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Wirtschaftsunterricht aus der Sicht von Lehrpersonen
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6.6 Vorstellungen zur Wirtschaft im WirtschaftsunterrichtDie Vorstellungen zum Einfluss und der Bedeutung der Wirtschaft für den Wirtschaftsunterricht ließen sich den induktiven Hauptkategorien (1) grundsätzliche Befürwortung und Kritik an der Umsetzung (2) Gestaltung von Praxiskontakten zuordnen. Diese werden im Folgenden nacheinander dargestellt. 6.6.1 Grundsätzliche Befürwortung und Kritik an der UmsetzungDie Vorstellungen der Lehrpersonen zu Einfluss und Bedeutung der Wirtschaft für den Wirtschaftsunterricht ließen sich danach unterscheiden, ob und mit welcher Begründung die Rolle der Wirtschaft als wesentlich erachtet und Praxiskontakte befürwortet wurden [1] oder der Einfluss der Wirtschaftspraxis und die Zusammenarbeit im Wirtschaftsunterricht aus welchen Gründen kritisiert oder die Umsetzung als problematisch angesehen wurde [2]. Hierzu ist anzumerken, dass die meisten Lehrpersonen Vorstellungen aus beiden Begründungslinien vereinen. So bewerteten die meisten Lehrpersonen Praxiskontakte prinzipiell als eine Chance für den Unterricht und befanden gleichzeitig Aspekte der Umsetzung aus verschiedenen Gründen für problematisch. Die Vorstellungen sind deshalb als mehrdimensional anzusehen. Weitere Vorstellungen der Lehrpersonen bezogen sich auf das Interesse von Unternehmen an Praxiskontakten [3], die Rolle und Bedeutung der Wirtschaft für die Wirtschaftslehrpersonen [4] und im Rahmen der Berufsorientierung [5]. Innerhalb des Samples der befragten Lehrpersonen dominierten Vorstellungen, die die Zusammenarbeit zwischen Schule und Wirtschaft mit Fokus auf den Wirtschaftsunterricht positiv bewerten. Häufig wurde die Vorstellung geäußert, die Wirtschaftspraxis sei „Anschauungsobjekt“ für den Wirtschaftsunterricht [6] und ermögliche einen anderen Zugang für die Schülerinnen und Schüler als der reguläre Unterricht und die Vermittlung ökonomischer Inhalte durch die Lehrperson und das Schulbuch [7]. Die Lehrpersonen äußerten vielfach die Ansicht, Praxiskontakte würden den Lernenden einen Einblick in die wirtschaftliche Praxis gewähren [8] und die Sichtweise verschiedener wirtschaftlicher Akteure vermitteln [9]. Dadurch würden diese für die Schülerinnen und Schüler„greifbar“ und ein Einblick in die ökonomische Welt „draußen“ermöglicht. In diesem Kontext wurden vor allem von Oberund Realschulehrpersonen lerntheoretische Begründungen dafür angeführt, dass Praxiskontakte eine Bereicherung des Wirtschaftsunterrichts darstellen und den Schülerinnen und Schülern das Erlernen von ökonomischen Zusammenhängen durch diese erleichtert würde [10]. Die Lehrpersonen äußerten außerdem, dass Praxiskontakte als besondere Lerngelegenheit Lernende und Lehrende gleichermaßen motivieren würden [11]. Die folgende Äußerung einer Wirtschaftslehrerin an einer Realschule verdeutlicht dies, als sie auf die Frage nach einer „Sternstunde“ ihres Wirtschaftsunterrichts von Praxiskontakten in ihrem Profil Wirtschaft berichtete: Im Wirtschaftsunterricht gibt es viele gute Stunden. Immer dann, ja, ich bemühe mich um einen großen Praxisbezug und die Schüler haben, sind da einfach sehr interessiert. Also, ich muss sagen, ich habe Profilunterricht in Klasse zehn und das sind meine Lieblingsstunden, da sitzen Schüler, die haben das Fach gewählt, also, das Profil gewählt und die sind interessiert. Und es, ja, Sternstunden immer dann, wenn wir eine Expertenbefragung vorbereiten, wenn es heißt, in zwei Wochen gehen wir in einen Betrieb oder wir treffen einen Experten, dann sind alle Feuer und Flamme. Einen Fragebogen vorbereiten auf dem Laptop mit einem Word-Programm oder eine Erkundung. Alle sind dann gespannt, wie sieht das in dem Unternehmen aus. Wir bilden kleine Gruppen mit verschiedenen Schwerpunkten und das sind, das sind schöne Stunden. So die Vorbereitung auf einen (…) auf eine Expertenbefragung oder eine Erkundung, so wenn es heißt, wir gehen raus und gucken, wie es in der Wirklichkeit aussieht. (Interview XIII, RS) Darüber hinaus äußerten verschiedene Lehrpersonen die Ansicht, Schule und Wirtschaft sollten kooperieren und auch die Wirtschaft habe eine Art Bildungsauftrag [12]und könne darüber hinaus auch als Sponsor in der Schule fungieren [13]. Dies benannten andere hingegen als problematisch. Verschiedene Lehrpersonen hoben in ihren Äußerungen hervor, dass Praxispartner selbst ein Eigeninteresse an Praxiskontakten haben würden. Dies begründet sich aus Sicht der Lehrpersonen auf den steigenden Fachkräftemangel, weshalb die Unternehmen ein Interesse daran haben würden, Kontakt zu den Schulen zu suchen [3]. Bei solchen Kooperationen zwischen Schule und Wirtschaft bzw. Praxiskontakten im Wirtschaftsunterricht wurden dauerhafte und konzeptionell eingebettete Kooperationen von den Lehrpersonen bevorzugt bzw. gewünscht, auch um den zrganisationsaufwand zu minimieren [15].Diesen Vorstellungen, in denen die Zusammenarbeit von Schule und Wirtschaft grundsätzlich positiv und Praxiskontakte als Lerngelegenheit und als Bereicherung des Wirtschaftsunterrichts bewertet wurden, müssen kritische Vorstellungen zur Rolle und Bedeutung der Wirtschaft im Wirtschaftssunterricht gegenübergestellt werden. Bei der Analyse des Interviewmaterials wurde festgestellt, dass die Lehrpersonen zumeist gleichzeitig positive und negative Vorstellungen zur Kooperation von Schule und Wirtschaft im Wirtschaftsunterricht äußerten und diese somit differenziert bewerten. Vorstellungen wie, dass Werbung generell nicht in die Schule gehöre und Kooperationen nicht zu Werbezwecken missbraucht werden dürfen, wurden von verschiedenen Lehrpersonen artikuliert. Außerdem äußerten mehrere Lehrpersonen die Vorstellung, es gebe ungeeignete Partner für die Kooperation bzw. den Wirtschaftsunterricht und sie beschreiben solche Angebote als einseitig. Verschiedene Lehrpersonen artikulierten auch die Vorstellung, die Schule müsse als staatliche Instanz generell vorsichtig [16] und die Lehrpersonen kritisch mit den zum Teil inflationären Angeboten zur Kooperation vonseiten der Wirtschaft umgehen [17]. Diese Vorbehalte wurden von den Lehrpersonen zumeist nicht direkt geäußert, sondern beispielsweise von kritischen Äußerungen oder Nachfragen von Kolleginnen oder Kollegen berichtet. Es ließ sich demnach eine gewisse Distanzierung in den Äußerungen bzw. in der Art der Äußerung feststellen. Die folgenden Interviewauszüge, die alle aus Interviews mit Gymnasiallehrpersonen stammen, zeigen aber auch, dass die Lehrpersonen, die diese kritischen Vorstellungen äußerten, sich teilweise davon distanzierten bzw. unmittelbar auch Vorteile der Kooperation benannten: Das, ja, und das ist schon wichtig, aber man muss immer als Lehrer, als Schule, als Lehrer immer ein bisschen das so in einen größeren Zusammenoder relativieren, kritisch hinterfragen, aber wir sind froh, dass wir so viele Partner haben, die auch immer wieder in die Schule kommen. (Interview V, GYM) Wo hingegen Wirtschaft doch von vielen als feindliche Übernahme von außen, sozusagen, gesehen wird und man immer vorsichtig sein muss, zum Beispiel mit der Verlinkung mit Unternehmen auf der Website usw., was ja auch nicht ganz unbedenklich ist: a) aus Wettbewerbsgründen gegenüber diesen Unternehmen und b) wir ja nun doch eine staatliche Einrichtung sind und, ja. (Interview VII, GYM) Die sagen aber, Wirtschaft und Schule, das sind zwei verschiedene Dinge. Und das ist so etwas amoralisch, die Wirtschaft da mit reinzuholen. Ich weiß nicht, welche Erfahrungen das sind. Das ist eine gewisse ideologische Voreingenommenheit, die man da hat. Aber auf der anderen Seite ist die Angst davor, vor dieser Überwältigung der Wirtschaft, dass die einem dann den Unterricht diktiert. Wobei ich das nicht unbedingt so sehe, weil letztlich bin ich immer noch derjenige, der den Unterricht macht. Aber nichtsdestoweniger ist natürlich die Angst da. (Interview XI, GYM) Die Lehrperson in Interview V artikulierte, dass die Wirtschaftslehrperson den Praxiskontakt als Einzelfall in einen größeren Zusammenhang einbetten bzw. diesen herstellen solle und dadurch die Praxisperspektive relativieren bzw. die Perspektive des Praxispartners kritisch hinterfragen müsse. Gleichzeitig äußerte sie sich erfreut darüber, dass so viele Partner für eine Kooperation zur Verfügung stehen würden, da sie diese auch als Bereicherung des Wirtschaftsunterrichts beschrieb. Die zweite Lehrperson berichtete, dass Praxiskontakte auch als „feindliche Übergriffe“ auf die Schule gesehen würden und dass deshalb ein sensibler Umgang mit Unternehmenskontakten gefragt sei. Auch wenn sie sich im Rahmen des Interviews positiv zu Praxiskontakten äußerte und auch davon erzählte, selbst welche in ihrem PolitikWirtschaftsund Wirtschaftslehre-Unterricht durchzuführen, ist auch ihre Sichtweise von einer kritischen Grundhaltung geprägt. Deutlich wurde in Äußerungen wie diesen, dass die Lehrpersonen sich mit kritischen Vorbehalten im Kollegium und anderswo konfrontiert sehen, wenn es um Praxiskontakte geht und dies auch Einfluss auf ihre Vorstellungen nimmt. Vor allem in Interview XI und auch in dem folgenden Beispiel wird deutlich, dass die Lehrpersonen sich selbst in Bezug auf Praxiskontakt als didaktisch-pädagogisches Korrektiv dafür sehen, die von ihnen als negativ empfundenen Einflüsse oder Folgen von Praxiskontakten einzudämmen bzw. auszugleichen. Nach der Vorstellung verschiedener Lehrpersonen liegt es in ihrer didaktischen Verantwortung, bei der Umsetzung von Praxiskontakten Kontroversität im Sinne einer Berücksichtigung verschiedener Perspektiven zu gewährleisten [18]. Im folgenden Interviewauszug wird deutlich, dass die Lehrperson ökonomische Praxiskontakte als Bereicherung ihres Unterrichts ansah, da Unternehmerinnen und Unternehmer anders als die Lehrperson direkt aus eigener Erfahrung berichten können und die Schülerinnen und Schüler dies als motivierend empfinden würden. Gleichzeitig betonte die Lehrperson, dass Praxispartner von Eigeninteresse geleitet seien und kritische Nachfragen vonseiten der Lernenden notwendig, und, falls diese nicht erfolgen würden, von der Lehrperson zu leisten seien: Also, da muss man schon sagen, dass natürlich die wirtschaftlichen Kooperationspartner, die wir haben natürlich, wie gesagt von Interessen geleitet sind und die auch versuchen in die Schulen zu tragen. Es muss aber immer so sein und sonst wären wir ja überflüssig, dass noch ein Korrektiv da ist, das noch mehrere Sichtweisen oder Probleme aus einer anderen Perspektive darstellt. Also, wenn wir Unternehmer einladen, Unternehmer in Schulen, da sind wir ja auch in diesem Projekt mit dabei und die Schüler stellen auch kritische Fragen und hören auch begeistert zu und freuen sich, dass da jemand kommt und Dinge auch mit Erfahrung berichten kann, die ich so nie an die Schüler weitergeben könnte. (…) Trotzdem kann ich nicht darauf bauen, dass die Schüler kritische Fragen kommen. Wenn die Schüler sie nicht stellen, muss ich sie an die Schüler stellen. (Interview XV, GYM) Eine Reihe von Lehrpersonen skizzierte im Rahmen ihrer Vorstellungen zum Einfluss und der Bedeutung der wirtschaftlichen Praxis für den Wirtschaftsunterricht die Kooperation von Schule und Wirtschaft bzw. Praxiskontakte als eine Art Spannungsfeld [19] Einerseits sei diese Kooperation aus ihrer Sicht für den Wirtschaftsunterricht notwendig und als sinnvoll zu erachten. Andererseits erfordere sie aber auch einen kritischen und reflektierten Umgang vonseiten der Lehrperson: „Da muss man einfach als Lehrkraft sehr sensibel reagieren, weil beides einfach seine Berechtigung hat.“ (Interview X, GYM) Es lässt sich zusammenfassen, dass die Vorstellungen der Lehrpersonen zu Praxiskontakten eine differenzierte Sichtweise der Lehrpersonen zeigen. Praxiskontakte wurden aus fachdidaktischer Sicht als notwendig und bereichernd angesehen. Gleichzeitig äußerten die Lehrpersonen, dass sie für eine mögliche Einflussnahme vonseiten der Praxispartner sensibilisiert sind und sahen sich in der Verantwortung, hier gegebenenfalls korrigierend einzugreifen und eine solche Einflussnahme mit den Lernenden zu reflektieren. Deutlich wurde jedoch auch, dass die inhatliche Dimension bzw. die Verknüpfung von Methode und ökonomischem Lehr-Lern-Inhalt von den Lehrpersonen kaum geäußert wurde.
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