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Wirtschaftsunterricht aus der Sicht von Lehrpersonen
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7.2 Übereinstimmungen und Unterschiede zur FachdidaktikStellt man die analysierten Vorstellungen der Lehrpersonen den im Rahmen des theoretischen Referenzrahmens entfalteten grundlegenden fachdidaktischen Elementen gegenüber (vgl. Kapitel 2.1), lässt sich eine Übereinstimmung im Hinblick auf die Bildungsziele ökonomischer Bildung feststellen. So bestehen in den fachdidaktischen Ansätzen und den Lehrervorstellungen ähnliche Vorstellungen zum Allgemeinbildungscharakter ökonomischer Bildung, zur Konzeptualisierung von Lernzielen in Kompetenzen, fachlichen Kompetenzbereichen und dem Beitrag zu fächerübergreifenden Schlüsselkompetenzen sowie relevanten Inhaltsfeldern und geeigneten Methoden und Lernformen. Auch bei den Vorstellungen zu den Rahmenbedingungen ökonomischer Bildung und fachspezifischen Problemen, wie dem hohen Anteil fachfremden Unterrichts und einer noch nicht gleichberechtigten Umsetzung ökonomischer und politischer Bildung, bestehen Übereinstimmungen. Dort, wo sich die Lehrervorstellungen vom fachdidaktischen Verständnis unterscheiden, ist dies vor allem darauf zurückzuführen, dass ein Großteil der Lehrpersonen eine wenig ökonomisch bzw. wirtschaftsdidaktisch geprägte Sichtweise einnahm bzw. zu einem geringeren Teil bei den Lehrpersonen Vorbehalte gegenüber Ökonomie und ökonomischer Bildung bestanden. Diese wirken sich auch inhaltlich aus und zeigen sich beispielsweise daran, welche geringe Rolle ökonomische Theorie als fachlicher Referenzpunkt in den Lehrervorstellungen spielt, und darin, dass Vorstellungen zu Methoden wenig mit fachlichen Fragestellungen verknüpft werden. Übereinstimmungen und Unterschiede werden im Folgenden anhand der einzelnen Inhaltsfelder dargestellt. An den Vorstellungen zum Schulfach wurde deutlich, dass mit Blick auf die fachdidaktischen Elemente ökonomischer Bildung Übereinstimmungen hinsichtlich der Bedeutung von Praxisorientierung und der Notwendigkeit der Nähe zur Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler bestehen, ebenso wie zur Relevanz des Arbeitens mit Modellen im Wirtschaftsunterricht sowie zu Methoden mit dem Ziel ein ökonomisches Grundverständnis zu vermitteln, welches auch von den Lehrpersonen geteilt wird. Ökonomiekritische Vorstellungen zum „Ruf“ des Wirtschaftsunterrichts, die von einem kleinen Teil der Lehrpersonen geäußert wurden, und die Betonung der Komplexität ökonomischer Zusammenhänge, die nicht nur für die Schülerinnen und Schüler, sondern auch für ihr eigenes Verstehen gelte, zeigten eine gewisse Entfremdung bzw. Distanz zum eigenen Fach bzw. der Fachwissenschaft. Bei den Vorstellungen zum Lernen im Wirtschaftsunterricht wurde deutlich, dass – zumindest in der Theorie – große Übereinstimmungen bei geeigneten Lernformen für ökonomisches Lernen zwischen den Vorstellungen der Lehrpersonen und fachdidaktischen Konzeptionen bestanden. Jedoch führten die Lehrpersonen hierfür kaum bildungstheoretische wirtschaftsdidaktische Begründungen an, sondern hauptsächlich lerntheoretische Argumente. Dies wurde beispielsweise an der Handlungsorientierung besonders deutlich, deren bildungstheoretisch-fachspezifische Bedeutung in den Interviews kaum eine Rolle spielte. Dies hängt eng mit der generellen Vernachlässigung der inhaltlichen Dimension didaktischer Entscheidungen zusammen. Die Auswahl von Methoden erfolgt nach Äußerung der Lehrpersonen vorrangig aus lerntheoretischen Motiven. Ein weiterer zentraler Unterschied ist, dass in den Vorstellungen der Lehrpersonen eine Tendenz erkennbar wird, „Lebensweltorientierung“ vorrangig der Sekundarstufe I und „Wissenschaftsorientierung“, wenn überhaupt, der Sekundarstufe II und dem Gymnasium zuzuordnen und das Situationsprinzip insgesamt für relevanter als das Wissenschaftsprinzip anzusehen. Dass beide Prinzipien sich gegenseitig bedingen, um ein umfassendes ökonomisches Verständnis zu ermöglichen, wurde in den Lehrervorstellungen nicht erkennbar. Unterschiede ergaben sich auch im Hinblick auf die fachdidaktischen Prinzipien. So erachteten die Lehrpersonen nicht fachdidaktische Auswahlkriterien, sondern beispielsweise das Agendasetting durch Medien, aber auch persönliche Präferenzen für einzelne Themen, als wesentliche didaktische Begründungen für ihren Wirtschaftsunterricht an. Fachdidaktische Ansätze und Prinzipien, die in der ökonomischen Bildung diskutiert werden, wurden von den Lehrpersonen hingegen in der offenen Erhebung kaum benannt. Lebenssituationen und ökonomische Rollen werden aber beispielsweise in den Vorstellungen zu Zielen des Wirtschaftsunterrichts angeführt. Zur Auswahl von Inhalten des Wirtschaftsunterrichts benannten die Lehrpersonen solche didaktischen Kriterien jedoch nicht. Demnach spielen fachdidaktische Prinzipien eher eine implizite Rolle, beispielsweise Ordnungsversuche oder Kategorien wurden jedoch nicht explizit als didaktische Entscheidungsgrundlage benannt. In der Konfrontation mit den fachdidaktischen Prinzipien wurde deutlich, dass ein Großteil der Lehrpersonen wenig zu diesen zu äußern hat. Im Gegensatz dazu wurden vorrangig allgemeindidaktische und pädagogische Begründungen herangezogen und nicht fachspezifisch bzw. fachdidaktisch argumentiert. Auch die Übertragung politikdidaktischer Prinzipien auf den Wirtschaftsunterricht zeigte, dass in der Fachdidaktik der ökonomischen Bildung für selbstverständlich gehaltene fachdidaktische Überzeugungen von den Lehrpersonen nicht geteilt werden. Bei den Vorstellungen zu Problemen und Herausforderungen des Wirtschaftunterrichtens wurde fehlendes fachdidaktisches Wissen von einigen Lehrpersonen als Problem benannt und reflektiert. Ein weiteres Problemfeld aus fachdidaktischer Sicht, welches in den geäußerten Vorstellungen deutlich wurde, ist die Tendenz zu unzulässigen Verallgemeinerungen bzw. die Mikro-Makro-Problematik. Aus dem Bestreben heraus, besonders lebensweltnah und erfahrungsorientiert vorzugehen, berichteten die Lehrpersonen häufig von Beispielen, die sie im Wirtschaftsunterricht behandeln. Da es sich bei diesen Beispielen vielfach um nicht exemplarische Beispiele handelte (z. B. der Wochenmarkt als Exempel für Märkte im Allgemeinen), ist dies aus fachdidaktischer Sicht als problematisch anzusehen. Im Hinblick auf die Bildungsziele des Wirtschaftsunterrichts ergab sich trotz dieser großen Unterschiede eine Übereinstimmung von Lehrervorstellungen und fachdidaktisch-konzeptionellen Überlegungen. Lehrpersonen und Fachdidaktikerinnen und Fachdidaktiker teilen das Allgemeinbildungsverständnis ökonomischer Bildung. Ökonomische Bildung gehört auch aus Sicht der Lehrpersonen zu einer zeitgemäßen Allgemeinbildung, weshalb sie auch die Aufnahme ökonomischer Bildung in das Gymnasialcurriculum als positiv bewerteten. Neben dem Erwerb von Fachwissen und Handlungskompetenz in ökonomisch geprägten Lebenssituationen sowie Urteilskompetenz soll der Wirtschaftsunterricht auch einen Beitrag zu fächerübergreifenden Kompetenzen leisten. Jedoch gibt es auch fachdidaktisch relevante Unterschiede. So waren den Wirtschaftslehrpersonen nicht alle zukünftigen wirtschaftlichen Lebenssituationen bzw. Rollen gleich wichtig und vor allem die Unternehmerrolle wurde kaum als relevante Lebenssituation erachtet. Möglicherweise lässt sich dies darauf zurückführen, dass dies im Gegensatz zu den anderen Lebenssituationen eine ist, die die Lehrpersonen in der Regel nicht selbst erfahren haben. Bei denjenigen Lehrpersonen, die beispielsweise Schülerfirmen betreuen, ist deshalb in Anbetracht der geschilderten Vorstellungen fraglich, inwiefern in diesen Unternehmergeist erprobt werden kann, wenn fächerübergreifende Kompetenzen wie die Zusammenarbeit in einem Team im Vordergrund stehen und wenig von fachlichem ökonomischen Lernen berichtet wurde. Innerhalb der Vorstellungen zur Urteilskompetenz wurde die ökonomiekritische Einstellung einiger Lehrpersonen deutlich, da eine generelle Wachsamkeit und kritische Grundhaltung vor allem in ökonomischen Kontexten als bildungsrelevant angesehen wurde. Eng damit zusammenhängend, dass die Wirtschaftslehrpersonen zu einem Großteil keine ökonomisch geprägte Sichtweise vertraten, spielte das Bildungsziel der Vermittlung einer ökonomischen Perspektive in den Lehrervorstellungen keine explizite Rolle, auch wenn die Lehrpersonen betonen, wie allgemeinbildungsrelevant ökonomische Bildung insgesamt sei. In diesem Zusammenhang müssen auch die Vorstellungen einiger Lehrpersonen berücksichtigt werden, die die ökonomische Sichtweise als durch eine politische bzw. politikdidaktisch zu kompensierende ansahen. An dieser und verschiedenen anderen Äußerungen deutete sich an, dass am Gymnasium, auch aufgrund der Ausbildung und der Vorstellungen der Lehrpersonen, noch nicht von einer gleichberechtigten Unterrichtung von Politik und Wirtschaft auszugehen ist. Die Vorstellungen der Lehrpersonen zu den relevanten Inhaltsfeldern des Wirtschaftsunterrichts zeigten den Einfluss des niedersächsischen Curriculums, jedoch wurden die Inhaltsfelder von den Lehrpersonen nicht alle als gleich wichtig angesehen. Außerdem ließ sich feststellen, dass nicht bei den Inhaltsfeldern, sondern bei der Vorstellung zur Ausgestaltung diese wesentlichen Unterscheide zwischen Lehrervorstellungen und fachdidaktischem Verständnis bestanden. Beispiele hierfür sind die hervorgehobene Bedeutung der staatlichen Perspektive, die Fokussierung auf die Schattenseiten der Globalisierung im Bereich des internationalen Handels, Unternehmenskunde oder das (Miss-)Verständnis des Homo-oeconomicus-Modells. Die von den Lehrpersonen geäußerten Vorstellungen zu Methoden des Wirtschaftsunterrichts ließen erkennen, dass Lehrpersonen die fachdidaktische Relevanz von Makromethoden teilen und auch mit Blick auf das Methodeninventar große Übereinstimmungen bestehen. Für die Lehrpersonen steht jedoch die Frage der Organisation von Methoden im Vordergund. Die fachliche Einbettung bzw. die Verknüpfung von Methode und fachlichem Inhalt wurde von den Lehrpersonen so gut wie nicht angesprochen. Ökonomische Kategorien und Ordnungsversuche spielen in den Vorstellungen der Lehrpersonen nur eine geringe Rolle, wohingegen die Orientierung an Lebenssituationen elementarer Bestandteil ihrer fachdidaktischen Vorstellungen war. Wissenschaftsorientierung hingegen wurde als weniger wichtig angesehen und die fachdidaktische Komplementarität beider Prinzipien somit nicht von den Lehrpersonen geteilt. In den Vorstellungen zum Einfluss und der Bedeutung der Wirtschaft für den Wirtschaftsunterricht wurde deutlich, dass die Lehrpersonen eine differenzierte Position zu Praxiskontakten haben, die große Übereinstimmung mit dem fachdidaktischen Konzept aufweist. Praxiskontakte wurden von den Lehrerinnen und Lehrern als bildungstheoretisch und lerntheoretisch relevant für den Wirtschaftsunterricht befunden. Gleichzeitig waren die Lehrpersonen für die Eigeninteressen der Praxispartner sensibilisiert und äußerten eine didaktisch-pädagogische Verantwortung gegenüber ihren Schutzbefohlenen. Aus fachdidaktsicher Sicht problematisch ist, dass auch in diesen Vorstellungen die inhaltliche Einbindung von Praxiskontakten bzw. die Verknüpfung mit fachlichen Fragestellungen keine nennenswerte Rolle spielte und dass die Berufsorientierung v. a. in den Äußerungen von Oberund Realschullehrerinnen und -lehrern gegenüber anderen fachlichen Inhaltsbereichen eine dominante Rolle einnimmt. Innerhalb der Vorstellungen zu den Rahmenbedingungen des Wirtschaftsunterrichts wurde deutlich, dass die Lehrpersonen am Gymnasium im Gegensatz zu fachdidaktischen Vorstellungen das Integrationfach „Politik-Wirtschaft“ gegenüber einem eigenständigen Fach „Wirtschaft“ bevorzugen, jedoch ebenfalls feststellen, dass eine gleichberechtigte Integration beider Disziplinen gegenwärtig nicht stattfinden würde und zulasten ökonomischer Bildung gehe. Gemeinsamkeiten werden u. a. in dem Wunsch deutlich, der Wirtschaftsunterricht müsse bereits früher beginnen und auch hierfür seien vermehrt Fachlehrpersonen erforderlich. An den vorherigen Ausführungen wird deutlich, dass Übereinstimmung in Bezug auf Bildungsziele, Inhaltsfelder und Methoden ökonomischer Bildung bestehen. Deutlich wird aber auch, dass wesentliche Elemente der Fachdidaktik der ökonomischen Bildung in der Praxis des Wirtschaftsunterrichts nicht rezipiert werden. Außerdem wurde eine Vernachlässigung der fachlich-inhaltlichen Dimension didaktischer Entscheidungen deutlich sowie eine Problematik in Bezug auf unzulässige Verallgemeinerungen durch die Lehrpersonen. Außerdem erscheint die kritische Distanz bzw. die Bevorzugung von Politik durch verschiedene Gymnasiallehrpersonen keine günstige Voraussetzung für eine gleichberechtigte Integration im Rahmen des Faches „Politik-Wirtschaft“. Nicht nur aus Sicht einzelner Lehrpersonen, sondern auch aus fachdidaktischer Sicht ist ein Bedarf an fachwissenschaftlicher und fachdidaktischer Weiterbildung zu konstatieren. Es wird aber auch deutlich, dass die Fachdidaktik ökonomischer Bildung die Frage des Transfers fachwissenschaftlicher und fachdidaktischer Erkenntnisse in die Schulpraxis in den Vordergund rücken sollte. Denn nur wenn fachdidaktische Konzeptionen, Theorien und Modelle auch in der Praxis ankommen, dort rezipiert und weiterentwickelt werden, können sie ökonomisches Lehren und Lernen unterstützen. Eine fachspezifische Besonderheit des Wirtschaftsunterrichts ist der große Anteil fachfremd unterrichtender Lehrpersonen. Diese Fachfremdheit führt dazu, dass Wirtschaft auch von Lehrpersonen unterrichtet wird, die eine teilweise auf fachlichen Missverständnissen beruhende Sicht auf Ökonomie und ökonomische Bildung haben. Diese Lehrpersonen nicht aus dem Blickfeld zu verlieren, kann als eine zentrale fachdidaktische Herausforderung, beispielsweise in Bezug auf Fortund Weiterbildungsangebote, angesehen werden. |
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