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83 Muss ich mir Sorgen machen, wenn mein Kind nicht so weit ist wie andere?

Vergleiche hinken bekanntlich, ganz besonders, wenn es um Kinder geht. Für keinen Bereich der kindlichen Entwicklung gibt es nur ein richtiges Alter. Neue Untersuchungen legen nahe, dass sogar die bisher als unheilbar geltende Amblyopie, das Unvermögen, räumlich zu sehen, geheilt werden kann.

Der Entwicklungsstand setzt sich immer aus genetischer Basis, Lebensalter und Umweltanregung zusammen. Das bedeutet: Jedes Kind hat sein eigenes Tempo, Unterschiede zwischen Kindern gleichen Alters sind völlig normal. Das Sprechen wird am besten zwischen dem ersten und dritten Lebensjahr erlernt, es gibt aber auch Kinder, die erst mit vier richtig losplappern. Irgendwann zwischen 9 und 15 Monaten machen Kinder die ersten Schritte, manche allerdings auch viel später oder aber früher.

Damit man einen zu behandelnden Entwicklungsrückstand rechtzeitig erkennt, ist es wichtig, die Vorsorgeuntersuchungen wahrzunehmen. Tests wie die Progress Assessment Chart (PAC) können systematisch den aktuellen Entwicklungsstand erfassen. Ansonsten empfehlen Kinderärzte und Entwicklungspsychologen bis zur Einschulung Ruhe und eine weite Sicht. Das gilt auch und ganz besonders im Hinblick auf die vielzitierten Zeitfenster. Richtig ist, dass es günstige Phasen für bestimmte Lernerfahrungen gibt. Aber es öffnen sich immer wieder neue Fenster. Für Eltern heißt «lange Sicht»: Was einem im Augenblick den Schlaf raubt, kann in ein paar Monaten völlig anders aussehen. Viele Schwierigkeiten lösen sich ganz einfach in Luft auf. Das bedeutet nicht, Auffälligkeiten oder Probleme auf die leichte Schulter zu nehmen. Was auch immer einem Sorgen macht, sollte man mit Menschen besprechen, die das Kind gut kennen und etwas Abstand haben. Ein Gespräch mit Außenstehenden, etwa mit einer Erzieherin, ist hilfreich, weil andere manches sehen, was einem selbst entgeht. Sie könnten zum Beispiel im Trotz Ausdauer und Willensstärke erkennen und in der Langsamkeit eine besondere Beobachtungsgabe und Behutsamkeit.

In jedem Kinderleben gibt es Phasen, in denen scheinbar keine Fortschritte stattfinden oder die Entwicklung sogar rückläufig ist. Das kann daran liegen, dass ein Kind gerade mit besonderen Belastungen oder Veränderungen zurechtkommen muss, mit einem Umzug, einer Trennung oder der Geburt eines Geschwisters. Manchmal gibt es auch keinen erkennbaren Grund, warum Max nicht mehr durchschläft und wieder die Flasche verlangt, und warum sich bei Sarah, die längst sauber ist, «potty regression» zeigt. Bis zum Ende der Pubertät greifen

Kinder immer mal wieder auf Verhaltensweisen zurück, von denen Eltern glauben, dass sie längst überwunden sind.

Was Eltern und Kinder hier brauchen, sind Zeit, Zuversicht, Zutrauen, besonders, wenn bestimmte Kompetenzen oder erste (vor)schulische Lernerfahrungen Schwierigkeiten machen. Aus der Motivationsforschung weiß man: Wenn jemand scheitert, fragt er sich immer erstens, wer schuld ist, und zweitens, wie sich das Scheitern oder der Fehler auswirkt. Die Antwort auf die erste Frage, ob man sich oder der Welt die Schuld gibt, bestimmt das Gefühl der Selbstachtung. Die zweite, wie sich das Scheitern auswirkt, bestimmt, wie ein Kind auf einen Misserfolg reagiert. Eltern müssen ihrem Kind dabei helfen, dass es sich die richtigen Antworten gibt.

Ein Kind darf sich ruhig mal schlecht fühlen, weil es etwas nicht geschafft oder einen Fehler gemacht hat. Das verursacht auch keineswegs weitere Misserfolge. Wenn es aber glaubt, dass sein Scheitern ewig nachwirkt und alles erschüttert, führt das auf direktem Wege dazu, dass es keinen nächsten Versuch wagt, sich nicht mehr bemüht und nicht dazulernt. Das wiederum führt zu weiteren Misserfolgen, die nach und nach die Selbstachtung dauerhaft untergraben können. Kinder haben noch nicht die Distanz, um Verzagtheit und Unsicherheit als momentane Stimmung einzuordnen. Deshalb brauchen sie die Zuversicht ihrer Eltern, auch wenn sie nicht bei jedem Entwicklungsschritt die Nase vorn haben. Nach dem Einschulalter sollte man bei auffallenden Entwicklungsverzögerungen professionelle Beratung suchen.

 
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