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Wirtschaftsunterricht aus der Sicht von Lehrpersonen
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6.6.2 Gestaltung von PraxiskontaktenNeben Vorstellungen, die den Einfluss der Wirtschaft auf den Wirtschaftsunterricht positiv und/oder negativ bewerteten, äußerten die Lehrpersonen Vorstellungen zur Umsetzung und Gestaltung der Kooperation, die als herausfordernd beschrieben wurden [1]. Wie auch im folgenden Auszug aus einem Interview mit einer Oberschullehrperson deutlich wird, sahen auch verschiedene andere Lehrpersonen Praxiskontakte als zentral und wichtig für den Wirtschaftsunterricht an. Jedoch wurde die Umsetzung von Praxiskontakten im Rahmen der Rahmenbedingungen des Wirtschaftsunterrichts und verschiedener mit der Methode der Praxiskontakte aus Sicht der Lehrpersonen verbundener Probleme (z. B. Einseitigkeit in der Darstellung ökonomischer Zusammenhänge [2], Gefahr, die von Werbung ausgeht [3]) als Herausforderung beschrieben. Im folgenden Beispiel aus einem Interview mit einer Oberschullehrperson wird deutlich, dass die Lehrpersonen trotz verschiedener Bedenken und der anhaltenden öffentlichen Debatte, die Einfluss auf ihre Vorstellungen nehmen, Praxiskontakte für den Wirtschaftsunterricht für wichtig halten. Die Lehrperson äußerte den Vergleich, dass, so wie es undenkbar sei, jemandem das Schwimmen beizubringen, ohne das Schwimmbad zu besuchen, es ebenfalls unmöglich sei, Wirtschaft zu unterrichten, ohne Kontakt zur wirtschaftlichen Praxis außerhalb der Schule herzustellen: Ja, da ist ja so ein bisschen Konflikt. Also, die Schüler müssen raus. Auch um einen Praktikumsbetrieb nachher zu wählen, müssen die mehr raus und da ist einfach der Konflikt unseres Unterrichts. Das hat man ja in fast keinem anderen Fach so. Man kann auch nicht Schwimmen beibringen, ohne dass die ins Schwimmbad gehen. Das ist das. Aber man muss halt versuchen regelmäßig rauszugehen. Unter diesen ganzen Bedingungen. (Interview I, OBS) Im Vordergrund der unterrichtlichen Umsetzung und Einbettung von Praxiskontakten stand für die Lehrpersonen die kritische Reflexion des Praxiskontakts im Wirtschaftsunterricht [4]. Exemplarisch wird dies im folgenden Auszug aus einem Interview mit einer Lehrerin deutlich, die das Fach „Wirtschaftslehre“ an einem Gymnasium unterrichtet: Also, ich finde es eigentlich gut, wenn man so eine Art Kooperation hat mit bestimmten Unternehmen, mit bestimmten Leuten, die sich bereiterklären, auch in den Unterricht zu kommen als Experten, weil wenn die Schüler eine andere Sicht noch einmal kriegen, von jemandem, der in der Praxis arbeitet, dann haben sie einfach noch einmal einen ganz anderen Blick und eine ganz andere Auffassung davon. Das finde ich, also, ich finde es wichtig, dass da eine Kooperation besteht. Ich bin sicherlich auch kritisch bestimmten Leuten gegenüber. Man muss natürlich immer so ein bisschen gucken, ist das jetzt auch so ein bisschen Schleichwerbung, was die hier machen, aber das wird man natürlich immer haben, ne. Weil die dann natürlich auch sehen, ok, was für einen Vorteil bringt uns das jetzt, da hinzugehen, und vielleicht gehen die Schüler dann vielleicht auch bald zur Name Unternehmen, oder so. Ich mein, Montag kommen die natürlich wieder und stellen das „Planspiel Börse“ vor. Ist klar, dass die dann auch noch, dass die dann irgendwie eine PowerPoint-Präsentation, wo das dann die ganze Zeit auch draufsteht und. Ich denke, wenn man das mit den Schülern thematisiert, also, das habe ich auch schon gemacht, eben Werbung in der Schule, zu thematisieren und zu sagen, ok, das haben wir hier jetzt, das ist klar und lasst euch mal da jetzt nicht so von beeindrucken, sondern reflektiert das mal ein bisschen, dann, denke ich, ist es ok. Weil man einfach auch viel daraus ziehen kann, aus diesen Praxiskontakten. (Interview IX, GYM) In der Äußerung wird deutlich, dass die Lehrperson einerseits den Kontakt zu Praxispartnern und die Möglichkeit, Expertinnen und Experten aus der Wirtschaft im Wirtschaftsunterricht zu haben, als auch die Methode der Betriebsbesichtigung für didaktisch sinnvoll erachtete, da diese „eine andere Sicht“ auf ökonomische Sachverhalte ermöglichen würden. Andererseits betonte sie, dass sie kritisch gegenüber bestimmten Praxispartnern sei und ihnen ein Eigeninteresse an dem Kontakt mit Schülerinnen und Schülern unterstellt. Dieses werde während der Praxiskontakte durch Werbung sichtbar. Die Lehrerin vertrat die Sichtweise, dass es diese Interessen mit den Schülerinnen und Schülern zu thematisieren und reflektieren gilt. In dieser Reflexion der Praxiskontakte und ihrer spezifischen Perspektive sah sie eine Grundvoraussetzung, unter der sie – wenn gegeben – Praxiskontakte als Bereicherung des Wirtschaftsunterrichts ansieht. Die Notwendigkeit, Praxiskontakte mit den Schülerinnen und Schülern im Wirtschaftsunterricht kritisch zu reflektieren, benannten auch andere Lehrpersonen [5]. Die Vorstellung, dass vor allem die fachliche Vorund Nachbereitung von Praxiskontakten im Wirtschaftsunterricht von zentraler Bedeutung ist und diese überdies unter einer spezifischen Fragestellung durchzuführen, dies aber im Unterrichtsalltag vielfach zu kurz komme, artikulierten verschiedene Lehrpersonen [6]. Auf der operativen Ebene äußerten die Lehrpersonen, dass sie die Vorbereitung von Praxiskontakten als aufwendig und auch von Misserfolgen geprägt empfinden [7] und sich bei der Auswahl und Durchführung von Angeboten Unterstützung wünschen würden [8]. Diese Vorstellung wurde häufig bei der Frage nach Wünschen zur Verbesserung des Wirtschaftsunterrichts wiederholt. Insbesondere in ländlichen Regionen äußerten die Lehrpersonen zudem, dass sie die Rahmenbedingungen für Praxiskontakte als problematisch empfinden. Beispielsweise gäbe es für den Wirtschaftsunterricht kein Budget, aus dem Praxiskontakte, z. B. die Fahrtkosten für Betriebsbesichtigungen, finanziert werden könnten [9]. Verschiedene Lehrpersonen artikulierten darüber hinaus den Wunsch, die Kooperation mit Praxispartnern wäre flexibler zu gestalten [10]. Wie in dem folgenden Beispiel aus einem Interview mit einer Oberschullehrerin deutlich wird, wurden die Rahmenbedingungen der Schule für die Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern im Wirtschaftsunterricht als hierfür nicht günstig empfunden: Man bräuchte mehr Flexibilität, um mehr mit Wirtschaftspartnern zusammenarbeiten zu können. (…) Ich würde es sehr gerne machen, ja. Allerdings ist, glaube ich, das Problem, dass es kein wirkliches Forum dafür gibt. Also, man hätte als Wirtschaftslehre wirklich die Aufgabe, dann die Unternehmen anzuschreiben, anzutelefonieren, dann vorzustellen. Ich denke jetzt auch gerade wieder an Schülerfirma, wo es ja eigentlich schön wäre, wenn man dort Wirtschaftspartner drin hätte, aber man hat natürlich auch die rechtlichen Hürden immer wieder zu überwinden und, ja, es ist einfach noch immer ein unglaublich starres System hier in der Schule, dass man sagen kann, man schafft diese Freiräume dafür. (Interview XIV, OBS) An den geäußerten Vorstellungen der Oberschulund Realschullehrpersonen wurde deutlich, dass sie den Einfluss und die Bedeutung der Wirtschaftspraxis vor allem im Hinblick auf die Berufsorientierung ihrer Schülerinnen und Schüler als wichtig erachteten. Die Wirtschaftspartner wurden hier explizit in der Funktion als zukünftige Arbeitgeberinnen und -geber der Schülerinnen und Schüler gesehen und Praxiskontakte als Möglichkeit, Kontakt zwischen diesen und den Lernenden als potenzielle Auszubildende anzubahnen. In den Interviews mit Oberund Realschullehrpersonen wurde erkennbar, dass die Berufsorientierung als eine wesentliche Begründung für die Zusammenarbeit von Wirtschaft und Schule erachtet wurde, für die der Wirtschaftsunterricht und die Wirtschaftslehre-Lehrperson eine exponierte Stellung einnimmt. In den Äußerungen deutete sich an, dass dies zulasten anderer fachlicher Inhalte gehen könnte (vgl. Kapitel 2.1.8). Lehrpersonen, die berufliche Erfahrung in der freien Wirtschaft haben, betonten diese explizit als besondere Ressource für die Gestaltung ihres Wirtschaftsunterrichts. Dieser Erfahrungshorizont wirkt sich vor allem prägend auf die Vorstellungen jener Oberschullehrpersonen aus, die teilweise eine langjährige berufliche Erfahrung außerhalb der Schule aufweisen. Mit dieser außerschulischen ökonomischen Erfahrung begründeten sie im Rahmen des Interviews beispielsweise die Auswahl von Lerninhalten oder andere didaktische Entscheidungen im Rahmen ihres Wirtschaftsunterrichts. Das folgende Beispiel aus einem Interview mit einem Oberschullehrer, der über Jahre in der freien Wirtschaft tätig war, zeigt dies: Also, das was mich angeht, bin ich einer, der im Wirtschaftsunterricht genau da versucht anzusetzen. Insofern bin ich auch ganz selbstbewusst und ganz froh, dass ich eben nicht nur die schulische Seite kenne, was Wirtschaft angeht und nicht nur das Buch und irgendwas, sondern eben die dreizehn Jahre praktische Erfahrung mitbringen kann. Ich manchmal auch selbst intern auch Kollegen habe, wo ich sage, hallo, das was jetzt hier im Buch steht, ist eins. Die Praxis sieht dann doch ein bisschen anders aus (…). (Interview IV, OBS) Deutlich wird in diesem Interview außerdem, dass sich diese außerschulische Erfahrung auch auf die Unterrichtsorganisation bzw. die Vorstellungen von der Lehrerund Schülerrolle der Lehrperson auswirkt: Und im Profil ist es eben so, dass wir versuchen möglichst viele Projektformen zu machen. Und da, ja, ist mein Ziel immer wieder, dass ich sage, Leute, ich bin manchmal euer Chef, ihr seid in einem Unternehmen und ihr seid in einer Abteilung in meinem Unternehmen, da gibt es Aufträge und Projekte und ihr müsst die bearbeiten und ich mach das so, wie es im wirklichen Leben auch ist. (Interview IV, OBS) Auch andere Lehrpersonen mit außerschulischer Berufserfahrung artikulierten die Vorstellung, ihr Wirtschaftsunterricht würde sich an der ökonomischen Praxis außerhalb der Schule orientieren, und sahen ihre eigene Berufserfahrung in Unternehmen als wertvolle Ressource für ihre Unterrichtsplanung und -gestaltung an. In den geäußerten Vorstellungen wird deutlich, dass die Vermittlung ökonomischer Zusammenhänge durch die Erfahrungen der Lehrperson „mit Leben gefüllt“ werden solle und dass der Anspruch an den eigenen Unterricht besteht, ökonomische Sachverhalte und Kompetenzen zu vermitteln, die im Wirtschaftsleben außerhalb der Schule nach Ansicht der Lehrperson von Bedeutung sind. Die Vorstellungen der Wirtschaftslehrpersonen zum Einfluss und der Bedeutung der wirtschaftlichen Praxis für den Wirtschaftsunterricht zeigen, dass Lehrpersonen zu Praxiskontakten differenzierte Vorstellungen äußern bzw. Vorstellungen, die unterschiedliche Argumente für und gegen einen Einfluss der Wirtschaft auf den Wirtschaftsunterricht vereinen. Aus Sicht der Lehrpersonen ermöglichen es Praxiskontakte den Schülerinnen und Schülern, im Wirtschaftsunterricht vor allem die Perspektive der Praxis kennenzulernen, und Praxiskontakte seien darüber hinaus auch im Hinblick auf das Lernen und die Motivation der Schülerinnen und Schüler relevant. Für Lehrpersonen an Oberund Realschulen ist die Bedeutung der Wirtschaft für die Berufsorientierung besonders hervorzuheben, wobei der Eindruck entsteht, dass dadurch der fachlich-ökonomische Fokus im Rahmen der Praxiskontakte in den Hintergrund tritt. Gleichzeitig standen die Wirtschaftslehrpersonen Praxiskontakten nicht unkritisch gegenüber. Diese These könnte durch Unterrichtsbeobachtungen in einem anschließenden Forschungsprojekt überprüft werden. Praxiskontakte müssen aus Sicht der Lehrpersonen mit den Lernenden reflektiert werden, da sie aufgrund des Eigeninteresses der Praxispartner der Gefahr unterliegen würden, eine einseitige Perspektive zu vermitteln oder zu Werbezwecken missbraucht zu werden. Bei Lehrpersonen, die lange Zeit in außerschulischen Berufen in der freien Wirtschaft gearbeitet haben, wirkte sich dieser Erfahrungshorizont prägend auf die Vorstellungen zum Einfluss und der Bedeutung der Wirtschaft auf den Wirtschaftsunterricht aus.
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