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Wirtschaftsunterricht aus der Sicht von Lehrpersonen
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6.3.1 Fachliche Ziele des WirtschaftsunterrichtsDer Großteil der von den Lehrpersonen in den Interviews geäußerten Vorstellungen zu den Zielen des Wirtschaftsunterrichts ist als domänenspezifische Vorstellungen zu beschreiben, die von fächerübergreifenden Zielen flankiert werden. Die domänenspezifischen Vorstellungen zu fachlichen Zielen ließen sich in drei untergeordnete Kategorien bzw. Kompetenzbereiche einordnen: • ökonomisches Fachwissen, • ökonomische Handlungskompetenz und • ökonomische Urteilskompetenz. Die folgende MAXmap (vgl. Abb. 23) zeigt die Ausdifferenzierung der fachlichen Ziele innerhalb der Lehrervorstellungen zu Zielen des Wirtschaftsunterrichts, die im Folgenden nach den drei untergeordneten Kategorien dargestellt werden. Wie die MAXmap verdeutlicht, wurden die fachlichen Ziele nach Äußerungen der Lehrpersonen als unterschiedlich bedeutsam eingeordnet. Ökonomisches Fachwissen und ökonomische Handlungskompetenz dominieren in den Interviews. Ökonomische Urteilskompetenz wurde hingegen nur von einzelnen Lehrpersonen als wichtig beschrieben. Abbildung 23 MAXmap zu fachlichen Zielen des Wirtschaftsunterrichts Ökonomisches FachwissenInnerhalb der Vorstellungen zu fachlichen Zielen wurde der überwiegende Teil der Vorstellungen dem Bereich ökonomisches Fachwissen zugeordnet. In dieser Kategorie dominiert die Vorstellung, das Ziel ökonomischer Bildung sei die Vermittlung einer ökonomischen Allgemeinbildung, eines Grundverständnisses wirtschaftlicher Zusammenhänge, welches auch als grundlegende Orientierung im Bereich Wirtschaft beschrieben wurde [1]. Diese Vorstellung wurde von einem Großteil der interviewten Lehrpersonen unabhängig von der Schulform oder anderen Modalkategorien geteilt und kann als shared belief bezeichnet werden. Ein Großteil der Lehrpersonen äußerte die Vorstellung, dass ökonomisches Wissen vor allem auch im Kontrast mit anderen Bildungsinhalten im hohen Maße allgemeinbildungsrelevant sei, wie auch das folgende Beispiel aus einem Interview mit einer Gymnasiallehrerin zeigt. Sie bezeichnete gesellschaftswissenschaftliche Bildungsgehalte – in Abgrenzung zum Physikunterricht – als in hohem Maße allgemeinbildungsrelevant und führte hierzu verschiedene Beispiele an: Also, das glaube ich tatsächlich, dass der PoWi-Unterricht einen extrem hohen Beitrag leistet zum Leben oder Allgemeinbildung könnte man es vielleicht nennen. Dass man einfach mit diesen Unterrichtsgegenständen tagtäglich konfrontiert ist. Anders als beispielsweise, ohne jetzt die Fächer abwerten zu wollen, die haben auch alle ihre Berechtigung, aber mit physikalischen Problemen werde ich jetzt in meinem Alltag weniger konfrontiert als jetzt mit ökonomischen oder ökologischen Fragen, die kommen ja auch noch dazu, sodass ich schon denke, dass Schüler da zumindest Grundlagen dafür lernen, dass sie damit in ihrem was mit anzufangen wissen und damit auch ihr Leben gestalten. Wenn wir davon ausgehen, dass hoffentlich alle zur Wahl gehen, sollten sie wissen, wen sie wählen und das hat natürlich Einfluss auf ihr Leben in bestimmten Bereichen. Ja, also Studiengebühren ist so ein klassisches Thema, was man mit Schülern erörtert. Warum gehe ich eigentlich zur Wahl, betrifft das politische Interesse mein eigenes Leben? In dem Fall meinen eigenen Geldbeutel. Als Student oder die eigenen Studienbedingungen. Da sagt jeder Schüler, ja, natürlich, je nachdem, welche Partei ich jetzt wähle, hat das Einfluss auf mein Leben. Und so ist es ja in vielen Bereichen ein Leben lang. Von Elterngeld bis Steuerpolitik, Freihandelsabkommen, wenn wir jetzt in der Ökonomie sind, in allen Bereichen eigentlich. Ich zumindest, auch wenn ich jetzt nicht PoWi-Lehrerin wäre, komme mit Sicherheit nahezu täglich mit Gegenständen oder Themenbereichen dieses Faches in Berührung, sei es durch die Tageszeitung, politische Entscheidungen, Gesetze, meine Steuererklärung, wie auch immer. Während ich jetzt mit Informatikund Physikthemen selten in Berührung komme. Deswegen finde ich, dass der PoWi-Unterricht einen besonderen Beitrag dazu leistet. Auf jeden Fall. (Interview XV, GYM) Deutlich wird in diesem Interviewauszug, dass Lebensweltorientierung für das Selbstverständnis von Wirtschaftsund Politik-WirtschaftsLehrpersonen fundamental ist (vgl. Kapitel 6.1) und dass sich in Bezug auf die Allgemeinbildungsrelevanz ökonomischer Bildung große Übereinstimmung der Vorstellungen der Lehrpersonen mit fachdidaktischen Konzeptionen ergeben (vgl. 2.1.1). In diesem Kontext äußerten Lehrpersonen die eng damit zusammenhängende Vorstellung, das im ökonomischen Unterricht vermittelte Wissen solle mit Blick auf spätere Lebenssituationen anwendbar sein [2] und die Schülerinnen und Schüler sollten in die Lage versetzt werden, ökonomische Zusammenhänge zu verstehen [3] . Bezüglich der Schulform bestehen bei diesen Vorstellungen keine Unterschiede. Einige Lehrpersonen artikulierten mit Blick auf die Reichweite oder den Vertiefungsgrad des ökonomischen Wissens die Vorstellung, der Wirtschaftsunterricht solle mehr als wirtschaftliche Grundbildung vermitteln und die Schülerinnen und Schüler sollen in die Lage versetzt werden, „dahinterzublicken“ und ökonomische Sachverhalte vertiefend analysieren können [4]. Diese Vorstellung wurde vor allem von Gymnasiallehrpersonen geäußert. Das folgende Beispiel verdeutlicht dies exemplarisch anhand einer Äußerung eines Lehrers am Gymnasium, der sowohl das Fach „Politik-Wirtschaft“ als auch das Wahlpflichtfach „Wirtschaftslehre“ unterrichtet: Genau hinhören (…) analytisch mit einem Sachverhalt umgehen können. Analytisch bedeutet auch, eine gewisse Distanz zu den Dingen zu haben und vor allen Dingen sachkompetent urteilen können. Sachkompetent bedeutet also einen Sachverhalt so analysieren und so dazu Stellung beziehen zu können, zu einem bestimmten Problem, dass man wirklich sagen kann, das hat jetzt gymnasiales Niveau. Und, was ich mir nicht wünsche, ist einfach, dass sie irgendwelchen landläufigen Meinungen hinterherrennen. Sondern, dass sie schon das, was sie gesehen oder gehört haben, dass sie in der Lage sind das einzuordnen, dass sie das auch analytisch auseinandernehmen können. (Interview XI, GYM) Eine weitere Vorstellung, die unabhängig vom Vertiefungsgrad ökonomischer Bildung ist, der als anstrebenswert geäußert wurde, ist die Vorstellung, dass Schülerinnen und Schüler für die Auseinandersetzung mit ökonomischen Zusammenhängen motiviert werden sollen. Der Wirtschaftsunterricht soll nach den Vorstellungen der Lehrpersonen Interesse an ökonomischen Zusammenhängen wecken und die Jugendlichen zu einer Auseinandersetzung mit aktuellen ökonomischen Themen jetzt und in Zukunft anregen [5].Diese Vorstellungen lassen sich im weiteren fachdidaktischen Verständnis auch als epistemologische Vorstellungen bezeichnen, denn sie beziehen sich auf die Reichweite des ökonomischen Wissenserwerbs. Dies gilt auch für die Vorstellungen der Wirtschaftslehrpersonen, die die Flexibilität und Komplexität ökonomischen Wissens zum Gegenstand haben. Aus Sicht der Lehrpersonen unterliegen ökonomische Sachverhalte einer gewissen Dynamik. Deshalb sei es aus ihrer Sicht wichtig, dass im Wirtschaftsunterricht vor allem Strukturen und Exemplarisches vermittelt werden, um ökonomisches Wissen in einer sich wandelnden Welt flexibel anwenden zu können [6]. Eng damit zusammen hängt die geäußerte Intention einiger Lehrpersonen, Schülerinnen und Schüler für die Komplexität und Bedeutung ökonomischer und gesellschaftlicher Zusammenhänge zu sensibilisieren. Nur wenige Lehrpersonen äußerten zu den Zielen des Wirtschaftsunterrichts spezifische fachliche Inhalte. Wie auch im folgenden Beispiel deutlich wird, steht für die Lehrperson in Ausbildung an einer Oberschule mit Blick auf die Ziele ihres Wirtschaftsunterrichts eher die Vermittlung von flexiblen ökonomischen Kompetenzen als einzelne Inhalte im Vordergrund: Das ist schwer (...) ich würde sagen, man lernt ja eigentlich nicht aus. Das ist nun ein bisschen blöd gesagt, aber es ist halt so, ich könnte jetzt sagen, sie müssen wissen, wie der Wirtschaftskreislauf aufgebaut ist, sie müssen wissen, wie man eine vernünftige Bewerbung schreibt und sie sollten wissen, wie man das, was netto vom Bruttolohn übrig bleibt, wie man das errechnet. Aber ich glaube, es ist mehr als das. Es ist mehr als berechnen zu können, wie hoch ist meine Lohnsteuer, weil das liest man ja einfach ab, wie hoch ist mein Rentenversicherungsbeitrag. Das sind halt Sachen, die kann man berechnen. Es ist mehr als das. Es ist irgendwo Zusammenhänge verstehen. Es ist verstehen, wie funktioniert eine Wirtschaft, wie ist ein Betrieb strukturiert, was habe ich vielleicht für Rechte, was habe ich vielleicht für Pflichten innerhalb des Betriebs? Das sind vielleicht die Sachen, die am interessantesten sind, wenn man gerade eine Ausbildung anfängt. Worauf muss ich achten, was ist wichtig für mich? Was kann ich machen, wenn ich mit Leuten da nicht klar komme? Was kann ich machen, wenn es mir gar nicht in dem Betrieb gefällt? Es ist mehr, als zu sagen, sie müssen das können, sie müssen das können, sie müssen das können. Es ist irgendwo so ein Mix aus allen, weil die Zusammenhänge greifen müssen. Es ist nicht, ich kann Plus und ich kann Minus rechnen. Es ist irgendwie ein bisschen mehr als das. (Interview II, OBS) Vor dem Hintergrund von Äußerungen wie dieser, der eines Oberschullehrers in Ausbildung, ist es umso bemerkenswerter, dass die Lehrpersonen „Kompetenzorientierung“ nur sehr vereinzelt als ein für ihren Wirtschaftsunterricht relevantes Prinzip auswählten. Verschiedene Lehrpersonen – jedoch nicht nur solche, die das Fach „Politik-Wirtschaft“ unterrichten – benannten das Wissen um die Interdependenz von Wirtschaft und Politik als ein Ziel des Wirtschaftsunterrichts [7]. Weitere Inhalte, die als Ziele explizit genannt wurden, sind Fachwissen zum Betrieb, der Börse und zur sozialen Marktwirtschaft sowie der Umgang mit Fachbegriffen im Allgemeinen.
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