetze, die inhaltsanalytische Auswertung von Stellenanzeigen sowie eine standardisierte Fragebogenerhebung von Hochschulkanzlern. Zugleich bettet er seine Analyse theoretisch in sehr gekonnter Weise ein, indem er den Wandel der Verwaltungsleitung als Teil des institutionellen Wandels der Hochschulorganisation rekonstruiert – dies kommt plakativ im Obertitel des Buches „Von der Hochschulverwaltung zum Hochschulmanagement“ zum Ausdruck. Dabei spielen einerseits theoretische Arbeiten zur Organisation und Governance von Hochschulen als „spezifischen Organisationen“ (Musselin 2007) eine Rolle. Andererseits orientiert sich Blümel an der neo-institutionalistischen Diskussion um „institutional logics“, wie sie vor allem in der internationalen Organisationsund Managementforschung von zentraler Bedeutung ist. Dies bedeutet, Theorieentwicklung mittlerer Reichweite zu betreiben, die der Organisationsform „Universität“ in einem spezifisch nationalen Kontext gerecht wird.

Was zeigt die Analyse? Im Hinblick auf die Kanzlerrolle zeigt Blümel sehr klar auf, dass der Wandel der Kanzlerrolle in einen grundlegenden Wandel der Universität als Organisation eingebettet ist. Dabei argumentiert Blümel höchst kompetent mit Bezug auf die mittlerweile sehr umfangreiche internationale und interdisziplinäre Forschungsliteratur zu Governance und Organisation von Universitäten. In diesem Kontext sind zwei Diskurse von Bedeutung: In Anlehnung an die Literatur gelingt es ihm plausibel herauszuarbeiten, wie in den letzten beiden Jahrzehnten eine langsame Ablösung vom Verständnis der Universität als einer „kulturellen Institution“ hin zu einer mehr utilitaristischen Perspektive der Hochschule als öffentlicher Dienstleistungsoder Service-Einrichtung stattgefunden hat, die stärker auf soziale und wirtschaftliche Ziele verpflichtet wird. Gleichzeitig ist festzustellen, dass sich die Universität von einem eher lose gekoppelten System, das auf starker interner Selbstverwaltung und staatlicher Regulierung basiert, zu einer eigenständigen, agenthaften Organisation bzw. zur „Universität als Akteur“ (so der Titel des in dieser Reihe erschienenen Buches von Frank Meier) verändert. In diesem Zusammenhang wandelt sich der Forschungsliteratur zufolge auch die mit der Kanzlerrolle verbundene Logik von einer administrativen Verwaltungszu einer manageriellen, post-bürokratischen Logik.

Deutlich wird in der historischen Rückschau, dass auch das heutzutage als traditionell erscheinende Amt des Universitätskanzlers in der langen Universitätsgeschichte eher neueren Ursprungs ist und auf unterschiedlichen Vorläufern basiert. Die in verschiedenen Kapiteln herausgearbeiteten Befunde zeigen den Wandel, aber auch die Kontinuität der Kanzlerrolle. Dabei zeigt die Analyse, dass institutioneller Wandel der Hochschulorganisation keineswegs nur durch die umfassenden New Public Management-Reformen der 1990er Jahre ausgelöst wurden, das Amt des Kanzlers schon seit Beginn der bundesdeutschen Hochschulentwicklung Gegenstand von Diskussionen und sukzessiven Veränderungen gewesen ist. Dies belegt auch die Dokumentenanalyse der Landeshochschulgesetze der einzelnen Bundesländer zwischen 1971 und 2013. Generell zeigt sich hier der Übergang von einer monokratischen zur kollegialen Hochschulleitung, in die der Kanzler zunehmend integriert wird. Ebenso wie es Otto Hüther in seiner umfangreichen Analyse der Landeshochschulgesetze getan hat, die in dieser Buchreihe veröffentlicht ist, zeichnet auch Blümels Analyse ein insgesamt eher heterogenes Bild, was die Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen den Landeshochschulgesetzen betrifft. So lassen sich landesübergreifende Phasen und Trends identifizieren, ein einheitliches Modell der Hochschulverwaltungsleitung ist jedoch nicht in Sicht.

Die Analyse der Stellenanzeigen und die Auswertung der FragenbogenBefragung der Hochschulkanzler vertieft die zuvor geleistete Analyse. Dabei weist Blümel nach, dass der Wegfall des Juristenmonopols in den Landeshochschulgesetzen vor allem zu einer Öffnung gegenüber Absolventinnen und Absolventen aus den Wirtschaftswissenschaften geführt hat. Dieser Wechsel mag zwar aus der Logik des New Public Management heraus gut begründet und nachvollziehbar sein. Er steht jedoch in einem auffälligen Gegensatz zu den Ergebnissen der Befragung von neu rekrutierten Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern auf der mittleren Führungsebene, deren Studienhintergründe weitaus heterogener und vor allem sozialund geisteswissenschaftlich sind (so gezeigt von Katharina Kloke in ihrem ebenfalls in dieser Reihe erschienenen Buch). Im Unterschied zu anderen Ländern findet die Rekrutierung von Kanzlern insbesondere innerhalb des nationalen Hochschulund Wissenschaftssystems statt. Führungskräfte aus der Wirtschaft spielen hier zum Beispiel keine große Rolle. Auch die Analyse des Tätigkeitsprofils und des beruflichen Selbstverständnisses der Hochschulkanzler ist hoch interessant. Dabei zeigen sich Blümels Analyse zufolge bei den meisten Kanzlern Einstellungsmuster, die auf einen institutionellen Wandel, aber auch auf die partielle Koexistenz unterschiedlicher Logiken hindeuten, so dass die klassische Verwaltungslogik eher von der manageriellen, post-bürokratischen Logik überlagert, nicht jedoch komplett abgelöst wird. Der Wandel ist also empirisch nicht ganz so eindeutig, wie sich theoretisch vermuten ließe. Besonders interessant ist zudem, dass Blümel auch nach unterschiedlichen Hochschultypen differenziert. Hierdurch geraten zum Beispiel Unterschiede zwischen Universitäten und Fachhochschulen, großen und kleinen, öffentlichen und privaten Hochschulen in den Blick.

Die umfassenden empirischen Untersuchungen ergeben ein insgesamt recht heterogenes Bild, das deutlich macht, welche Rolle historische Pfadabhängigkeiten spielen. Besonders hilfreich ist hier die breitere historische Einbettung, die darauf hinweist, dass die Erklärungskraft einer ausschließlich auf das New Public Management gerichteten Perspektive nur recht begrenzt ist. Darüber hinaus eröffnet das Buch zahlreiche Anschlussmöglichkeiten für weitere Forschungen, aber auch für die Hochschulpolitik und -praxis. So stellt sich die Frage, ob sich die von Blümel herausgearbeiteten Aspekte auch im Hochschulalltag widerspiegeln. Es wäre interessant zu wissen, ob sich die veränderten formalen Erfordernisse, wie sie sich in Landeshochschulgesetzen und Stellenanzeigen niederschlagen, ebenso wie die beruflichen Selbstverständnisse auch auf der Handlungsebene aufspüren lassen. Und wie lautet hier die Einschätzung anderer Hochschulakteure? Auch in theoretischer Hinsicht eröffnet das vorliegende Buch zahlreiche spannende Anschlussfragen. Wie kann man den Ansatz institutioneller Logiken auf der Mikroebene des Handelns fruchtbar machen? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede werden zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Sektoren und unterschiedlichen Berufsgruppen erkennbar, inwiefern handelt es sich tatsächlich um handlungsrelevante Logiken und weniger um sozial erwünschte Konstrukte?

Blümel legt mit dem vorliegenden Buch eine theoretisch ebenso eigenständige wie methodisch vielfältige Analyse eines bislang kaum erforschten und hoch interessanten Phänomens vor. Ihr ist ein breites und interessiertes Publikum aus Organisations-, Verwaltungsund Hochschulforschung sowie aus Hochschulleitung, -verwaltung und -politik gewiss.

 
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