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2.3 Politische und ökonomische Bildung im politikdidaktischen Spannungsfeld – Ökonomie als politisches Teilsystem

Im vorangegangenen Abschnitt wurde die Kontroverse zwischen politischer und ökonomischer Bildung skizziert. Mit Blick auf die vorliegende Thematik werden die Argumente des Abschnitts 2.2.3 (Wirtschaft als Teil der politischen Bildung) aufgegriffen und fortgesetzt. Die Kontroverse um die Frage nach der Verortung von ökonomischer Bildung in Fächern oder Stundentafeln der Schulen muss im bildungspolitischen Diskurs erfolgen und kann/soll in dieser Arbeit nicht geklärt werden. Folglich ist der didaktische Nutzen ökonomischer Aspekte für die politische Bildung herauszustellen.

2.3.1 Vorbemerkungen

„Warum ‚Wirtschaft' in der Geschichte der Politischen Bildung marginal geblieben ist“, wird in GIESCKES gleichlautenden Artikel im Rahmen eines historischen Abrisses begründet (Giesecke 2001). Die Fächer Politik, Wirtschaft und Technik waren bis um 1960 in einer ähnlichen Dilemma-Situation, sie waren weder in den allgemeinbildenden Fächerkanon der Schulen integriert, noch wurde ihnen aufgrund ihrer gegebenen Nähe zum realen Leben Allgemeinbildungscharakter zugeschrieben, da die Auffassung vertreten wurde, dass sich der sittlich gebildete Mensch seine Lebenswelt über im Vorfeld genossene Bildung erschließt und nicht über vorgefundene Bezüge zur Realität. Im Rahmen dieser traditionellen Bildungsidee wurden wirtschaftliche/technische Probleme lediglich den Inhalten der jeweiligen Berufsausbildung zugeschrieben (Giesecke 2001, S. 1). Die Notwendigkeit politischer Bildung wurde erst unter dem Aspekt „der ‚sozialen Frage', also der Eingliederung der Arbeiterschaft in den bürgerlichen Staat“ für Volksund Berufsschüler erkannt (Giesecke 2001, S. 1f.). Giesecke kürt KERSCHENSTEINER zum ersten Didaktiker, der sich diesen politisch bildnerisch motivierten sozialen Fragen widmete und Arbeit als Realitätsbezug in den Mittelpunkt seiner didaktischen Überlegungen stellte (Giesecke 2001, S. 2). Der Realitätsbezug zur Arbeit, insbesondere die Berücksichtigung der (ökonomischen) Lebensverhältnisse im Rahmen seiner Preisschrift „Staatsbürgerliche Erziehung der deutschen Jugend“ (Kerschensteiner 1901/66), können unter anderem als Rückgriff auf den politischen Teilbereich Ökonomie verstanden warden. [1] Auch wenn KERSCHENSTEINERS Begriff der staatsbürgerlichen Erziehung nicht mit dem Wesen und Anliegen der heutigen politischen Bildung gleichzusetzen ist, so liefert er retrospektiv didaktische Anknüpfungspunkte, inwieweit sich der Realitätsbereich Ökonomie auf die staatsbürgerliche Erziehung auswirkt. Somit sind es neben anderen die „vorhandenen wirtschaftlich-sozialen Zustände, insbesondere die Lohnund Arbeitsverhältnisse, die Wohnungsverhältnisse und die Berufsart; die politisch-sozialen Zustände, d. s. jene Anschauungen und Einrichtungen, die dem Emporstreben des Tüchtigen förderlich oder hinderlich sind“ (Kerschensteiner 1901/66, S. 23). [2] Folgt man dieser Argumentation und überträgt diese in die heutige Zeit, gehören Politik und Ökonomie in der politischen Bildung zusammen. Ein solcher Fokus schafft nicht nur didaktische Brücken zwischen Alltagswelt und Politik sondern weist in diesem Zusammenhang gleichfalls Ökonomie als politisches Teilsystem im Sinne DEICHMANNS (Deichmann 2004, S. 89, Abb. 7) aus.

  • [1] KERSCHENSTEINER reichte seine Schrift an der „Königlichen Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt“ im Rahmen der aus dem Jahre 1900 gestellten Preisaufgabe „Wie ist unsere männliche Jugend von der Entlassung aus der Volksschule bis zum Eintritt in den Heeresdienst am zweckmäßigsten für die bürgerliche Gesellschaft zu erziehen?“ ein (Wehle 1966, S. 203f.).
  • [2] Das Anführen der Lohnund Arbeitsverhältnisse sowie der Berufsart erfolgte vor dem Hintergrund, dass sich KERSCHENSTEINERS Preisschrift vornehmlich auf den Adressatenkreis der Preisaufgabe (siehe vorherige Fußnote) und deren staatsbürgerliche Erziehung bezog. Jugendliche nach Entlassung aus der Volksschule standen zur damaligen Zeit fast ausnahmslos an der Schwelle des Erwerbslebens. Indem KERSCHENSTEINER die damaligen Lebensverhältnisse anprangert und auf die Gefahren für eine günstige staatsbürgerliche Erziehung verweist, fordert er unter anderem verbesserte Bedingungen hinsichtlich Arbeitszeit und Arbeitslohn oder Wohnungsverhältnisse (Kerschensteiner 1901/66, S. 24f.).
 
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