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Start arrow Kultur arrow Die 101 wichtigsten Fragen

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74. Gibt es im Kloster heute noch eine Balance zwischen Arbeit und Gebet?

Die immer geringer werdende Zahl von Ordensmitgliedem hat zur Folge, dass die notwendigen Aufgaben in den Klöstern auf immer weniger Schultern verteilt werden müssen. Hinzu kommt, dass die Überalterung in den Konventen stetig zunimmt. 53 Prozent der männlichen und 83 Prozent der weiblichen Ordensmitglieder sind älter als 65 Jahre. Zwar sind viele Nonnen und Mönche noch bis ins hohe Alter aktiv, aber so manche Tätigkeit kann von ihnen nicht mehr übernommen werden.

Ich kenne Ordensleute, die mehrere Aufgabenbereiche im Kloster innehaben. Der Prior eines Klosters im Rheinland ist gleichzeitig noch Cellerar und Leiter des Bildungshauses. Außerdem steht er für die Gästebetreuung zur Verfügung. Ein junger Mitbruder einer großen Abtei in Franken leitet das Personalbüro, ist Sekretär des Abts und verantwortlich für das Jugendgästehaus. Zwei Beispiele für viele Nonnen und Mönche. Dies hat zur Folge, dass auch Burnout vor den Klosterpforten nicht Halt macht. Bleibt das Beten dadurch auf der Strecke? In der Tat ist der Tag vieler Ordensmitglieder vom frühen Morgen bis zum späten Abend ausgefüllt. «Wenn die Glocke nicht immer läuten würde, muss ich gestehen, dass ich vielleicht die eine oder andere Gebetszeit ausfallen ließe oder immer wieder verschieben würde», sagte mir eine vielbeschäftigte Nonne einmal.

Aber gerade das Gebet ist die Quelle, aus der die Ordensleute schöpfen. Für den Dialog mit Gott haben sie ja den Weg ins Kloster gewählt. «Diese Zeit gehört ganz mir und meinem Gespräch mit Gott», sagt Schwester Agnes aus der Abtei Waldsassen, und ihre Mitschwester Maria Josepha ergänzt: «Mein Ziel ist es, durch das Gebet und die Meditation besser zu leben im

Umgang mit anderen, mit Gott und mit mir selbst». Ihre Äbtissin Laetitia, eine Frau, die auch durch Aufgaben außerhalb des Klosters gefordert ist, sagt, dass ihr die Gebetszeiten Gelassenheit geben.

Mit dem Abstand von der Arbeit und dem Rückzug ins Gebet relativieren sich die täglichen Anforderungen, außerdem erhält man mit dem Abstand zur Arbeit manchmal auch die zündende Idee zur Lösung eines Problems. Nur im Notfall lassen die Ordensleute eine Gebetszeit ausfallen. Wer nicht zum Gebet erscheint, muss sich bei Priorin beziehungsweise Prior vorher abmelden. Wer außerhalb des Klosters unterwegs ist, hat selbst Sorge dafür zu tragen, dass das tägliche Gebet nicht zu kurz kommt. Dafür ist die Nonne oder der Mönch sich selbst und Gott gegenüber verantwortlich.

 
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