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100 Fragen zu Palliative Care
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VORWORTPalliative Care - ein Thema, das in den letzten Jahren mehr und mehr ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit gekommen ist. Das ist sicher kein Zufall. Die demografische Situation hat sich in den vergangenen Jahren radikal verändert. Immer mehr Menschen werden älter. Das Ende des Lebens kann immer weiter hinausgeschoben, die aktive Lebensphase deutlich erweitert werden. Die aktuelle Alterdiskussion und die Schlagzeilen rund um das Thema »Aktive Sterbehilfe« zeigen die Kehrseite der Medaille: Wer nicht mehr leben will, dem kann »geholfen werden«. Bei solchen Diskussionen wird kaum gefragt, ob dieser Mensch auch wirklich nicht mehr leben möchte. Alter und Krankheit können schwerwiegende Einschränkungen mit sich bringen, doch dies sind die alleinigen Gründe, wenn ein Mensch seinen Tod vorzeitig herbeiführen will. Es ist vielmehr der Umgang mit Alter, Krankheit und deren Begleitprozessen, die das Leben oft nicht mehr lebenswert erscheinen lässt. Häufig wird auch argumentiert, ein durch Krankheit und Leiden belastetes Leben sei »unwürdiges Leben«, das um der Würde willen beendet werden könne oder gar müsse. Dem ist klar, eindeutig und unmissverständlich entgegenzuhalten, dass exakt dieses Argument der Würde des Menschen diametral entgegensteht. Die Grundlage der humanen Gesellschaft sind nach wie vor die Menschenrechte. Ihr Ausgangspunkt ist die unveräußerliche Würde jedes Menschen. Gemeint ist damit, dass den Menschen Würde zukommt, weil sie Menschen sind. Sobald wir mit der oben angeführten Problematik konfrontiert sind, wird die Brisanz dieser Grundlage offensichtlich. Von der menschlichen Würde auszugehen, heißt einen Menschen unabhängig von seinem körperlichen oder psychischen Gesundheitszustand immer als Person zu achten. In dieser Achtung ist auch die Verpflichtung enthalten, versehrtes Leben nicht auszugrenzen. Hier liegt die große Chance des Konzepts der Palliative Care. Sie verweist, gerade auch in der Diskussion um die »aktive Sterbehilfe«, auf ein »lebenswertes Leben«, das dann zur Wirkung kommen kann, wenn es einen Ort findet, wo es im Angesicht von Leiden und Sterben begleitet und in Liebe umsorgt wird. Es gilt anzunehmen, dass sich mit der Erkrankung, insbesondere in der terminalen Phase des Lebens, zwangsläufig eine Verschiebung der Werteordnung ergibt. Es muss neu bestimmt werden, was als wertvoll gilt und worauf (noch) Wert gelegt wird. Dies ist nicht nur für die Betroffenen eine große Herausforderung, sondern auch für die betreuenden Personen - Angehörige Ärzte und Pflegende - denen diese Menschen zur Betreuung und Pflege anvertraut sind. Palliative Care Palliative Care leitet sich vom lateinischen Begriff palliare (ummanteln, einhüllen, verbergen und bergen) ab. Ein Pallium, also einen Mantel, umlegen, verbunden mit dem englischen Care, kann als »umhüllende Fürsorge« beschrieben werden. Gemeint ist eine Form von Pflege und Behandlung, die den ganzen Menschen in seiner Situation und Umgebung sieht. Palliative Care-Angebote nützen den Menschen letztlich aber nur, wenn sie auch die Institutionen erreichen, in denen nach die meisten Menschen sterben, nämlich Krankenhaus und Pflegeheim, und wenn die für die Pflege und Therapie zuständigen Personen das nötige Rüstzeug haben: Schulung und Weiterbildung. Ein Buch, wie das hier vorliegende, kann und will dazu einen Beitrag leisten. In seiner Konzeption ist es ein praktisches Kompendium, das zu den alltäglichen, wie auch zu besonderen Fragen Antworten gibt. Wer schwerkranke und sterbende Menschen pflegt und begleitet, wird vor stets neuen Problemen und Fragen stehen. Dieser kleine Ratgeber ersetzt kein Grundlagenwerk oder gar Lehrbuch für Palliative Care, aber er ist eine sinnvolle und zweckmäßige Ergänzung, und kann vor allem im Praxisfeld, also dort wo diese Menschen betreut werden, eine große Hilfe sein. Die Autorin dieses Buches hat in vielen Jahren Erfahrungen mit dem Konzept der Palliative Care und seiner Umsetzung bei schwerkranken und sterbenden Menschen sammeln können. Sie hat dieses Konzept theoretisch reflektiert, in Schulung und Beratung eingesetzt und immer wieder an den neuen Erkenntnissen aus Wissenschaft und Forschung überprüft, wie auch den sich verändernden Praxisanforderungen angepasst. Möge das Buch vor allem jenen Menschen ein Begleiter sein, die sich im Alltag mit dem unausweichlichen Widerspruch von Institutionalisierung und Menschlichkeit auseinandersetzen müssen. Menschen wollen menschenwürdig leben und den Kranken und Sterbenden ein menschenwürdiges Umfeld ermöglichen, gleichzeitig aber sind wir auch konfrontiert mit dem Trend einer Gesellschaft, die nach raschen Lösungen sucht. Palliative Care kann aber keine raschen Lösungen anbieten und ist vielleicht darum auch eine unbequeme Herausforderung an die Gesellschaft. Pflegende erfahren in ihrem Alltag, im Zusammenleben mit den hilfs-und pflegebedürftigen Menschen, dass es oft mehr Fragen gibt als Antworten. Vielleicht werden sie aber gerade in der Auseinandersetzung damit zu neuen und unerwarteten Antworten finden. Etwa so wie Martin Buber es einmal ausdrückt: »Ich habe mit ihnen zu tun bekommen, vielleicht habe ich etwas zu vollbringen; aber vielleicht habe ich nur etwas zu lernen ... Es kommt jetzt nur darauf an, dass ich das Antworten auf mich nehme.«1 Im letzten gilt, dass sich Palliative Care - will sie der Wortbedeutung entsprechen - an den Begleitenden orientiert, die Pflegebedürftige darin unterstützen, was diese als heilend, tragend und bergend erfahren. Ich wünsche mir, dass dieses Buch von Ingrid Hametner eine breite Leserschaft findet, dass es auf Menschen stößt, die Fragen stellen und nach Antworten suchen, Antworten, die oft rasch gebraucht werden und die gleichzeitig einen langen Atem erfordern. Zürich, im Januar 2011 Sr. Liliane Juchli |
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