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Wirtschaftsunterricht aus der Sicht von Lehrpersonen
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4.8 Systematisierung von LehrervorstellungenLehrervorstellungen werden je nach Forschungskontext in unterschiedliche Gegenstandsbereiche eingeteilt und teilweise schulfachspezifisch ausdifferenziert. Im Folgenden werden zunächst zentrale fächerübergeifende Einteilungen aus der Pädagogischen Psychologie und der allgemeinen Didaktik vorgestellt. In Bezug auf die folgende Studie zu Lehrervorstellungen in der ökonomischen Bildung sind sowohl die schulfachspezifischen Gegenstandsbereiche anderer Fächer als auch die fächerübergreifenden Gegenstandsbereiche als Referenz anzusehen, die Hinweise für die Gestaltung des Interviewleitfadens geben. Die folgende Tabelle 3 zeigt exemplarische fächerübergreifende Systematisierungen der Gegenstandsbereiche von Lehrervorstellungen, die im Anschluss erläutert und in eine eigene allgemeine Systematisierung von Lehrervorstellungen überführt werden (vgl. Tab. 3).
Tabelle 3 Allgemeine Systematisierungen Eine fächerübergreifende vielzitierte Einteilung von Lehrervorstellungen ist die Calderheads (1996) mit der Unterscheidung zwischen den Gegenstandsbereichen „Vorstellungen über Lernende und das Lernen“, „Vorstellungen über das Unterrichten“, „Vorstellungen über Fächer“, „Vorstellungen über das Lernen zu unterrichten“, „Vorstellungen über das Selbst und die Lehrerrolle“ (ebd., S. 719f.). Calderhead unterscheidet somit auf der einen Seite Vorstellungsbereiche, die sich auf die Akteure (die Lehrenden selbst und die Lernenden) beziehen sowie Vorstellungen zum Lehr-Lern-Prozess, die als mit diesen verknüpft konzeptualisiert werden. Dabei wird nicht ganz klar, wieso Vorstellungen über die Lernenden und das Lernen eine Kategorie bilden, die Vorstellungen zu den Lehrenden und dem Unterrichten dagegen in verschiedene Vorstellungen ausdifferenziert werden. Hinzu kommt ein Vorstellungsbereich zu Rahmenbedingungen des Lehr-Lern-Prozesses: zu den Schulfächern. Kunter und Pohlmann (2009, S. 269ff.) unterscheiden aus pädagogisch-psychologischer Perspektive „Überzeugungen über das Selbst“ der Lehrpersonen, „Überzeugungen über bestimmte Schüler“ und „Überzeugungen über Lehren und Lernen“. Sie differenzieren demnach zwischen den beiden Akteursgruppen und Vorstellungen, die sich auf den Lehr-Lern-Prozess beziehen. Vorstellungen zu Rahmenbedingungen werden hier nicht expliziert. Reusser et al. (2010, S. 486) hingegen systematisieren Lehrervorstellungen, die von ihnen „berufsbezogene Überzeugungen“ genannt werden, in „allgemeine und domänenspezifische“, „personenbezogene“ und „kontextbezogene“ Überzeugungen. Hier wird im Gegensatz zu Calderhead sowie Kunter und Pohlmann also berücksichtigt, dass neben allgemeinen Vorstellungen auch domänenspezifische bestehen. Unberücksichtigt bleiben allerdings Vorstellungen zum Lehr-Lern-Prozess als solchem. König (2012b, S. 8) unterscheidet Lehrervorstellungen hingegen nach „Vorstellungen über das Lehren und Lernen“ und „Vorstellungen über die professionelle Entwicklung“, wobei Erstere auf die Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden fokussieren. Gleichwohl sind nach König beide Vorstellungsbereiche sehr eng aufeinander bezogen (ebd.). Die Einteilung von König betont auf zweifache Weise die prozessuale Dimension. Einerseits durch die Berücksichtigung des Lehr-LernProzesses. Andererseits mit der zweiten Vorstellungskategorie, die sich auf die professionelle Entwicklung von Lehrpersonen bezieht. Vorstellungen zu den am Lehr-Lern-Prozess Beteiligten, zu den Rahmenbedingungen dieses Prozesses sowie die Frage von Domänen bleiben in dieser Einteilung unberücksichtigt. Vor allem Calderheads Systematisierung von Lehrervorstellungen wurde in verschiedenen Studien zu teachers' beliefs rezipiert und angewendet (vgl. u. a. Chin/Barber 2010). Die Verbreitung dieser Systematisierung wird auch durch die Bestimmung der Inhalte von Lehrervorstellungen von Fives und Buehl (2012) bestätigt. Auf Basis ihrer Metaanalyse von 300 Artikeln zu teachers' beliefs identifizieren und systematisieren sie Vorstellungen der Lehrpersonen über das (a) Selbst, (b) Kontext und Umgebung, (c) Inhalte und Wissen, (d) spezifische Lehr-Lern-Formen und Methoden, (e) Ansätze des Lehrens und (f) Schülerinnen und Schüler (vgl. ebd., S. 472). Die Systematisierung von Fives und Buehl ist demnach auf einem höheren Abstraktionsniveau einzuordnen. An dieser wird deutlich, auf welche grundlegenden Inhaltsbereiche sich Lehrervorstellungen beziehen, ohne dass – wie beispielsweise bei Calderhaeead – die Gefahr besteht, dass einzelne Vorstellungsbereiche, wie z. B. die Vorstellungen zu Schulfächern, isoliert genannt und somit prominent hervorgehoben werden. Deutlich wird, dass die fächerübergreifenden Einteilungen von teachers' beliefs Vorstellungen über die Prozesse des Lehrens und Lernens auf der einen Seite und personenbezogene Vorstellungen über die Lernenden und die Lehrenden selbst auf der anderen Seite umfassen. Außerdem werden kontextbezogene Vorstellungen als dritte Dimension einbezogen. Zwischen den verschiedenen Vorstellungen werden enge Wechselbeziehungen gesehen. Abbildung 12 verdeutlicht diese grundlegende Systematisierung von Lehrervorstellungen in die Dimensionen Prozess, Akteure und Kontext, die es fachspezifisch auszudifferenzieren gilt. Abbildung 12 Allgemeine Systematisierung von Lehrervorstellungen Bei der Einteilung in Inhaltsbereiche zeigt sich die enge konzeptionelle und begriffliche Nähe von Vorstellungen und Wissen (vgl. u. a. Shulman 1999, S. 64), wobei das Lehrerwissen sowohl konzeptionell als auch empirisch als weiter beforscht gelten kann. Sehr verbreitet ist beispielsweise die Unterscheidung auf Basis der „Categories oft the Knowledge Base“ von Shulman (ebd., S. 64). Er unterscheidet verschiedene Wissensarten anhand verschiedener Aufgabenfelder von Lehrpersonen: Inhaltswissen („content knowledge“), praktisches und theoretisches pädagogisches Wissen („general pedagogical knowledge“ und „knowledge of educational ends, purposes, and values“), Wissen über Lehrpläne und andere Vorgaben („curriculum knowledge“), fachdidaktisches Wissen („pedagogical content knowledge“), Wissen über Lernende und ihre Voraussetzungen („knowledge of learners and their characteristics“), bildungswissenschaftliches und bildungspolitisches Wissen („knowledge of educational context“) (ebd., S. 64). Zur Systematisierung des Lehrerwissens gilt die Gliederung nach Shulman (1987) in die Bereiche Fachwissen, fachdidaktisches Wissen, curriculares Wissen und allgemeines pädagogisches Wissen als einschlägig. Diese greifen auch Baumert und Kunter (2006, S. 482) auf und ergänzen zusätzlich die Wissensbereiche Organisationswissen und Beratungswissen. Diese Systematisierung des Lehrerwissens erlangt insbesondere durch die Rezeption des Forschungsprogramms COACTIV eine große Verbreitung. Im Gegensatz zur relativ verbreiteten Einteilung des Lehrerwissens existieren zu den Vorstellungen von Lehrpersonen verschiedene Vorschläge. Am ehesten durchgesetzt hat sich jedoch die Einteilung Calderheads, die sich im Vergleich zu den Wissensbereichen Shulmans (1987) auf die verschiedenen Systemebenen des Lehr-LernProzesses bezieht. Es ist möglich und zur Verdeutlichung des Zusammenwirkens von Wissen und Vorstellungen sowie ihrer engen konzeptionellen und praktischen Verflechtung sinnvoll, Vorstellungsarten in Anlehnung an Shulman (1987) zu operationalisieren, da Vorstellungen und Wissen sich auf dieselben Gegenstandsbereiche beziehen, sich jedoch durch ihren epistemologischen Status unterscheiden. Zur Lehrerprofessionalität [1] sind demnach sowohl objektivierbare Wissensbestände zu Fach, Fachdidaktik, Curriculum, allgemeiner Pädagogik und Beratung zu rechnen als auch subjektive Vorstellungen zu eben diesen Inhaltsbereichen, die in der Schulpraxis eng verwoben sind und interagieren. In der vorliegenden Studie werden domänenspezifische Vorstellungen von Wirtschaftslehrpersonen erhoben, die sich im Kern auf den Vorstellungsbereich „Fachdidaktik“ konzentrieren. Es werden aber auch Vorstellungen berücksichtigt, die sich auf „Fach“ und „Curriculum“ beziehen, da diese Vorstellungsbereiche eng miteinander verknüpft sind. Im Folgenden werden im Anschluss an die fächerübergreifenden allgemeinen Systematisierungen exemplarisch fachliche Einteilungen von Lehrervorstellungen in Gegenstandsbereiche zu unterschiedlichen Schulfächern vorgestellt. Hierzu wurden aufgrund ihrer längeren Forschungsgeschichte im Bereich der Lehrervorstellungen die in der Mathematikdidaktik verbreitete Einteilung von Woolfolk Hoy et al. (2006) und aus den Naturwissenschaften die Inhaltsbereiche von Lehrervorstellungen zum Physikunterricht von Fischler (2001b) ausgewählt. Aus den sozialwissenschaftlichen Didaktiken wird die Einteilung von Allenspach (2012) vorgestellt. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick zu den fachlichen Gegenstandsbereichen von Lehrervorstellungen, die anschließend ausgeführt werden.
Tabelle 4 Fachliche Gegenstandsbereiche von Lehrervorstellungen Auf der Ebene der Fachdidaktiken werden Vorstellungen von Lehrpersonen sachgemäß domänenspezifisch systematisiert. Fischler (2001b) unterscheidet für die Physikdidaktik die Kategorien „Vorstellungen über das Lernen von Physik“, „Vorstellungen über das Lehren von Physik“, „wissenschaftstheoretische Vorstellungen“ und „Selbstsicht des Physiklehrers“ (ebd., S. 109f.). Zum einen unterscheidet Fischler also Vorstellungen zum Lehr-Lern-Prozess, wobei er diese voneinander isoliert konzeptualisiert. In Bezug auf die Akteure des Physikunterrichts werden selbstreflexive Vorstellungen von Physiklehrenden, jedoch keine Vorstellungen zu den Lernenden explizit gemacht. Durch die Einbeziehung wissenschaftstheoretischer Vorstellungen berücksichtigt Fischler epistemologische Überzeugungen als für die Lehrervorstellungen zum Physikunterricht relevant. Allerdings bleibt in der Bezeichnung offen, inwiefern es sich hierbei auch um fachspezifische epistemologische Vorstellungen handelt. Für die fachdidaktische Forschung zu Vorstellungen von Mathematiklehrerinnen und -lehrern kann die Einteilung von Woolfolk Hoy et al. (2006) als beispielhaft herangezogen werden. Sie unterscheiden Vorstellungen über das „Selbst“: in Vorstellungen „über die eigenen Fähigkeiten als Lehrkraft“ oder „die Rolle des Lehrers“. Darüber hinaus Vorstellungen zum „Lehr-Lernkontext“: „Überzeugungen über das mathematische Wissen (epistemologische Überzeugungen)“ und „über das Lernen und Lehren von Mathematik“. Außerdem die Vorstellungsbereiche „Bildungssystem“ und „gesellschaftlicher Kontext“: „Überzeugungen über kulturelle Heterogenität in der Schule“ (ebd., S. 715ff.). Die Vorstellungsbereiche von Woolfolk Hoy et al. (2006) beinhalten neben wenigen domänenspezifisch-mathematischen Vorstellungen einen großen Anteil allgemeiner Vorstellungen über Schule und Unterricht. Diese werden von fachspezifisch-didaktischen Vorstellungen flankiert. Im Vergleich zu Fischler heben sie jedoch die Domänenspezifizität epistemologischer Überzeugungen hervor, wenn sie von „Überzeugungen über das mathematische Wissen“ sprechen. Allenspach (2012) unterscheidet die Verständnisse von politischer Bildung als Fachbereich, die Verständnisse vom Lernen in der politischen Bildung (subjektive Lerntheorien) und die Verständnisse vom Lehren in der politischen Bildung (subjektive Theorien über das Lehren) (ebd., S. 77f.). Epistemologische Überzeugungen werden in seiner Systematisierung, im Vergleich zu den naturwissenschaftlich konzeptua-lisierten Gegenstandsbereichen von Lehrervorstellungen, nicht explizit hervorgehoben, spielen jedoch in die von ihm beschriebenen Bereiche hinein. An den domänenspezifischen Einteilungen ist im Vergleich zu den fächerübergreifenden Gegenstandsbereichen auffällig, dass zumindest in den betrachteten mathematikdidaktischen und physikdidaktischen Systematisierungen epistemologische Überzeugungen in die fachspezifischen Lehrervorstellungen integriert werden (vgl. Fischler 2001; Woolfolk Hoy et al. 2006). Im direkten Vergleich enthalten die fachspezifischen Einteilungen dieselben Inhaltsbereiche zu teachers' beliefs wie die allgemeinen Konzeptualisierungen. Unterschieden werden prozessbezogene Vorstellungen zum Lehren und Vorstellungen zum Lernen, akteursbezogene Vorstellungen über die Lernenden und selbstbezogene Vorstellungen über die Lehrperson selbst sowie kontextbezogene Vorstellungen – jeweils für ein bestimmtes Schulfach. Deutlich wird aber auch, dass die fachbezogenen Systematisierungen wenig Fachspezifisches aufweisen bzw. die Gegenstandsbereiche nicht fachspezifisch ausdifferenziert dargestellt werden. Für die ökonomische Bildung gilt es, eine solche Systematisierung auf Basis empirischer Ergebnisse zu entwickeln.
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