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74 Vulgäre Ausdrücke, Flüche und verbale Ausrutscher – wie soll ich darauf reagieren?

Aus Kindermund kommen nicht nur drollige Sprüche und fantasievolle Geschichten. Warum wohl? Gröbste Unfreundlichkeiten und mit Fäkalausdrücken gespickte Gemeinheiten dominieren das Nachmittagsfernsehen und Talent-Shows, die vier bis sechs Millionen Zuschauer regelmäßig sehen. Darunter nicht wenige Kinder, die jüngsten sind drei. Der rüde Umgangston hinterlässt Spuren im öffentlichen Raum, auf Spielplätzen, in Kindergärten, Schulen und leider auch in den Familien. Für verbale Entgleisungen allein das Fernsehen und eine Handvoll schlecht erzogener und mäßig begabter Moderatoren und Popmusiker verantwortlich zu machen, wäre allerdings ein bisschen zu einfach. Was im Fernsehen und Netz vorgeführt wird, bekräftigt nur, was im Alltag stilbildend ist: Statt sich zu verständigen, brüllt man sich gegenseitig nieder, lässt einander nicht zu Wort kommen und bringt sein Gegenüber mit

Kraftausdrücken und gehässigen Vergleichen zur Strecke. Jeder darf sagen, was er denkt, und reden, wie ihm der Schnabel gewachsen ist.

Vielleicht klingt das jetzt hochtrabend, aber Worte und Sprache begründen - auch - die Würde des Menschen. Nur der Mensch besitzt die einzigartige Fähigkeit, seine Gefühle und Gedanken in Worte zu fassen.

Der Missbrauch von Sprache, ein obszöner, aggressiver Wortschatz und ein grober Umgangston führen zu einer Vulgarisierung und Verrohung der Persönlichkeit. Es gibt einen Zusammenhang zwischen einer vulgären, aggressiven Sprache auf der einen Seite und mangelnder Empathie und Gewalt auf der anderen Seite. Umgekehrt sorgt ein freundlicher Ton auch für ein einigermaßen freundliches Miteinander. Natürlich ist nicht jeder, der sich höflich ausdrückt, auch ein guter Mensch. Doch ebenso wenig wird man behaupten können, dass unter Leuten, die sich mit Beleidigungen verständigen, Menschen edler Gesinnung zu finden sind. Worte sind eben nicht nur Worte. Sprache ist die Brücke, die die Innenwelt mit der Außenwelt verbindet. Deshalb ist es so wichtig, wie man mit seinem Kind spricht. Aber das reicht nicht. Eltern müssen auch darauf achten, wie ihr Kind mit anderen spricht.

In den ersten fünf bis sechs Lebensjahren experimentieren Kinder mit der Sprache. In dieser Phase benutzen fast alle mit großer Begeisterung Kraftausdrücke. Die heißen übrigens nicht von ungefähr so. Kraftausdrücke geben Kindern das Gefühl, groß, stark und mutig zu sein. Vielleicht sind deshalb Jungen dafür besonders empfänglich. Wenn sie wüste Beschimpfungen loslassen, ist das manchmal auch der Versuch, die Gefühle zu kontrollieren und nicht handgreiflich zu werden - und insofern ein Fortschritt. Trotzdem muss man unmissverständlich zum Ausdruck bringen: «Ich will nicht, dass du so sprichst. Und zwar mit niemandem.»

Dass sich Kinder im Ton vergreifen und grobe Ausdrücke benutzen, ist dennoch normal. Schließlich muss man erst mal lernen, wo der feine Grat zwischen mutig oder gewitzt und unverschämt verläuft. Und dafür muss man eben den Mund aufmachen dürfen. Kinder sollen keine Duckmäuser und Jasager sein, sondern Menschen, die

Meinungen und Überzeugungen haben und diese auch vertreten.

In der Pubertät wird Sprache besonders gern als Provokation eingesetzt, ähnlich wie grüne Haare und Mercedessterne im Ohrläppchen, mit denen einst Punks den Elternschreck gaben. Mädchen machen sich häufig einen überheblichen, abfälligen Ton zu eigen, während Jungen eher grob werden. Beides, gepaart mit der für dieses Alter typischen Egozentrik, ist nur schwer auszuhalten. Und, um es gleich zu sagen: Niemand muss das aushalten. Eltern haben das Recht zu erwidern: «Du bist sehr aufgebracht. Lass uns das später besprechen.» Bemerkungen wie «Such dir doch einen anderen Dummen, der dich rumkutschiert/bedient/so mit sich reden lässt», verkneift man sich dagegen besser. Es gibt Teenager, die solche Aufforderungen wörtlich nehmen und sich tatsächlich nach anderen Leuten umschauen. In der Regel nach den falschen.

Sollte einem in der Hitze des Gefechts selbst etwas Gemeines herausrutschen, entschuldigt man sich am besten sofort und erklärt, warum man das gesagt hat und warum das falsch war. So versteht das Kind, dass man den Umgangston in jedem Alter und jeder Position regulieren muss. Woran sich Kinder ein Leben lang erinnern, was sie durchs Leben trägt, sind nicht tolle Geburtstagspartys oder Kinobesuche, sondern die Stimmung in der Familie, und die macht man eben auch mit der Stimme.

 
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